China Mieville: Die Stadt und die Stadt
#1
Geschrieben 29 Oktober 2010 - 15:46
#2
Geschrieben 30 Oktober 2010 - 08:14
#3
Geschrieben 30 Oktober 2010 - 09:23
Es ist zwar noch nicht der 1.11, aber ich mache hier trotzdem schon mal auf, falls der ein oder andere da Wochenende schon mal nutzen möchte.
Danke! Das Buch liegt seit gestern auf meinem Schreibtisch und ich muss immer wieder rüberlinsen. Bin total neugierig.
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#4
Geschrieben 30 Oktober 2010 - 13:45
#5
Geschrieben 01 November 2010 - 16:55
Ich bin schon auf Seite 104. Wie weit sind meine Mitleser? Sollte ich langsam machen?
Bisher gefaellt mir das Buch sehr gut. Die Unterschiede gegenueber unsere Welt werden sehr langsam eingefuehrt. Hat jemand eine Ahnung, in welchem Land der Roman spielen soll?
Die Gruende fuer die Teilung sind der Bevoelkerung nicht bekannt. Ich stelle sie mir momentan als eine Art Dimensionsverschiebung vor, dass gewissermassen die Staedte denselben Raum ausfuellen und dass manche Stellen aber nicht aufgespalten wurden, sondern eben zu beiden Staedten gehoeren. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob es physisch nicht nur eine Stadt gibt und die Teilung eher politisch o.ae. zu sehen ist. Ich bin gespannt, ob man im Laufe des Romans noch etwas ueber die Teilung erfaehrt oder ob es nur Kulisse ist. Und ich hoffe, dass man erfaehrt, wer oder was Ahndung ist.
@ Lomax:
Da haette ich gleich eine Frage an Dich: Mir sind recht viele Partizipien Praesens augefallen. Ich kann mich noch erinnern, dass es in der Schule immer hiess, man solle das bei einer Uebersetzung immer mit einem Nebensatz aufloesen und nie als Partizip Praesens stehen lassen. Hat sich das geaendert oder gibt es dafuer andere Gruende?
#6
Geschrieben 01 November 2010 - 17:21
Hat jemand schon mal etwas von Bruno Schulz gelesen,
Hat jemand eine Ahnung, in welchem Land der Roman spielen soll?
Ich habe "Die Zimtläden" (alte Übersetzung) von Schulz gelesen. Recht gute Lektüre.
Soweit ich verstanden habe, ist Beszel / Ul Qoma ein Stadtstaat. Und es lässt sich schlussfolgern, dass die Doppelstadt am westlichen Ufer des Schwarzen Meeres liegt, auch wenn das (glaub ich) nirgendwo ausdrücklich so steht.
Grüße
Alex / molo
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#7
Geschrieben 01 November 2010 - 17:23
Hat jemand schon mal etwas von Bruno Schulz gelesen, dem Autoren, von dem Mieville sagt, er habe ihm bei der Arbeit an "Die Stadt und die Stadt" ueber die Schulter geschaut? Dem Buch ist auch ein Zitat aus einem von Schulzes Werken vorangestellt.
Ich bin schon auf Seite 104. Wie weit sind meine Mitleser? Sollte ich langsam machen?
Meinetwegen brauchst du nicht langsam zu machen. Ich habe heute angefangen, bin aber erst auf Seite 48, weil ich eingenickt bin. Keine Sorge: Das liegt nicht am Buch, sondern an der Winterzeit.
Bisher finde ich die Ermittlungen etwas unspannend - Plakate aufhängen, Leute befragen -, aber hey, ich bin erst auf Seite 48. Es ist - wie Morn schon gesagt hat - eine langsame Einführung.
Was mir sehr gut gefällt, sind Kunstverben wie "nichtsehen". Sicher wird sich das noch häufen. Bin gespannt. So etwas finde ich sehr cool.
Bruno Schulz kenne ich auch nicht, aber das Zitat am Anfang hat meine Fantasie sehr angeregt.
Gute Frage, wo die Stadt sein soll. Bis Seite 38 tappte ich vollkommen im Dunkeln. Mich haben die Namen der Personen sehr irritiert und ich hielt sie für Fantasienamen, was mich hinsichtlich des tristen Slum-Alltags etwas gestört hat, auch Begrifflichkeiten wie "Sir", "Schwalben" oder Sätze wie "Er sprach etwas Englisch" fand ich in dem Zusammenhang seltsam. Auf Seite 38 wird dann von Muslimen und Juden gesprochen, so dass ich an Bosnien gedacht habe, dann aber war die Rede von Fremden aus dem Balkan ... Bestimmte Namen klingen ungarisch, andere arabisch, dritte wieder serbisch. Bisher kommt mir "Die Stadt und die Stadt" wie eine Allegorie des ehemaligen Ostblocks vor. Die Beschreibungen erinnern mich an meine Zeit in Moskau. Vielleicht liege ich auch daneben. Mal sehen, wie es sich weiterentwickelt.
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#8
Geschrieben 01 November 2010 - 18:33
Die Gruende fuer die Teilung sind der Bevoelkerung nicht bekannt. Ich stelle sie mir momentan als eine Art Dimensionsverschiebung vor, dass gewissermassen die Staedte denselben Raum ausfuellen und dass manche Stellen aber nicht aufgespalten wurden, sondern eben zu beiden Staedten gehoeren. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob es physisch nicht nur eine Stadt gibt und die Teilung eher politisch o.ae. zu sehen ist.
Ich bin ein paar Seiten weiter am Ende des 6. Kapitels. Nach der Beschreibung dort scheint es mir jetzt doch eher um physisch eine Stadt zu handeln, in der es - aus welchen Gruenden aus immer - diese Teilung in zwei Staedte gibt. Was meint Ihr?
#9
Geschrieben 01 November 2010 - 19:11
Ich bin schon auf Seite 104. Wie weit sind meine Mitleser? Sollte ich langsam machen?
Bisher gefaellt mir das Buch sehr gut. Die Unterschiede gegenueber unsere Welt werden sehr langsam eingefuehrt. Hat jemand eine Ahnung, in welchem Land der Roman spielen soll?
Ich bin ziemlich genau so weit wie Du - Anfang Kapitel 7.
Ehrlich gesagt, haut mich die Story nicht gerade vom Hocker. Pharo hat es angesprochen..
Die Kriminalgeschichte hmm na ja gelinde gesagt gehts langsam voran. Ich bin ja sowieso nicht
gerade ein Freund von Fantasy und nachdem ich "The Scar" überragend fand, habe ich mich
letzte Woche schon über "Der eiserne Rat" geärgert weil ich das Buch einfach unterirdisch fand.
Die Stadt und die Stadt ist dazu erstmal grundsolide zu nennen. Mieville schreibt sehr gut keine
Frage aber irgendwie ist das bisher für mich weder Fisch noch Fleisch. Es kommt als
biedere Kriminalgeschichte daher und im Prinzip sind die phantastischen Elemente sehr dezent
eingeflochten und spielen derzeit für die Storyline so gut wie keine Rolle. Anhand
einiger Andeutungen habe ich aber die Hoffnung das dies sich im laufe des Textes noch ändern
wird. Falls nicht, so würde ich mich ehrlich gesagt schon fragen was das soll.. dann kann ich
auch einen Eifelkrimi etc lesen.
Aber so langsam muß China mal Gas geben, denn mit knapp 110 Seiten sind bereits mehr als ein
Viertel des Buches rum. Ich kann auf jeden Fall sagen, hätte ich bislang noch nichts von diesem
Autor gelesen, so würde ich mich spätestens jetzt fragen woher der Hype um ihn kommt.
Aber mal sehn wie es weitergeht.
#10
Geschrieben 01 November 2010 - 19:16
Partizipien haben im Englischen als elegante Konstruktionen einen anderen Stellenwert als im Deutschen, wo sie eher behäbig wirken. Insofern verändert es den Ton der Sprache, wenn man sie (zu oft) stehen lässt, und in der Regel ersetzt man sie durch andere Konstruktionen (oder lässt sie ganz weg). Insofern ist das, was du da im Kopf hast, in gewisser Hinsicht korrekt - auch wenn es natürlich nicht so ist, dass man sie "nie" stehen lässt oder "immer" in einen Nebensatz überführt. Partizipien werden im Englischen sehr unterschiedlich verwendet, und dementsprechend gibt es auch eine Menge Möglichkeiten, wie man das im Deutschen am besten wiedergibt - mitunter sogar als Partizip . Übersetzungen in der Schule arbeiten auch eher darauf hin, den Inhalt exakt zu treffen und die Grammatik des Originals erkennbar zu halten. Was man dabei am ehesten aufgibt, ist die "literarische Dimension", der "Ton" der Originals. Aber genau der ist bei der Literaturübersetzung natürlich das wichtigste.Da haette ich gleich eine Frage an Dich: Mir sind recht viele Partizipien Praesens augefallen. Ich kann mich noch erinnern, dass es in der Schule immer hiess, man solle das bei einer Uebersetzung immer mit einem Nebensatz aufloesen und nie als Partizip Praesens stehen lassen.
Insofern gilt also ganz allgemein, dass das, was du über die problematische Übertragbarkeit von Partizipialkonstruktionen gelernt hast, korrekt ist und eine 1:1-Übernahme nicht stattfinden sollte, dass aber die konkreten Übersetzungsregeln aus der Schule (und auch aus den eher auf juristische Präzision schielenden Diplom-Übersetzerstudiengängen) bei literarischen Übersetzungen auch nicht zu erwarten sind.
Wie es sich in dieser Hinsicht bei der Stadt und der Stadt verhält, habe ich gar nicht mehr im Kopf. Man kann auch nicht davon ausgehen, dass jedes Partizip im Deutschen auch aus dem Englischen kommt. Denn genau wie man es beim Übersetzen normalerweise vermeidet, Partizipien als solche zu übernehmen, kann es umgekehrt natürlich vorkommen, dass man als Übersetzer an anderen Stellen deutsche Partizipialkonstruktionen bildet, wo im Englischen etwas ganz anderes steht.
Als Bearbeiter vergleiche ich da auch nicht die Übersetzung mit dem Original, sondern greife nur dann ein, wenn es im Deutschen merkwürdig klingt oder wenn Fehler in der Kohärenz der Übersetzung auffallen. Was das betrifft, bin ich über die Partizipien jetzt gar nicht gestolpert. Eine unangemessene oder sehr häufige Verwendung habe ich nicht bemerkt, und darum habe ich da auch nichts systematisch mit dem Original verglichen. Eine explizite Entscheidung, Partizipien hier anders zu handhaben als bei anderen Übersetzungen, habe ich jedenfalls nicht getroffen.
Ich würde das also eher als Bestandteil des deutschen Erzähltons auffassen, den ich insgesamt als rund und stimmig empfunden habe, und weniger als zufällige Abfolge von Einzelfallfragen bei der Übersetzung, wie nun genau dieses konkrete Partizip übersetzt werden sollte.
#11
Geschrieben 01 November 2010 - 19:41
Bearbeitet von TrashStar, 01 November 2010 - 20:09.
#12
Geschrieben 01 November 2010 - 19:52
Mein Blog: http://translateordie.wordpress.com/ Meine Buchbesprechungen: http://lesenswelt.de/
#13
Geschrieben 02 November 2010 - 23:29
#14
Geschrieben 03 November 2010 - 07:09
Ich bin auf Seite 238.
Die Art und Weise, wie er die fiktive Stadt in ihrer doppelten Eigenheit beschreibt und gleichzeitig in die Realität unserer Welt einbettet, finde ich sehr beindruckend.
Die Handlung finde ich nicht so spannend, aber die Details über die Organisation der Gesellschaft, die sich aus dem Doppeltsein der Stadt ergeben, finde ich ich atemberaubend gut gemacht.
Das kann ich, wie sollte es auch anders sein denn wir hatten ja schon bei anderen Bücher recht
unterschiedliche Blickwinkel, nicht so ganz nachvollziehen.
Stand Seite 275
Ich halte die Beschreibung für wenig aussagekräftig. Welche Auswirkungen hat diese dualität
organisatorisch, gesellschaftlich oder sonstwie ? Lediglich das ein nicht ignorieren und interageieren zwischen den Städten ein Verbrechen ist ist wirklich klar. Wie wird es bestraft?
Welche auswirkungen hat es im täglichen Leben und im Privatleben? Erfährt man so gut wie
gar nicht. Diese faszinierensten Aspekte bleiben aussen vor, zugunsten einer vorsichtig ausgedrückt farblosen Kriminalschmonzette.
Das ist für mein empfinden ziemlich dünn und von daher wirkt der Plot mit der doppelten Stadt auf mich irgendwie albern. Jemand ( Mieville ) fabuliert irgend etwas von
ner Stadt in ner Stadt, aber eigentlich spielt es für die Geschichte kaum eine Rolle, ist wie ein
Kropf nämlich unnötig für die Geschichte, ist irendwie eine erschummelte Idee. Eine die eigentlich gar keine richtige ist denn Sie tangiert
die Geschichte nicht besonders. Der Cop hätte zb auch von Chicago nach New York zu den
dortigen Kollegen versetzt werden können. Hätte man den gleichen Effekt. Bulle bewegt sich
in fremden Revier ohne kompetenzen ( was für eine innovativ neue Idee - hüstel)
Einzig die geheimnisvolle 3. Stadt bietet noch etwas Hoffnung das dieses diffuse Stadt in der Stadt auch wirklich einen Sinn ergibt ausser auf Teufel komm raus ein Phantastisches Element
in einen ansonsten mehr als durchschnittlichen Kriminalroman geschummelt zu haben.
Ich weiß, derzeit klinge ich ein bißchen hart, aber ich bin tatsächlich arg enttäuscht von
den bisherigen Romanseiten. Alles hätte ich erwartet, aber so arg wenig ( bis hierher) dann doch nicht. Der Cop ist arg blaß und hat wenig Profil. Die anderen sowieso. Mir kommt es so
vor als wäre die ermordete die mit abstand interessanteste Person gewesen eine spannende
abwechslungsreiche Geschichte zu erzählen - aber das ist ja leider nicht mehr möglich.
#15
Geschrieben 03 November 2010 - 10:25
#16
Geschrieben 03 November 2010 - 10:48
Es ist viel absurder.Zu der Teilung: Man kann anscheindend an jeder Grenze von einer Stadt in die andere wechseln, aber nur bei den deckungsgleichen Stellen ist das okay; man befindet sich aber trotzdem in seiner Ursprungsstadt.
Die Grenzen jeder Stadt bestehen aus Konventionen und daraus abgeleiteten Wahrnehmungsrestriktionen.
So eine Idee habe ich noch nirgendwo sonst gelesen, nicht einmal annähernd.
#17
Geschrieben 03 November 2010 - 11:59
Die Grenzen jeder Stadt bestehen aus Konventionen und daraus abgeleiteten Wahrnehmungsrestriktionen.
Ja und wozu und warum das ganze?
Es wäre hilfreich wenn das ganze noch irgendwie einen Sinn ergibt wenn das Buch
zu Ende ist.
#18
Geschrieben 03 November 2010 - 12:03
Stand S. 150
Fuer mich ist der Mord zur Zeit eher der Aufhaenger dafuer, mehr ueber die Gegeben- und Eigenheiten der zwei Staedte zu erfahren, was ich bislang sehr interessant finde. Von daher teile ich TrashStars Einschaetzung.
Vielleicht bin ich für solch eine Phantastik wirklich zu arg in der Science-Fiction
verwurzelt. Die Beschreibungen von Personen welche durch eine Stadt wandern und
andere eigentlich sehn aber auch wieder nicht ( ich meine Sie müssen doch beim Autofahren
zb den anderen zumindest ausweichen und tun dies mit Erfolg ) erfreuen mich noch nicht
per se - es sei denn mir würde endlich klar werden warum und wieso und überhaupt... na ja
hmm
#19
Geschrieben 03 November 2010 - 12:47
Was für einen Sinn sollte das ergeben? Kein Buch ergibt einen Sinn. Man liest es aus Vergnügen oder man mag es nicht.Ja und wozu und warum das ganze?
Es wäre hilfreich wenn das ganze noch irgendwie einen Sinn ergibt wenn das Buch
zu Ende ist.
Diese spezielle Trennung der Stadt ist die Grundidee des Buches und darauf hat Mieville einen Krimi aufgebaut. Wahrscheinlich hätte er auch eine Liebesgeschichte oder etwas Thrillerartiges nehmen können. Aber er hat sich für eine Krimihandlung entschieden. Das finde ich auch nicht so wichtig. Eine Liebesgeschichte hätte ich wohl nicht gelesen, weil ich soetwas nicht mag.
Im Grund geht es um die Interaktionen, die sich aus der Art und Weise der Organisation dieser doppelten Stadt ergeben - das ist das Hauptthema - und mir gefällt das. Ich mag so absurdes Zeug.
Irgendwo im Text erwähnt der ein fiktives (?) Buch von Palahniuk. Der schreibt auch so abgefahrene Sachen.
In meiner Vorstellungswelt ist der Roman ein schwarz-weiß-Film. Zwar werden immer wieder Farben erwähnt, aber die kriege ich vorstellungsmäßig nicht integriert.
#20
Geschrieben 03 November 2010 - 13:20
Man sollte den Gedanken nicht zu weit von sich weisen und nicht als allzu phantastisches Konstrukt ansehen. Was es natürlich irgendwie ist . Aber es gibt durchaus historische Kontinuitäten, aus denen sich so etwas ableiten lässt.Ja und wozu und warum das ganze?
So ist der Gedanke von "Flächenstaaten" mit festen geographischen Grenzen ja relativ neu. Historisch viel üblicher, und zwar insbesondere im germanischen Raum, ist die Vorstellung von Personenverbänden. Diese Verbände haben dann zwar einen Siedlungsraum und meist auch Land, dass sie beanspruchen, und aus rein praktischen Gegebenheiten neigt dieser Besitz dazu, sich zu konsolidieren, so dass auch physische Grenzen entstehen. Trotzdem ist die politische Dimension dieser physischen Grenzen eine eher neue Entscheidung.
Dass man zu einem Stamm, einem "Volk" oder einem "König" gehört, und nicht zu einem Land, ist eigentlich die natürlichere Form. Und in der Geschichte gibt es viele Beispiele, wo die Räume sich überlagern. Kleinere Gruppen gehören dann zu dem "Staat", zu dessem Fürsten sie sich bekennen - selbst wenn sie räumlich in Land eines anderen Fürsten liegen. Nomadische Gruppen haben sich an vielen Orten der Welt oft innerhalb der Grenzen von Ackerbauer-Siedlungsgebieten bewegt, Brachen genutzt und ihren eigenen "Staat" mit eigenen Gesetzen, Regeln und Anführern unterhalten, ohne sich mit den Herrschaftsstrukturen der landfesten Menschen zu vermischen. Derart "überlappende Staaten" können sogar Kriege miteinander führen. Und es gilt in der germanischen Tradition beispielsweise die Regel, dass man sein "Volksrecht" mitnimmt, selbst dann, wenn man anderswo hinreist - sprich, theoretisch unterliegt der Sachse dem sächsischen Recht, selbst wenn er räumlich bei den Franken wohnt.
Dass dieses Modell, je näher man der Moderne kommt, sich nicht durchgesetzt hat, hat natürlich seinen Grund. Man kann recht deutlich erkennen, warum eine Abweichung politischer von räumlichen Strukturen dazu neigt, rein "evolutionär" ausgemerzt zu werden - dem Sachsen bei den Franken nutzt es wenig, dass er ein Anspruch auf sächsisches Recht hätte, wenn es die Franken in seiner Nachbarschaft ihm nicht gewähren; Gebiete, die räumlich vom Haupteinflussbereich ihrer übergeordneten politischen Einheit getrennt sind, sind schwer zu halten und werden auf die ein oder andere Weise in die Strukturen ihrer Nachbarschaft eingeordnet werden. Und wenn es keinen Haupteinflussbereich gibt, sondern schlichtweg zwei Gruppen in demselben Gebiet, mit unterschiedlicher Führungsstruktur, dann gibt es so viele Reibungspunkte, dass sie zwangsläufig irgendwann verschmelzen oder eine Struktur sich durchsetzt und die Oberherrschaft einfordert.
Trotzdem, man kann historisch sehen, aus was für Strukturen ein Gebilde wie das von Mieville beschriebene sich entwickelt haben könnte, es wäre historisch herleitbar. Bis in moderne Verhältnisse hinein stabilisieren ließe es sich wohl nicht, aber in Afrika beispielsweise gibt es immer noch Regionen, die bis heute darunter leiden, dass regionale Siedlungsgebiete und traditionelle politische Strukturen eben nicht deckungsgleich sind und sich anstelle klarer Grenzen ein buntes Durcheinander ergibt.
Gerade als Historiker fand ich die Stadt und die Stadt auch als Was-wäre-wenn-Modell interessant. Einfach als Gedankenspiel, was sich aus gewissen historischen Strukturen auch hätte entwickeln können, wenn man es geschafft hätte, sie in tragfähige, stabile modernere Strukturen zu überführen. Die Frage, ob das überhaupt klappen kann, schwingt natürlich immer mit. Aber auch wenn die Antwort "nein" lautet, bleibt das Gedankenspiel interessant, weil die Frage, ob der Status Quo zwangsläufig und alternativlos ist, ja überhaupt erst mal gestellt werden muss, bevor man eine sachgerechte Antwort darauf geben kann.
Nicht zuletzt das war es, was mich an dem Buch fasziniert hat.
#21
Geschrieben 03 November 2010 - 13:46
#22
Geschrieben 03 November 2010 - 13:51
Was für einen Sinn sollte das ergeben? Kein Buch ergibt einen Sinn.
Du bist aber leicht zufrieden zu stellen. Für mich sollten ein paar hundert Seiten
Weltenschöpfung schon in sich logisch und sinnvoll sein. Wenn an der Weltenschöpfung
was nicht funktioniert - sei es weil der Autor Unsinn schreibt oder auch weil ich was nicht
verstehe oder überlese dann ist das einfach ärgerlich.
#23
Geschrieben 03 November 2010 - 14:51
Neue Sciencefiction: www.svenklöpping.de
Mein Verlag: www.sternwerk.pmachinery.de
#24
Geschrieben 03 November 2010 - 15:02
Ich finde, er ist sehr zu empfehlen. Am besten hat mir "Die Narbe" - "Leviathan" gefallen. Das ist ein Roman, der in Deutschland in zwei Bänden erschienen ist.Ist der Miéville zu empfehlen? Wenn ja, welche Bücher besonders? Möchte mir auch mind. ein Buch von ihm zulegen. Danke!
#25
Geschrieben 03 November 2010 - 15:45
Ich finde, er ist sehr zu empfehlen. Am besten hat mir "Die Narbe" - "Leviathan" gefallen. Das ist ein Roman, der in Deutschland in zwei Bänden erschienen ist.
Dem würde ich mich anschliessen. Diese beiden Bücher sind einfach spitze!
#26
Geschrieben 03 November 2010 - 19:32
Neue Sciencefiction: www.svenklöpping.de
Mein Verlag: www.sternwerk.pmachinery.de
#27
Geschrieben 03 November 2010 - 22:27
#28
Geschrieben 04 November 2010 - 11:07
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#29
Geschrieben 04 November 2010 - 11:46
#30
Geschrieben 04 November 2010 - 17:12
Mir gefallen diese Beschreibungen des absurden Funktionierens der beiden Städte besonders gut.Mir ist immer noch nicht ganz klar, wie das mit der geteilten Stadt genau ist. Ich meine, die Menschen können ja nicht wirklich einfach alles ausblenden, was mit der Nachbarstadt zu tun hat. Da müssten die als Kinder ja schon richtig darauf geprägt worden sein und damit meine ich die Zuhilfenahme von Hypnose oder ähnlicher Ansätze.
Beispiel:
"Wissen Sie ... als ich vor Jahren meinen Führerschein gemacht habe ... Genau wie hier muss man lernen, nicht nur die eigenen Autos auf der Straße zu sehen, sondern man muss auch lernen, die anderen Autos zu nichtsehen, und zwar so schnell, dass man ihnen ausweichen kann."
Bei den Wahrnehmungsmodalitäten geht es um den Unterschied zwischen bewusstem Wahrnehmen und peripherem Wahrnehmen. So verstehe ich das. Wir haben alle Wahrnehmungsfilter, die sehr viel Ausblenden. Der Körper reagiert auf die Wahrnehmung, aber das Bewusstsein kriegt das nur am Rande mit. Und diese selektive Wahrnehmung ist anerzogen.
Wir sehen Gegenstände und nichtsehen die Zwischenräume, wir sehen die Objekte und nichtsehen die Schatten der Objekte. Wir sehen die Blätter der Bäume und nichtsehen die Zwischenräume zwischen diesen Blättern. Da braucht es keine Hypnose.
In diesem Buch ist das natürlich bis ins Absurde übersteigert.
Bis jetzt glaube ich nicht, dass das Buch eine Metapher für irgendetwas ist. Vielleicht hat Miéville nur eine abgefahrene Idee gehabt und einen Roman darumherum gebaut? An eine tiefere Botschaft glaube ich bisher noch nicht.Ich würde das ganze Buch einfach mal als Metapher sehen für die Barrieren im Kopf, über das abgrenzen und über Fremdenphobien. Außerdem treffen in den beiden Städten, wie es scheint, eine molemische und eine osteuropäisch christliche Gemeinschaft aufeinander. Auch das ist Teil der Metapher. China Miéville verbirgt in dem Buch offensichtlich eine klare Botschaft. Mal sehen, wie genau die lautet. Mein Tipp: Trotz der Verschiedenartigkeit kann man zusammenleben (ich erwarte, dass zu Ende hin die Mauern fallen - mal sehen ob ich recht habe).
Was ist ein Vokuhila? Das Wort habe ich noch nie gehört.
Ich bin sehr gespannt, wie sich am Ende das Geheimnis um Orciny und Ahndung auflöst ... hoffentlich löst es sich auf.
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