Marianne Sydow schrieb am 25.06.2010, 18:59:
Deckard Entsetzen über den Umgang der Androiden mit der Spinne kann als Beweis dafür gelten, daß er selbst kein Android ist.
Rachel reagiert nicht wie ein Replikant, da sie nicht weiß, dass sie einer ist - trotzdem ist sie einer.
In der Kinoversion wird Deckard nicht als Replikant dargestellt (was aber nicht ins Scotts Sinn war, sonst hätte er die Szenen mit dem Einhorn nicht gedreht), im Director's Cut kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass er einer ist und dass er dies erkennt, bevor die Leinwand am Ende schwarz wird - tiefschwarz, so wie Deckard sich fühlen muss, als sich seine Zweifel angesichts des Einhorn-Origamis in Erkenntnis verwandeln.
Ich finde es aber klasse, dass nicht explizit gesagt wird, er ist es oder er ist es nicht; so kann sich jeder selbst seine Meinung bilden.
Auf jeden Fall zeigt die Tatsache, dass nach fast 30 Jahren immer noch heiß über den Film diskutiert wird, dass Ridley Scott und seine Mitstreiter etwas geschaffen haben, das sich ziemlich weit aus der Masse heraushebt, was Jahr für Jahr über die Leinwand flimmert.
Dass es mehrere Fassungen gibt, stört mich in diesem Fall nicht, zumal es an sich ja nur zwei Fassungen sind - die Urkinoversion und der Director's Cut. Der Final Cut entspricht dem Director's Cut, die Änderungen sind marginal und betreffen vor allem die digitale Überarbeitung der Szenen, wobei lediglich Farben etc. aufgepeppt oder Goofs beseitigt wurden (da sind ein paar schläfrige Mitarbeiter bei ausgedehnten Überstundennachtdrehs wohl nicht schnell genug aus dem Bild gehüpft, als der Regisseur Action gebrummt hat).
Mein Ersteindruck deckt sich ziemlich genau mit dem von Marianne: Ich hab den Film damals, als er rauskam, als 16jähriger auf einer Riesenleinwand gesehen und war total hin und weg. Anfang der Achtziger war das neben den Star-Wars-Fortsetzungen, Jäger des verlorenen Schatzes, Conan und dem 007-Streifen In tödlicher Mission das Highlight für mich überhaupt, mit nervöser Vorfreude und allem drum und dran. Weil es für einen Schüler hinten zu teuer war, saß ich ungefähr in der zehnten Reihe und hatte nur Leinwand vor mir, so weit das Auge reichte, und die Anfangsszene war schlichtweg der Überhammer. Mit der Zeit verklärt sich ja manches, aber meine Begeisterung für den Film hat sich nur unwesentlich geschmälert. Das Voice Over hat mich damals überhaupt nicht gestört und hat sicher zum besseren Verständnis beim ersten Anschauen beigetragen. Als ich später den Director's Cut zum ersten Mal gesehen habe, war mir das Ende zu abrupt, irgendwie wirkte der Schluss abgeschnitten auf mich und das Einsetzen der Musik am Ende hat lange nicht so toll gewirklt, wie bei der Kinoversion. Aber beim nächsten Mal fand ich den Director's Cut mindestens ebenbürtig, weil die Selbstzweifel Deckards der Story für meinen Geschmack mehr Tiefe verleihen als die reine Arbeit als Blade Runner = "Rentenberater". Für einen düsteren SF-Thriller fand ich diesen Schluss passender.
Das dreieinhalbstündige Making Of beim Final Cut ist sehr sehenswert - es enthält neben Interviews Storyboards, Drehbuchseiten, Konstruktionsskizzen, Originalnotizen von Scott, nicht verwendete Szenen, Kulissenbau usw. usw. Es zeigt unter anderem recht ausführlich, wie die Szene am Anfang des Films (Flug über den Stadtmoloch) entstanden ist.
Vieles, worüber hier spekuliert wurde, wird dort erklärt, wenn auch nicht alles. Harrison Ford war nicht die erste Wahl für die Rolle des Rick Deckard, da wurden allen Ernstes Dustin Hoffman, Peter Falk und Burt Reynolds vorgeschlagen, daneben auch Al Pacino und Nick Nolte. Dass Harrison Ford und Ridley Scott ihre Problemchen miteinander hatten, kommt auch in den Jahre später gedrehten Interviews noch recht deutlich raus. Sean Young sagt sehr deutlich, dass Ford während der gesamten Dreharbeiten froh war, wenn das Ende eines Drehtages nahte. In vielen Szenen, die während der Dreharbeiten aufgenommen wurden, sieht man Ford so griesgrämig oder wütend, wie man ihn sonst nie erlebt hat. Er wurde nicht so in die Dreharbeiten einbezogen, wie er es von Drehs mit Coppola, Spielberg oder Lucas gewohnt war, und das hat ihn sichtlich gewurmt (sichtlich, weil er noch in dem Interview zig Jahre später innerlich ein wenig kocht). Auch sonst muss es auf dem Set geknistert und gekracht haben, so dass die Crew sogar in T-Shirts mit der Aufschrift "I Survived Blade Runner" erschien.
Harrison erzählt, dass ihm das Voice Over in der ersten Drehbuchversion, die er zu lesen bekam, nicht behagt hat und Scott deshalb vorschlug, das, was Deckard erzählt, besser durch einige zusätzliche Szenen den Zuschauer selbst erleben zu lassen (show, don't tell - der Hobbyschreiner Harrison kann nicht nur Tischlern). Als das Voice Over noch während der Sprechaufnahmen ständig geändert wurde (zuletzt ohne Scotts Zutun), erreichte Fords Genervtsein wohl seinen Höhepunkt.
Battys Monolog am Schluss stammt zum Teil von Rutger Hauer, der mit der Drehbuchvorgabe diesbezüglich alles andere als glücklich war und mit seinen "Tränen im Regen" Ridley Scott überzeugt hat, den Monolog zu ändern.
Was das Thema Flop betrifft: Der Film blieb wohl deutlich hinter den Erwartungen zurück (was auch an der Konkurrenz von E.T., Tron, Star Trek II, Das Ding, Conan usw. lag - es waren zu viele Genrefilme in kurzer Zeit, die sich gegenseitig die Zuschauer weggenommen haben), war aber in Deutschland vergleichsweise erfolgreich. Bei den Besucherzahlen lag Blade Runner in Deutschland im Jahr 1982 auf Platz 21 und hatte über eine Million Zuschauer - doppelt so viele wie etwa Star Trek II oder Rocky III, die in den USA weit vor Blade Runner lagen. In den USA belegte BR Platz 27, was ja an sich nicht soo schlecht ist (nur war es halt zu wenig, dass er dort seine Produktionskosten nicht eingespielt hat).
http://www.boxoffice.../...1982&p=.htm
http://www.insidekin...DJahr/D1982.htm
Bearbeitet von ChristianW, 25 Juni 2010 - 23:02.