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Die Wunder des Ralviehversums



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Robert Corvus' Gesamtbetrachtung der KLP-Gewinner aus der 1980ern

Geschrieben von ShockWaveRider , in Bücher 20 Januar 2020 · 15.729 Aufrufe

Der Schriftsteller Robert Corvus verfolgt auf seinem Youtube-Kanal gerade ein interessantes Projekt. Jeden Monat liest er einen Roman, der beim Kurd-Laßwitz-Preis als "Bester deutschsprachiger Roman" ausgezeichnet wurde. Dabei geht er chronologisch vor.

Nun hat er die Sieger der Jahre 1981 bis 1989 glücklich überlebt und zieht eine ernüchterte, aber teils auch launige Zwischenbilanz:


Eine Gedanken von mir dazu:

Corvus fragt sich, ob die Gewinner wirklich immer die besten Bücher des Jahres gewesen seien. Die Romane seien nicht für SF-Fans ausgewählt, sondern um Menschen, die SF mit Heftromanen gleichsetzen, zu zeigen, dass SF-Romane durchaus anspruchsvoller sein können (Präsentabilität außerhalb des SF-Ghettos).

Dazu kann man viel sagen.
Zum einen: Ich kenne fünf der neun Preisträger und mag sie allesamt sehr gerne. Georg Zauners "Die Enkel der Raketenbauer" und Thomas R.P. Mielkes "Das Sakriversum" sind mit einem Augenzwinkern geschilderte Zukunftsvisionen, während Wolfgang Jeschkes "Der letzte Tag der Schöpfung" die Aussichtslosigkeit des Vorhabens, mittels einer Zeitmaschine die politschen Verhältnisse der Gegenwart zu ändern, thematisiert. Beim letztgenannten Buch fand ich es sogar sehr verdienstvoll, dass hier eben nicht wieder das ausgenudelte "Mensch aus dem Jahr 2000 trifft Julius Cäsar"-Motiv recycled wurde, sondern ein größerer, aber vor allem anderer Bogen gespannt wurde.

Zum anderen: Die Jahre 1978-1986 werden gern als das "Goldene Zeitalter der SF in Deutschland" bezeichnet. Weil man damals mit deutschsprachiger Science Fiction jenseits des Heftromans gutes Geld verdienen konnte. (So ist es auch kein Zufall, dass der KLP gerade zu dieser Zeit aus der Taufe gehoben wurde.) Es gibt verschiedene Erklärungsversuche, wie es zu der Nachfrage kommen konnte. Ein Ansatz: Die SF-Taschenbuchreihen namentlich bei Heyne und bei Goldmann haben die deutschen SF-Fans mit literarisch anspruchsvollen Werken aus dem englisches Sprachraum bekannt gemacht. Daraus erwuchs das Bedürfnis nach ähnlich anspruchsvoller deutschsprachiger SF.
Das Problem: Auf der Angebotsseite war man darauf nicht vorbereitet. Es gab einfach zu wenig gute Autoren, die fähig und willens waren, gute deutschsprachige SF zu schreiben. Um die große Nachfrage dennoch zu bedienen, senkten die Verlage ihre Qualitätsansprüche und publizierten Manuskripte, die normalerweise spätestens auf Seite 3 vom Lektor in die Rundablage befördert worden wären. Was dazu führte, dass es in den 80er-Jahren einfach zu wenig gute deutschsprachige SF-Romane gab.
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich, als ich die DSFP-Kurzgeschichten-Preisträger-Anthologie "Die Stille nach dem Ton" las. Gerade bei den ersten Stories aus dem 80ern fragte ich mich einige male: Gab es in dem Jahr wirklich keine bessere Story? Mit fortschreitender Zeit verbesserte sich die Qualität der Siegerstories, und der Anteil der relativen Aussetzer sank ab den 1990ern deutlich. Es besteht also auch Hoffnung bei den KLP-Romanen.

Corvus vermutet, dass die deutschen SF-Schaffenden nicht nur nach literarischer Qualität abgestimmt haben. Als Beispiel nennt er den Preis für Wolfgang Jeschke, der sich nicht nur als Autor, sondern vor allem als Herausgeber und Cheflektor für die SF-Reihe im Heyne Verlag hervorgetan hatte. Mit dem Preis für "Der letzte Tag der Schöpfung" könnten bewusst oder unbewusst auch seine Verdienste für die Verbreitung der Science Fiction in Deutschland gewürdigt worden sein.

Außerdem hing die Existenz manches deutschen SF-Autors von Jeschkes Wohlwollen ab. Tatsächlich sagte Jeschke, als ihm 2006 der Deutsche Science Fiction Preis (!) für "Das Cusanus-Spiel" verliehen wurde, sinngemäß, er sei stolz darauf, dass die DSFP-Jury ihm den Preis zuerkannt habe. Der KLP komme ja sowieso. (Tatsächlich ist Jeschke mit insgesamt 17 oder 18 KLP-Titeln in verschiedenen Kategorien unangefochtener Spitzenreiter.)
Der KLP ist eben KEIN Jury-Preis, sondern ein Preis, der, ähnlich dem Nebula-Award, von den SF-Schaffenden vergeben wird. Die KLP-Abstimmungsberechtigten müssen z.B. nicht alle Bücher auf der short list gelesen haben, um abstimmen zu können. Das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen KLP und DSFP, was natürlich auch spezifische Unterschiede in den Ergebnissen nach sich zieht. Aber deshalb gibt es ja auch die verschiedenen Preise.
Und mit diesen Ausführungen will ich keineswegs den KLP bashen. KLP, DSFP und der Deutsche Phantastik-Preis als echter Publikumspreis haben allesamt ihre Daseinsberechtigung, gerade weil sie mit unterschiedlichen Ansätzen an die Preisfindung herangehen.

Egal. Ich freue mich schon darauf, was Robert Corvus zu den KLP-Siegern der 90er Jahre zu sagen hat.
Wie gesagt: Die besten Kurzgeschichten beim DSFP wurden in der Dekade besser.


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Marcel Proust: Die wiedergefundene Zeit (2020-B003)

Geschrieben von ShockWaveRider , in Bücher 20 Januar 2020 · 2.837 Aufrufe

Marcel Proust

Die wiedergefundene Zeit

Siebter und letzter Band des Romans „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“

(Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2002/2011, 643 Seiten)


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Beschafft habe ich mir Marcel Prousts Monumentalwerk im August 2018. Den ersten von sieben Bänden nahm ich im November 2018 zur Hand. 14 Monate später lege ich nun den letzten Band aus der Hand.

Nur die ersten vier Bände sind zu Marcel Prousts Lebzeiten erschienen. Von Band 5 liegt immerhin ein Typoskript vor, das Proust dem Verlag vorlegte. Allerdings heißt das wenig, denn zum Leidwesen seines Verlegers nahm Proust in den Druckfahnen nicht nur punktuelle Korrekturen vor; vielmehr verwendete er sie als Grundlage für umfangreiche Überarbeitungen.

Der siebte Teil „Die wiedergefundene Zeit“ war von Proust zum Zeitpunkt seines Todes als letzter Teil vorgesehen. Auch das heißt nicht viel: anfangs hatte er das „Verlorene Zeit“-Projekt auf drei Bände angelegt. Der Titel legt es schon nahe: Hier versucht Proust eine Antwort auf die Frage zu finden, wo die verlorene Zeit bleibt bzw. ob und wie man sie wiederfinden kann.

Allerdings liegt dieser Teil nur in Form von Notizheften, Prousts berühmten Cahiers, vor, in die er viele Leporellos eingeklebt hat mit später verfassten Einschüben. Von daher wundert es wenig, dass der Band einen unfertigen Eindruck hinterlässt. So treten regelmäßig Figuren auf, die in früheren Bänden der „Recherche“ bereits gestorben sind. Die Leporellos verursachen gleich zwei Probleme: zum einen ist nicht immer klar, an welcher Stelle auf der Seite die Leporello-Texte genau eingefügt werden sollten, zum anderen treten am Beginn und am Ende der Einschübe Kontinuitätsprobleme mit dem ursprünglichen Entwurf auf.

Allen genannten Schwierigkeiten zum Trotz liest sich auch der Abschlussband mit Genuss und Gewinn.

Ein wichtiges Thema dieses Bandes ist der 1. Weltkrieg. Proust empfindet ihn vor allem als Abschied von der dekadenten, hedonistischen „Belle Époque“, in der die ersten sechs Bände der „Recherche“ spielten. Das 19. Jahrhundert begeht mit 14-18 Jahren Verspätung sein „Fin de Siècle“; die „Belle Époque“ wird selbst Teil der unwiederbringlich „verlorenen Zeit“.

Allerdings schildert Proust die Schrecken des Krieges nur am Rande. Er selbst verbrachte die Kriegsjahre überwiegend in einem Sanatorium und erfuhr vom Kriegsgeschehen nur über Zeitungen und andere mittelbare Berichte. Was er aber mit unbestechlichem Blick seziert, ist der Wandel, der bei den Protagonisten seines Romans einsetzt. Vergessen sind plötzlich die tiefen Gräben, die die Dreyfus-Affäre über mehr als ein Jahrzehnt in die französische Gesellschaft gerissen hat. Vergessen ist aber auch die Wertschätzung, die der deutschen Kultur entgegengebracht wurde. Wer nun hinreichend expressiv eine patriotische Gesinnung vor sich her trägt, darf der gesellschaftlichen Akzeptanz sicher sein. Selbst die eleganten Salondamen kleiden sich nun betont schlicht, um ihre Solidarität mit den kämpfenden Soldaten und dem leidenden Volk auszudrücken. Proust zeigt mit ungewohnt deutlicher, fast schon verbitterter Sprache, dass es sich hier nur um eine Fassade handelt.

Einen wesentlichen Raum nehmen poetologische Überlegungen ein, die mit Blick auf die „Recherche“ selbstreferentiellen und bisweilen selbstironischen Charakter erlangen. So spricht sich Proust nicht nur gegen den filmhaften Roman, die bloß aufzeichnende Literatur und gegen patriotische Kunst aus, sondern auch gegen explizite Theorien im Kunstwerk. Aber genau die liefert er in diesen Passagen.

Und er versucht sich im ersten Teil des siebten Bandes auch an einer Antwort auf die Frage, wie man die „Suche nach der verlorenen Zeit“ erfolgreich beenden kann. Es ist die Kraft der Erinnerung, die ein vergangenes Ereignis in das gegenwärtige Bewusstsein des Sich-Erinnernden bringt. Indem sie Vergangenheit und Gegenwart verbindet, ist aktive, imaginative Erinnerung zeitlos. Ich hatte Probleme, diese Schlussfolgerung nachzuvollziehen. Was z.B. passiert mit der Erinnerung nach dem Tode des Erinnerungsträgers? Aber gerade bei solchen Passagen zeigt sich, dass hier ein Todkranker gegen den drohenden Tod anschreibt und versucht, so viele Gedanken, Impressionen, Erinnerungen wie möglich vor dem endgültigen Verstummen zu retten.

Der zweite Teil, von vornherein als Endstück der „Recherche“ konzipiert, ist bereits zu einem frühen Stadium des Romans entstanden. Hier findet man auch wieder die elegante Leichtigkeit, die spöttische Treffsicherheit und die dandyhafte Distanz, die den Reiz der ersten Romanbände ausmachten. Schlusspunkt der Recherche ist ein Maskenfest bei den Guermantes. Allerdings sind die Figuren des Romans allesamt gealtert. Das Maskenfest erhält dadurch fast den gespenstischen Charakter eines Totentanzes. Proust räsonniert hier aber gekonnt und einsichtsreich über die Individualität des Alterns. Wie in einer Revue treten alle Personen noch einmal auf, und Proust beschreibt, wie unterschiedlich sich das Alter bei ihnen bemerkbar macht. Am Ende wendet sich Proust Odette zu, jener Frau, die als Courtisane von Swann die heimliche Heldin des ersten Bandes war. Nun, als Grande Dame, konnte sie sich viel von ihrer Attraktivität bewahren, hat aber an Eleganz und gesellschaftlicher Wirkung gewonnen. Ein schöner, den gesamten 4000-Seiten-Roman überspannender Kreis schließt sich hier.

Auch dieser Band ist gespickt mit Anspielungen auf Kunstwerke aller Art. Ohne die wohlerwogenen Kommentare der vorliegenden Frankfurter Ausgabe wären mir die meisten Referenzen entgangen, zumal sich die meisten auf zeitgenössische Kunstwerke der Belle Époque beziehen, die heute ohne Prousts Zitate vergessen wären.

„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ habe ich gern gelesen und ausgesprochen genossen. Zwar kenne ich das Original nicht, aber Eva Rechel-Mertens hat mit ihrer Übersetzung ein kongeniales Meisterwerk geschaffen. Auch die komplexesten Satzgefüge bleiben stets lesbar. Ich kann verstehen, wenn sich jemand nicht mit den überflüssigen Intrigen gelangweilter, superreicher Salonlöwen beschäftigen will. Die unbestechliche Analyse und Offenlegung solcher gesellschaftlicher Spielchen macht einen großen Anteil der „Recherche“ aus. Daneben gibt es aber auch tiefe psychologische Einsichten, insbesondere über das menschliche Bewusstsein und die schwer fassbare, fragile und fehlbare Natur der Erinnerung. Prousts Meilenstein verlangt vom Leser einiges ab. Aber wer sich darauf einlässt, wird reich belohnt.


Die Lektüre liefert einen Beitrag zu folgenden Lesezielen 2020:
1: 100 Bücher lesen! (3/100)
2: 14 von 16 Büchern aus dem 2019er-SUB bis Ende Juni lesen! (3/14)

Leseziel erreicht:
2a: Prousts „Die wiedergefundene Zeit“ bis Ende Januar lesen!



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Gedankenkontrolle - Utopische Erzählungen aus der BRD (2020-B002)

Geschrieben von ShockWaveRider , in Bücher 16 Januar 2020 · 3.123 Aufrufe

Gedankenkontrolle

Utopische Erzählungen aus der BRD

mit einem Nachwort von Ekkehard Redlin

(Verlag Das Neue Berlin, Berlin, 1979, 196 Seiten)


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Das Kürzel „BRD“ im Untertitel verrät es: Diese Anthologie erschien in der ehemaligen DDR. Schon bemerkenswert, dass es trotz Papierkontingentierung im Jahre 1979 möglich war, SF-Stories aus dem kapitalistischen Westen offiziell zu veröffentlichen. Natürlich wurde keine West-Anthologie 1:1 übernommen. Vielmehr hat man sich, ähnlich wie bei den Amiga-Platten, die sozialismusverträglichsten Kirschen aus verschiedenen Kurzgeschichten-Sammlungen herausgepickt.

Das Wagnis, das der Verlag „Das Neue Berlin“ einging, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es war noch nicht so lange her, als 1972/73 der Dresdner Stanislaw-Lem-Club vorübergehend zerschlagen und einzelne Mitglieder politisch verfolgt wurden. Dennoch erreichte der für utopische Literatur verantwortliche Lektor Ekkehard Redlin in den Jahren danach eine kontinuierliche Publikation osteuropäischer Science-Fiction-Werke.

Bemerkenswert: Die vorliegende Anthologie hat keinen explizit genannten Herausgeber. Ekkehard Redlin hat jedoch ein Nachwort beigesteuert, dessen Inhalt für mich nahezu unverständlich war. Ich vermute, die Unklarheit war durchaus beabsichtigt, handelt es sich doch um eine bewährte Strategie, mit der man sich in repressiven Gesellschaftsformen gegen Sanktionen zu wappnen versucht.

Insgesamt 19 Stories von 12 Autoren finden sich zwischen den mit einem aufwändigen, farbigen Totempfahl bedruckten Buchdeckeln (der schwarz-weiße Schutzumschlag verbirgt künstlerisch mehr als er offenbart). Allein neun Geschichten stammen von Herbert W. Franke, acht davon aus seiner Meilenstein-Collection „Der grüne Komet“. Interessanterweise wurden die kurzen Einleitungen, die Franke seinen Stories voranzustellen pflegt, nicht übernommen. Der Verständlichkeit seiner Texte tat das keinen Abbruch.

Wer mitgerechnet hat, bemerkt: für die übrigen elf Autoren bleiben nur noch zehn Geschichten übrig. Tatsächlich findet man in der Anthologie eine Gemeinschaftsproduktion von Martin Beranek und Peter T. Vieton. Die Story „Verkauf uns deinen Enkel“ erzählt uns, dass man sich nicht unbeschränkt verschulden kann, auch wenn das von den großen Konzernen als Maßnahme zur Konsumsteigerung befördert wird. Schnell genug spüren die Betroffenen, dass sie sich damit in die Hände eben dieser Konzerne begeben haben, die sofort von ihrer Macht Gebrauch machen, wenn es ihren Profitinteressen nutzt.

In Horst Pukallus†˜ Beitrag „Interludium“ geht es um den interstellaren Leuchtturmwärter Faro, der mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern schon lange Jahre auf einem Relaisplaneten lebt und arbeitet. Doch seine Frau ist erkrankt, und die beiden Töchter möchten etwas mehr vom Leben haben als diesen einsamen Planeten. Als ein Raumschiff aufgrund einer unbeherrschten Reaktion Faros landet, finden sie einen 90jährigen Greis mit einer todkranken Frau und zwei 60jährigen Töchtern vor. Die Betreiber­gesellschaft hatte schlicht vergessen, Faro rechtzeitig auszuwechseln. Pukallus lässt den Leser lange über das tatsächliche Alter Faros und seiner Familie im Unklaren. Meisterhafte Erzählkunst mischt sich mit einer Story, die den Leser betroffen und wütend macht.

In Jürgen vom Scheidts Story „Blindheit“ erkranken viele Kolonisten auf einem fernen Planeten an einem Geflecht, das sie erblinden lässt. Eher durch Zufall stellt sich heraus, dass die „Blinden“ viele Probleme besser lösen können als die Sehenden. Eine ergreifende Geschichte über die negative Wirkung von Stigmatisierung - sowohl für die Stigmatisierten als auch für die Stigmatisierenden.

Auch Herbert Kamphaus liefert mit „Das Tal der Ahnen“ einen starken Beitrag ab. Ein Forscherteam entwickelt den ersten Materietransmitter. Als die ersten Tierversuche vielversprechend verlaufen, drängt Projektleiter Malman auf schnelle Menschenversuche. 12 Jahre später treten bei den Früh-Transmittierenden gesundheitliche Beeinträchtigungen auf. Malman ruft sein altes Team zusammen, um die Fakten zu verschleiern. Doch seine früheren Mitarbeiter spielen nicht mehr mit. Eine gelungene Geschichte über den Drang nach Anerkennung und die Schäden, die er nach sich ziehen kann.

Die komische Note steuert ausgerechnet Wolfgang Jeschke bei. Sein Text „Begegnung“ ist ein Ausschnitt aus einer längeren Erzählung seiner Collection „Der Zeiter“. Alphonse Dérier, Verkehrspolizist in Paris, bemerkt eine Reisegruppe, die nicht nur ungewöhnlich gekleidet ist, sondern sich auch seltsam benimmt und eine unverständliche Sprache spricht. Die Leute verhalten sich friedlich, können es aber nicht lassen, M. Dérier zu necken. Bis ein Reiseleiter der Firma „Time Tourists“ die entflohene Gruppe einsammelt. Jeschke schildert in süffisantem Ton, wie der etwas kleingeistige Pariser Flic einer Gruppe von Zeitreisenden begegnet, ohne etwas zu bemerken.

Nicht alle Stories sind so überzeugend wie die aufgeführten. Aber insgesamt war ich beeindruckt von der hohen mittleren Qualität der Beiträge. Und auch ein wenig stolz darauf, welchen positiven Eindruck die DDR-Bürger vom Niveau der „utopischen Erzählungen aus der BRD“ bereits 1979 gewinnen konnten.

Die Lektüre liefert einen Beitrag zu folgenden Lesezielen 2020:
1: 100 Bücher lesen! (2/100)
2: 14 von 16 Büchern aus dem 2019er-SUB bis Ende Juni lesen! (2/14)



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Holger M. Pohl: Ein uralter Plan - D9E Band 21 (2020-B001)

Geschrieben von ShockWaveRider , in Bücher 07 Januar 2020 · 2.784 Aufrufe

Holger M. Pohl

Ein uralter Plan
(Band 21 der Reihe „Die neunte Expansion“)

(Wurdack-Verlag, Nittendorf, 2019, 262 Seiten)


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Gleich am Neujahrstag beendete ich das erste Buch des Jahres 2020. „Ein uralter Plan“ von mir sah eigentlich vor, bis zum Erscheinen von Band 22 der D9E („Die neunte Expansion“)-Reihe aus dem Wurdack-Verlag zu warten, bevor ich die bereits gut abgelagerten Bände 20 und 21 zur Hand nehmen wollte - aber die Wartezeit wurde mir denn doch zu lang.

Die neunte Expansion der geheimnisvollen Hondh ist in vollem Gange. Auf bewährte Weise verleiben sie ein Sonnensystem nach dem anderen ihrem Reich ein. Punktuelle Niederlagen scheinen diese Wesen wenig zu stören. Sollte eine Raumschlacht verloren gehen, kehren sie umgehend mit einer größeren Raumflotte zurück. Der Vorgang wiederholt sich so lange, bis die Übermacht zu groß wird und das Sonnensystem mit all seinen Bewohnern und Ressourcen ihnen zufällt. Sollte eine Niederlage auf eine militärtechnische Innovation zurückzuführen sein, so adaptieren sie die neue Waffe im Rekordtempo.

Militärisch ist der Gegner nicht zu schlagen. Das wusste bereits die Spezies der Aan-Vechtula, deren Anführer vor 2000 Jahren einen Plan ersonnen hat, der erst jetzt, während der 9. Expansion, zur Umsetzung kommt. Bei der bevorstehenden Neuordnung des Mengerraums (wie der überlichtschnelle Raumfahrt ermöglichende Hyperraum in der D9E-Reihe heißt) sollen die Hondh in Mengerraumblasen eingeschlossen werden. Dafür bedarf es der Zusammenarbeit verschiedener Abkömmlinge der Aan-Vechtula mit der Maschinenzivilisation der 1714, des Riesenraumschiffs „Normongest“ und der Vereinigung dreier Artefakte in einem Individuum.

Der Plan nimmt Gestalt an. Die „Normongest“ hat ihren ersten großen Auftritt und verbreitet zumindest Respekt bei den Hondh, und die drei Artefakte werden tatsächlich in einem Individuum vereint. Allerdings nicht, wie geplant, in einem extra dafür präparierten Nilrem, sondern ausgerechnet im letzten Überlebenden der Spezies Hoc, der auf den schönen Namen Parasit hört und dessen Persönlichkeit einige zumindest zwiespältige Züge aufweist. Auch sonst gibt es Bestrebungen, den „uralten Plan“ durch punktuelle Veränderungen zu optimieren.

Ich muss gestehen: Die bisherigen vier Beiträge Holger M. Pohls gehörten für mich nicht zu den Highlights der D9E-Reihe. Mit dem vorliegenden Band ist ihm jedoch ein spannender, gut lesbarer und unterhaltsamer Abenteuerroman gelungen. Er fügt viele Parallelfäden der Serie zusammen und lässt erstmals die groben Umrisse des 2000 Jahre alten Plans der Aan-Vechtula erkennen. Mit Parasit stützt sich der Roman auf einen interessanten Protagonisten, dessen schillernder Charakter und zwiespältige Qualitäten den wichtigsten Handlungsbogen tragen. Daneben erfährt man durch Berichte aus einem unter Hondh-Beschuss stehenden Sonnensystem die wahren Schrecken des Krieges. Eine nachhaltige Lösung wird immer dringlicher, wenn man die Hondh noch aufhalten will.

Auch innerhalb der D9E-Serie nimmt der Roman wichtige dramaturgische Funktionen wahr. In der auf 24 Bände angelegten Reihe bündelt der 21. Band viele Handlungsfäden und deutet zumindest den Plan an, mit dem sich die bedrohten Spezies der Galaxis gegen die Hondh wehren wollen. Gleichzeitig liefert er aber viele Sollbruchstellen, die einer reibungslosen Umsetzung des Plans im Wege stehen könnten. So war im ursprünglichen Plan nicht vorgesehen, dass sich die drei Artefakte ausgerechnet in einem Hoc vereinen. Außerdem könnte man das Hondh-Problem endgültig lösen, wenn man sie nicht erst kurz nach der Umordnung des Mengerraums in entsprechende Blasen einschlösse, sondern wenn das bereits während der kurz bevorstehenden Umordnung geschähe. Diese Planänderung erzeugt natürlich Zeitdruck, und der Leser ahnt jetzt schon, dass der Weg zur Umsetzung alles andere als glatt verlaufen wird.

Die D9E-Reihe startete 2013 als ambitioniertes „Shared Universe“-Projekt. Mehrere Autoren schreiben Geschichten im gleichen Universum, können aber innerhalb des vorgegebenen Rahmens frei ihre Ideen entfalten. Das funktionierte auch ganz gut bis etwa zu Band 12 oder 13. Allerdings hat der D9E-Background für ein konsequentes „Shared Universe“ einen entscheidenden Strickfehler: er stellt nicht nur eine statische Hintergrundfolie für viele verschiedene Einzelgeschichten bereit, sondern auch eine für alle Autoren fortschreitende Gesamtgeschichte, nämlich die der neunten Expansion der Hondh. Die Autoren konnten sich auf Dauer nicht wirklich frei entfalten. Vielmehr musste ab einem gewissen Punkt die titelgebende neunte Expansion der Hondh endlich einmal beginnen und die angegriffenen Spezies konzertierte Gegenmaßnahmen ergreifen.

Es war kein Zufall, dass ich etwa um Band 12 herum ernsthaft erwog, aus der Serie auszusteigen. Auch wenn mir viele Einzelstränge gut gefielen (die „Aschen und Seelen“-Trilogie von Niklas Peinecke, aber auch die Beiträge von Matthias Falke, der Beitrag von Karla Schmidt und der herrliche Matriarchats-Zickenkrieg von Nadine Boos) - mir war zu dem Zeitpunkt nicht klar, wo das Gesamtprojekt hinsteuerte und wie viele Bücher noch auf mich zukämen. Auf eine entsprechende Anfrage wurde mitgeteilt, dass die Serie auf 24 Bände beschränkt würde. Damit war ein Ende absehbar. Es war aber auch klar, dass der bisherige Wildwuchs so nicht weitergehen konnte. Vor allem Dirk van den Boom und Holger M. Pohl erwiesen sich seither als zuverlässige Teamautoren. Ihre Beiträge erwecken den Eindruck, als orientierten sie sich an vorgegebenen Exposés. Was der Stringenz der Serie gut tut, aber auf Kosten des Facetten- und Variantenreichtums der ersten Romane geht.

Ursprünglich sollten jedes Jahr vier D9E-Romane im vierteljährlichen Rhythmus erscheinen. Das klappte bis 2016 auch ganz gut. 2017 und 2018 erschienen jedoch nur noch drei Romane pro Jahr, 2019 erblickten sogar nur zwei Bände das Licht der Öffentlichkeit. Was auch immer der Grund für die Verzögerung gewesen war: es tut einer Serie nicht gut, wenn die Veröffentlichungs-Abstände zwischen den einzelnen Bänden zu lang werden. Deshalb wollte ich eigentlich bis zum Erscheinen von Band 22 warten, damit ich dann drei Bände recht kurz hintereinander hätte lesen können.

Immerhin findet man seit kurzem auf der Verlagswebsite die Ankündigung, dass Band 22 („Die Geister der Vergangenheit“ von Stefan Cernohuby) noch im Januar 2020 erscheinen soll. Hoffen wir, dass damit ein gutes Ende für das ehrgeizige D9E-Projekt eingeleitet wird.

Die Lektüre liefert einen Beitrag zu folgenden Lesezielen 2020:
1: 100 Bücher lesen! (1/100)
2: 14 von 16 Büchern aus dem 2019er-SUB bis Ende Juni lesen! (1/14)



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Meine Leseziele 2020

Geschrieben von ShockWaveRider , in Bücher 05 Januar 2020 · 2.621 Aufrufe

Nein, ich lege nicht jedes Jahr neue Leseziele fest. Für die beiden vergangenen Jahre gab es z.B. keine ausformulierten Ziele.
Nachdem ich aber gerade beim Deutschen Science Fiction Preis pausiere, möchte ich die freien Valenzen nutzen, um etwas gezielter zu lesen.
Aber warum lange drumherum sabbeln? Hier kommen meine Leseziele für das Jahr 2020:

1. 100 Bücher lesen
So. Nun ist es raus.
Ich habe in den vergangenen Jahren stets über 80 Bücher, teilweise sogar über 90 Bücher gelesen. Im vergangenen Jahr 2019 habe ich 87 Bücher bewältigt; allerdings hatte ich im März und im April eine 2monatige Leseblockade.
Das zeigt aber: Die 100 sind möglich!

2. 14 der 16 Bücher aus dem Vorjahr bis Ende Juni 2020 lesen!
Mein SUB (= Stapel ungelesener Bücher) war Neujahr natürlich nicht leer. Insgesamt 16 Bücher lagerten noch darauf. Nach Möglichkeit möchte ich keine Bücher, die ich 2019 beschafft habe, noch ins Lesejahr 2021 mitschleppen. Deshalb möchte ich die Restbestände aus dem Vorjahr im ersten Halbjahr 2020 weitgehend abarbeiten.
Warum aber nur 14 von 16 Bücher verpflichtend? Abwarten!
2.a) Marcel Prousts "Die wiedergefundene Zeit" im Januar lesen!
Der siebente und letzte Band von Marcel Prousts Monumentalwerk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ist das einzige Buch auf meinem Neujahrs-SUB, das dort seit dem Jahr 2018 rumlümmelt. Um unangenehme Verwesungsgerüche zu vermeiden, soll dieses Buch bevorzugt inkorporiert werden.

3. Je einen Band der Musil-Werksausgabe pro Quartal
Auf dem Dresdner Pentacon letztes Jahr im November stand im Palitzschhof die vierbändige Musil-Werkausgabe (1975/1976) aus dem DDR-Verlag Volk und Welt zur freien Mitnahme rum. Da konnte ich nicht widerstehen.
Eigentlich müsste ich die vier dicken Bände (zwischen 600 und 850 Seiten) gemäß Ziel Nr. 2 bis Ende Juni gelesen haben. Das könnte mir aber zu viel werden. Deshalb habe ich den Lesedruck etwas entspannt. (Und deshalb stehen unter Nr. 2 auch nur "14 von 16 Bücher....".)

4. Je ein Buch von Hans Erich Nossack pro Monat
Hans Erich Nossack ist einer meiner Lieblingsautoren. Ich möchte einige seiner Bücher erneut lesen, um die alten Eindrücke aufzufrischen oder zu revidieren.

5. Die SF-Netzwerk-Lesechallenge bewältigen!
Nachdem ich selbst die SF-Netzwerk-Lesechallenge angezettelt habe, möchte ich mit gutem Beispiel vorangehen und die sieben Bücher aus den sieben Kategorien lesen. Natürlich außer Konkurrenz bei den Preisen!

6. Die SF-Netzwerk-Lesechallenge bewältigen!
Ender hat es sich nicht nehmen lassen, auch in diesem Jahr auf SF-Fan.de die Phantastik-Lesechallenge 2020 auszurufen. Die Challenge im letzten Jahr hat mir viel Spaß gemacht und mich dazu inspiriert, die Lesechallenge auf dem SF-Netzwerk zu veranstalten. Ender hat auch in diesem Jahr viel Kreativität bei den Kategorien bewiesen. Ich versuche, diesmal wieder erfolgreich teilzunehmen.

7. Je ein DDR-SF-Buch in zwei Monaten
Also insgesamt sechs im gesamten Jahr.
Angefixt haben mich die "Berichte aus der Parallelwelt", wo Wolfgang Both, Hans-Peter Neumann und Klaus Scheffler die wechselvolle und nicht immer ungefährliche Geschichte des SF-Fandoms in der DDR Revue passieren ließen. Das ließ den Wunsch reifen, mehr SF-Bücher von DDR-Autoren kennenzulernen.

Sieben Ziele - das reicht erst einmal!
Ich werde im Laufe des Jahres unregelmäßig Wasserstände melden und am Ende des Jahres natürlich nachprüfen, welche Ziele ich erreicht habe und an welchen ich gescheitert bin.
Und nun: Frisch ans Werk!





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