Kitsch as Kitsch can
Ich gebe ja zu, als ich vor drei Wochen den Roman erstmalig vor mir hatte, war ich nach den ersten paar Absätzen schon bedient: ach ja ein Kind in Not. Schrecklich! Aber ein Sprung mitten in eine gefährliche Handlung hinein. Toll! So schafft man Spannung, schärft man die Aufmerksamkeit. Ist uns ja vom Tatort und noch schlechteren Fernsehkrimis nur allzu gut bekannt. Muss wohl irgendwo in irgendwelchen Anweisungen zum Drehbuchschreiben stehen.Dazu dann noch der Sprachmüll: „Einmal wagte das Kind einen kurzen Blick über die Schulter zu werfen, und es sah die Wipfel schlanker Maldenlorbeeren schwanken, immer näher auf sich zu kommen.“
Der letzte Teil des Satzes sollte wohl lakonisch sein, ist aber nicht einmal als Elipse zu ertragen.
Noch schöner allerdings: „Die Eltern hatten es gewarnt, ihm verboten, zu nah in die Sümpfe zu gehen.“
Nach diesem Satz war ich eigentlich bedient, denn die Eltern hatten garantiert nicht es gewarnt. Ihn hatten sie gewarnt. Aber vermutlich sollte durch den Widerspruch von „es“ und „ihm“ irgendein diffuser Spannungseffekt erzeugt werden. Wie man allerdings zu nah in die Sümpfe gehen kann, werde ich nie verstehen. Entweder geht man zu nah an die Sümpfe oder zu tief in sie hinein.
Also habe ich die Sache beiseite gelegt. Es gab dringendere und wichtigere Sachen. Gibt es eigentlich immer noch. Weil mir aber sonst überhaupt nicht Besseres mehr einfiel, habe ich den Roman jetzt doch gelesen.
Was soll ich sagen? Frau Zietsch kann schreiben? Ja, eigentlich schon. Wenn sie sich nicht gerade um Dinge bemüht, die einfach zu bemüht, zu konstruiert, zu künstlerisch(?) sind - so wie der Anfang z. B. - , ja, dann kann sie schreiben. Es gelingt ihr einfach, eine ganze Menge von Hintergründen so nebenher durch die Handlungen dem Leser zu vermitteln - und in Relation zu anderen derzeitigen Autoren dieser Serie ist das schon viel. Nein, ich werde da jetzt keine Namen nennen. Da darf jeder seine eigenen Kandidaten einsetzen.
Soweit bin ich nicht einmal unzufrieden. Da beherrscht jemand sein Handwerk. Und das ist viel in heutigen Tagen.
Die Geschichte ansonsten ist aber einfach nur grausam. Da haben wir dann also die arme, reiche, missverstandene Tochter, natürlich hochbegabt, den strengen Vater, die überbeschäftigte Mutter, den rebellischen jüngeren Bruder des Vaters, traumatische Erfahrungen durch den Verlust von Lieblingstieren, den frühen Verlust der Heimat infolge eines Zuchtprogrammes (?!?), die zielstrebige Mischung aus Aufmüpfigkeit und Anpassung, die immer zum Erfolg führt, die älteren Zimmergenossinnen, von denen eine zum Scheitern verurteilt ist, was auch durch Jungmädchensolidarität nicht verhindert werden kann, den ähnlich begabten, etwas älteren Konkurrenten, mit dem natürlich völlig anderen Hintergrund, der für die Entjungferung verantwortlich ist aber ansonsten doch eher als Gegner erscheint
Ansonsten haben wir noch die allwissenden, streng freundlich selktierenden Lehrer, die natürlich sehr genau wissen, wohin ihre Schüler gehören, die soziale Inkompetenz der hochbegabten Wissenschaftler und und und.
Habe ich irgendetwas vergessen? Ich glaub†˜ doch nicht. Und dabei war das nur der rote Faden. Hinzu kommt ja dann noch der Versuch, das alles miteinander zu vermengen und die Teile einander spiegeln zu lassen. Also wird das Kind nicht an Girls-Day entführt, sondern genau an dem Tag, an dem ihr zweites Lieblingstier geschlachtet werden soll, damit Mamas Schmerz dann ihren Schmerz spiegeln kann? Kitsch!
Und ansonsten habe die Eltern das Kind auch nur deshalb genau so erzogen, damit es in den Selektionsprozessen der Schule bestehen kann?
Woher wussten die Eltern eigentlich von diesen Prozessen?
Da ich mich, nicht gerade verzweifelt aber doch interessiert , seit der Lektüre frage, ob ich schon einmal eine solche Ansammlung an Kitsch und Klischees und kitschigen Klischees gelesen habe und mir bisher noch kein weiteres Beispiel eingefallen ist, muss es doch die gründlichste Kitsch und Kliescheesammlung meines Lebens sein. In dieser Dichtigkeit toppt das sogar Lenz und Böll - und das will was heißen.
Ich muss der Autorin allerdings zu Gute halten, dass sie anders als andere Großkitschisten (keine Ahnung ob es das Wort gibt, wenn nicht habe ich es gerade erfungen) wenigstens nicht moralinsauer vor die Leser tritt. Ist doch auch schon was.
Ich weiß von daher wirklich nicht so genau, ob ich diesen Roman jetzt gesondert entsorgen soll oder als Ideenlieferant behalten. Nur für den Fall, dass ich dann auch einmal Kitsch produzieren muss. Man weiß ja nie.
Eines wünsche ich mir allerdings doch: Uschi Zietsch schreibt auch das Ende der Lebensgeschichte. Ich mein, es ist doch klar, dass die beiden sich kriegen. Da sie sowieso nicht nach links und rechts sehen, werden sie keine andere Wahl haben und damit für den Rest ihres Lebens miteinander gestrafft sein. Das Ende hätte ich gerne in einem weiteren Gastroman von Uschi Zietsch. Soviel Strafe muss sein, einfach auch deshalb, weil da jemand das garantiert besser kann.
Puh
Edit: Tippser
Bearbeitet von Puh, 13 Oktober 2010 - 08:53.