Mermaid Project Episode 1 [Epsilon/2015]
21.Jhdt. Epsilon
Zum Jahresabschluss* stelle ich ein tolles neues französisches SF-Comic vor, das es schon seit 4 Jahren dort gibt, jedes Jahr mit weiterem Folgeband erscheinend, wo seitdem aber jede Spur einer deutschsprachigen Fortsetzung fehlt (leider!): Das Mermaid Project vom bekannten SF-affinen Texter Léo, assistiert von Corine Jamar, und den für mich neuen, aber sehenswerten Zeichner/Tuscher Fred Simon!
Der Zeichenstil des Letzteren ist eigentlich angenehm einfach, aber gewöhnungsbedürftig; z.B. mag er offensichtlich Portraits - frontale, seitliche, 45°ige. Das wirkt zwar etwas stereotyp, aber ist letztendlich auch angenehm, da er damit dem Texter eine stärkere Unterstreichung anbietet für das was da - beim "Angesichts"-Bild - gerade gesagt wird. Das, gekoppelt mit dem wunderbar lässigen allgemeinen Stil, der mir schon oft bei frankobelgischen Zeichnern urbaner Szenen auffiel, eine souverän-ruinierte (oft Pariser) Welt visuell beschreibend! Très bien!
Souveräne Ruinen? Tja, der Weltenbau der Texter ist in diesem Comic besonders auffällig: Sie haben so etwas wie Ökopunk** geschaffen - ein vom zu großen Fortschritt bzw. zu großer Luxus-Gier zerstörtes Umfeld, aber völlig ohne Computer. Die Erzählung spielt mitten im 21. Jahrhundert, in einer Welt in der Öl/Benzin/Kerosin praktisch nicht mehr vorhanden ist. Der pöse Klimawandel hat die Zone zwischen den Breitengraden von Rom und Paris (wahrscheinlich sogar noch tiefer/höher) stark hin zum Tropischen verändert & den Meeresspiegel soweit ansteigen lassen, dass Teile von Manhattan wie (einst) Venedig wirken. Und irgendeine Katastrophe hat die obersten Etagen fast jedes höheren Gebäudes weggemäht - der Eifelturm ist nur noch ein Stumpf (s. Cover).
Für mich das Spannendste am Weltenbau ist allerdings dass, zumindest in Paris & NYC, Weiße nur noch eine verschwindende Minderheit sind. Nachdem sich der Westen wegen seiner Gier und Arroganz fast selber zerstört hat, haben die Migranten bzw. deren Nachfahren übernommen. Die Protagonistin Romane, Polizei-Inspektor des 8. Departements, ist also wie mann es gewohnt ist, weiß, wird aber in der 1. Hälfte des Bandes öfter gehänselt und allgemein als zweitrangig behandelt wie früher die Weißen viele Andere; an einer Stelle beklagt sich sogar ihre Nichte bei ihr weil ihr Freund mit ihr Schluss gemacht habe, da sie ja weiß sei... In Antwort ein Ausschnitt der Ich-Narration der Detektivin:
[..] dann erzählte ich ihr von früher, wie es war, als die Welt von Europa und den USA dominiert wurde, als die reichen Länder hauptsächlich von Weißen bevölkert wurden und wie sie, die Dunkelhäutigen, die Schwarzen aus dem Süden, kamen, um dem Elend ihrer Länder zu entfliehen...
Ein cleverer Clou!
Nach all dem ist der Plot schon fast nebensächlich. Er ist spannend - viel darüber zu erzählen, verrät schon zuviel. Und er leidet leider unter Sequelitis - hört also im spannendsten Moment auf, um auf die Fortsetzung zu harren. In Kürze daher: Nachdem der Inspektor einem Hinweis nachgehend, entdeckt dass die tote Tochter eins Pariser Ehepaars nicht in ihrem Sarg liegt, und der Hinweis auf diesen Misstand Romane persönlich erwähnt, wird sie in angedeutete dunkle Entwicklungen des New Yorker Unternehmens Algapower - einer der größten Produzenten von Methan, dem neuen Antriebsersatzmittel - involviert. U.a. weil ihr Zwillingsbruder dort als Genetiker arbeitet. Was genau treibt der Weltkonzern hinter den Kulissen bei seinem geheimen "Mermaid Project"?
Fazit: Ein sehr erfreuliches Réussement der frankobelgischen urbanen Comic-Tradition zur nahen Zukunft! Ich war hingerissen, und halte feste beide Daumen für eine baldige Fortsetzung für deutschsprachige Fans!
(* Aus aktuellem Anlass lautet ein Neujahresvorsatz von mir: Blokk-Deadline innerlich ab sofort immer um eine Woche vorziehen! / ** Statt Cyberpunk...)
Klingt vielversprechend!