Sullivan, ich versteh Dich und zugleich versteh ich Dich nicht. :-)
Aber ich stimme Dir voll zu, daß Gene Wolfe und Jeff Vandermeer sehr gute Vergleichs-Autoren zu Miéville sind †¦ und ergänze um Ian Banks.
»The Scar« ist für mich der Höhepunkt der
Anti-Trilogie, die die bisherigen Bas-Lag-Romane darstellen. »Iron Council« ist der wilde, ungebändigte und hochkomprimierte Abschluß.
Delikat bei PSS (und den zwei anderen Bas-Lag-Romanen): diese blumige und recht heterogene Sprache von Miéville nehme ich nicht ganz ernst. Oft hatte ich bei diesen Büchern den Eindruck, daß hier mit großem Form- und Stilwillen aufgetürmt wird, bis alles
Over the Top erscheint †¦ buchstäblich
wahn-witzig.
Zudem: in PSS gibt es für mich sozusagen zwei Story-Ebenen.
†¢ Einmal die
üblichere Ebene um einzelne Figuren, oder Charakter-Ebene. Wird Yagharek wieder fliegen können?, schafft es Isaac Lin zu retten?, usw. --- Wie
Lomax so fein in seiner Rezi schreibt, gibts hier spannende und ergreifende Schicksale von Charaktern, mit denen man sich identifizieren kann, und die halsbrecherische Abenteuer erleben.
Um einen Beispiels-Höhepunkt aus der zweiten Hälfte (Der Weber) zu nennen: die Ausräucherung des Falternests im Glasshaus der Kaktusmenschen ist eine Verbeugung und zugleich Parodie auf Rollenspiel-Abenteuerergruppen in einem
Die Hard-Szenario †¦ ein kleiner Äktschn-Roman im Roman.
†¢ Dann die Metaebene (oder die Metaebenen) mit den Ereignissen und Hintergründen der Welt Bas-Lag als übergreifende
Story. Zu dieser Ebene gehören beispielsweise der Streik der Kelltree-Docks, oder die Geschichte der Torque-Kriege.
Rusch bemerkt (für sich als negativ) zurecht die Länge der
Verkabelungssequenz in der zweiten Hälfte (Kap. 48 & 49 in der englischen Ausgabe, Kap. 15 & 16 in »Der Weber«). ---- Mein (positiver) Eindruck dieser Passage: Miéville schildert das Remaking von New Crobuzon zu einer gigantischen Falterfalle. Die Schilderung ist sicherlich umfangreicher als es für die Charakter-Ebene nötig ist, ließt sich aber (z.B. für mich) spannend, wenn man es geschafft hat, New Crobuzon als Identifikations-
Charakter zu rekrutieren.
Die Frage lautet hier:
»Schafft Mieville es, den Leser (immer oder zumindest meistens) erfolgreich für diese epische Welt-Ebene anzufixen?«, oder andersrum:
»Schafft es der Leser an diese Ebene zu seinem Gewinn anzudocken?«
Phantastik begibt sich gern und oft in solche Ebenen-Gegensätze, und liefert deshalb immer wieder durchaus literarisch ungewöhnliche Werke ab †¦ was gerne und meistens übersehen wird von den Kreisen, für die sich Literatur bevorzugt oder ausschließlich in sogenannten
realistischen Fiktionen findet. --- Man denke an Asimovs »Tausendjahresplan«. Wer da nach Identifikations-Figuren sucht, verratzt bald, denn Individuen kommen und gehen hier oft bevor man drei Mal »Psychohistoriker« sagen kann.
Und der Gegensatz (oder die Ergänzung)
»Charakter-Story und Welt-Story« ist ebenfalls ein Kernstück vieler Phantastik, seitdem das Welten-Bauen sich (seit Tolkien) zu einer eigenen beachtenswürdigen Kunstform emanzipiert hat. ---- Freilich nicht unexplosiv die Frage, wie man dieses Bauen von phantastischen Welten nun beurteilt, aber für mich besteht wenig Zweifel darüber, daß Phantastik-Leser eben genau DAS zu schätzen wissen:
†¢ eben nicht nur eine Geschichte zu lesen, zu beurteilen und sich davon unterhalten lassen;
†¢ sondern auch eine komplette Welt aus Fragmenten in der Vorstellung entstehen zu lassen, und dann diese Welt, sowie die Art und Weise ihrer
Beschwörung durch das Buch/den Autor, zu beurteilen.
Ich denke, man darf durchaus den Unterwelt-König Mr. Motley (Vielgestalt) aus »PSS« als Sprachrohr der ästhetischen Weltenbau-Ambition von Miéville betrachten, siehe z.B. Motleys Rede an Lin in Kap. 4 »Die Falter«, S. 63 ff:
»Lassen Sie mich Ihnen helfen. Ich möchte Ihnen erklären, an welchen Inhalten mir gelegen ist. Anschließend können wir feststellen, ob Sie die Richtige sind für das Projekt, das mir vorschwebt.«
Motley spricht von Transistionen (also Übergängen) als DER fundamentalen Dynamik der Welt, wenn Quantität zu Qualität wird, von der hybriden Zone. Sein eigener monströs zusammencollagierter Körper ist eine Illustration dieses Gedankens, zugleich eine organische Variation des Themas
hybride Zone †¦ deren nächstgrößere Beispiele der Maschinenrat (technisch) oder New Crobuzon (stationärer Urb) sind †¦ oder Armada (mobiler Urb) in »The Scar« oder Golemetrie (Programmierungs-Sprache für hybride Gebilde) in »Iron Council«.
Ich lauere wie ein Fuchs auf solche selbstbezüglichen Stellen in Romanen, wenn mehr oder weniger offen deutlich die Prämisse(n), Voraussetztung(en) zum Genuß des Werkes kund getan werden.
Miéville macht also keinen Hehl daraus, daß ihn das Monströse fasziniert, und man deshalb als Leser mit Monströsem zu rechnen hat. Da kann ein Kabelverlegen quer durch die Stadt schon mal ausarten †¦ und je nach Blickwinkel als Faszinosum oder als Banalität beim Leser ankommen.
So richtig es ist zu behaupten, daß PSS über die Stränge schlägt (ob langweilig, unglaubwürdig, garstig, wahnwitzig, aufregend oder sonstwie), so richtig ist meiner Meinung aber auch die Feststellung, daß eben erstaunlich wenig Phantastik den Mut aufbringt Grenzen überschreiten zu wollen (geschweigedenn: wirklich welche zu übertreten). ---- Nun, das ist nicht überraschend, wenn man sich der landläufigen
jedes Gebiet besteht aus 90% Schrott-Regel erinnert. Das regt mich nur dazu an, vermehrt auf diese selteneren Phantastik-Bücher zu achten, die aus diesen 90%-Einerlei herausragen †¦ oder spezieller: die verschiedenen Welten der Phantastik zu vergleichen und die ungewöhnlichen, einzigartigeren zu bevorzugen.
Mal abgesehen von den Polarisierungen die Miévilles Bücher zeitigen, taugen die Bas-Lag-Romane ganz hervorragend zu einem: SF-, Fantasy- und Horror-Leser eine der raren Gelegenheiten anzubieten sich um einen Stoff zu versammeln, allen fruchtfleischreiche Kost zu offerieren, bzw. alle ein wenig zu verunsichern, was die scheinbar klaren Grenzen der Phantastik betrifft.
Grüße
Alex / molosovsky