was mir an Autoren wie Frank Schätzing und, in weit geringem Maße freilich, an Andreas Eschbach
mißfällt, ist der Umstand, daß sie im Grunde auf literarischem Gebiet etwas fortsetzen, was im
Kino der Sechziger- bis Achtzigerjahre als "Exploitation" bezeichnet wurde.
Die Vertreter des Exploitation-Genres waren künstlerische Zweit- und Resteverwerter. Sie haben
keine eigenen thematischen Innovationen gesetzt, sondern sich an vorhandene Erfolge, Themen
und Diskussionen angehängt, seien es Sex, Crime, oberflächliche Exotismen oder was auch immer.
Exploitation auf literarischem Gebiet beschränkt sich nicht auf offenkundige Versuche, die Erfolge
anderer für sich auszuschlachten (von Harry-Potter-Imitationen bis zur Woge pseudotheologischer
Thriller im Gefolge Dan Browns). Sie ist Ausdruck einer generellen geistigen Unbeweglichkeit von
Schriftstellern, die sich in Ermangelung eigener originärer Konzepte auf externe Anstöße verlassen
müssen (was nur in den seltensten Fällen zu überzeugenden Ergebnissen führt).
Ein klassischer Exploitation-Schriftsteller war Johannes Mario Simmel. Der vermutlich wichtigste
Exploitation-Autor mit SF-Bezug war Michael Crichton. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen,
ist Crichtons Werk eine Umkehrung des klassischen Hase-Igel-Spiels: Wo immer sich Michael
Crichton hinbewegte, seine Themen waren schon vor ihm da. Autoren wie Crichton agieren nie,
sie reagieren nur. Kocht die Gender-Debatte mal wieder hoch, kommt Mr. Crichton auf die wenig
originelle Idee, einen Mann zum Opfer eines sexuellen Übergriffs zu machen. Werden in einem
medialen Sommerloch zum 1,5millionsten Male die lieben Dinosaurier bemüht, schreibt Herr
Crichton Jurassic Park. Wird die Nanotechnik zum journalistischen Thema, hat auch Mr.
Crichton flugs einen entsprechenden Roman in der Hinterhand. Von Andromeda vielleicht
abgesehen, war nichts von Michael Crichton jemals originell oder neu. Im günstigsten Fall sind
die Ideen, die er recycelt hat, in alten Jahrgängen obskurer SF- oder Thrillermagazine verborgen.
Kundige Leser haben sie trotzdem aufgespürt.
Es ist kein Zufall, daß Andreas Eschbach der "deutsche Michael Crichton" genannt wird oder daß
Frank Schätzing sich auf das Vorbild Michael Crichton beruft. Bei Andreas Eschbach ist der Fall
sicher differenzierter zu sehen. Der Haarteppichknüpfer und auch noch Der Letzte seiner
Art waren genuine kreative Leistungen, aber ich sehe in Eschbachs neueren Büchern eine
zunehmende Tendenz. thematisch auf Nummer sicher zu gehen, sich auf allzu eingängige Ideen
zu beschränken, bei denen der Otto-Normal-Buchverkäufer vielleicht sagt: "Ah, interessant,
tolle Idee", obwohl die Idee weder so toll noch allzu interessant ist, sondern vom selben Autor
in früheren Büchern mühelos übertroffen wurde. Problematisch ist dabei, daß eine Tendenz zur
Exploitation meist einhergeht mit einer stilistischen Verarmung, einer Neigung zu allzu großer
Glätte und Eingängigkeit und oberflächlichen Effektion statt zu Nuancen und Individualität,
Qualitäten zumindest, die mir bei einem Schriftsteller wichtig sind.
Exploitation als künstlerische/literarische Taktik muß nicht notwendigerweise etwas Schlechtes
sein, aber sie ist eine Gratwanderung, die selten zu etwas Eigenständigem führt. Das mag Ruggero
Deodato mit seinem furchtbaren Film Cannibal Holocaust, der unterschwellig eine Selbstentlarvung
des eigenen Genres darstellt, noch gelungen sein, in den meisten Fällen führen solche Versuche
aber nur zu Langeweile bei jedem einigermaßen informierten Leser/Zuschauer.
Am anderen Ende des Spektrums dieser Diskussion steht, jedermann zur Warnung, allerdings
eine eigenartige Literaturkritik und -praxis, die bei Autoren zwar immer wieder die Pflicht zur
"Welthaltigkeit" anmahnt, gleichzeitig aber ein Wort wie "Waldsterben" für literaturunfähig und
aktuelle Bezüge etwa zur Massenarbeitslosigkeit für eines ernsthaften Schriftstellers unwürdig
hält. Wie immer in der Kunst dürfte die Frage des Wie entscheidend sein. In der SF etwa befindet
sich Ted Chiang mit seinen Geschichten auf der Höhe aktueller Spekulationen über künstliche
Intelligenz, Medien etc., aber auf völlig eigenständige Art. Im Mainstream könnte ich, als ein Beispiel
von vielen, den jungen deutschen Autor Clemens Meyer nennen, der in seinem Roman Als wir
träumten oder den Geschichten in Die Nacht, die Lichter aktuelle Erfahrungen seiner
Generation verarbeitet hat, ohne sich am allzu Offensichtlichen anzubiedern.
Gruß
MKI
Bearbeitet von Michael Iwoleit, 11 Oktober 2010 - 06:34.