Weil die Grundidee der Demokratie eben genau ist, dass jeder eine Stimme hat, unabhängig von Leistung, Status etc.
Nein, das würde ich nicht zwangsläufig so sehen. Demokratie besagt erst mal nur, dass die Macht vom Volk ausgeht - wie das dann geregelt wird, das ist durchaus unterschiedlich. Ich denke mal, in den Anfängen der Demokratie hätte man vielfach (und mit einiger Berechtigung) bezweifelt, ob unsere moderene "repräsentative Demokratie" eine "echte" Demokratie ist.
Dass "jeder eine Stimme hat", war hingegen streng genommen noch nie der Fall. Auch heute nicht - es gibt ja zumindest ein Mindestalter.
Dann wurde in vielen Demokratien sehr vielfältig damit "experimentiert", wer eigentlich als "Bürger" zählt - denn nur dem Bürger wird als Teil des Volkes überhaupt eine Stimme zugebilligt. Und Athen beispielsweise hatte sehr viele Nicht-Bürger als ständige Einwohner. Auch heute wird diese Grenze prinzipiell gezogen - es wird, wie oben festgehalten, immer noch nicht jeder Mensch wahlberechtigter Staatsbürger, selbst wenn er beständig auf dem Boden eines Staates wohnt. Die Bedingungen dafür wirken im einzelnen durchaus willkürlich und lassen es prinzipiell möglich erscheinen, dass man sie auch anders fasst, ohne mehr als einen graduellen Unterschied zu verursachen.
Sprich: Wenn man heute in Deutschland beispielsweise hier geboren sein muss oder deutsche Eltern haben und über 18, um das Stimmrecht zu erhalten, kann man genauso gut noch ein paar Regeln mehr dazu packen, ohne dass es prinzipiell mehr ist als eine Erweiterung bereits vorhandener Einschränkungen. Die Demokratie ist immerhin schon erheblich älter als unsere heutigen Vorstellungen einer "Idealdemokratie". Die Demokratie gibt dem Bürger eine Stimme - wer ein Bürger ist, das wird durch diese Staatsform nicht festgelegt.
Was Grundrechte betrifft, die haben schon mal gar nichts damit zu tun. Außer dem Recht auf Mitbestimmung erfordert eine Demokratie eigentlich kaum etwas von dem, was wir heute als "Grundrechte" ansehen würden. Man kann allenfalls darüber streiten, was für Grundrechte mindestens nötig sind, damit eine Demokratie funktioniert - aber selbst dann wäre es möglich, das Wahlrecht von anderen Grundrechten zu trennen und eine Menge "bürgerlicher Rechte" per se an alle Bewohner zu vergeben - aber die Hürden vor dem Wahlrecht und "Vollbürgertum" trotzdem höher zu setzen.
Ich denke also für die Frage, ob es eine Demokratie ist, muss man durchaus genauer hinschauen, auf die Details und auf die Gesamtkomposition ... und selbst dann bringt diese Unterscheidung "Demokratie"/"Nichtdemokratie" uns nicht weiter, weil die meisten real existierenden politischen Systeme sowieso schon Mischformen sind und von der reinen Lehre regelmäßig abweichen. Zu fragen wäre also vielleicht eher nach der Austarierung von demokratischen, monarchischen oder meinetwegen "meritokratischen" oder anderen Elementen, um die vorherrschende Richtung zu bestimmen.
Aber ich denke, in Wahrheit ist die wichtige Frage, wie sympathisch uns eine Staatsform ist, wie sehr sie unseren Vorstellungen einer "richtigen" Gesellschaft entgegenkommt. Da hilft die Frage nach "Demokratie" nur bedingt. Wenn man beispielsweise genauer hinschaut, stellt man fest, dass in der amerikanischen Regierungsstruktur sehr starke monarchische Elemente verankert sind; trotzdem würde ich das US-System für prinzipiell "demokratischer" einschätzen als das deutsche, weil es dafür deutlich mehr unmittelbare Mitbestimmung auf vielen anderen Ebenen gibt. Umgekehrt würde ich sagen, dass vieles von dem, was wir an unserem Gemeinwesen schätzen und was unsere "Grundrechte" stützt, weniger im Begriff "Demokratie" zu finden ist als in der funktionierenden "Rechtsstaatlichkeit".
Da werden, habe ich das Gefühl, zu gerne recht pauschal Aspekte unseres gegenwärtigen Gesellschaftssystems unter dem Begriff "Demokratie" subsumiert, weil diese Aspekte in unserer Gesellschaft halt mehr oder minder zufällig mit der Demokratie zusammentreffen. Und so reden wir von Demokratie, auch wenn wir im Grunde was anderes meinen.
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)