Wie siehst du denn den Versuch, ein thematisch so enges Gebiet als "Genre" einzuzäunen?
Seitdem "Cyberpunk" als Genre intensiv vermarktet wird, ist m.E. eine Verarmung der Romane, eine gewisse Sterilität, erkennbar.
Wie ich das sehe? Die eigentliche Frage, bei der es in dieser Debatte im Kern geht, ist, von welchem Genrebegriff man ausgeht. Vereinfacht gesagt gibt es zwei Auffassungen davon, was ein Genre ist und zu leisten hat, und diese schliessen sich im Prinzip gegenseitig aus:
- Wenn Du von einem historischen Genrebegriff ausgehst, fragst Du, welche Genrebegriffe und -konventionen zu einem gewissen Zeitpunkt als solche wahrgenommen wurden. Das geht es um Fragen wie, wann sich welche Konventionen herausbilden, inwieweit gewisse Werke - von den Lesern, Autoren, Verlegern, Rezensenten etc. - als zusammengehörig empfunden wurden und aufeinander einwirken. Wenn man Genres so fassen will, betreibt man letztlich immer Literaturgeschichte und schaut ganz konkret, wie bestimmte Texte miteinander im Zusammenhang stehen. Dieser Ansatz ist auch umso ergiebiger, je kleiner Gruppe ist, denn historische Genres wandeln sich fortlaufend.
- Wenn Du dagegen von einem systematischen Ansatz ausgehst, dann geht es darum, ein Raster zu finden, in das man die Werke möglichst einteilen kann. Dann ist die Frage, wer wann ein bestimmtes Werk als einer bestimmten Gattung zugehörig wahrgenommen hat, zweitrangig. Stattdessen stehen saubere Definitionen im Vordergrund, die es bei einem historischen Ansatz nie geben kann.
In diesem Sinne: Wenn AH erfolgreich als eigenständiges Genre vermarket wird und sich bestimmte Konventionen herausbilden, dann ist sie auch ein historisches Genre. Wie lange dieses Genre am Leben bleibt und wie einflussreich es ist, wird sich freilich erst in der Zukunft zeigen.
Ich stelle immer mehr fest, daß es heutzutage (oder jemals ?) keine festgefügten Schubladen zur Genre-Einteilung gibt. Das Modell von ineinander verschwimmenden Kugeln mit einer Eulerschen Häufigkeitsverteilung als Maß der Genre-Zugehörigkeit scheint auch bei dieser Diskussion deutlich besser zu greifen.
Im Grunde gab es die festgefügten Schubladen nie. Es kann bei Genres längere Zeit der Stabilität geben, aber wenn man genau hinschaut, sieht man selbst bei scheinbar so festgefügten Genres wie dem Western grosse Unterschiede; ein Western der 30er Jahre unterscheidet sich in vielem deutlich von einem der 50er oder der 70er Jahre.
In der Regel werden AH zur SF gezählt. Aber da finde ich deine Meinung durchaus sinnvoll, ob wirklich alle AH automatisch SF sein sollten.
Ich habe mal die Erfahrung gemacht, dass Sprach- und Literaturwissenschaftlicher einer Universität, die sich mit Phantastik beschäftigen, nicht an dem Wissen von SF-Lesern interessiert sind, wenn diese nicht entsprechendes studiert haben. Dabei haben einige Leser umfangreiches Wissen über Geschichte und Themen der Science Fiction.
Außerdem schlug ein bekannter Utopieforscher den amerikanischen Autor Philip K. Dick zur technikorientierten Science Fiction, was ganz einfach falsch ist.
Das also zwei negative Beispiele wie wenig Forschung z.B. für Seiteneinsteiger offen sein kann.
Dieser Teil des Posts war eigentlich an Konrad gerichtet, der
hier sein Interesse geäussert hat, ob es auf Seiten der Literaturwissenschaft schon etwas zum Thema gibt.