@Sullivan:
Vielen Dank für die Begeisterung über die Zeichnung.
Ich hoffe es nicht verwirrend, daß in meiner Abteilung Grafimente†¢portraits sich neben den Portraits von mir hochgeschätzer Personen diese Reihe von CDU/CSU-Politikern findet :-)
»Zodiak« habe ich (noch) nicht gelesen. Ich kenne aber aus liquideren Tagen das »Wired« (von Nr. 1 an) und damit auch die tollen Texte dort von Stephenson (aber auch z.B. die von Coupland, Rushkoff, Gibson und Sterling). Schade, daß Wired so teuer ist. Kenne sonst keine Publikation, in der so spannende und ungewöhnliche Texte stehen †¦ erinnere mich z.B. an einen *Reise-* und *Gesellschaftsbericht* durch das Ultima-Online-Land.
@Oliver:
Oh, mit Erstaunen und ein wenig Bedauerung les ich, daß »Quicksilver« Dich nicht so verschlingt, wie ich das eben von mir sagen kann. Ich gebe zu, der erste Teil von »Quicksilver« schmeißt den Leser in 'ne ganz schön komplexe Welt und einer Geschichte, die so gradeaus wie ein Korkenzieher ist.
Ich kann Dir aber Mut machen: der BC ist wahnsinnig vielgestaltig und vielstimmig †¦ ab Teil zwei von »Quicksilver« (King of the Vagabonds) gibt das Buch höllisch Gas und verläuft ne ganze Weile lang gradliniger (Befreiung von Wien, quer durch Deutschland mit Walpurgis auf dem Harz) †¦ also Äktschn satt zur Erholung. Stephenson ist kein Sadist, ermuntert aber den Leser durchaus zum härteren Training.
Deine Aussage (Verwirrtheit, schwierige Übersicht) über die vielen Namen kann ich gut nachvollziehen †¦ und ich halte Dich deshalb nicht für einen Trottel. --- Hätte ich mit Mehrmals-Lesen z.B. von Ecos Romanen* nicht geübt solche Wälzer zu lesen, würde ich beim BC auch ganz schon schwimmen und stöhnen. Zupaß kommt mir auch, daß ich mit einer Anglistin zusammenlebe, und in unserem Haushalt nicht wenig Material zum 16./17. Jahrhundert ergänzend herumliegt. (Womit ich nicht implizieren will, daß Du keine Ahnung von historischen Dingen/Romanen hast.)
* weitere Beispiele: Hugos »Notre-Dame«, Lawrence Norfolks »Lempriers Wörterbuch«, Luther Blissetts »Q«, Suassuanas »Der Steind es Reiches«. SF-bezogen fand ich diesbezüglich Herberts »Wüstenplanet« auch ganz schön herausfordernd.
Intermezzo - Filmtips zum BC:
†¢ mit Vorsicht zu genießen ist »Restoration« mit Sam Neil, Meg Ryan und Robert Downey Jr.; aber optisch und athmosphärisch fein opulent, und einige Groteskerien der Zeit tauchen doll auf (†¦ bzgl. Royal Society, z.B. ein lebendes medizinisches *Präperat*, sprich: ein Mann mit offenem Brustkasten und Schutzkläppchen, das er aufmachen kann, damit die Wissbegierigen sein pochendes Herz bestaunen können.)
†¢ um ein Gefühl für das spitzfingerige, gemeine und sehr umständlich-rethorische Gesellschafts-Hickhack zu bekommen, empfehle ich »Der Kontrakt des Zeichners« von Peter Greenaway und »Ridicule« (französischer Film).
†¢ und ein amüsant flotter Mantel- und Degen-Gangster-Film liegt mit »Plunkett und MacLane« vor.
Zu Olivers »Diamod Age«-Beobachtung:
Abegdreht ist nett umschrieben (nebenebei: Showdown von »I Robot« fand ich ähnlich, aber weit nicht so erfrischend-bombastisch) †¦ ich war aber bass erstaunt über soviel Wagemut und den einhergehenden Stilwillen, sowas wuppen zu wollen. Und die letzten Seiten/Zeilen des Buches setzten dem noch eins drauf! Ein Tusch-Abschluß, ganz selten anzutreffen.ch fand, das es am Ende etwas zu sehr abdreht (mit dieser Mädchen-Armee)†¦
Stephenson ist für meinen Geschmack (yummy yummy, yes) ein Autor, der sich das Gratwandern und das Malen großer Gemälde traut. Und glaubt mir, auch ich finde Stephensons Bücher bisweilen eigenwillig, sprich: es gibt Abschnitte/Kapitel bei ihm, durch die ich mich fräsen, hangeln und robben muß. Doch welch Lohn! --- Stephenson ist aber nicht in der Art anstrend, daß er z.B. arg poetische (verschwurbelte) Sprache oder Beschreibungen gebraucht †¦ gut, im Falle des BC betreibt er ein paar (kürzere) ungewöhnliche Stimmenimitationen (z.B. Quicksilver Kap. 21: Once More into the Breeches.) Er geht also nicht so weit, wie z.B. Eco mit Adsons Visionen im »Namen der Rose« und Robertos Versuchen die Exotik der Südsee in »Die Insel des vorigen Tages« zu fassen; oder das schizophrene Ineinander von 17. Jahrhundert und Antike in Norfolks »Lampriers Wörterbuch«. Aber der Amerikaner Stephenson ist sicherlich als Schriftsteller geprägt worden von seinem ehrwürdigen Landsmann Herman Melville und dessen »Moby Dick«, und wer den gut übersetzt (bei Hanser / btb) oder im Original kennt, weiß, wie abgedreht und aufregend Romane sein können (oder negativ ausgedrückt: wie wirr und anstrengend).
Was Stephenson macht, ist nie aufzuhören neue Facetten für die Handlung, die Fiktionswelt zu schleifen, fortwährend weitere Details und Hintergrundinfos anzubringen. Bei »Diamond Age« waren mir manche technischen Beschreibungen durchaus zu viel. Im BC aber genieße ich all die detailreichen, lebendig-quirrligen Beschreibungen prächtiger Panoramen von Orten, von technischen, wissenschaftlichen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und ideologischen Zusammenhängen.
Ein Wahnsinn sind für mich im BC immer wieder die durchaus ungewöhnlich langen Dialoge und Konversationen †¦ die raffiniert-doppelbödig sind und in der Sache zumeist um tödlich ernste Dinge kreisen. Machtspiele im intimen interpersonellen Kleinformat, voll des Täuschens und Antizipierens †¦ verbaler Info War der in die Pubertät übergehenden Neuzeit.
Unleugnar: Stephenson hat einen sowohl systematischen als auch phantasievollen Kopf. Wenn die Systematik überhand nimmt, dann kann ein Roman von ihm stellenweise schon mal unangenehm kalt und un-personell auftreten (Programmnatur aller Kunst tritt deutlich, womöglich unangenehm hervor); wenn ihm die Phantasie durchgeht, dann kommt es schon mal zu derartig übersteigerten Szenerien, die ungläubig (vielleicht mit Zweifel) schnauben lassen.
Als jemand, der es heiß-kalt und zart-hart mag, der gern zwischen weltfern und hautnah pendelt, nehm ich die blauen Flecken gern in Kauf, die ich mir an der ein oder anderen Ecke und Unwegsamkeit von Stephensons Büchern einfange. Dafür trau ich mich aber eben nicht Achterbahnen zu fahren und bekomm als Auto-Beifahrer ab Tempo 8o Schweißhände.
Ganz allgemein kann ich mir auch gut vorstellen, daß so manche Gewalt- und Sex-Szene in Stephenson-Romanen für zartbesaitete Leser schockierend und abstoßend ist. Im BC gibt es eine Reihe von emotional oder physisch äußerst harten Stellen, bei denen sogar ich unangenehm berührt geschluckt hab.
Eine davon hast Du, Oliver, wohl auch schon hinter Dir: des jungen Newtons Augenball-Selbstversuche mit Waterhouse als Assistenten. Für (noch) nicht Kenner: Vergleichbar mit der Härte und Provokationsmacht der Amputaions- und Selbstoperations-Szenen in dem Film »Master and Commander« (ich weiß, der spielt ca. ein Jahrhundert später), oder Arnies Wanze aus der Nase ziehen in »Total Recall«.
So genug ondulierendes Gejubel.
Grüße vom
Alex / molosovsky