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Wie bewertet man ein Buch?

Geschrieben von , 03 Oktober 2005 · 1.042 Aufrufe

Über Bücher im Allgemeinen
Jeder der Buchkritiken schreibt, hat sein eigenes Bewertungssystem. Dabei trifft man auf ein einfaches gut - mittel - schlecht, diverse Schulnotensysteme mit + und - für weitere Abstufungen, auf die beliebte 10er Skala (wie hier in der BuchDB mit einer 0-9 Skala oder bei Rusch?) und sogar auf das 1-100 Prozentsystem. Wie überall ist es sehr wichtig zu verstehen, was jeder Punkt, Stern oder jede Note bedeutet: wie definiert der Kritiker seinen Maßstab, warum verdient ein Buch seine Wertung und was hätte gefehlt?

Lange Zeit mochte ich mein einfaches 1-5 Sternesystem. Man konnte ein Buch sehr schnell beurteilen ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass Titel X eine Nuance besser ist als Titel Y. Was gezählt hat am Ende des Tages war der Lesespaß. Vor kurzem bin ich meine Wertungen wieder durchgegangen und war unzufrieden. Zu häufig stehen originelle Bücher zu Unrecht neben routiniert geschriebenen Romanen ohne sich abzuheben. Was tun? Die Skala erweitern? + und - vergeben?

Die Antwort fand sich fast von alleine. Die Inchoatus Gruppe benutzt ein System, dass mir auf Anhieb gefallen hat. Mit leichter Abweichung bei den Bedeutungen der einzelnen Wertungen präsentiere ich die 7-Sterne-Wertung!

(Inchoatus hebt die höchste Wertung nur für Bücher auf, die die nächsten Jahrzehnte als Meisterwerk durchgehen. Dazu wird das Buch nach einem Jahr erneut überprüft und die Wertung eventuell wieder nach unten korrigiert. Ganz so kritisch bin ich nicht.)

7 Sterne

Ein exzellentes Buch, ohne Abstriche empfehlenswert! Dieses Buch hat mich bewegt und mitgerissen, entweder durch seine Erzählweise, durch seine Handlung oder durch neue Ideen, die meine Fantasie in ganz neue Bahnen gelenkt haben. Es hat das Potential, als zeitloser Klassiker in die Geschichte einzugehen und gewinnt mit jedem neuen Lesen. (Beispiel: Book of the New Sun von Gene Wolfe)


6 Sterne

Ein herausragendes Buch mit neuen Ideen, die das Genre verändern! Es ist vielleicht nicht der zeitlose Klassiker, aber immer noch sehr bemerkenswert und gehört zu den Besten seines Genres. (Beispiel: Picknick am Wegesrand von den Brüdern Strugatzki


5 Sterne

Ein sehr gutes Buch, dass sein Potential nicht voll entfalten kann. Es hat seine großen Momente, aber das gewisse Etwas fehlt, um es perfekt zu machen. Der Autor kommt auf meine Vormerkliste. (Beispiel: Die Chronolithen von Robert Charles Wilson)


4 Sterne

Ein überwiegend gutes Buch! In der Regel gut geschrieben, aber der Gesamteindruck ist getrübt. Vielleicht wird nur ein "genreübliches" Thema behandelt ohne neue Ideen (häufig Teil xx in einer Serie), oder es gibt neue Ideen aber der Stil ist holprig, oder langatmige/langweilige Abschnitte mindern das Lesevergnügen. (Beispiel: Andymon von A. und K. Steinmüller)


3 Sterne

Ein Buch, dass ich nicht besonders mochte! Einige Teile sind interessant, andere dagegen langweilig oder haben mich geärgert. Man hat das Gefühl, es besser machen zu können. (Beispiel: Singularität von Charles Stross)


2 Sterne

Dieses Buch hat mir nicht gefallen, wenn ich es überhaupt zu Ende gelesen habe! Es ist entweder schlecht geschrieben oder schlecht recherchiert oder ohne jegliche Ambitionen. Kein gutes Beispiel für das Genre, obwohl der eine oder andere Gefallen daran finden mag. (Beispiel: Quarantäne von Greg Egan)


1 Stern

Dieses Buch ist ein Ärgernis! Man hat das Gefühl, seine Zeit verschwendet zu haben. Häufig kann es der Autor besser, aber hier vergrault er den Leser. Oder das Buch ist so schlecht editiert, dass das Lesen keinen Spaß macht. (Beispiel: Half the Day is Night von Maureen F. McHugh)




Hm, 4 Sterne stehen für einen Durchschnittswert, hier aber sind steht diese Wertung für ein Überwiegend gutes Buch, also 2-3 oder vielleicht sogar 2-. Ganz passt das nicht.

Ich gebe 10 Punkte nur an Bücher, die ich ganz bestimmt irgendwann ein zweites Mal lesen werde und das sind nicht viele, vielleicht zwei Dutzend. Ansonsten ist die Entscheidung ob 8 oder 9 oder gar 7 Punkte letztenendlich auch von einem Bauchgefühl heraus begründet. Deshalb versuche ich auch, meine Bewertung zu begründen. Erstens sehe ich dann, ob sie gerechtfertigt ist und korrigiere demnach. Zweiten ermöglicht dies dann auch den Leuten, die nicht auf meiner Linie sind - und da gebe ich mich keinen Illussionen hin: Kein SF Leser gleicht dem andren - die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Bild zu machen. Will sagen: Die Punktwertung sollte eigentlich nebensächlich sein.
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Hallo,

also mir gefällt Sullis Skala. Schön übersichtlich und die erläuternden Texte sind genau die Gedanken, die ich mir wohl beim Bewerten auch machen würde.

Und ich denke nicht wie Rusch, dass vier Punkte wirklich schon das Mittelmaß sein müssten. Mancher will eben bei den Werken, die einem gefallen haben, viel mehr differenzieren, als bei den miesen Büchern und reserviert deshalb einen größeren Teil seiner Skala für die Bewertung guter Titel.

Auf meiner Homepage bewerte ich auch Bücher und Filme, allerdings behandle ich nur die richtig üblen, beziehungsweise ganz tollen Kandidaten.
Dabei ist mein Maßstab (nicht sooo ernst zu nehmen):
yeah-di-yo-yo - Brennt sich für immer ein
yeah-di-yo - Meisterhafte Perle
yeah-yo - Sehr beeindruckend
yeah - Verdient Applaus

nope - Ziemlich mies!
nope-no - Bitte aufhören!
nope-oh-no - Zum Wimmern schrecklich
nope-oh-no-no - Horror-Overkill

Es funktioniert...
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Jueps kennt scheinbar kein Mittelmaß. Nein, die Existenz dieses wird konsequent geleugnet. biggrin.gif
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biggrin.gif Ja, mit dem Durchschnitt will ICH mich nicht aufhalten... wink.gif
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Aber Du weisst doch nicht, bevor Du ein Buch liest, ob es gut, schlecht oder durchschnittlich ist. ohmy.gif
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Huhu Sullivan biggrin.gif

Obwohl ich augenblicklich mitten im Renovierungsstreß stehe sad.gif , muß ich zu dem Bewertungssystem (oder auch allen anderen persönlichen Bewertungssystemen) mal etwas sagen... und zwar deshalb, weil du freundlicherweise Andymon als Beispiel genannt hast.

Ich versuche mittlerweile, mein "persönliches" Wertesystem gegen ein Allgemeingültiges zu ersetzen. Im Falle Andymon war ich persönlich auch nicht sooo begeistert, aber nach einigem Nachdenken über dieses Werk fiel mir auf, daß die Steinmüllers nicht einfach einen weiteren SF-Roman geschrieben hatten, sondern auch eine Botschaft mit diesem Roman mitgeben wollten.

Und gerade diese Botschaft ist eigentlich die Essenz des Romanes, nicht irgendwelche Klongenerationen, Raumschiffe oder fremde Planeten. Deshalb habe ich die Bewertung revidiert und (nach deinem neuen System) auf 5-6 erhöht. Nicht für mich persönlich, aber für Leser, die evtl. an diesem Roman interessiert sind.

Auch bei Morphogenesis, für den ich gerade eine Rezi "zurechtbiege", versuche ich meine persönliche Vorlieben zurückzustellen und zu eroieren, für welche Gruppe von Lesern diese Buch interessant sein könnte... nur habe da ich wesentlich mehr Schwierigkeiten, etwas positives zu finden devil.gif

Die Frage, die bei meinen Bemühungen auftaucht, ist aber folgende:
Bringt es mehr für den interessierten SF-Leser, wenn die Rezi eindeutig nach persönlichen Vorlieben geschrieben wird, oder ist der Versuch, ein "allgemeingültiges" Urteil für ein Buch zu finden, der richtige Weg ?

Wie gesagt, wir reden hier nicht über Rezensionsrichtlinien, wie sie von einigen Verlagen vorgegeben werden, sondern einzig und allein über Aussagekraft einer Rezension.

Was bringt dem Leser (der NICHT Mitglied in dier Community ist) eigentlich mehr ?

Gruß
Jürgen
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Morphogenesis ist ein sehr gutes Beispiel. Ich tat mir schwer, die Grundidee zu beurteilen und ganze aus den Augen eines Horror Lesers zu sehen. Ich selbst habe mit dieser Literaturgattung sehr wenig am Hut. Noch schlimmer war IMAGON zu beurteilen. Wie soll ich sagen, wie sehr sich der Roman an Lovecrafts Cuthulu orientiert, wenn ich dieses Buch gar nicht gelesen habe?
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QUOTE
Aber Du weisst doch nicht, bevor Du ein Buch liest, ob es gut, schlecht oder durchschnittlich ist.

Das ist ja der Clou: Ich rezensiere nur die Bücher/Filme, bei denen ich das schon weiß. wink.gif

Loben macht Spaß.
Zerreißen auch.
Mittelmaß erläutern - hm.
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QUOTE(Jueps @ 4 Oct 2005, 15:02)
QUOTE
Aber Du weisst doch nicht, bevor Du ein Buch liest, ob es gut, schlecht oder durchschnittlich ist.

Das ist ja der Clou: Ich rezensiere nur die Bücher/Filme, bei denen ich das schon weiß. wink.gif

Loben macht Spaß.
Zerreißen auch.
Mittelmaß erläutern - hm.


Hey, dann frage ich mich, warum Du Dir Mist ansiehst. Eine masochistische Ader? biggrin.gif
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Vielen Dank für eure Kommentare! Mich hatte leider eine Magen-Darm Grippe kurzzeitig außer Gefecht gesetzt...

@Rusch:
QUOTE
Hm, 4 Sterne stehen für einen Durchschnittswert, hier aber sind steht diese Wertung für ein Überwiegend gutes Buch, also 2-3 oder vielleicht sogar 2-. Ganz passt das nicht.

Deswegen ja auch die Erläuterungen dahinter. Im Grunde ist es eine 1-6 Skala mit einer zusätzlichen "Meisterwerk" Kategorie. Bei mir gibt es, ähnlich wie bei Jueps, keinen Durchschnitt - auf die Gefahr hin, einige Bücher zu schlecht zu bewerten.

"Durchschnitt" macht nur Sinn, wenn man die Bücher allgemeiner bewerten möchte, weniger persönlich. Entweder ich hatte Spaß beim Lesen oder mir hat etwas gefehlt und der Autor hat Potential verschenkt.

@Jürgen:
QUOTE
Bringt es mehr für den interessierten SF-Leser, wenn die Rezi eindeutig nach persönlichen Vorlieben geschrieben wird, oder ist der Versuch, ein "allgemeingültiges" Urteil für ein Buch zu finden, der richtige Weg ?

Eine gute Frage. Für mich habe ich beschlossen, keine allgemeingültigen Urteile zu fällen weil ich dafür keine Zeit habe. Dazu müsste ich viel tiefgründiger auf ein Buch eingehen, Zwischentöne und Referenzen erkennen und bewerten etc. Wenn ich soetwas möchte, schaue ich lieber bei dir oder bei Rusch (<schleim>) vorbei. Bei rein persönlichen Kritiken ergibt sich erst ein richtiges Gesamtbild, wenn man die Wertungen untereinander betrachtet und ein Profil vom Kritiker bekommt. Dann bekommt man eine Idee, was gefällt und was von vornherein schlechte Karten hat.

Sullivan
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Foto
molosovsky
Okt 07 2005 09:30
1) Super-Eintrag von Dir Sulli. Ich finde Unternehmungen (Versuche) das Feld der eigenen ästhetischen Urteile zu bändigen immer spannend. †” Der Link zur Inchoatus-Gruppe ist Gold wert. Die Rezis dort sind zwar hammerhart (ausgesprochen anspruchsvolle, kritische Haltung), bemühen sich aber zugleich um bewundertswerte Umsicht, wenn am Ende der Wertungen sowohl ausgeführt wird, für wenn ein Buch was taugt, und wer besser die Finger von einem Buch lassen sollte.

2) Alle Meinungen in diesem Beitrag sind schön, aber besonders heftig genickt habe ich
†¢ bei der Mittelmaßverweigerung von Jueps und;
†¢ bei Jürgen, der (wie ich auch) das ›hybride Ideal‹ anstrebt, allgemeine Bewertungskriterien zu finden, sowie (und das finde ich schlichtweg löblich) sich abseits des persönlichen Geschmacks darauf einläßt, schlußzufolgern, auf welchen Ideal-Leser ein Buch wohl zielen mag.
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Naja, nachdem ich alles rezensiere, was ich lese muss ich auch zum Mittelmaß was schreiben. Allerdings kann ich meinen Geschmack inzwischen so gut einschätzten und mit über Rezis so gut informieren, dass ich nur noch sehr selten daneben lange und ins Mittelmaß oder darunter falle.
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