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Die frühen J. G. Ballard Romane: Das „Katastrophenquartett“

Geschrieben von head_in_the_clouds , 14 November 2024 · 35 Aufrufe

The Wind from Nowhere (1962) , Der Sturm aus dem Nichts [German] (1964)
The Drowned World (1962) , Karneval der Alligatoren [German] (1970)
The Drought (1964) , Die Dürre (1968)
The Crystal World (1966), Kristallwelt [German] (1969)

 

Ãœber den Autor:
Der britische Autor J. G. Ballard (1930 -2009) , geboren in Shanghai war als Kind während des Zweiten Weltkriegs in einem japanischen Zivilkriegslager interniert. Aus diesen Erfahrungen entstammt sein bekanntester Roman „Empire of the Sun “ („Das Reich der Sonne “) das sehr erfolgreich verfilmt wurde – aber ein sehr untypischer Ballard ist. Der ansonsten oft als sehr schwer zugänglich empfundene Ballard (da er in die damals gängige SF nicht zu passen schien) gilt als einer der Mitbegründer der britischen New Wave in den 1960er.

 

Das erste Mal einen Ballard zu lesen, kann für den traditionellen Science-Fiction-Leser ein entmutigendes Unterfangen sein, denn Ballard enttäuscht alle Erwartungen – und steht damit im Konflikt mit denen der SF-Leser. Ballard ist ein Musterbeispiel für die Sichtweise das Science-Fiction keine Ansammlung von Genre -Tropen ist, sondern eine Art, eine sich verändernde Welt zu betrachten, in der sich die menschliche Psyche durch Technologie mitverändert.

 

In den frühen 1960er Jahren, etwa 5 Jahre nachdem er begonnen hatte, SF-Geschichten für Magazine zu schreiben, machte J. G. Ballard einige berühmte Aussagen über die Zukunft der Science-Fiction – die wie ein Manifest zur New Wave klangen:

 

„Das wahre Thema der Science-Fiction für die Zukunft sollte nicht der Weltraum sein, sondern der innere Raum, das menschliche Bewusstsein und seine Psychopathologie.“

 

Damit in Einklang war seine Auffassung von Fremdheit welche sich nicht auf vermeintliche Weiten im Weltall und dort lebender Aliens bezog sondern eher die Feststellung formte das „Die Erde der einzige wirklich fremde Planet ist.“

 

Die Welt sollte zusammen mit unserem Verstand im Mittelpunkt dessen stehen, was in der Zukunft kommen würde. Letztendlich forderte er , dass es an der Zeit war, sich von den Tropen und Traditionen des Goldenen Zeitalters der späten 1930er und frühen 1940er Jahre zu verabschieden und sich sogar über die Sozialsatire der amerikanischen Science-Fiction in den 1950er Jahren hinauszubewegen (z.b. Bester’s „Die Rache des Kosmonauten “ oder Dicks „Zeit aus den Fugen“) , die ihn erst in das Genre brachten.

 

Ballards einziges Zugeständnis an die konventionelle Science-Fiction findet sich in einigen seiner frühen Kurzgeschichten und in seiner anfänglichen Tetralogie von Romanen, dem Katastrophenquartett das 1961 mit „The Wind from Nowhere“ / Der Sturm aus dem Nichts begann (einer Aufwärmübung , die nach Meinung des Autors eher misslang).

 

1962 erschien der Roman „The Drowned World“ / Karneval der Alligatoren der nun den eigenen Erwartung des Autors entsprochen hat, nämlich die Erforschung des inneren Raums und Ergründung psychischer Tiefen, die in der Science-Fiction der frühen 1960er Jahre als ungewöhnlich und befreiend empfunden wurden. In „The Drowned World“ wird dies brillant offenbart. Seine Vorliebe für die Beschreibung einer durch eine Umweltkatastrophe verwandelten Welt (die heute als Trope gilt, damals aber ein echtes Novum) ist aber nicht die eigentliche die Stärke des Romans, sondern das ist die enorme Kraft, mit der er seine Vision einer urzeitlichen Landschaft und ihrer Auswirkungen auf diejenigen, die sie betreten, beschreibt.
Eine ökologische Katastrophe hat die Welt heimgesucht, die Temperaturen sind gestiegen, die Polkappen sind geschmolzen und große Teile der Erde sind überflutet, nur rund um die Pole ist Zivilisation jetzt noch möglich. London ist unter Wasser versunken und befindet sich im Zentrum eines riesigen Sumpfes, in dem das Leben dem des Trias-Zeitalter (vor ca. 250 Millionen Jahren) entspricht .

 

In Ballards Katastrophenromanen bekämpfen seine Protagonisten allerdings die ihnen gegenüberstehenden Apokalypsen nicht , sondern nehmen sie an, indem sie im Verlaufe der Handlung erkennen, dass dies tatsächlich das ist, was sie wollen (ein späteres Beispiel ist - wenn auch kein Katastrophenroman , so doch ein pessimistischer und gleichzeitig befriedigender Roman über die Anpassungsmöglichkeit des Menschen in einer durch ihn selbst verunstalteten menschenfeindlichen (allzu bekannten) Umgebung- der Roman Concrete Island („Die Betoninsel “) aus 1974).

 

Dies war aber eigentlich ein Impuls, der hinter der Katastrophenliteratur in den 1950er Jahren (und danach) steckte. Sie enthüllte, was wir im Inneren wirklich wollten, eine Welt, die menschenleer war, wo wir ungebunden waren, unseren Fantasien und unseren Vorstellungen freien Lauf zu lassen. Was würden wir in einer Welt tun , die zerstört und leer war, eine Welt ohne Arbeit, eine Welt ohne Regeln? Matheson’s Roman „Ich bin Legende“ von 1954 ist sozusagen ein aktionsbeladener, der äusserlichen Welt verhafteter Vorläufer - aber eben nicht im Ballard’schen „Inner world“ Sinn. Viele Nachfolger spielen bis heute noch mit dieser Idee.

 

Auf die ertrunkene Welt folgte ihr Nachfolger, „The Drought“ / Die Dürre von 1964, sein bester früher Roman mit einem Bild einer Welt, die austrocknet, während Ketten von Polymeren einen unsichtbaren Schild über der Oberfläche des Meeres bilden der die Verdunstung verhindert und zu einer weltweiten Dürre führt.

 

Die Katastrophentetralogie endet mit "The Crystal World" / „Kristallwelt“ von 1966. Die Ursache auf die er zurückgreift, mutet eher bizarr an und mag mit einem eher albernen kosmischen Unfall (den er in einem einzigen Absatz zusammenfasst) nicht dem entsprechen , was wir erwarten würden.
Der Roman spielt in Afrika, als organische Formen der Welt zu kristallisieren beginnen. Jeff Vandemere’s „Annihilation“ , „Chaga “ von Ian McDonald, oder Strugatzki’s Picknick am Wegesrand kommen einem in den Sinn, letzterer Roman aus „Der Zone“ entspricht am ehesten der "Kristallwelt" in ihrer ultimativen Wirkung auf Geist und Körper.

 

Seine Serien sind eher thematisch als chronologisch (so hängen die Teile der Tetralogie als Einzelromane in keiner Weise zusammen- ausser eben in der Absicht des Autors die psychischen (Ab)gründe seiner Protagonisten angesichts einer sie befallenden Katastrophe zu erforschen.
Nachdem Ballard die letzten Nägel in den Sarg des inzwischen nicht mehr existierenden Katastrophengenres gehämmert hatte, war er bereit, weiterzugehen und begann eine experimentelle Phase, in der er Kurzgeschichten mit fragmentierten Persönlichkeiten in den Mittelpunkt stellte.

 

In den Siebzigern begab er sich dann in eine neue Phase, die kaum noch als Science-Fiction zu erkennen war (seine Urban Trilogy) mit „Crash “, „Concrete Island/Die Betoninsel “ und „Highrise / Der Block“ - drei seiner extremsten Romane (insbesondere „Crash“ verstörte damals viele wegen seiner expliziten sexuellen und gewalttätigen Beschreibungen). Doch das erfordert eine eigene Betrachtung.

 

Das tolle Cover der Fischer Taschenbuchausgabe „Kristallwelt“ von 1971 das ein Foto der Pikrinsäure darstellt:

 

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