Was löst Cyberpunk aus?
#1
Geschrieben 17 Juni 2010 - 12:48
Was macht Cyberpunk - Literatur eigentlich mit Menschen die sich dafür begeistern und könnte es dafür einen Nutzen geben? Die Frage kam mir das erste Mal in einer Diskussion mit einer Freundin die allen möglichen Modifikationen am menschlichen Körper (zur Leistungs- oder Attraktivitätssteigerung) sehr ablehnend gegenüber steht ("Betrachtung des eigenen Körpers als modifizierbare Maschine/Selbstobjektifizierung, sozialer Druck der zur Anpassung führt").
In dieser Diskussion habe ich irgendwie wie selbstverständlich den ganzen Cyberkrams verteidigt ("Freiheit den eigenen Körper zu modifizieren, die Modiikation ist nichts schlechtes sondern die Gesellschaft die sie transportiert"), obwohl ich dem eigentlich auch ein bisschen kritischer gegenüberstehe. So wäre zB meine Kritik am Cyborg-Manifesto von Donna Haraway (lesen!) das eine Auflösung der Geschlechtergrenzen durch Cyborgisierung propagiert, dass diese auch zu einer faschistischen Gesellschaft von körperangepassten Barbies und Kens führen könnte. Aber dadurch das ich mit dem ganzen SF - Krempels sozialisiert bin, sehe ich das (und sein zunehmendes Vorhandensein in der realen Welt) auch nicht in einem Maß negativ wie es sonst vielleicht sein könnte/ vielleicht sollte. Habe das Gefühl das es anderen (von euch?) auch so geht.
Und da fängt dann auch meine eher destruktive denn konstruktive (Selbst-)Kritik am Cyberpunk Genre an.
Cyberpunk ist systemstabilisierend.
Die "philosophische, gesellschaftskritische" Schiene im Cyberpunk verkommt oft zum Selbstzweck und zum Anstrich, wird aber selten tiefer. Oft kommt mir das so vor, als ob es gemacht wird weil Gesellschaftskritik halt Genrekonvention ist. Inhaltliche erschöpft sich das in "böse Megakonzerne, wenige reich, viele arm, außerdem Umwelt putt". Das "warum" steht nicht zur Debatte. Das Zeigen einer dystopischen Welt verblasst auch vor "look at all these shiny super-gadgets". Extrembeispiel dafür wäre imo Appleseed. Welt nach Weltkrieg total kaputt, gezeigt wird aber ständig dieses Techno-Utopia.
Wenn ich mir den Community-Blog so durchgehe, fällt mir auch auf das der Gadgets-Teil relativ groß ist. "Schau mal, auch das gibt es jetzt schon in Echt" ist ein großes Thema. Die soziokulturellen Auswirkungen des technischen Fortschritts, etwa Computer-Hirn-schnittstellen, Technoethik fallen da eher hinten runter. Klar da sind die Leute, die sich mit sowas auseinandersetzen sensibilisierter, auch etwa beim Thema Überwachung. Da wäre vielleicht aber auch ein praktischer Austausch mal interessant (OTR, PGP, surfen über Proxies/ Anonymisierung, was tun gegen Kameras in der Öffentlichkeit...) aber das gehört wenn in einen anderen Thread. Um das aber mal (gerade am Beispiel Überwachung mit Kameras und im Netz) auf den Punkt zu bringen... unsere Welt verwandelt sich tatsächlich allmählich in genau den dystopischen Alptraum der in der Cyberpunkliteratur fiktiv vorweggenommen wurde, und die "Cyberpunks" feiern das als Techno-Nerds/opinion leader ab ohne das weiter zu reflektieren. Das ist manchmal ein bisschen vom Gefühl her so als wenn jemand 1984 liest und dann freudestrahlend erzählt "ich hab jetzt auch nen Televisor zuhause". Naja, einer der Leitsätze des Genres ist ja auch "style over substance"...
Dieses affirmative Ding beobachte ich zB an mir selber auch beim Thema Gentechnik. Da bin ich auch kritisch, aber "kann doch auch was gutes haben" ... blendet nur leider aus das eine neutrale, nicht nach außen dringende Forschung garnicht möglich ist. Einerseits ist es diesbezüglich sowieso schon zu spät weil modifizierte Organismen bereits überall rumgeistern.
Andererseits muss es ja nicht auch noch mehr werden. Sollte vielleicht froh sein, das ich nicht auf meine ehemalige Biopunk-Euophorie voll eingestiegen bin, sonst würde ich heute wohl vielleicht selber dazu beitragen...
Cyberpunk ist männlich bis heterosexistisch konnotiert. Gucke ich mir die Themen die in Medien rund um das Genres so abgeackert werden und die damit verbundenen Symbolwelten, ist das vor allem eine Schiene für pubertierende Jungs. Dicke Knarren und Titten, viel Action und Explosionen. Eine Ikonografie von Männern mit aufgepumpten Bodybuildermuskeln wie im Superheldengenre (vor allem Rollenspiel-/Filmbereich). Klar, es gibt weibliche Protagonistinnen (Gibsons Molly, "der" Mayor in GitS, die Heldin in Avalon zB) aber die funktionieren auch nur als quasi Klischeemodell der "hypermännlichen" Frau, als Sexsymbol und ihnen wird auch desöfteren subtil ein kleiner Psychoknacks unterstellt. Obwohl das Verschwimmen von Geschlechtergrenzen (siehe Haraway) durchaus ein Potential im Cyberpunk ist, das auch ausgeschöpft wird (Johnny Mmemonic, when gravity fails) behalten Transmenschen und Intersexuelle oft diesen Status des "Freaks", portraitierte Gesellschaften die nicht mehr klar in weiblich/männlich trennen oder einen emanzipatorischen Umgang außerhalb geschlechtlicher Binarität gefunden haben sind mir nicht bekannt.
Cyberpunk ist resigniert. Vielleicht liegt das oben erwähnte aber auch daran, das wir mit den ständigen Bildern der totalen gesellschafltichen/ökologischen Apokalypse konfrontiert ganz froh sind wenn es "nicht ganz so schlimm" kommt. "Klar, an der Realität ist vieles auszusetzen, aber hey immerhin rennen hier nicht ständig irgendwelche verdrogten und mutierten(!) Jugendgangs an jeder Ecke rum."
Blendet nur leider aus, das die dystopischen Zustände woanders schon längst Realität sind. Sprawl? Naja, anderes Wort wäre Slum. Überhaupt wäre es mal interessant mehr über Aneignung/Improvisation von Technologie in der sogenannten "dritten Welt" mitzubekommen, ich kann mir vorstellen, dass da einiges dahingehend geht.
Naja, und das "die dritte Welt" - Ding ist ja eigentlich auch nur eine bildungsbürgerliche Perspektive... jemand der von Hartz 4 lebt und 1-Euro Leibeigene_r ist hätte das auc hschon wieder mehr persönlichen Bezug.
Sprich, das fiktive, große, böse Bild überlagert das Reale. Das eskapistische Einrichten in der "Apokalypse" führt auch zum realen Einrichten in der "Endzeit" (in der wir laut G. Anders ja seit der Genese der Atombombe leben, "Antiquitiertheit des Menschen" weiterer Lesetip). Und Schattenseiten werden nicht nur marginalisiert sondern auch ausgeblendet. zB will ich garnicht wissen wieviel ausgetüftelte "Nerdkultur" auf physisch-soziale Isolation zurückzuführen ist.
Vielleicht liegt dss mit daran, dass es in der SF wie in der Fantasy um ein vielfaches stärker auch diesen Kult des besonderen Menschen gibt ("der Auserwählte", eigentlich ein total faschistoider Topos) ... Menschen werden keine Helden, sie sind im Ernstfall sogar dazu geboren (zB durch ganz besondere Gene, Ultra Violet, Dark Angel), das Konzept des Heldentums an sich wird selten in Frage gestellt. Als ob soziale Transformation das Werk einiger Einzelner in Schlüsselpositionen wäre. Das entspricht ja aber vielleicht auch allgemein unserer Tradition des "Erzählens" oder der "Geschichtsshceibung" allgemein. Wer kennt nicht alles die Lebensgeschichte von zB Lenin, wer weiß wirklich detailliert über die Bewegung die ihn an ihre Spitze geschwemmt hat und deren innere Dynamiken Bescheid...
Soviel zu meiner, zugegeben einseitigen und tendenziösen Kritik am CP-Genre. Mir ist durchaus bewusst, dass das so schwarz-weiß nicht funktioniert. Und naja, im Prinzip kritisiere ich da ein Literatur-Genre das Teil dieser Gesellschaft ist und sich darin gut eingerichtet hat, gar keinen anderen Zweck erfüllen muss oder will. Möglicherweise ist also diese Kritik an sich auch schon wieder ein Aufsitzen auf dem "Rebellen - Image" oder auch der Versuch seiner Rekuperation.
Mmmh, das hier passt eigentlich auch ganz gut dazu.
Das escape ist voller message. So sieht denn auch message, das Gegenteil, aus, das vor der Flucht fliehen will. Es verdinglicht den Widerstand gegen Verdinglichung. Man muß nur Fachleute rühmen hören, dies prächtige Leinwandwerk habe neben anderen Meriten auch Gesinnung, im gleichen Tonfall, in dem einer hübschen Schauspielerin attestiert wird, außerdem habe sie personality. Die Exekutive könnte auf der Konferenz bequem entscheiden, es müsse nebst kostspieligerer Komparserie dem escape-Film ein Ideal eingelegt werden wie: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Losgetrennt von der immanenten Logik des Gebildes, der Sache, wird das Ideal selber zu einer, aus dem Fundus zu beschaffen, damit greifbar und nichtig zugleich, Reform abstellbarer Mißstände, verklärte Sozialfürsorge. Am liebsten verkünden sie die Wiedereingliederung von Trunkenbolden, denen sie noch den armseligen Rausch neiden. Indem die nach anonymen Gesetzen sich verhärtende Gesellschaft dargestellt wird, als reichte in ihr der gute Wille zur Abhilfe aus, wird sie verteidigt noch im ehrlichen Angriff. Man spiegelt eine Art Volksfront aller recht und billig Denkenden vor. Der praktische Geist des message, die handfeste Demonstration dessen, wie es besser zu machen sei, paktiert mit dem System in der Fiktion, daß ein gesamtgesellschaftliches Subjekt, das es als solches in der Gegenwart gar nicht gibt, alles in Ordnung bringen kann, wenn man nur jeweils sich zusammensetzt und über die Wurzel des Übels ins Reine kommt.
Theodor Adorno, Minima Moralia, 130
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#2
Geschrieben 05 August 2010 - 11:45
#3
Geschrieben 06 August 2010 - 20:59
Und was hier in der CPC los ist, ist auch nicht viel besser. Die meisten hier, so mein Eindruck, sind einfach nur Techniknerds, denen es allein darum geht, dass es das eine oder andere Gadget, das bei Gibson oder sonstwem vorkommt, neuerdings tatsächlich zu kaufen gibt (und dass sie es auch glatt kaufen würden, wenn es nicht so entsetzlich teuer wäre). Wenn das alles ist, dann gute Nacht. Die Leute hier halten sich für cooler als den Rest der Welt, sind aber nichts besser als die Perry-Rhodan-Fantrottel, die leider im deutschen SF-Fandom den Ton angeben. Eine echte Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen findet weder in der CP-Szene noch in der SF-Szene insgesamt statt. Letztere betreibt eigentlich nur noch Nabelschau, und erstere findet es irgendwie cool, dass die Welt tatsächlich in derselben Weise vor die Hunde geht wie in ihren Lieblingsromanen und -computerspielen. Das kotzt mich an. Ich finde es ganz und gar nicht cool, dass die Welt vor die Hunde zu gehen droht, ganz egal wie. Ich will was dagegen tun.
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#4
Geschrieben 12 August 2010 - 17:17
Was macht Cyberpunk - Literatur eigentlich mit Menschen die sich dafür begeistern und könnte es dafür einen Nutzen geben?
Ich seh das anders wie der Threadersteller. Natürlich nur auf mich selbst bezogen. Was sollte CP oder andere Literatur mit mir machen? Mich unterhalten, mich anregen etc. Den unterhaltenden Teil kann ich von etwaigen gesellschaftskritisierenden unterscheiden, genauso wie ich auch Fiktion von der Realität unterscheiden kann. Mehr aber auch nicht.
CP ist für mich eher Retro als in dem Sinne aktuell. Es ist 80er SF. Das immer wieder gewaltsam in die Gegenwart zerren zu wollen und daraus was machen zu wollen was es nicht ist halte für ein wenig verfehlt. Für mich ist es auch ein Stück SF-Nostalgie, genauso wie Asimov.
Ideen wie etwa das hacken über den Cyberspace, indem man durch grüne 3D-Räume fliegt, ist in etwa genauso Unsinn wie das beamen bei Star Trek. Es ist eine romantisierte Idee, und das sollte der Leser auch in aller Regel wissen. Der Wilde Westen in Filmen spiegelt auch nicht den echten Wilden Westen wieder, sondern ist Romantisierung.
Für mich ist CP und artverwandtes vielleicht sogar etwas wie die Glorifizierung von Kindheitsfantasien, schließlich bin ich in meiner Jugend damit großgeworden. Aber spätestens mit dem Erwachsenwerden kam das ganze in die Hobbyschublade. Und wenn Filme, Spiele oder Bücher auch mal mein Hobby bedienen, dann freue ich mich darüber und blogge das hier auch.
Das hat in meinen Augen gar nichts damit zu tun, ob jemand jetzt in irgendeiner Form besonders gesellschaftskritisch, links oder sonstwie politisch eingestellt oder aktiv sein muß, weil ihm CP gefällt. Von einem Star Trek Fan verlangt ja auch keiner daß er kommunistisch aktiv ist. Ich finde für mich es sogar zunehmend störend, daß eine SF Literaturgattung in der CPC zunehmend mehr politisiert werden soll und für tagesaktuelle Geschehen herhalten soll. Dafür gehe ich zu anderen Blogs, lese Focus, Stern oder werde Aktivist bei Greenpeace, wenn ich lustig bin. Aber was hat das unbedingt hier zu suchen?
Mein Selbstverständnis für die CPC mag da anders sein als etwa bei euch. Aber für mich ist es in erster Linie Hobby, Fiktion mit einem nostalgischen Retrotouch. Dabei halte ich wie gesagt Fiktion und Realität auseinander. Kurz: Ich möchte kein verstrahlter Mutant sein, aber zu Feierabend können sie gut unterhalten. Nicht mehr, nicht weniger.
#5
Geschrieben 12 August 2010 - 21:08
Bearbeitet von Doktorheil, 12 August 2010 - 21:15.
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#6
Geschrieben 13 August 2010 - 01:19
#7
Geschrieben 17 August 2010 - 22:59
Ich meine aber, CP hat schon mehr mit den Problemen unserer Zeit zu tun als Space Opera. Sicher, reale Hacker zischen nicht durch zinksulfidgrüne 3D-Vektorgraphiken, um nur ein Beispiel für ein "falsch prognostiziertes" Detail zu nennen. Aber Umweltzerstörung, Datenmissbrauch, Untergrabung des Rechtsstaates durch einen wildgewordenen Kapitalismus und dergleichen mehr sind brandheiße Themen unserer Zeit, während die Probleme interstellaren Reisens, extraterrestrischer Diplomatie und dergleichen, von denen die Space Opera handelt, aus heutiger Sicht nicht relevant sind - jedenfalls jetzt noch nicht.
Was mich ankotzt, ist die Indifferenz großer Teile der SF-Szene gegenüber solchen aktuellen Problemen. Ich meine, da sind Leute, die eine Literatur bevorzugen, deren Handlungen zumeist in "der Zukunft" - die Zukunft gibt es natürlich nicht, sondern viele mögliche (und unmögliche) Zukünfte - angesiedelt sind, aber sich einen Siff darum scheren, was denn mit der realen Welt in der realen Zukunft wird! Stattdessen grassiert das "Früher war alles besser"-Mem (von wegen "Damals wurden noch Klassiker geschrieben"), und man lässt sich von Lesestoff bespaßen, in dem Dinge, die es "noch nicht gibt", als Versatzstücke fungieren, aber im Prinzip könnte es statt um Raumschiffe und Aliens auch um Drachen und Elfen gehen.
Bearbeitet von WeepingElf, 17 August 2010 - 23:01.
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#8
Geschrieben 18 August 2010 - 14:45
Bearbeitet von LO-TEK-2021, 18 August 2010 - 14:53.
#9
Geschrieben 18 August 2010 - 22:09
Aus Bequemlichkeit oder aus (vermeintlichem) Mangel an Lesern bleibts dann halt oft bei Kurzmeldungen. Ein bisschen mehr in Richtung des küperpunkschen Blogs könnte wirklich nicht schaden. Bei nur 80 visits am Tag rühr ich persönlich aber nicht mehr Gehirnschmalz auf, als das ich es kurz runtertippen könnte.
#10
Geschrieben 19 August 2010 - 00:14
Naja, was der Text war in erster Linie das Ergebnis einer kleineren erweiterten Selbstreflektion, Cyberpunk und im weiteren Sinne SF/Phantastik lese ich schon recht lange.
Vielleicht fass ich den Text dann nochmal unter Einbeziehung der Diskussion hier für den Blog zusammen. Das aber sicher nicht vor mitte September.
Ich antworte mal allgemein.
Es ist bestimmt nicht unbedingt notwendig ein Literaturgenre sozial, pychologisch oder politisch unter die Lupe zu nehmen, und wer daran keine Freude findet muss das ja auch nicht tun. Ich mach bestimmt niemandem eine Unterhaltung kaputt, wenn ich meine Gedanken zu Cyberpunk und dessen "Anhängern" aufschreibe.
Ich gehe an so eine Kritik natürlich von dem Punkt aus ran auf dem ich stehe (linksradikaler, designvernarrter SF - Nerd). Das was da steht, steht da weil es mich beschäftigt.
Ich bezweifle übrigens stark, das irgendwie 100% apolitische Kommunikation tatsächlich existieren kann. Auf eine gewisse Art und Weise transportiert auch jede Literatur die Gedanken und Überzeugungen der oder der Autor_in.
Kommentar zu Aktualität von Cyberpunk als Genre: Ich glaube es gibt kein untoteres Topic hier im Forum.
Mittlerweile würde ich sagen, der ursprüngliche Cyberpunk ist mausetot, aber in die restliche SF und darüber hinaus (aktuelle technologische Entwicklung) diffundiert wodurch alle SF in gewisser Weise Cyberpunk geworden ist. da ist zB die Relevanz von Computernetzwerken und Hackerangriffen im neuen Battlestar Galactica ein Beispiel unter vielen.
Cyberpunk verstanden als in der nahen Zukunft spielenden SF wird nie verschwinden. Eine gewisse Aktualisierung erlebt das Genre vielleicht auch durch Trans-/Posthumanismus - Krempel. Sich damit zu beschäftigen ist also wohlmöglich nicht nur für 80er - Hobbyist_innen und Nostalgiker_innen interessant.
Vielleicht stört mich gerade das Fehlen, Verschwinden progressiver Elemente im CP weil ich das Genre bezogen auf die gesame Phantastik schon für relativ progressiv (oder sich zumindest so gebend) halte. Die durchschnittliche Fantasy und mit ihr Space Opera lässt sich in der Tat auf gigantomane Großmachtphantasien zusammenfassen. Dagegen was da so an zum Brechen konservativen Weltbildern präsentiert wird ist meine Kritik an Cyberpunk noch wirklich harmlos. Und die Menschen die sich mehrheitlich damit beschäftigen (Phantastik-, Rollenspielszenen) saugen das imo schon auf gewisse Weise auf.
Würden wir jetzt zB eine Umfrage bzgl der Verklärung etwa des Mittelalters oder feudalistischer Systeme machen, und das einmal in einer Innenstadt und ein anderes mal auf einem größeren Fantasy-Con denke ich schon das da signifikante Unterschiede bei rauskämen. Klar ist sowas Fiktion, und alle sind sich dessen bewusst, das heißt aber nicht das es keinen Einfluss hat.
Moment. Bevor jetzt jemand noch gleich Angst bekommt, dass wir uns hier auf FSK- Kennzeichnungen und Forderungen nach "gesellschaftskonformen Rollenvorbildern" und "helleren Szenarien" zubewegen, das will ich ganz bestimmt nicht.
Ich habe genauso Spass am Weltuntergang, an verbissenen Antiheld_innen die sich in der Gosse auseinandernehmen. Das ist nicht mein Problem. Wenn sich CP weiter politisieren würde fände ich das großartig, wenn es das nicht tut, ist mir das auc herzlich egal. Hach, wär das toll wenn jemand das was Ursula k le Guin mit "the Dispossessed" für die normale SF geleistet hat für den Cyberpunk machen würde... aber wahrscheinlich wird das nicht in der Form passieren.
Mir sind schlicht diverse Tendenzen aufgefallen die ich innerhalb des Genres für weit verbreitet halte, und die mich persönlich stören.
Ich schrieb oben, das sich CP vielleicht nur progressiv gibt, das möchte ic hnoch ein wenig erläutern. Eigentlch ist das die Quintessenz des oben zitierten Adorno - Textes. Die gesellschaftkritische Message wirkt häufig aufgesetzt. Cyberpunk gibt gerne Outlaws, rebellische Gesten, Einzelne im Kampf gegen abstrakte Konzernmoloche. Diese Konflikte sind aber letztlich total stilisiert und bedeutungsleer, sie leben nur noch vom transportierten, spektakulären Bild. Das Gefühl beim lesen/gucken nicht weniger Cyberpunk - Romane/Filme mit so ner Art Message ist ungefähr so dasselbe, wie wenn ich mir den Film 300 anschaue wo die "Helden" die ganze Zeit nach Freiheit brüllen, diesbezüglich aber als kleine Antik - Sozialdarwinisten und Sandalenfaschos aber absolut nicht glaubwürdig sind. Wäre toll, wenn der Widerspruch thematisiert würde, wird er aber nicht.
Vielleicht liegt da auch einfach mit daran, das CP Pop ist. Da gibts ein paar Erfolgsrezepte für Storyschreiber_innen die immer wieder aus der Mottenkiste gezaubert werden. In der Tat finde ich, dass die meisten CP- Romane diesbezüglich sogar weit hinter Neuromancer zurückfallen. Das könnte auch auf das rauslaufen, was Weeping Elf als Mode bezeichnet, aber ich bezweifle das.
Ok... soviel dazu. It mal wieder eher Gedankenstrom geworden, ich scheine keine Zeit für kurze Texte zu haben. ^^
@Doc:
Ich kann jetzt nur raten, was das genau sein soll. Wenn es das Verschwimmen von biologischen Geschlechtergrenzen durch Cyborgisierung meint, zB Haraway, habe ich ja schon was dazu geschrieben.Wenn ich mir die Posthuman-Feminism-Bewegung ansehe, verstehe ich übrigens nicht, warum CP sexstisch sein soll.
Ich biopunke grad übrigens ordentlich mit. Wo war das nochmal, wo sich die Leute mit Krankheiten infiziert haben um davon high zu werden? ^^
@LO-TEK-2021
Ob du in einer Dystopie lebst oder nicht, von Leuten mit gezogener Waffe durch Strassen gehetzt wirst oder nicht, darüber entscheidet nur der Zufall deiner Geburt. Naja, je nachdem. Wenn ich mir da zB die Fälle eines in der Londoner U-Bahn gezielt exekutierten unschuldigen Terrorverdächtigen oder eines durch Kopschus ausgeschalteten, militanten Demonstranten in Genua anschaue...bzgl stupide, kleine Leute:
Babylon A.D. it übrigens ein perfektes Beispiel. Auf den Film trifft eigentlich so gut wie alles, was ich oben geschrieben habe zu. ^^
Alles in allem hätte ich mir ja mehr Widerpruch an den Argumenten erwartet/erhofft(?). ^^
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#11
Geschrieben 19 August 2010 - 23:40
Nein, eine Science Fiction, die sich mit Fug und Recht progressiv nennen kann, muss weiter gehen. Sie muss Lösungsperspektiven thematisieren. Natürlich darf das keine lahmarschige Beschreibe àla Callenbach sein. Aber ich denke, man kann aus der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um einen neuen, nachhaltigen Entwicklungsweg, die uns in den nächsten Jahren ins Haus stehen wird (und natürlich schon längst begonnen hat), eine Menge spannender Geschichten gewinnen, die im Gegensatz zu den klassischen Cyberpunk-Geschichten positiv ausgehen. Natürlich wäre das kein Cyber- oder sonstiger Punk mehr, sondern etwas Neues, das einen neuen Namen braucht. Vielleicht "Green SF"?
Bearbeitet von WeepingElf, 19 August 2010 - 23:48.
... brought to you by the Weeping Elf
#12
Geschrieben 19 August 2010 - 23:50
Ob politische Inhalte dem Genre entscheidend weiterhelfen bezweifle ich. So neu wäre diese Idee nach John Shirley's Eclipse oder Richard Morgan's Profit (war okay, habe aber mehr erwartet) gar nicht? Typische Links/Rechts-Politik sollte im Idealfall überholt sein, aber letztendlich wird's mehr oder weniger immer um Reichtum und Korruption gehn. Gestalten der Hoffnung wie der neue US-Präsident werden von Zeit zu Zeit über die Medien inszeniert, wahrscheinlich werden ihm ständig neue Angriffspläne vorgelegt, womit wir zum Glück wieder bei den Antihelden, den Schlägern und Huren landen, in Night City, der letzten Zuflucht vor den Agenten der Kontrolle.
Mag sein das eine große Message selten ist, aber vielleicht sind ja vorerst alle wesentlichen Erkenntnisse durch. Bis jemand eine Idee hat was man gegen politische Fettsäcke oder Konzernriesen ausrichten kann, wäre ich mit weiteren kurzfristigen (bedeutungslosen?) Erfolgen, wenn's sein muß in B-Movie-Manier, wie sie Snake Plissken (vs Policestate), Johnny Mnemonic (vs Pharmakom) oder Rutger Hauer (der das Monster in Split Second im Kugelhagel durchsiebt) errungen haben mehr als zufrieden. Oder ... die Botschaft ist die Athmosphäre.
"Jede Art von Musik ist schon ausprobiert worden, jede Art von Regierungsform, jeder blöde Haarschnitt, jeder Kaugummigeschmack, jede Menge Cornfakessorten ... wie zum Teufel sollen wir nochmal 1000 Jahre überstehn?" (Strange Days)
#13
Geschrieben 22 August 2010 - 18:58
Ich denke, im Cyberpunk geht es nicht um Problemlösung, es geht viel mehr um das Darstellen einer möglichen Zukunft, die sehr an Entwicklungen der Gegenwart angelehnt ist. Ich schätze gerade am Cyberpunk, dass da nicht offensiv kritisiert wird, sondern die Kritik eher im Bild steckt, das beim Lesen entsteht. Wenn Gibson in seiner Bridge-Trilogie von einer Fernsehreligion schreibt, von den gaffenden, hirnlosen Leuten, die denken, Gott sei im Fernsehen zu finden - dann ist die Kritik an der gegenwärtlichen Entwicklung TV-Sucht doch dieses abschreckende Bild.
Cyberpunk muss auch etwas übertrieben und krass sein. Und der Zeigefinger darf ruhig untenbleiben. Das Reizvolle ist ja gerade, dass es um kleine Leute geht, die versuchen was zu machen und irgendwie doch nichts ausrichten können - aber sie hocken nicht resigniert rum, sondern versuchen was. Insofern finde ich Cyberpunk gar nicht so "resigniert", immerhin zeigt er oftmals, dass auch in einer total kaputten Zukunft noch ein paar Leute mit Arsch in der Hose gibt ...
Grundsätzlich geht es ums "Sehen", ums "Erleben". Und ich würde nicht sagen, dass man sich durch Cyberpunk an eine negative Zukunft gewöhnt, im Gegenteil. Ob man sich nun für Naturschutz etc. einsetzen will, ist aber eine ganz andere Schiene ... solche Dinge spielen natürlich eine Rolle im Cyberpunk, aber wenn man hier eher belehren wollte, müsste man ein neues Genre erfinden und dem Cyberpunk doch sein eher dreckiges, kaputtes Image lassen. Es ist doch gerade diese beängstigend reale Dystopie, die die Faszination ausmacht.
Und was das Frauenbild angeht: Naja, diese aufgeblasen Tussis gibt es überall in der Science-Fiction. Ich hab ja auch nicht alles gelesen, wo irgendwie Cyberpunk drauf steht, aber es gibt auch Romane, wo die Frauen recht normal aussehen und auch normal im Kopf sind ...
Ich würde diese sexistischen Züge nicht unbedingt auf Cyberpunk beziehen, sondern allgemein auf viele Bereiche der Phantastik. Und wenn man sich mal die Romantic Fantasy anschaut, ist es doch umgekehrt - da sind die Kerle die auf ihre (möglichst überragende) Körperlichkeit reduzierzt. Und wehe, man ist nicht düster und geheimnisvoll ...
http://www.literatopia.de
#14
Geschrieben 23 August 2010 - 14:20
Nur ganz kurz. Eclipse, Profit sind eigentlich beide auch genau das, was ich mit aufgesetzter Message meine. Eclipse macht einen dritten Weltkrieg im Stile des zweiten auf, das hat mit modernem Faschismus oder der Warnung davor nicht mehr viel zu tun, ist aber ne echt gute Kulisse für Popcorn - Action. Profit ... da sind reiche Typen in schnittigen Rennautos mit Knarren, die machen lauter böse Sachen um noch reicher zu werden und einer davon entdeckt sein Gewissen. Berechtigte Frage nach Lesen des Buches ohne Vorwissen: Wenn wir jetzt alle Banker über den Haufen schießen oder die Tobin Steuer einführen, ist die Welt dann ein besserer Ort?
Mir persönlich kommt das nicht vor wie Befreiung, nichtmal der Hauch davon, sondern eben ihr nur wie ihr Image (Atmosphäre, radical chic, große Gesten). Oder "packen wir mal ein bisschen plakative Gesellschaftskritik dazu, macht sich gut in der restlichen Gewürzmischung".
Was sich dann wieder wunderbar ins große Ganze einfügt.
Die Botschaft ist die Atmosphäre, ist die USP?
Genauso wie so Sprüche, imo. Konsumhaltung ("ich warte auf den starken Mann") + Stereotypisierung. Warum tun die "Fettsäcke und Riesen" die Dinge die sie tun... darin das rauszufinden liegt vielleicht ein ganz guter Lösungsansatz.Bis jemand eine Idee hat was man gegen politische Fettsäcke oder Konzernriesen ausrichten kann
@Weeping Elf:
Du meinst ernsthaft Cyberpunk-Romane mit Happy Ends wären progressiver? ^^
Wäre 1984 ein fortschrittlichere Buch wenn Winston und Julia knutschend in den Sonnenuntergang reiten?
@Lt Zack: Naja, nen Zeigefinger oder ein verändertes Image will ich auch nicht haben. Nur ein paar mehr konkrete Inhalte unter der neonverregneten Oberfläche. Siehe auch letzter Post. ^^
Im Cyberpunk geht es nicht um Problemlösung/ es ist bloß Unterhaltung ist natürlich richtig und vollkommen legitim. Genauso wie vielleicht der Wunsch, dass es anders wäre. Keine Ahnung ob es da ein neues Genre bräuchte, das für den Cyber das macht, was der Hardcore für den Punk getan hat (obwohl da auch viel Scheiß bei war, naja die Musikdiskussion sollten wir vielleicht woanders führen). Ich würds wohl lesen. ^^
Ich vermute übrigens, die Szenarien wären bei so ner Ambition, Figner genau in die Wunde, wohl eher noch kaputter.
Sexismus in der Phantasik allgemein... das stimmt natürlich. Aber wir reden ja hier über Cyberpunk/nahe Zukunft - Krams. Der natürlich von Genreübergreifenden Tendenzen nicht ausgenommen wird. :/
Mmh, ich glaub ich überleg mir die Tage mal konstruktiv was ich gerne andres lesen würde. Vielleicht kann ja jemand was damit anfangen, vielleicht stell ich auch fest das ich diese Kritik nochmal gehörig revidieren muss.
Bearbeitet von mindblasted, 23 August 2010 - 14:21.
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#15
Geschrieben 23 August 2010 - 14:50
@Weeping Elf:
Du meinst ernsthaft Cyberpunk-Romane mit Happy Ends wären progressiver? ^^
Wäre 1984 ein fortschrittlichere Buch wenn Winston und Julia knutschend in den Sonnenuntergang reiten?
Nein, so meine ich das nicht. Natürlich meine ich nicht, dass die Protagonisten ihr persönliches Friede-Freude-Eierkuchen finden und die große Scheiße um sie herum weitergeht als wäre nichts geschehen. Das wäre in der Tat nicht progressiv, sondern verlogen und kitschig. Es geht mir viel mehr um Geschichten, in denen die Helden was bewegen. Zum Beispiel ein Komplott auffliegen lassen, in dem es darum geht, dass ein Konzern Terroristen finanziert, die eine progressive Regierung zu destabilisieren versuchen oder ähnliches.
Bearbeitet von WeepingElf, 23 August 2010 - 14:51.
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#16
Geschrieben 24 August 2010 - 15:25
- • (Buch) gerade am lesen:Metro 2034
- • (Buch) als nächstes geplant:Die Straße
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• (Buch) Neuerwerbung: noch nicht
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• (Film) gerade gesehen: Soylent Green - 2025
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• (Film) als nächstes geplant: Planet der Affen - Prevolution
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• (Film) Neuerwerbung: Battle of L.A. (ätzend)
#17
Geschrieben 25 August 2010 - 17:06
Bearbeitet von LO-TEK-2021, 25 August 2010 - 17:48.
#18
Geschrieben 24 November 2010 - 22:03
#19
Geschrieben 11 März 2011 - 16:19
http://www.youtube.c...embedded#at=321
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