Schneekreuzer [Jacoby & Stuart/2013(1983-2000)]
20.Jhdt. Jacoby&Stuart
Rochettes Zeichnungen sind sicherlich stilgebend für das visuelle Gesicht des Klassikers, aber Lob hatte wohl die wahre große Vision - & machte Rochette ausführliche Vorgaben - des ewig durch eine wintrige Erde ziehenden Superzugs, dessen neuartiges Triebwerk am Zug-Kopf fahren muss (!), damit es den vielen danach folgenden Wagen Energie spenden kann...!
Das Absurde an diesem Plotrahmen ist dann auch das was m.E. vorrangig hängen bleibt von der beeindruckend bebilderten nihilistischen Geschichte; Menschen enkapsuliert in einem perfekt funktionierenden Stahlmonster, das über Jahre (!) auf nie kaputt-gehenden Gleisen vor sich hin fährt, den kläglichen Rest der Menschheit in eine ungewisse - hoffentlich wärmere - Zukunft fahrend!
Schon im 1. - aus Lobs Sicht einzigen & abgeschlossenen - Teil wird dabei ständig die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens thematisiert, und dass es draußen eher stetig kälter wird. Es gibt ein offenes Ende, und letztendlich eher keine Hoffnung.
Das Draußen wird dann im 2. & 3. Teil deutlicher ein Mitspieler in der Geschichte - der Literat Legrand entwirft mehrere Geschichtsstränge mit vielen wilden Entwicklungen, auch was die Beschaffenheit dieser Außenwelt angeht. Die Entscheidungen der Zugsteuernden bleiben allerdings nach wie vor kaum nachvollziehbar - der Käfig der Irren im sogenannten Norden des Zuges, also dort wo die wohlgenährte Elite sich nahe der "heiligen Loko" aufhält, richtet sich zunehmend selbst zugrunde, und damit natürlich langfristig auch alle Anderen im Zug.
Mir scheint das dann auch die moralische Schiene auf der die Story fährt: Dass eben unweigerlich alle im Zug buchstäblich von einander abhängen; was vorne, oder auch hinten, an Wesentlichem bzw. Explosivem geschieht, betrifft sofort auch alle Anderen. Da die Story während einer global-ökologischen Katastrophe stattfindet, war der mahnende Umweltsbezug mit Sicherheit von Lob gewollt.
Mir hat einerseits die Gnadenlosigkeit der Entwicklungen in allen 3 Teilen gefallen, und wie sehr, je weiter die "Guten" immer wieder ihren Weg nach vorne/"Norden" finden, je mehr auch Korruption & Menschenverachtung zunimmt. Frauen haben wenig zu sagen in dieser unwirtlichen Welt der oft übelriechenden Gänge und Schleusen; sie mischen Menschlichkeit mit in die Überlebensbrühe oder sorgen für etwas - ruhig auch körperliche - Liebe & unerwartete Stromausfälle. Die "machenden" Männer werden aber nach & nach alle bloßgestellt. Und so gut wie alle Protagonisten krepieren in diversen Unhappyends...
Andererseits fand ich erstaunlich, dass der absurde Plot auch die Schwäche vieler SF-Erzählungen demonstriert - denn hier ist dessen technisch-physikalischer Boden so kalt & dünn, dass die typischen Gadget-Einlagen, die das "Science" fundieren sollen, immer wieder besonders lächerlich wirken. Ob das der Zeichner - der übrigens inzwischen in Berlin lebt - andeuten wollte, als er für die Außen-"Raum"-Anzüge in den letzten beiden Teilen einen Helm entwarf, der wie ein ewig dumm grinsender Smiley aussieht?
Fazit: Ein aufrühriger Klassiker, der nicht aufhört, sich immer wieder selbst zu erfinden, mit ontologischem Tiefgang; allerdings nichts für schwache Herzen & Happyendsüchtige... Sollte man der persönlichen "bucket list" zur Vorbeugung des Kältetods des Planeten hinzufügen!
Danke für diesen Beitrag, Yip! Ich möchte diese düstere und bildgewaltige Graphic Novel nicht in meinem Bücherregal missen. Mir ging es damals beim Lesen so, dass ich sie auf einer Metaebene auch als 'grafisches Memento' an den Holocaust wahrnahm.
(Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass im Anhang (vom Zeichner?) etwas zu diesen Bezügen ausgeführt wird.)