Eben zu Ende gelesen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, die ganz ähnlich waren wie bei vielen hier, hatte mich der Roman nach dem ersten Drittel doch noch richtig packen können, so dass ich den Rest praktisch in einem Rutsch, an drei Tagen durchgelesen habe. Etwas, was bei mir ziemlich selten vorkommt. Ähnliches ist mir allenfalls beim ersten Band von «Hyperion» passiert.
Und dabei waren die Einstiegshürden extrem hoch, höher, als ich es bei einem Roman normalerweise gewohnt bin. Aber ich habe selten einen SF-Roman gelesen, dem es ähnlich gut gelungen ist, eine ferne Zukunft so fühlbar in ihrer ganzen Unverständlichkeit und kühlen Unnahbarkeit darzustellen. Und so konsequent wie Rajaniemi in «Quantum», hat ein SF-Autor selten seine Leser im Regen stehen lassen, und ihn gezwungen eine fremde Welt ohne Reiseführer zu erkunden.
Der Leser wird praktisch ins eiskalte Wasser geworfen und mit unverständlichen Begriffen bombardiert, die erst nach und nach einen Sinn ergeben und man fühlt sich wie ein Neanderthaler, der sich zufällig in die U-Bahn verirrt hat. Da hätte ich mir manchesmal vom Autor gewünscht, einfach an die Hand genommen zu werden und mir von ihm diese Welt erklären zu lassen. Doch Rajaniemi verweigert konsequent dem Leser einen vereinfachten Zugang in seine Welt anzubieten. Was zuerst als Schikane und unnötige Erschwernis erscheint in diese Zukunftswelt einzutauchen, erweist sich beim weiteren Lesen, aber als besonderer Reiz. Nämlich, dass man sich als Leser, wie Isidore Beautrelet im Roman, aus bruchstückhaften Informationshappen, selbst die Zusammenhänge erschließen muss. Der Roman erfordert vom Leser Durchhaltevermögen und die Bereitschaft sich ein wenig quälen zu können und sich nicht vom Technobabbel verwirren zu lassen.
Ich habe mir nach der Lektüre das Wiki-Glossar zu «Quantum» angeschaut und meine eigenen Schlussfolgerungen bezüglich der Begriffe wurden bestätigt (mit ein paar Ausnahmen, wo die Wiki einige Zweifel beseitigt hat). Auch wenn ich dem Autor nicht bei jeder seiner Erfindungen folgen mag und ich manches als reine Zauberkunststücke ansehe, ist es ihm doch gelungen, die Vision einer technologischen Zukunft zu erschaffen, in der A.C.Clarkes Diktum "jede hinreichend fortgeschrittene Technik, ist von Magie nicht zu unterscheiden" verwirklicht wurde.
Die Welt von «Quantum» zeigt die transhumane Utopie (oder Dystopie, je nach Sichtweise) einer Menschheit nach der Singularität, dem «Spike». Eine Welt allgegenwärtiger Nanotechnik, wo menschliche Bewusstseine beliebig in Software verwandelt, auf andere Körper, oder auf leistungsfähigere Computerhardware übertragen werden und sich so zu transhumanen Wesen wandeln können, mit unendlich mehr Möglichkeiten und Macht. Die Welt von «Quantum» ist der feuchte Traum eines Transhumanisten. Und Rajaniemi beschreibt das sehr eindrucksvoll, auch wenn sich nicht alles verständlich erschließt. In dieser Welt ist praktisch alles möglich und die heute noch klare Trennung zwischen realen und künstlichen, bzw. virtuellen Welten verschwimmt. So faszinierend diese Vision auch ist – in diesen Technologien lauert der Untergang des humanen, des natürlichen Menschen, der zum Spielball der Technik und weit fortgeschrittener und mächtigerer post- und transhumaner Vertreter der Menschheit wird. Ansatzweise werden diese Gefahren angedeutet, aber nicht wirklich psychologisch ausgelotet. Im Wesentlichen sind die Technologien da und werden, ohne hinterfragt zu werden, praktisch genutzt, obwohl manches aus heutiger Sicht grotesk oder alptraumhaft anmutet. Ich denke da an den gedankenlosen Umgang mit Bewusstseinen, dem Transferieren von Bewusstseinen in Maschinen, die dann Sklavenarbeit verrichten. Nicht nur die Welt ist posthuman, auch Ehik und Moral, all das, was wir heute noch als unveränderlich menschlich betrachten, ist ebenfalls posthuman. Und dabei scheint die sehr befremdende und utopische Gesellschaft der
Oubliette, in der der Traum von individueller Unsterblichkeit verwirklicht ist, sogar noch der angenehmste Platz in dieser Zukunftswelt zu sein, ein Refugium für die letzten natürlichen Vertreter der Menschheit.
Wie weit dies Zukunftsbild, doch von Utopien entfernt ist, wie sie beispielsweise Star Trek darstellen, die daneben geradezu rührend bieder wirken. Die Stärken von «Quantum» liegen daher aus meiner Sicht gerade im Setting, wo die Vision einer Welt entworfen wird, die von Technologie bereits so vollständig durchdrungen ist, dass am Ende der natürliche Mensch fast nur noch wie ein Fremdkörper im System erscheint.
Die Story selbst ist zwar spannend, aber bei Licht betrachtet nicht sehr spektakulär. Im Grunde eine Detektivgeschichte mit ein paar Twists und überraschenden Wendungen. Wobei mich die Auflösung der Geschichte nicht wirklich überzeugen konnte. Ich möchte nicht sagen, dass mich das Ende enttäuscht hat, aber für meinen Geschmack war die Auflösung in Wohlgefallen etwas sehr abrupt und erschien wie aus dem Hut gezaubert. Der Roman überzeugt dagegen extrem durch sein Worldbuilding, ist ein hervorragendes Beispiel für Ideenliteratur (meinetwegen für Nerds), das ein Setting aufspannt, das in «Quantum» nur ansatzweise ausreizt wurde. Wir haben die Welt von «Quantum» bislang nur Ausschnittweise betrachten können, sozusagen nur ein Fragment gesehen. Das Gesamtbild fehlt noch. Da der Roman aber anscheinend Teil einer geplanten Trilogie ist, nehme ich an, dass später noch mehr kommt.
Es ist bereits eine Fortsetzung erschienen, «The Fractal Prince», die im März 2013 auch in Deutsch, wieder bei Piper («Fraktal») erscheinen wird. Darauf freue ich mich jedenfalls jetzt schon.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 28 November 2012 - 00:29.