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Leider sind Novellen sowas von out ... keiner will die haben.
Und doch gewinnen ständig welche den Deutschen Science Fiction Preis in der Kurzprosa-Kategorie...
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Der Eindruck, dass da zu viel Stoff in zu wenig Story steckt, kam ja jetzt schon zwei Mal zum Ausdruck. Mir geht es mit Kurzgeschichten auch oft so.
Das ist in der Tat ein häufiges Problem. Meine Erfahrung als langjähriger Nur-Kurzgeschichten-Schreiber ist: Manche Stoffe eignen sich nicht zur Umsetzung als Kurzgeschichte. Hauptsächlich dann, wenn eine Geschichte in einer für uns vollkommen fremdartigen Welt spielt. Der Leser benötigt einfach Zeit, um sich auf eine solche Welt einzulassen, um sich zurecht zu finden. Es ist ein hoher Anspruch an den Leser, wenn ein Autor ihm (wie in der vorliegenden Story) schon in den ersten Sätzen mehrere so fremde und surrealle Fakten um die Ohren haut, dass man sein komplettes Weltbild wegwerfen muss. Bei mir persönlich hat das zu einigen Schwierigkeiten geführt. Es fällt mir ohnehin schon schwer, diese mit den mir bekannten Gravitationsgesetzen unvereinbaren Verhältnisse zu akzeptieren. Zu diesem phantastischen Element kommen Namen, die nichts in mir auslösen, und nicht ohne weiteres nachvollziehbare Emotionen und Handlungsweisen der Hauptfigur. Das war mir einfach zuviel; ungefähr ab der Stelle, wo dann in der surrealen Welt eine Art bodenständiges Versteckspiel stattfindet, habe ich zugegebenermaßen quer gelesen. Bis zu dem Punkt blieb mir die Hauptfigur fremd, es entstand kein Bild in meinem Kopf, und das ist eigentlich für fast jede Geschichte das KO (egal ob Kurzgeschichte, Novelle oder Roman).
Ich nehme mal den Anfang beispielhaft:
Im zweiten Satz hustet ein gewisser KiHaRo Wasser. Ich frage mich: Wieso, war er untergetaucht? Keine Ahnung, vielleicht hat es mit der geringen Schwerkraft zu tun, es wird jedenfalls nicht erklärt. Dritter Satz: Der Raum war schäbig. Dieses Adjektiv ist die einzige Beschreibung, und das ist wenig erhellend. Gibt es Möbel, Fenster, Geräusche, ist es ein Schlafzimmer in einer Wohnung, ein Hotel, oder was sonst? Als nächstes erfahre ich von der umgekehrten Gravitation. Bevor ich mich damit abfinden kann, versucht die Hauptfigur, sich mit der Unsterblichkeit abzufinden. Okay, zugegeben: Manchmal denke ich nach dem Aufstehen auch zuerst über meine
Unsterblichkeit nach
Nach diesem den Handlungsfluss zerstörenden Exkurs sieht die Hauptfigur zum Fußboden hinauf. Warum hat man in 155 Jahren nicht den Fußboden einfach mal in Decke umbenannt und umgekehrt, wo doch der "Effekt" anscheinend das Leben in vielerlei anderer Hinsicht grundlegend umgekrempelt hat? All das ist anscheinend für die Gesamtgeschichte durchaus relevant, ich kann also nicht drüber hinweg lesen, wie über einen sonderbaren Namen für ein nebensächliches Objekt (dergleichen gibt's in meinen Geschichten ja sehr häufig). Ich fühle mich überfordert, und als Nicht-Bowie-Hörer frage ich mich, ob ich leichter Zugang zu dem Text finden würde, würde ich das zugehörige Lied kennen (edit: habe es mir gerade angehört: nein). Falls ja, habe ich schon ein bisschen Angst, dass ich mit dieser Anthologie einen Fehlgriff getan habe (habe ich nicht, denn ehrlich gesagt lese ich Nadines Exemplar

).
Um es ganz klar zu sagen: Die Ideen, die auf der ersten Seite dieser Story zu finden sind, genügen für drei bis vier separate, und durchaus interessante Kurzgeschichten oder für einen Roman.
Sprachlich habe ich nichts weiter auszusetzen. Zwischendurch
macht der Autor übrigens einmal
Sinn (S. 22 oben). Darüber wurde ja schon an anderer Stelle trefflich gestritten, mich persönlich stört's einfach.
Insgesamt in meinen Augen ein wirklich monumentaler Weltenbau, der für mich persönlich als Kurzgeschichte unverdaulich ist (und in längerer Form würde ich ihn wohl gar nicht erst anfangen zu lesen, weil mich ein hypothetischer Klappentext vermutlich abschrecken würde). Als Auftaktgeschichte definitiv eine hoch gelegte Latte, die ich leider nicht überspringen konnte. Gut, dass das kein Hochsprungwettbewerb ist, dann wär ich raus.
Next.
Bearbeitet von Uwe Post, 01 Januar 2011 - 22:16.