13. März 2166, 10:23 TT
In den Höhlen der Magadu, Trafalgar, Victory-System.
Die Mädchen, die keine Engel sind
Sie waren Kalaab bereits mehr als eine Viertelstunde durch den engen Gang in der Erde gefolgt. Die Tatsache, dass die Fackel, die ihr Führer nach wenigen Metern aus einer Nische in der Wand gegriffen und entzündet hatte, immer noch ohne Probleme brannte, gab Garth zu denken. "Hier muss es ein gut geregeltes System der Luftzufuhr geben", dachte er. "Dieser Gang ist nicht eben mal so angelegt worden."
Ein weiterer Aspekt, der ihm zu denken gab, war das Fehlen jeglicher Stützpfeiler oder ähnlicher Konstruktionen, die üblicherweise den Einsturz solcher Gänge verhindern sollten. Er hatte Kalaab darauf angesprochen, allerdings nur eine sybillinische Antwort erhalten.
"Oh, wir haben da so unsere Möglichkeiten!", hatte Kalaab gesagt. Ja, das habe ich mir schon gedacht, alter Bursche, dachte Garth bei sich. Terranische Mining-Experten würden sich zweifellos für diese Möglichkeiten interessieren.
"Kalaab", begann Garth schließlich, "bevor wir weiter in das Innere Trafalgars klettern, sollten wir Dir vielleicht einige Fragen stellen."
"Oh, natürlich!", erwiderte ihr Führer beflissen. "Ich kann verstehen, dass Ihr Furcht habt. Diese Furcht ist aber völlig unbegründet!"
"Es ist nicht direkt Furcht!", entgegnete Garth. "Aber wir sind üblicherweise nicht die Leute, die einem Fremden kilometerweit ins Unbekannte folgen, ohne wenigstens einige Fragen zu stellen."
"Wie gesagt, kein Problem", bestätigte Kalaab erneut. "Allerdings sind wir auch gleich an unserem vorläufigen Ziel."
"Und das wäre?", hakte Garth nach.
"Eine Wohnhöhle der Dreizehn, natürlich."
Tatsächlich begann sich der Gang bereits zu verbreitern. Nach einer Minute überblickten sie eine große Höhle, in der sich Dutzende von Magadu aufhielten.
Die meisten von ihnen waren mit irgendwelchen Tätigkeiten, die Garth nicht auf den ersten Blick einordnen konnte, beschäftigt, merkten aber beim Anblick der für sie ungewohnten Eindringlinge auf.
"Keine Angst!", rief Kalaab ihnen zu. "Mit der Angst scheint er es aber zu haben!", dachte Garth.
"Diese Vier sind Freunde, die von den Schatten der Vergangenheit bedroht wurden. Ich habe sie gerettet und hierher geführt. Nach einer kurzen Zeit der Entspannung werde ich sie zu einem sicheren Ausgang führen!"
Kalaab genoss die anerkennenden Blicke und aufmunternden Zurufe seiner Sippe. Danach wandte er sich an Garth.
"Ich würde Euch gerne eine Stärkung anbieten. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Ihr unsere Speisen und Getränke vertragen würdet."
Garth lachte. "Wir sind uns auch nicht sicher. Das ist aber im Moment nicht unser vorrangiges Problem."
Marcus nickte zustimmend. "Vielleicht setzen wir uns erst einmal?"
Kalaab führte sie zu einer bequemen Sitzgruppe. Die Meredier entledigten sich ihrer Predator-Helme und setzten sich.
"Jetzt ist es an der Zeit, Eure Fragen zu stellen", erinnerte sie Kalaab.
"Vielleicht die allerwichtigste Frage", begann Garth, "warum helft Ihr uns überhaupt? Wäre es nicht klüger gewesen, sich aus dem Gefecht herauszuhalten?"
"Oh, das ist einfach", erklärte Kalaab. "Wir können es nicht zulassen, dass Menschen von den Schatten der Vergangenheit bedroht werden. Immerhin sind es die Schatten unserer Vergangenheit!"
"Bevor wir darauf näher eingehen", unterbrach Marcus, "erst ein paar Dinge bezüglich unserer Sicherheit. Hegst Du keine Befürchtungen, dass uns die Roboter an diesen Ort folgen könnten? Die Burschen schienen ziemlich hartnäckig zu sein."
Kalaab schüttelte mit dem Kopf. "Die Roboter haben nie versucht, in unsere Höhlen einzudringen. Warum sollten sie das jetzt tun?"
"Habt Ihr in der Vergangenheit bereits andere Fremde auf diese Weise vor den Robotern gerettet?", wollte Garth wissen.
Kalaab verneinte. "Da hast Du Deinen Grund!", triumphierte Marcus. "Ich würde mich nicht wundern, wenn in ein paar Minuten der eine oder andere Verheerer hier auftaucht!"
Kalaab schien verunsichert. "Was schlagt Ihr vor?"
"Das kommt darauf an, wie groß dieses Höhlensystem ist", entgegnete Garth. "Und wie wichtig dieser Zugang für Euch ist", ergänzte Marcus.
Kalaab lachte. "Dieses Höhlensystem ist gewaltig, meine Freunde. Ihr habt bisher nur einen winzigen Bruchteil davon gesehen. Wenn wir wollten, könnten wir unseren Standort jederzeit um hundert Kilometer verlagern. Auch dieser Zugang ist nicht wichtig für uns - es gibt Dutzende davon."
"In diesem Fall", erklärte Marcus, "wäre es das Sinnvollste, den Zugang einfach dicht zu machen. Das hält die Verheerer zumindest für eine Weile auf. Dennoch würde ich eine Verlagerung im Anschluss durchaus empfehlen."
"Das klingt vernünftig", gab Kalaab zu. "Aber wie wollt Ihr das anstellen?"
Marcus grinste. "Bud! Kell!"
"Ja, Daddy?", meldeten sich die beiden Roboter.
"Ihr kehrt zurück an den Höhleneingang und zerstört den Zugang. Aber macht das richtig, nämlich so, dass die Verheerer große Probleme damit haben werden, diesen Gang aufzufinden!"
"Ja, Daddy!", bestätigten die beiden Roboter und machten sich auf den Weg. Da sie diesmal nicht auf die langsame Marschgeschwindigkeit der Menschen zu achten hatten, würden sie ihr Ziel in wenigen Minuten erreichen.
"So, eine Sorge weniger!", lehnte sich Marcus zurück.
"Noch einmal zum Höhlensystem und seinen Ausgängen", kam Garth auf einen wichtigen Punkt zurück. "Gibt es einen Ausgang südlich von hier? Dort, wo die Ebene aufhört und der Dschungel beginnt?"
"Oh ja, natürlich. Ihr nennt diese Ebene Burrows, ist es nicht so?" Garth nickte.
"Selbstverständlich gibt es dort einen Ausgang. Ist es dieser Ort, an den Ihr wollt?"
Garth bestätigte. "Nun", strahlte Kalaab, "dann werden wir nach unserer Rast zu diesem Ausgang gehen!"
"Hervorragend!", freute sich Garth und sandte mittels seines MOHY eine Nachricht an das Baby, zum Transmitter zurückzukehren. Das Baby bestätigte umgehend.
"Vielleicht", erinnerte sich Marcus, "kommen wir zu den Schatten der Vergangenheit zurück. Du sagtest, es seien Schatten Eurer Vergangenheit. Wie ist das zu verstehen?"
"Oh", stieß Kalaab aus, "Ihr kennt die Geschichte der Magadu nicht?"
"Nein", erwiderten Garth und Marcus unisono.
"Nun", antwortete Kalaab, "in diesem Fall ist es das Beste, wenn ich Euch das Lied der Magadu vorsinge. Aber dazu brauche ich Begleitung!"
Er rief fünf Namen, die für die Meredier unverständlich waren. Kurze Zeit später näherten sich fünf Magadu-Mädchen. Marcus fiel auf, dass alle unterschiedliche Haarfarben und -trachten aufwiesen.
"Das ist meine Unterstützung. Leider sind es keine Engel, wie es eigentlich sein sollte. Aber in der heutigen Zeit ist das schwierig mit den Engeln."
Er hatte in der Zwischenzeit ein Saiteninstrument - ähnlich einer Laute, erkannte Garth - organisiert und begann damit, dieser sanfte Klänge zu entlocken.
In sanftem Sprechgesang intonierte er das Lied der Magadu:
"
Das Reich Magadon war ein Imperium
Das vor der großen Katastrophe dort lag
Wo jetzt nur noch ein weitgehend leerer Sternhaufen ist
Die archaischen Könige
Kolonisierten die Welt
All die Götter
Die in den mythologischen Dramen und
Allen Legenden aller Planeten erscheinen
Waren aus Magadon
Ihr Schicksal ahnend
Sandte Magadon Schiffe
Nach allen Enden der Milchstraße aus
An Bord waren zwölf:
Der Poet, der Mediziner, der Agrartechniker,
Der Wissenschaftler, der Psiont
Und die anderen sogenannten Götter
Unserer Legenden
Sie gerierten sich als Götter -
Weil die Hohen Herren es vorzogen
Blind zu bleiben
Lasset uns freudig singen, tanzen und
Das neue Zeitalter einläuten - Heil Magadon!"
Nach dem letzten Ausruf wurde die Musik dramatischer. Die Mädchen, die keine Engel waren, begannen einen Chorgesang, dem sich Kalaab anschloss:
"
Tief unten in den Höhlen
Da wo ich sein möchte, dort mag es sein
Tief unten in den Höhlen
Da wo ich sein möchte, dort mag es sein"
"Das ist groovy!", rief Marcus aus, der bereits während des Refrains mit den Fingern geschnippt hatte. Er sprang auf und näherte sich den Mädchen, die keine Engel waren. Der Refrain wurde wiederholt.
"
Tief unten in den Höhlen."
"
In den Hööööhlen", röhrte Marcus.
"
Da wo ich sein möchte, dort mag es sein."
"
Mag es sein", wiederholten zwei der Mädchen, sich an dem Vorbild von Marcus orientierend.
"
Tief unten in den Höhlen."
"
Unten, unten, unten", skandierten die drei übrigen Mädchen, während Marcus sein "
In den Hööööhlen" von sich gab.
"
Da wo ich sein möchte, dort mag es sein."
"
Mag es sein", wiederholten alle.
Garth hatte sich in der Zwischenzeit umgesehen und eine Art Bongos entdeckt, die er an sich genommen hatte. Er fiel mit einem Break ein. Kalaab nutzte die Gelegenheit:
"
Mein archaischer Geliebter
Ich möchte dich eines Tages sehen
Wach auf, wach auf, wach auf, wach auf!"
Mit einem Wirbel leitete Garth in den Refrain über:
"
Tief unten in den Höhlen."
Während drei Mädchen das bereits bekannte "
Unten, unten, unten" von sich gaben und Marcus "
In den Hööööhlen!" intonierte, riefen die zwei verbliebenen Mädchen mit schriller Stimme "
Wach auf, wach auf, wach auf!"
"
Da wo ich sein möchte, dort mag es sein"
"
Mag es sein", wiederholten zwei der Mädchen, während die übrigen Mädchen und Marcus in das "
Wach auf, wach auf, wach auf!" wechselten.
Sie wiederholten den Refrain noch einige Male, bevor Kalaab die Hände hob.
"Begeisternd!", rief er aus. "Dieses Arrangement ist das Beste, das ich je gehört habe!"
Die Mädchen, die keine Engel waren, drängten sich um Marcus. "Du bist groovy!", lächelte ihn die Rothaarige, die sich an den von ihm verwendeten Ausdruck erinnerte, an und streichelte bewundernd seinen Körper, während die Schwarzhaarige direkt zur Sache kam. "Willst Du nicht unser Produzent werden?"
"Darüber sollten wir ernsthaft nachdenken", antwortete Marcus, der sichtlich die Bewunderung der Mädchen, die keine Engel waren, genoss. "Wir könnten die galaktischen Charts mit unserem Sound ganz schön aufmischen!"
"Marcus", warf Garth ein, "findest Du nicht, dass Du manchmal übertreibst?"
Marcus winkte ab. "Du weißt doch, dass ich auf Meredi einige Bands produziere. Als Hobby, sozusagen. Aber diese Mädchen hier," nickte er den Schönen zu, "haben wirklich Potential!" Die Mädchen gaben Laute der Begeisterung von sich und drängten sich näher an Marcus. "Und vergiss nicht", flüsterte ihm die Rothaarige ins Ohr, "wir sind keine Engel! Du könntest die fünf schönsten Mädchen der Magadu haben, wenn Du verstehst, was ich meine." Sie begann, an seinem Ohr zu lecken.
"Gut und schön", rief Garth, "aber darüber kannst Du nach unserem Einsatz nachdenken. Bud und Kelly sind ebenfalls zurückgekehrt. Ich denke, wir sollten langsam aufbrechen, wir haben noch einen langen Marsch vor uns!"
Während Marcus sich intensiv von den Mädchen, die keine Engel waren, verabschiedete und ihnen ein baldiges Wiedersehen versprach, dachte Garth über die Erkenntnisse nach, die ihnen dieses Lied gebracht, unbeschadet von Marcus´ Intermezzo, gebracht hatte.
Demnach bereisten einst die Magadu den Sternhaufen Demetria. Doch eines Tages kam es aufgrund der Schuld der Hohen Herren zum Untergang ihres Heimatplaneten Magadon. Fortan schworen sie aller Technik ab und entwickelten ihre mit der Natur und der Gesamtheit aller Schöpfung verbundene Lebensweise.
"Das ist ein Thema für Marty Nolan", erkannte er. Es wurde Zeit, dass sie wieder in den Wildtrak gelangten.
Zumal das Baby ihnen eine interessante Information übermittelt hatte.
"Weißt Du eigentlich", fragte er Marcus, während sie, gefolgt von Bud und Kelly, "dass das Baby während des Liedes eine psionische Ausstrahlung von unserem Standort angemessen hat?"
"Du willst sagen, dass das Lied der Magadu von einer paramentalen Strahlung unterlegt ist?", erkundigte sich Marcus. Garth nickte.
"Ach weißt Du, Garth", erwiderte Marcus, "man kann uns doch nicht mesmerisieren. Wir sind Meredier!"
Nach näherem Nachdenken fuhr er fort: "Aber für die galaktischen Charts bedeutet das Platz 1!"
Bearbeitet von Arl Tratlo, 24 März 2013 - 13:47.