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Fügt der "Labelwahn" der Phantasik Schaden zu?


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81 Antworten in diesem Thema

#31 My.

My.

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Geschrieben 17 Januar 2012 - 08:06

Falls du den Begriff "Hard-SF" nicht sehr, sehr weit auslegst, würde ich da auf jeden Fall die SF vermissen, die sich mit möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen befasst.

Ich erinnere mich an den in den 80ern gebräuchlichen Ausdruck "Social Fiction".

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#32 Harald Giersche

Harald Giersche

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Geschrieben 17 Januar 2012 - 09:03

Mhm, soweit ich das kenne, wird mit Hard-SF realitätsnahe oder sehr gut erklärte Science in SF bezeichnet. Das würde den Social-Charakter einer Story nicht zwingend ausschließen.

Bearbeitet von Harald Giersche, 17 Januar 2012 - 09:04.

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#33 Ming der Grausame

Ming der Grausame

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Geschrieben 17 Januar 2012 - 20:00

Was hast du gegen The Surrogates einzuwenden? Definitiv ein Krimi. Ebenso Das Wittgenstein-Programm von Philip Kerr oder Der sechste Klon von Michael Marshall? Aber auch Der fiebernde Planet von Isaac Asimov oder Die Stadt und die Stadt von China Miéville ist ein reinrassiger Krimi – und letzterer gewann trotzdem den Locus, Hugo und World Fantasy Award.

Ich habe nichts gegen Krimis, erst recht nicht welche im phantastischen Gewand. Aber ich bevorzuge es, wenn ein Krimi auch Krimi genannt wird.

Dann sind wieder mitten drin in eine Genrediskussion und da bekanntlich bei jeder Zuordnung, die nicht durch die Poetik definiert ist, das Problem der Induktion sich stellt, auch sofort in ein philosophisch-erkenntnistheoretisches Streitgespräch. Eingefügtes Bild
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#34 Jaktusch † 

Jaktusch † 

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Geschrieben 17 Januar 2012 - 21:40

Das ["gesellschaftliche Entwicklungen"] ist doch aber der grundlegende gemeinsame Nenner für alle SF-Unterarten, oder?


Würde ich nicht unbedingt sagen bei einem SF-Roman, der sich primär mit "Schwarzen Löchern", Dyson-Sphären oder Raumschifftechnik befasst.

Jaktusch
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#35 lapismont

lapismont

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 07:26

Würde ich nicht unbedingt sagen bei einem SF-Roman, der sich primär mit "Schwarzen Löchern", Dyson-Sphären oder Raumschifftechnik befasst.

Jaktusch

Aber irgendwer interagiert mit diesen Dingen und dieser lebt in einer Umgebung. Je nach Talent und Intention des Autors erfahren wir etwas über Gesellschaft, Leben und Kultur. So technisch Ringwelt etwa ist, baut Niven ein ziemlich spannendes Utopia daneben auf.

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#36 T. Lagemann

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 08:39

Hallo Jakob,



Das Problem sind in meinen Augen nicht die Leser, sondern das "System", so geschwollen das jetzt auch klingen mag. Es ist ja z.B. schön, wenn die Leute Spannung wollen - dummerweise bekommen sie unter den verschiedenen Labels der Spannungsliteratur aber gerade das nicht, weil die Autoren offenbar zu beschäftigt sind, im Auftrag ihrer Agenten Checklisten abzuhaken, anstatt mal einen knackigen Spannungsbogen zu entwickeln. Es geht mir hier gar nicht um high-brow vs. low-brow, es geht darum, dass (selbstverständlich) versucht wird, gleich eine ganze Marke zu verkaufen anstelle des einzelnen Produkts. Gerade die kleinen versuchen das dann oft um so nachdrücklicher, um dadurch irgendwie eine relevante Position im Gesamtmarkt behaupten zu können.
Und das ist insgesamt sehr schade, finde ich.


Mir ist Baukastenliteratur auch (ein wenig) suspekt. Andrerseits funktioniert sie. Sie funktioniert sogar richtig gut. Was also kann falsch daran sein, Literatur nach Schema F zu schreiben bzw. Subgenres zu bedienen? Ist doch letztlich mit vielem so: Fernsehserien funktionieren nach Schema F. Fortsetzungen von Kinofilmen. Das gute alte Radio.

Zwischen all dem gibt es ja doch immer noch genug Autoren und Verlage, die mit Büchern abseits von Schema F kommen. Denn auch dafür gibt es Leser. Und natürlich werden die nicht links liegen gelassen. Auch mit denen lässt sich Geld verdienen. Und das sind dann die Bücher, die sich in kein Genre-Korsett zwängen lassen.

Und, hey, Autoren hätten ja eine Vollmeise, wenn sie nicht versuchen würden, mit ihrer Schreibe Geld zu verdienen. Wer eine gut gehende Masche hat, der sollte die ausreizen. Und sich dann was neues einfallen lassen. Von "Kunst" allein wird kaum jemand satt.

Mein aktuelles Projekt z.B. ist auf Fortsetzung angelegt. Wenn ich es verkaufen sollte, möchte ich die Option auf eine sinnvolle Fortsetzung haben. Und natürlich würde ich auch in einer evtl. Fortsetzung den Keim einer weiteren Fortsetzung legen. Und all die würden sich brav innerhalb der mit Teil 1 gezogenen Grenzen bewegen. Mit anderen Worten, die Leser/innen bekämen letztlich das, was sie schon kennen, nur die Geschichte, die würde sich weiter entwickeln. Und, nein, ich fände es nicht schlimm, mich in meinem eigenen Baukasten zu bedienen. So lange das Produkt funktioniert, ist alles im grünen Bereich.

Unabhängig davon ist ein knackiger Spannungsbogen wichtig. Fehlt der, hat das m.E. nichts mit dem zu genauen Abhaken irgendwelcher Genre-Checklisten zu tun, sondern mit handwerklichem Unvermögen bzw. oberflächlichem Lektorat. Andrerseits ist das, was die einen als spannungslos empfinden, für andere richtig, richtig knackig spannend.

Viele Grüße
Tobias
"Wir sind jetzt alle Verräter."
"Ha!", machte die alte Dame. "Nur wenn wir verlieren."

(James Corey, Calibans Krieg)

"Sentences are stumbling blocks to language."

(Jack Kerouac in einem Interview mit der New York Post, 1959)

"Na gut, dann nicht, dann bin ich eben raus
Ich unterschreib' hier nichts, was ich nicht glaub'
Na gut, dann nicht, nicht um jeden Preis
Ich gehöre nicht dazu, das ist alles was ich weiß"

(Madsen, Strophe 1 des Songs "Na gut dann nicht")
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#37 Jakob

Jakob

    Temponaut

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 09:57

Hallo Jakob,



Mir ist Baukastenliteratur auch (ein wenig) suspekt. Andrerseits funktioniert sie. Sie funktioniert sogar richtig gut. Was also kann falsch daran sein, Literatur nach Schema F zu schreiben bzw. Subgenres zu bedienen? Ist doch letztlich mit vielem so: Fernsehserien funktionieren nach Schema F. Fortsetzungen von Kinofilmen. Das gute alte Radio.



Baukasten geht ja auch noch - man kann durchaus gute Werke "nach Schema" produzieren. Das Problem ist in meinen Augen das übertriebene Markennamentheater anhand der Settings.
SF halte ich z.B. deshalb für ein recht sinnvolles Etikett, weil es meistens eher einen Modus als ein Setting beschreibt. D.h. man bekommt eine grobe Vorstellung mit, um welche Art von Literatur es sich handelt - das ein SF-Werk z.B. mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Konzept spekulativ erforscht (sei es die Zeit, Ent-/Kopplung von Bewusstsein im Körper, Kommunikation mit dem Fremden) und nicht nur Figuren. "Clockpunk" heißt dagegen doch scheinbar nur: "Irgendwas viktorianisches mit Uhrwerken, und ein bisschen abgedreht". Das ist aber keine Art von Literatur, das ist ein einerseits sehr spezifischer und andererseits sehr beliebiger Inhalt. Anders ausgedrückt: Für mich hat das Label null Informationswert mit Ausnahme dessen, dass ich vermuten muss, dass hier mehrheitlich Autoren am Werk sind, die es vor allem wichtig finden, ob der Roboter in ihrer Geschichte mit einem Uhrwerk oder mit Schaltkreisen läuft. Was mir wiederum ziemlich schnurz ist.
"If the ideology you read is invisible to you, it usually means that it’s your ideology, by and large."

R. Scott Bakker

"We have failed to uphold Brannigan's Law. However I did make it with a hot alien babe. And in the end, is that not what man has dreamt of since first he looked up at the stars?" - Zapp Brannigan in Futurama

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#38 Sah-Gahn

Sah-Gahn

    Yoginaut

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 10:24

Hallo zusammen! Habe die Diskussion gerade mal ein bisschen verfolgt. Ich amüsiere mich manchmal über die ganzen Ettikettierungen. Meistens fallen sie mir aber erst hinter her auf, wenn ich das Buch gelesen habe. Ich schau mir den Rückseitentext an, lese die erste Seite unter der Rubrik - "zum Buch" und blättere ein bischen. Sprich mich interessiert eigentlich mehr der Inhalt. Ich gucke gerade mal ob es SF, Krimi oder was auch immer ist.
Ich schreibe, weil ich eine Geschichte habe.
Schön wenn sie den Lesern gefällt.
Ich schreibe weil es meine Art ist sich auszudrücken, weil ich Zustände kritisieren, weil ich Welten entstehen lassen kann. Für mich, für andere.
Ich schreibe nicht weil ich viel Geld und Ruhm scheffeln will - Anerkennung aber schon. Ich hätte auch nichts dagegen davon leben zu können!
U.M.
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#39 Ming der Grausame

Ming der Grausame

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 14:31

Baukasten geht ja auch noch - man kann durchaus gute Werke "nach Schema" produzieren. Das Problem ist in meinen Augen das übertriebene Markennamentheater anhand der Settings.

Was sind deiner Meinung nach die typischen Merkmale literarischer Werke? Das Genre gliedert, anders als die Gattung, tendenziell eher die niedere Kunst. Das Genre ist somit aus dieser Sicht eher eine Mode, während die Gattung, die tendenziell eher die hohe Kunst gliedert, als der Vollzug eines theoretischen Programms erscheint. Moden kommen und gehen oder wie es bereits Henry David Thoreau so treffend formulierte: „Jede Generation lacht über Moden, aber folgt den Neuen treu.“ Wenn du dich nach der Mode richtest, welche in ihre letzte Instanz nichts weiter als ein ästhetisches Verbrechen an und für sich ist, weil sie nicht das endgültig Gute, das Schöne, Zweckmäßige will, sondern lediglich immer nur etwas Anderes, dann darfst du dich über ihre Narreteien nicht verwundern.

SF halte ich z.B. deshalb für ein recht sinnvolles Etikett, weil es meistens eher einen Modus als ein Setting beschreibt.

Ich persönlich bin hingegen der Ansicht, dass Science-Fiction eher eine Gattungsbezeichnung als ein Genrebegriff ist. Das Grundproblem ergibt sich somit eher aus der Tatsache, dass die Begriffe Genre und Gattung im Deutschen in derselben Weise verwendet werden, je nach Kontext aber unterschiedliche Bedeutungen besitzen. Wenn man schon Etikettierungen verteilt, dann sollte man schon darauf achten, wofür diese Etiketten stehen. Die Etikette mit den Waschanweisungen hat z.B. nichts mit der Preisetikettierung zu tun – beide sind jedoch definitiv Etiketten.
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#40 Gast_Dirk_*

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 15:49

Als beteiligter Autor an jener Anthologie, die mit diesem unsäglichen Genrestempel versehen wurde und beworben wird, möchte ich aber Einspruch erheben Eingefügtes Bild

"Clockpunk" heißt dagegen doch scheinbar nur: "Irgendwas viktorianisches mit Uhrwerken, und ein bisschen abgedreht".


Einspruch, euer Ehren.
Clockpunk bedeutet bei dieser speziellen Antohologie, die der Stein des Anstoßes war, dass alle Maschinen und Geräte auf Uhrwerkbasis funktionieren.
Daher der Wortteil "Clock".
Allen ist gemein, dass vor allem Leonardo da Vincis Erfindungen eine Rolle spielen sollten, bzw. seine Denkanstöße. In mindestens zwei Storys spielt der große Gelehrte sogar eine Rolle weit abseits jeglicher geschichtlicher Fakten.
Das begründet die Silbe "Punk" in dem unseligen Genrestempel.
Da Leonardo da Vinci aber nicht im Viktorianischen Zeitalter gelebt hat und alle Storys zudem zwingend in Venedig spielen sollten (kleine Schlenker waren erlaubt), ist das mit dem viktorianishcen Ambiente ein Schuss ins Leere Eingefügtes Bild

Das ist aber keine Art von Literatur, das ist ein einerseits sehr spezifischer und andererseits sehr beliebiger Inhalt. Anders ausgedrückt: Für mich hat das Label null Informationswert mit Ausnahme dessen, dass ich vermuten muss, dass hier mehrheitlich Autoren am Werk sind, die es vor allem wichtig finden, ob der Roboter in ihrer Geschichte mit einem Uhrwerk oder mit Schaltkreisen läuft. Was mir wiederum ziemlich schnurz ist.


Sorry, aber das ist auch zu kurz gedacht.
Ich mag jetzt nur von meinem Beitrag spoilern:
Es geht NICHT um irgendwelche Roboter, Flugmaschinen oder ähnliches. Es geht um eine Erfindung, die ursprünglich helfen sollte, den Nachthimmel auf Papier zu bannen.
Eine Art Fotoapparat.
Diese Macchina hat allerdings eine andere, vollkommen unerwartete Wirkung.
Zuerst zeigt sie die Zukunft. Leonardo will, dass der Lehrling der sie erbaute, sie vernichtet. Der folgt zwar dem Befehl seines Meisters, aber die Pläne nimmt er mit.
Als er Jahre später in Venedig um die Gunst des Dogen buhlt und sich mit Söldnern einlässt, baut er erneut diese Macchina. Sehr viel kleiner.
Und wieder passiert etwas vollkommen unerwartetes.
Der gute Giacomo öffnet das Tor zur Hölle.

Es gibt in dieser Story "clockpunkige" Erfindungen wie Motorboote, Granaten etc.
Aber es gibt auch Anklänge an cthulloides Gedankengut, Horror und Tales from the Crypt.

Also so ganz kann ich deinen Gedanken nicht folgen, denn schon der Werbetext verrrät so einiges, was deine ... hm ... Vorwürfe (?) bereits im Vorfeld entkräftet.
(Hervorhebungen von mir)

Käfer, Herzen, Uhrwerke und Leonardo da Vinci
Erste deutschsprachige Clockpunk-Anthologie „Uhrwerk Venedig“ erschienen
Der UlrichBurger-Verlag und Herausgeber Lucas Edel präsentieren sechs bekannte Autoren (Susanne Wilhelm, Emilia Dux, Tom Wilhelm, T. S. Orgel, Dirk Ganser und Lucas Edel.) der deutschen Phantastik-Szene. Gemeinsam wagten sie das mutige Experiment ein Venedig der Renaissance zu erschaffen, das es so nie gegeben hat. Eine Lagunen-Stadt, in der Zahnräder, Uhrwerke und Mechanik die Grundlagen der Technik bilden.
Geschichten von mechanischen Käfern, goldenen Herzen, einem unorthodoxen Helden namens Leonardo da Vinci, Dogen und dem Himmel über einer Stadt, in der die Gondeln Trauer tragen und von Federkraft betrieben werden. Lassen Sie sich entführen in eine Renaissance der phantastischen Art. Traumhaft romantisch und erschreckend zugleich.

Wo ist da vom Viktorianischen Zeitalter die Rede?
Die einzige Gemeinsamkeit zu Steampunk sehe ich in der alternative Geschichte, die hier geschrieben wird.
Und aus diesem Text, so denke ich zumindest, kann der geneigte Käufer recht gut erkennen, was ihn hier erwarten könnte.

Ich verstehe ehrlich gesagt deine Aufregung nicht?

Ratlos

Dirk Eingefügtes Bild

Bearbeitet von Dirk, 18 Januar 2012 - 15:50.


#41 Jakob

Jakob

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 16:07


Wo ist da vom Viktorianischen Zeitalter die Rede?
Die einzige Gemeinsamkeit zu Steampunk sehe ich in der alternative Geschichte, die hier geschrieben wird.
Und aus diesem Text, so denke ich zumindest, kann der geneigte Käufer recht gut erkennen, was ihn hier erwarten könnte.

Ich verstehe ehrlich gesagt deine Aufregung nicht?

Ratlos

Dirk Eingefügtes Bild


Sorry, ich habe mich ehrlich gesagt nicht noch mal danach umgeschaut, was Clockpunk bei dieser Antho nun genau heißen soll ... es war mir in dem Zusammenhang ehrlich gesagt auch egal. Ein Renaissance-Venedig mit SF-Elementen klingt auch nach einem wunderbaren Anthologiethema, da habe ich nicht das geringste gegen einzuwenden ... aber das ist dann eben ein Thema für eine Anthologie und nicht gleich ein neues Genre. Aber darunter machts heute wohl keiner mehr ... (Gerade habe ich übrigens Ted Chiangs Geschichte "Turmbau zu Babel" gelesen, mit der hat er dann wohl single-handedly den "Babelpunk" erfunden. Vielleicht hat er aber auch "nur" eine wirklich tolle, originelle SF-Story geschrieben.)

@Ming:
Ja, das mit Gattung und Genre ist alles ein bisschen durcheinander, ich bin mir nicht ganz sicher, worauf du mit dem Gattungsbegriff hinaus willst. Ich sehe SF deshalb als "Modus", weil der Begriff meiner Meinung nach am aussagekräftigsten ist, wenn er nicht auf konkrete Inhalte (Raumschiffe oder Cyberdecks oder Uhrwerke oder Dampfmaschinen) bezogen ist sondern auf die Art des Umgangs mit diesen Inhalten (d.h. im weitesten Sinne "wissenschaftlich", wenn auch nicht unbedingt "wissenschaftlich korrekt" - aber es gibt in der SF m.E. typischerweise ein "Forschungsinteresse", dass sich nicht oder nicht nur auf die Figuren beschränkt, sondern ihnen äußerliche - gesellschaftliche, technische ... - Aspekte der fiktiven Welt betrifft.)
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#42 simifilm

simifilm

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 16:10

Ja, das mit Gattung und Genre ist alles ein bisschen durcheinander, ich bin mir nicht ganz sicher, worauf du mit dem Gattungsbegriff hinaus willst. Ich sehe SF deshalb als "Modus", weil der Begriff meiner Meinung nach am aussagekräftigsten ist, wenn er nicht auf konkrete Inhalte (Raumschiffe oder Cyberdecks oder Uhrwerke oder Dampfmaschinen) bezogen ist sondern auf die Art des Umgangs mit diesen Inhalten


Absolut korrekt. Und wer's bezweifelt, muss mein Buch lesen. Eingefügtes Bild

(Die Unterscheidung zwischen Genre und Gattung ist ohnehin alles andere als klar. Mancherorts werden die Begriffe klar unterschieden, andernorts werden sie synonym verwendet).

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#43 Gast_Dirk_*

Gast_Dirk_*
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Geschrieben 18 Januar 2012 - 16:34

Hi Jakob Eingefügtes Bild

Das Problem, warum man überhaupt erst auf dieses Label verfallen ist, ist folgendes:

Erster Knackpunkt:
Steampunk ist ja ein Begriff. Alles per Dampf, dazu eben viktorianisches Ambiente.
Clockpunk gab es auch schon, allerdings nicht deutschsprachig. Leider habe ich den oder die Titel nicht abrufbereit.
Also gab das Label ja schon.
Allerdings nicht auf deutsch.

Zweiter Knackpunkt:
Wo ist denn das Alleinstellungsmerkmal?
Diese Frage bekommt jeder Autor zu hören, der seinen Roman irgendwo anbieten möchte.
Als Herausgeber einer Anthologie wird diese Frage aber geradezu existenziell.
Der Verleger will wissen, wie er das Ding überhaupt bewerben soll.
Und mit der Grundidee setzt man sich zwischen alle Stühle! Keine reine Sci-Fi, schwammige Phantastik ...

Klar, zuviele Labels können verwirren.
Aber sie können auch eine Orientierung sein. Für den Autor, er weiß somit was erwartet wird. Für den Verlag, der abschätzen kann, ob das etwas für ihn und seine Schiene ist und wie er es bewerben soll. Für den Käufer / Leser, der mit einem knackigen Begriff überhaupt erstmal auf dahin gebracht wird, den Klappentext und vielleicht auch im Buch zu lesen.

In dem Sinne finde die Belabelung zuerst einmal hilfreich.
Für alle.

Und jetzt aus jedem Romantitel oder Inhalt ein eigenes Label zu konstruieren, finde ich arg übertrieben.
Eschbach hat also mit Herr aller Dinge den "Nanopunk" entworfen, statt einfach einen Roman zu schreiben.
Tolkien hat den "Ringpunk" in die Welt gesetzt, Pabel Moewig mit NEO den "Perrypunk", und Sven mit Megafusion den "Megapunk" schlichtweg?
Eingefügtes Bild

Ne, das empfinde ich ein wenig wie das Aufstampfen eines Kindes, dass mit aller Gewalt seinen Willen durchsetzen will Eingefügtes Bild
Wer sich an Labels orientiert findet es okay, und wer sein Lesefutter nach Appetithäppchen organisiert, für den sind sie eben nutzlos.
So what?

Ich kann deine Bedenken verstehen, können Labels doch wirklich irreführen, teile sie aber nicht.
Für mich zählt rein der Inhalt.
Und so oft, wie ich schon gestärkte Schlipskragen an Regalen voller "Zombiepunk" gesehen habe, so oft habe ich auch schon langhaarige Sportstudenten bei den "Rosamunde Pilchers Punk"
Eingefügtes Bild

Mit anderen Worten:
Labels scheinen so großartig gar nicht von Interesse zu sein, wie du es befürchtest.

LG

Dirk Eingefügtes Bild

Bearbeitet von Dirk, 18 Januar 2012 - 16:42.


#44 Jakob

Jakob

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 17:16

Okay, vielleicht verstehe ich es auch einfach nicht. Wahrscheinlich gibt es tatsächlich keinen wie auch immer gearteten "Schaden" für die Phantastik, sondern das Problem ist nur, dass ich, wenn ich Sätze wie "Die erste deutschsprachige Clockpunk-Anthologie" höre, ich mich an Sätze erinnert fühle wie: "Neu: Jetzt mit 17% mehr Schoko-Chunks" oder "Sie sparen 23%"! Ich finde das in den meisten Fällen einfach nur aufdringlich.
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R. Scott Bakker

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#45 Gast_Dirk_*

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 17:29

Okay, kann ich verstehen.

Aber es ist nun einmal Fakt, das "Uhrwerk Venedig" eben die erste deutschsprachige Clockpunk-Anthologie ist.
*stolz in die Brust werf und einen blassen und auf der Brust ziemlich haarlosen King Kong gebend*

Wir waren die Pioniere, hier in Deutschland Eingefügtes Bild
Wir haben ein Land betreten, in dem vor uns noch nie ein deutschsprachiger Autor gewesen ist Eingefügtes Bild
Bis zur Unendlichkeit ... und darüber hinaus Eingefügtes Bild Eingefügtes Bild
Wir sind die Conquisatadoren, die mit eigenen Augen Eldorado erblickt haben.
Ein kleines bisschen tippen für die Autoren, ein Riesenereignis für die deutsche Phantastikszene
Der Adler ist gelandet Die Antho ist gedruckt Eingefügtes Bild
Wir waren da, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist Eingefügtes Bild
Wir haben zwar nicht den Seeweg nach Indien gesucht und Amiland entdeckt, aber immerhin Eingefügtes Bild
...
Eingefügtes Bild

Marketingregel Nummer Eins:

Tue gutes ... und sprich um Himmels Willen auch darüber Eingefügtes Bild

P.S:

Uhrwerk Venedig.
Jetzt auch mit etwa 18% mehr Dirk Ganser zwischen den Deckeln
Eingefügtes BildEingefügtes Bild

Bearbeitet von Dirk, 18 Januar 2012 - 17:30.


#46 simifilm

simifilm

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 17:41

Marketingregel Nummer Eins:

Tue gutes ... und sprich um Himmels Willen auch darüber Eingefügtes Bild


Ich denke, was man daraus lernen kann, ist, dass gewisse Marketingtechniken mancherorts durchaus kontraproduktiv wirken können. Mir geht's da ähnlich wie Jakob: Sowohl den Begriff "Clockpunk" als auch den Titel "Uhrwerk Venedig" finde ich nur albern, weil damit so offensichtlich und zugleich unoriginell an erfolgreiche Begriffe angeknüpft werden soll. Aber wenn's bei anderen seine Wirkung tut, ist's ja schön für Euch.

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#47 Gast_Dirk_*

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 17:54

Unschuldig ich bin an dieser Labelwahl, mein junger Padawan. Trotzdem zeigt eine gute Wirkung, dieses Label. Immerhin wir reden hier schon eine geraume Weile über Clockpunk und Uhrwerk Venedig. Seit 2011 jetzt schon. Du siehst, das Wirken der Macht nicht immer leicht und schnell zu durchschauen ist. ;) Ne, ernsthaft jetzt: Solche Dinger passieren auch mit schöner Regelmäßigkeit den Großen und den Könnern des Fachs. Da juckt es eigentlich keinen großartig, das Raider jetzt Twix heißt, weil das irgendwie hipper klingt. Klar, ist eine schwere Schaufel Sand, die da von den Herausgebern auf die Antho aufgeladen wurde. Aber ich finde, es gibt wahrhaft schlimmeres. Und als Beteiligter bin ich blauäugig davon ausgegangen, dass eh ein Blick ins Buch mehr sagt, als tausend Worte Klappentext oder Labels oder Werbesprüche. Da habe ich von mir und meinem Kauf- Leseverhalten auf andere geschlossen, und ergo kein Veto eingelgt. Also nehme ich es mit Humor, batele derzeit an etwas, das man als "Krakenpunk" bezeichnen könnte, liege in den letzten Zügen eines "Endzeitzombiedunklephantastikpunks"-Projekts, spiele mit dem Gedanken einen zweiten Teil zu meinem "Space Opera Punk"-Roman zu schreiben, und fühle mich bei einem Blick auf die Labels meiner Leib- und Magenbuchhandlung in guter Gesellschaft damit. Lachende Grüße Dirk (nur Schreiberling, kein Marketingexperte und kein Herausgeber ;) )

#48 Martin Stricker

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 20:12

In Bezug auf die Clockpunk-Anthologie war meine Aussage damals etwas unfair und überzogen, im Kern würde ich aber noch dazu stehen.

Ich habe gerade auch deswegen einen neuen Thread gestartet, weil ich der Emotionalität dieses Themas entkommen und Dich nicht angreifen wollte. Vielleicht hätte ich Quelle Und Autor der Aussage nicht angeben sollen... Auf jeden Fall vielen Dank für Deine ausführlichen Antworten, dadurch habe ich Deinen Standpunkt verstanden - auch wenn ich nicht unbedingt mit Deinen Schlußfolgerungen übereinstimme. Eingefügtes Bild Allerdings bin ich nur Leser, kann also nur von mir selbst versuchen Schlußfolgerungen zu ziehen. Erfahrungen auch Buchhandel oder Verlagswesen wären da sicher hilfreich.

Wahrscheinlich stammt meine Abneigung gegen Etiketten vor allem aus der Arbeit im Buchhandel, wo man doch sehr oft damit konfrontiert wird, dass LeserInnen ein Buch von vorneherein ablehnen, weil es bestimmte Genrekriterien nicht exakt erfüllt, die sie im Kopf haben.[...]
Ich glaube, die Etikettierungswut trägt zu dieser Haltung bei: Ein neues Subgenre wird "entdeckt", ein bestimmter Satz von eigentlich völlig oberflächlichen Elementen (Uhrwerke, Elfen, Vampire, Dampfmaschinen) wird ihm zugeordnet, und ein "richtiger" Roman des Subgenres ist dann einer, der sich möglichst genau an das vorgegebene Inventar hält. Ich habe den Eindruck, dass viele Leser sich dadurch in der Annahme bestärkt fühlen, dass man die Qualität von Romanen anhand von oberflächlichen Merkmalen (auftauchen von Drachen, Elfen, Uhrwerken, oder, in der SF: Wissenschaftliche Korrektkeit) beurteilen könnte, bzw. etwas abgeschwächter, dass die Qualität eines Romans als Werk innerhalb eines bestimmten Subgenres sich objektiv darüber bestimmen ließe, inwieweit er die Elemente enthält, die man im entsprechenden Subgenre vorzufinden erwartet.

Ich glaube, daß genau umgekehrt ein Schuh draus wird: Leser wollen etwas bestimmtes lesen, weil ihnen ein entsprechendes Werk gut gefallen hat (was an sich ja wenig über die Qualität des Werkes und viel über die Qualität des Lesers aussagt Eingefügtes Bild) und suchen dann gezielt danach. Label/Bezeichner/Subgenres werden dann von den Lesern erfunden, um Werke zu bezeichnen, die bestimmte Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese Bezeichner werden dann von der Verlagsindustrie aufgegeriffen, um die Leser gezielt an ihre Lektüre zu führen - meiner Meinung nach grundsätzlich zu beiderseitigem Nutzen, solange die Bezeichner korrekt verwendet werden. Auch die vorausschauende Erfindung neuer Bezeichner ist aus meiner Sicht zu beiderseitigem Nutzen, da auf diese Weise dem Leser eine Entscheidungserleichterung geboten wird. Aus meiner Sicht ist es letztlich unerheblich, ob bei Nichtgefallen der Leser nun sagt, daß Vampire in Steampunk seiner Meinung nach nicht reinpassen oder daß Vampire in die Geschichte seiner Meinung nach nicht reinpassen. Es handelt sich um den persönlichen Geschmack des Lesers, der meiner Meinung nach vom Label nicht verändert wird - mein Geschmack ist jedenfalls labelunabhängig. Eingefügtes Bild Mag sein, daß ich da die Ausnahme bilde...

Gerade an Rezensionen merkt man m.E. oft, dass Rezensenten ein Buch als schlecht abqualifizieren, weil es nicht exakt dem Schema eines bestimmten Subgenres folgt.

Das ist einfach eine schlechte Rezension. Ich bemühe mich (hoffentlich erfolgreich), das Werk als solches zu besprechen. Wenn da ein meiner Meinung nach unzutreffendes Label draufpappt, weise ich darauf natürlich hin, aber das ändert an meiner Bewertung des Werks nichts. Es kann natürlich sein, daß ich durch den Etikettenschwindel ein Werk gelesen habe, das meinen Geschmack nicht trifft und das ich bei korrekter Einsortierung nie gelesen hätte. Solch ein Werk wird von mir eine eher negative Besprechung erhalten, aber nicht aufgrund des falschen Labels, sondern weil es mir nicht gefallen hat. (Ich weiß, daß meine Rezis subjektiv sind. Ich versuche, möglichst objektiv zu bleiben, aber ich sehe mich außerstande, Kunst rein objektiv zu beurteilen, da es nach meiner Ansicht das Wesen der Kunst ist, subjektiv konsumiert zu werden).

Mag sein. Trotzdem halte ich die gegenwärtige Tendenz in der SF/Fantasy, aus jeder neuen Setting-Idee gleich wieder ein neues Genre machen zu wollen, für ungut, unabhängig, davon, wie lange diese Etikettierung denn bestand hat: Sie führt meiner Meinung nach nämlich auch dazu, dass viele AutorInnen übertrieben auf oberflächliche Gimmicks achten, entweder, weil sie für ein bestimmtes Genre schreiben wollen oder weil sie gerne ein bestimmtes Genre neu erfinden wollen. Da wird Energie an der falschen Stelle investiert: Der Ansatz "ich schreibe mal was Viktorianisches mit Uhrwerken" ist im Prinzip nicht besser und nicht schlechter und auch nicht kreativer als "ich schreibe mal was Interplanetares mit Raumschiffen" oder "ich schreibe mal was, wo der Gute ein Dunkelelf ist". Ich habe oft den Eindruck, dass sich AutorInnen und LeserInnen genau über diesen Kram den Kopf zerbrechen, den ich für völlig zweitrangig halte.
Tolle Autoren wie Samuel Delany erfinden eben nicht unbedingt neue Genres, die greifen einfach z.B. wie in "Neveryona" Sword & Sorcery und machen etwas Eigenes damit. Das, was daran neu und anders ist, lässt sich meistens eh nicht durch die Einführung einer neuen Unterkategorie erfassen.

So wie ich es verstehe, widerlegst Du Dich gerade selbst. Eingefügtes Bild Ein Autor, der die Konformität zu irgendwas in den Vordergrund stellt anstatt die Geschichte, die er erzählen will, geht meiner Meinung nach falsch vor (ich will nicht so weit gehen, daran grundsätzlich schlechte Autoren zu erkennen). Die Geschichte sollte im Mittelpunkt stehen, der Bereich, zu dem sie dann gehören wird, entwickelt sich dann daraus. Die Einsortierung des Werks in Genre(s) gehört ans Ende des Prozesses, nicht an den Anfang. Wenn freilich der Verlag den Autor zu so etwas zwingt oder der Autor meint, sich einem solchen Zwang unterwerfen zu müssen (solche Zwänge können auch von Lesern ausgehen, die vom Autor immer wieder ähnliche Werke haben wollen statt zu akzeptieren, daß ein Autor auch Anderes kann und möchte), dann liegt hier tatsächlich ein Schaden vor. Ich bezweifle aber, daß das Label Ursahe des Schadens ist, denn meiner Meinung nach ist die Ursache der Wunsch nach ähnlichem Lesefutter, das Label allerhöchstens ein Indikator für diesen sowieso vorhandenen Trend.

Nun ja … Verne war sicher enorm einflussreich. [...] Die langen populärwissenschaftlichen Ausführungen sind doch ziemlich bemühend.

Und gerne mal falsch, selbst nach dem Kenntnisstand der damaligen Zeit...

Ich sehe durchaus Potenzial für einen Schaden. Zumindest für mich als Leser. Ich kann mir nämlich gut vorstellen, dass es nicht wenig Autoren gibt, die beim Schreiben immer diese Labels im Kopfe haben und sich dadurch einschränken lassen. Ebenso gibt es sicherlich auch Vorgaben der Verlage oder Agententen in die Richtung, "das muss Raus, dass würde die Hardcore-SF-Mantasyleser nicht aktzeptieren" oder "mit diesen Elementen wissen wir nicht, wie wir es vermarkten sollen".

Ich verstehe, was Du meinst, glaube aber, daß dieser Schaden durch den Wunsch nach Ähnlichem entsteht, nicht durch das Label, das darauf gepappt wird, um dem Leser diese Ähnlichkeit zu vermitteln. Um diese Problematik zu entschärfen, müßten den Lesern Erwartungshaltung und persönlicher Geschmack abgewöhnt werden. Ich bezweifle, daß das eine gute Idee wäre...

Das Problem sind in meinen Augen nicht die Leser, sondern das "System", so geschwollen das jetzt auch klingen mag. Es ist ja z.B. schön, wenn die Leute Spannung wollen - dummerweise bekommen sie unter den verschiedenen Labels der Spannungsliteratur aber gerade das nicht, weil die Autoren offenbar zu beschäftigt sind, im Auftrag ihrer Agenten Checklisten abzuhaken, anstatt mal einen knackigen Spannungsbogen zu entwickeln. Es geht mir hier gar nicht um high-brow vs. low-brow, es geht darum, dass (selbstverständlich) versucht wird, gleich eine ganze Marke zu verkaufen anstelle des einzelnen Produkts. Gerade die kleinen versuchen das dann oft um so nachdrücklicher, um dadurch irgendwie eine relevante Position im Gesamtmarkt behaupten zu können.

Prinzipiell hast Du recht, aber erneut ist nicht das Label Ursache, sondern der Leser, denn die Leserschaft ist immanenter Bestandteil des "Systems" - bedienen Autor und Verlag die Wünsche der Leserschaft nicht, verkaufen sie nichts. Ich gebe Dir aber recht, daß sich in diesem "System" eine Feedbackschleife entwickeln kann, der das Label als Verstärkungsfaktor oder gar als Auslösefaktor dient. Auf Deutsch: Die Existenz des Labels könnte dazu führen, daß mehr Leser Werke mit diesem Label kaufen, woraufhin dann weitere Autoren/Verlage am Erfolg dieses Labels teilhaben wollen und sich dadurch eine Art Hype aufschwingt. Ich bezweifle aber, daß das Label bzw. seine Existenz einen sonderlichen Einfluß auf diesen Hype hat, da dieser einen Bedarf der Leserschaft wiederspiegelt und sich daher auch ohne Label entwickeln würde (dann hieße es eben "das Buch ist so ähnlich wie..."). Die Intensität mag durch das Label erhöht werden, der grundsätzliche Effekt ist aber meiner Meinung nach davon unabhängig.

Hm. In dem Augenblick, in dem ich einem Roman ein Lapel aufdrücke - Steampunk als Beispiel - mache ich ihn für alle interessant, die sich dafür interessieren. Und für alle anderen uninteressant. Ohne Label ist vielleicht schlauer (dass man ein Stückweit im Klappentext immer etwas raus lassen muss, okay, und eine Unterteilung in SF, Fantasy und Horror ist vielleicht so doof auch nicht; aber sonst würde ich das eher nicht gut finden).

Ich glaube, es ist genau umgekehrt, denn ob ein Buch für einen Leser interessant ist, liegt ja nicht am Label, sondern am Geschmack des Lesers. Wenn ein Roman das korrekte Label trägt, haben die Leser, die an dieser Art Geschichte interessiert sind, eine größere Chance, das Buch zu finden und zu kaufen, sowie diejenigen, die sowas nicht mögen, die Chance, das Buch und somit einen Fehlkauf zu vermeiden. Ein Fehlkauf ist meiner Ansicht nach für Autor und Verlag schlimmer als ein nicht verkauftes Buch, denn der Fehlkauf führt leicht zu negativer Propaganda, und negativ besetzte Emotionen bleiben stärker im Gedächtnis haften als positive. Diejenigen, die zum verwendeten Label keine Meinung haben, werden (jedenfalls ist es bei mir so) durch das Label eher neugierig gemacht als wenn überhaupt nicht erkennbar ist, in welche Kategorie das Buch gehört. Ich kann längst nicht alles lesen, was an möglicherweise interessantem Stoff erscheint. Kann ich also ein Buch nicht sofort als mit hoher Wahrscheinlichkeit für mich geeignet identifizieren, bleibt es ungekauft, da es genügend anderes Material gibt und ich keine Lust habe, meine knappe Freizeit mit etwas zu verschwenden, das mir nicht gefält.

Bestimmte Labels halte ich für notwendig und finde ihr Fehlen ärgerlich. Aber eigentlich nur in Bezug auf den Besuch von echten Buchhandlungen. Dort möchte ich im SF-Regal genau das finden und keine Krimis. Den Großteil meiner Lektüre wähle ich aber inzwischen nach den Labels aus, die ihr durch Internet-Quellen verliehen wurden, etwa durch dieses Forum.

Ich halte die Labels auch in Internetbuchhandlungen für notwendig - ob ich nun persönlich oder online stöbere, die Frage ist in beiden Fällen dieselbe: Wird mir dieses Buch gefallen? Die möchte ich schnell und ohne großen Aufwand mit hinreichender Sicherheit beantworten können. Ist das nicht möglich, wird das Buch halt nicht gekauft, ews gibt ja genügend andere, die sich weniger unfreundlich verhalten. Ich sehe es als Dienstleistung am Kunden, eine Ware leicht einschätzbar zu präsentieren.

Bestes Beispiel für unnötige Labels ist ja gerade "Steampunk". Es beschreibt eher ein technologisches Setting als die literarische Herangehensweise.

Das halte ich für eine äußerst gewagte Behauptung. "Steampunk" ist ebenso ein auf den *Inhalt* bezogenes Label wie "SF", "Space Opera" etc, nur mit enger gezogenen Grenzen. Keines dieser Label sagt estwas über die literarische Herangehensweise aus, dafür müßtest Du nicht Literaturgenres, sondern Literaturgattungen verwenden (und die gehen dann quer durch sämtliche Genres).

Aber sie können auch eine Orientierung sein. Für den Autor, er weiß somit was erwartet wird. Für den Verlag, der abschätzen kann, ob das etwas für ihn und seine Schiene ist und wie er es bewerben soll. Für den Käufer / Leser, der mit einem knackigen Begriff überhaupt erstmal auf dahin gebracht wird, den Klappentext und vielleicht auch im Buch zu lesen.

Genau. :)

[...]das Problem ist nur, dass ich, wenn ich Sätze wie "Die erste deutschsprachige Clockpunk-Anthologie" höre, ich mich an Sätze erinnert fühle wie: "Neu: Jetzt mit 17% mehr Schoko-Chunks" oder "Sie sparen 23%"! Ich finde das in den meisten Fällen einfach nur aufdringlich.

Da hast Du in der Tat recht. Aufdringlich ist das. Das ist das Wesen der Werbung... :P

Ein mir wichtiger Punkt ist, daß ein Werk durchaus mehr als einem Subgenre angehören kann und dann auch entsprechend gekennzeichnet werden sollte. Das würde auch die Notwendigkeit der ständigen Erfindung neuer Bezeichner verringern - Horror und Romanze statt "Dark Fantasy".

Ich möchte mich bei allen Diskutanten für ihre Beiträge bedanken, ich habe jetzt verstanden, warum Genrelabel als schädlich wahrgenommen werden können. Persönlich stimme ich dieser Wahrnehmung nicht zu, da nicht das Label die Ursache der Probleme ist, sondern die Gesamtheit der Leserschaft und ihr Wunsch nach neuem Lesestoff, der bereits bekannten und für gefällig befundenen Werken ähnlich sein soll. Um diesem Problem entgegenzuwirken, müßte im Leser Neugierde auf etwas neues entfacht werden, das Entfernen der Label hätte dagegen meiner Meinung nach nur Unzufriedenheit beim Kunden zur Folge.

Bearbeitet von Martin Stricker, 18 Januar 2012 - 20:26.


#49 Ming der Grausame

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 20:13

Ja, das mit Gattung und Genre ist alles ein bisschen durcheinander, ich bin mir nicht ganz sicher, worauf du mit dem Gattungsbegriff hinaus willst. Ich sehe SF deshalb als "Modus", weil der Begriff meiner Meinung nach am aussagekräftigsten ist

Worum es mir ging, ist Folgendes: Ein Genre hat tendenziell eher ein ausschließender Charakter, betont also primär die Andersartigkeit, während eine Gattungsbezeichnung tendenziell eher einschließend ist, also primär die Ähnlichkeit hervorhebt. Daher tendiere ich dazu, Science-Fiction eher als eine Gattung statt als Genre aufzufassen. Wobei ich mir durchaus bewusst bin, dass die klassische Literaturgattung nur Dramatik, Epik und Lyrik umfasst und alles andere schlicht zum Genre deklariert wird.
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#50 Martin Stricker

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 20:34

Worum es mir ging, ist Folgendes: Ein Genre hat tendenziell eher ein ausschließender Charakter, betont also primär die Andersartigkeit, während eine Gattungsbezeichnung tendenziell eher einschließend ist, also primär die Ähnlichkeit hervorhebt. Daher tendiere ich dazu, Science-Fiction eher als eine Gattung statt als Genre aufzufassen. Wobei ich mir durchaus bewusst bin, dass die klassische Literaturgattung nur Dramatik, Epik und Lyrik umfasst und alles andere schlicht zum Genre deklariert wird.

*grübel* "SF" ist also einschließend, "Steampunk" ausschließend? Verstehe ich nicht. "SF" schließt genauso alles, was SF ist, ein und alles, was keine SF ist, aus, wie "Steampunk" alles, was Steampunk ist, einschließt und alles, was kein Steampunk ist, ausschließt. Ich sehe hier keinen qualitativen Unterschied, nur einen quantitativen (SF schließt ein breiteres feld ein als Steampunk). Meine Definition von Genre und Gattung (die durchaus völlig falsch sein kann), ist diese: Ein Literaturgenre faßt Werke ähnlichen Inhalts, ähnlicher Topoi zusammen, während eine Literaturgattung ähnliche literarische Herangehensweisen (im Fall der Dramatik ähnliche Erzählarten) zusammenfaßt.

Bearbeitet von Martin Stricker, 18 Januar 2012 - 20:35.


#51 Ming der Grausame

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 20:36

Da juckt es eigentlich keinen großartig, das Raider jetzt Twix heißt, weil das irgendwie hipper klingt.

Ich schrieb bereits, dass es immer einfacher sei, das Label zu wechseln als das jeweilige Produkt. Man kann ein Produkt sogar unter unendlich viele Labels verkaufen und niemand würde merken, dass sie alle nur dasselbe bekommen.

Label/Bezeichner/Subgenres werden dann von den Lesern erfunden, um Werke zu bezeichnen, die bestimmte Gemeinsamkeiten aufweisen.

Wer auch immer glaubt, dass Labels und Subgenres von den Lesern erfunden werden, kann man wohl auch einen besonders teuren Spezialkühlschrank für den Nordpol verkaufen. Glaube mir, hinter all den Labels und Subgenres steckt in der Regel eine Menge professionelles Marketing. Eingefügtes Bild

Bearbeitet von Ming der Grausame, 18 Januar 2012 - 20:48.

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#52 simifilm

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 20:44

Meine Definition von Genre und Gattung (die durchaus völlig falsch sein kann), ist diese: Ein Literaturgenre faßt Werke ähnlichen Inhalts, ähnlicher Topoi zusammen, während eine Literaturgattung ähnliche literarische Herangehensweisen (im Fall der Dramatik ähnliche Erzählarten) zusammenfaßt.


Das Verhältnis von Gatttung und Genre wird ja nach Ansatz ganz unterschiedlich gehandhabt und ist auch stark sprachabhängig. So gibt es in vielen Sprachen gar keine zwei Begriffe; zB. spricht man sowohl im Englischen als auch im Französischen immer nur von "genre".

Die Unterteilung in "Epik", "Dramatik" und "Lyrik", die sogenannten Naturformen, geht ursprünglich auf Goethe zurück. In vielen Gattungstheorien, bilden diese zwar auch heute noch die oberste Stufe, diverse andere Gruppen werden aber auch als Gattung bezeichnet. Und vielerorts wird gar nicht explizit zwischen Gattung und Genre unterschieden.

(Kleines Beispiel: Todorov spricht in seiner Einführung in die phantastische Literatur im französischen Original vom genre der littérature fantastique. In der deutschen Übersetzung wird das dann mit "Gattung" übersetzt. Uwe Durst, der Todorov in vielen Punkten folgt (und es mit Begriffen eigentlich sehr genau nimmt), spricht in seiner Theorie der phantastischen Literatur hingegen vom Genre der phantastische Literatur, ohne dass er den Begriffswechsel irgendwie begründet. Das ist durchaus nicht als Kritik an Durst gemeint, sondern soll nur zeigen, dass die Begriffe oft austauschbar sind).

Bearbeitet von simifilm, 18 Januar 2012 - 20:46.

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Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.

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#53 Ming der Grausame

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Geschrieben 18 Januar 2012 - 21:13

*grübel* "SF" ist also einschließend

Ja und es ist definitiv, wie ich bereits unter #39 schrieb, der Vollzug eines theoretischen Programms, nämlich der spekulativen Phantastik. Und Steampunk schließt sich insoweit daraus aus, als es sich auf ein ganz enges Feld darin einschränkt.

Bearbeitet von Ming der Grausame, 18 Januar 2012 - 21:14.

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#54 Jakob

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Geschrieben 19 Januar 2012 - 09:33

Ich verstehe, was Du meinst, glaube aber, daß dieser Schaden durch den Wunsch nach Ähnlichem entsteht, nicht durch das Label, das darauf gepappt wird, um dem Leser diese Ähnlichkeit zu vermitteln. Um diese Problematik zu entschärfen, müßten den Lesern Erwartungshaltung und persönlicher Geschmack abgewöhnt werden. Ich bezweifle, daß das eine gute Idee wäre...


Siehst du, ich denke, dass es in vielen Fällen genau umgekehrt läut: Große wie kleine Verlage und sogar Autoren betreiben doch ständig Trendsuche. Dabei muss es nicht immer um die Erfindung eines neuen Subgenres gehen, manchmal reicht auch ein Element (Vampire, Zombies, Orks ...). Oft knüpfen sie dabei natürlich an Erfolgreiche Bücher an, manchmal versuchen sie auch, einfach so einen Trend aus der Taufe zu heben (ich erinnere mich an die zahlreichen Verlagsvertreter, die mir vor gut zwei Jahren weismachen wollten, nach den Vampiren kämen jetzt die Engel - lustigerweise der Totalflopp ...). Die besonders hoffnungsvollen Herausgeber, Verlage und Autoren machen durchaus was neues, in der Hoffnung, damit den nächsten großen Trend mit-loszutreten, aber eben immer schon mit einem Auge auf die Frage nach Kategorisierbarkeit und Anschlussfähigkeit. Ich bin durchaus der Überzeugung, dass diese Perspektive auch das Verhalten von Autoren und Herausgebern beeinflusst, und dass das Label eben nicht immer "hinterher" kommt, sondern allzu oft eine Kopfgeburt von Leuten ist, die - nicht unbedingt aus kommerziellem Interesse, sondern vielleicht durchaus aus authentischer Begeisterung für's kreative Schaffen - etwas "wichtiges Neues" (und nicht einfach "nur" eine Geschichte) schaffen wollen, was von den Leuten auch sofort als "neu" erkannt und gewürdigt wird.
Für mich hat das etwas enorm Krampfhaftes. Es ist ja nichts verwerfliches daran, dass der Buchmarkt ein Markt ist, kommerziellen Gesetzen gehorcht und dass kommerzielle Verlage sich bemühen müssen, Trends zu erkennen, Trends zu setzen und Markennamen zu etablieren. Wenn die den Zombietrend- und den Steampunk-Trend ausrufen, soll's mir egal sein, und ich kann mich immer über die paar nicht-derivativen Werke freuen, die in der Welle mitschwimmen. Aber warum müssen Kleinverlage sich denn auch noch als Trendsetter bewerben? Das wirkt so verzweifelt. Als hätte man kein Vertrauen in die Qualität der eigenen Arbeit und müsste den Kunden weismachen, dass sie eine ganz wichtige Entwicklung verpennen, wenn sie JETZT! NICHT! ZUGREIFEN!
Warum neue Entwicklungen nicht einfach unbestimmt lassen, abwarten, ob sich ein stabiles Subgenre hinauskristallisiert, ob tatsächlich die LESER dem Subgenre einen Namen geben, ob es vielleicht auch eine andere Form annimmt als erwartet. Aber meistens sind es doch Herausgeber oder Autoren, die neue Genres "entdecken" und möglichst schnell formalisieren, um nur ja die Bedeutungshoheit über einen Trend zu behalten, den sie ganz vielleicht angestoßen haben und der ganz vielleicht einmal der große neue Megaerfolg wird ...
Sorry, aber so stellt es sich für mich dar. Jede mehr oder weniger gute Settingidee muss sofort zur Marke (und damit oft genug zum neuen Genre) erklärt werden, anstatt sie einfach mal für sich stehen zu lassen und abzuwarten, was mit ihr passiert.
"If the ideology you read is invisible to you, it usually means that it’s your ideology, by and large."

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#55 Ernst Wurdack

Ernst Wurdack

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Geschrieben 19 Januar 2012 - 10:08

Aber warum müssen Kleinverlage sich denn auch noch als Trendsetter bewerben? Das wirkt so verzweifelt. Als hätte man kein Vertrauen in die Qualität der eigenen Arbeit...

Das wirkt nicht nur verzweifelt, das ist im Wesentlichen pure Verzweiflung. Bei der ganzen Diskussion sollte man nicht übersehen, dass der Autor die Marke ist. Und sonst gar nichts! Starke Autoren lassen sich verkaufen, egal ob sie in der aktuellen Trendwelle schwimmen oder nicht. Sie sind in den Köpfen der Leser verankert. Lohnschreiber, die (häufig gut verkäufliche) Massenware in Fließbandarbeit produzieren, brauchen und suchen Trends, sonst gehen sie unter und müssen sich einen anderen Job suchen. Und wenn man mit Nonames (bitte nicht als abwertend verstehen) ein Buch produziert - den meisten kleinen Verlagen bleibt gar nichts anderes über -, dann hat man keine Marke und versucht dies und das und jenes. Anstatt einzelne, wirklich gute Autoren gezielt zu suchen und über einen längeren Zeitraum hinweg als Marke aufzubauen. Das funktioniert auch im Kleinverlag und bei Nischenliteratur. Und es funktioniert über Genregrenzen hinweg.

#56 Heidrun

Heidrun

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Geschrieben 19 Januar 2012 - 10:15

Die Unterteilung in "Epik", "Dramatik" und "Lyrik", die sogenannten Naturformen, geht ursprünglich auf Goethe zurück. In vielen Gattungstheorien, bilden diese zwar auch heute noch die oberste Stufe, diverse andere Gruppen werden aber auch als Gattung bezeichnet. Und vielerorts wird gar nicht explizit zwischen Gattung und Genre unterschieden.

Danke dafür. Ich fing an, an meinem Gedächtnis zu zweifeln, denn genau das habe ich in der Schule gelernt. Jetzt lerne ich, dass alles relativ ist.

Mir gehen die "Irgendwaspunk"-Label auch auf die Nerven. Das schreckt mich ebenso ab wie das notorische Dan-Brown-Rot, weil ich das Gefühl habe, da will mir jemand auf Teufel komm raus was als wichtig verkaufen. Wieso muss alles "Punk" sein? Mir fallen da bevorzugt chaotisch gekleidete Jugendliche mit grünen Frisuren und zu viel Eisen im Gesicht ein. Andererseits finde ich es nach dieser Diskussion hinreichend lustig und verheißungsvoll für meinen nächsten Klappentext. Schlurpschneckenpunk fehlt uns noch.
"Große" Genrse wie Krimi, Liebesroman, historischer Roman oder eben SF finde ich dagegen schon hilfreich, weil ich ungefähr weiß, in welches Regal ich schauen soll. Das Pilcher-Regal kann ich auslassen ... Aber mir ist sowas von egal, ob es nun eine Untergruppe Katzenkrimis, Schafkrimis oder Literatur für kurzhaarige, dicke Hunde gibt ...

Mein letztes Manuskript rief bei meinem durchaus toleranten Verleger zuallererst die Frage hervor: "Was ist das jetzt eigentlich?" Nach meiner Antwort kam die zweite, etwas entnervte Frage: "Und wie soll ich das den Barsortimenten verkaufen???" Vielleicht sollte ich ihm empfehlen, es Ghost-Punk zu nennen. Eingefügtes Bild
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#57 Ernst Wurdack

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Geschrieben 19 Januar 2012 - 10:24

Mein letztes Manuskript rief bei meinem durchaus toleranten Verleger zuallererst die Frage hervor: "Was ist das jetzt eigentlich?" Nach meiner Antwort kam die zweite, etwas entnervte Frage: "Und wie soll ich das den Barsortimenten verkaufen???" Vielleicht sollte ich ihm empfehlen, es Ghost-Punk zu nennen. Eingefügtes Bild

Wo ist hier das Stinkefinger-Icon?Eingefügtes Bild
Zuerst als Fantasy anpreisen, dann als pseudohistorischer Roman, als Entwicklungsroman, als ...
Glücklicherweise wird sich ab März unser neuer Praktikant um dich und diese Fragen kümmern.
Vermutlich werden wir es nur ROMAN nennen. Ken Genre, kein Label.
Sorry für das Eingefügtes Bild , aber die Marke HEIDRUN JÄNCHEN hat mich wieder mal herausgefordert ...

#58 Heidrun

Heidrun

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Geschrieben 19 Januar 2012 - 12:23

Ernst, man darf keine Gelegenheit auslassen, auf ein im Entstehen begriffenes Buch hinzuweisen. Eingefügtes Bild Vielleicht könnten wir noch ein "phantastisch" hinzufügen, das passt immer. Oder Label zum Abreißen wie bei den Studentenanzeigen am Schwarzen Brett (Biete Tisch mit vier verschieden langen Beinen und einen Bronstein zum Unterlegen, Kontakt unter ...). Heidrun-Punk geht natürlich auch, obwohl keine Leute mit grünen Haaren darin vorkommen. Immerhin steckt in mancher der Figuren gelegentlich zu viel Eisen ... Vielleicht auch "Definitiv kein Weicheier-Roman". Eingefügtes Bild
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#59 lapismont

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Geschrieben 19 Januar 2012 - 13:14

Ob die Haare nun orange oder grün sind, ist doch egal. Nenn es Karotten-Punk...

Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.

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Geschrieben 19 Januar 2012 - 15:14

Hallo Jakob,



Baukasten geht ja auch noch - man kann durchaus gute Werke "nach Schema" produzieren. Das Problem ist in meinen Augen das übertriebene Markennamentheater anhand der Settings.
SF halte ich z.B. deshalb für ein recht sinnvolles Etikett, weil es meistens eher einen Modus als ein Setting beschreibt. D.h. man bekommt eine grobe Vorstellung mit, um welche Art von Literatur es sich handelt - das ein SF-Werk z.B. mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Konzept spekulativ erforscht (sei es die Zeit, Ent-/Kopplung von Bewusstsein im Körper, Kommunikation mit dem Fremden) und nicht nur Figuren. "Clockpunk" heißt dagegen doch scheinbar nur: "Irgendwas viktorianisches mit Uhrwerken, und ein bisschen abgedreht". Das ist aber keine Art von Literatur, das ist ein einerseits sehr spezifischer und andererseits sehr beliebiger Inhalt. Anders ausgedrückt: Für mich hat das Label null Informationswert mit Ausnahme dessen, dass ich vermuten muss, dass hier mehrheitlich Autoren am Werk sind, die es vor allem wichtig finden, ob der Roboter in ihrer Geschichte mit einem Uhrwerk oder mit Schaltkreisen läuft. Was mir wiederum ziemlich schnurz ist.


muss ein Label Informationswert haben?

Wenn ich mich über ein Buch informiere, dann doch nicht anhand dessen was da als buntes Sprüchlein draufpappt. Anhand des Klappentextes entscheide ich, ob mich das Buch thematisch interessiert. Und an Hand der Leseprobe, ob es mir stilistisch zusagt. Worüber ich überhaupt nicht spekuliere, ist die Motivlage der Autor/innen oder des Verlages.

Andere machen das so oder ähnlich, andere lesen fast nur preisgekrönte Bücher, andere orientieren sich an Label-Etiketten. Wie und wo kann da ein Schaden entstehen?

Apropos Label ... Da gibt es doch bei uns im Städtchen in einer Großbuchhandlung ganz frisch einen halben Tisch voll mit Büchern, die Steampunk sein könnten. Steht gemeinerweise aber nicht drauf oder dran. Klappentexte, Leseproben und Titelbilder legen aber den Schluss nah. Für die, die solche Bücher gerne lesen, ist das schon eine nette Findehilfe. Und für die, die die erste Clockpunk-Anthologie gut fanden, wird es eine Hilfe sein, wenn weitere Clockpunk-Bücher sich entsprechend bemerkbar machen.

*kopfpatsch* Gerade fällt mir ein, dass ich 'ne Zeitlang mit dem Gedanken gespielt habe, bei Mys Vatikan-Punk Ausschreibung einen Text einzureichen. Blöderweise kannte ich mich mit dem in der Ausschreibung genannten Steampunk-Hintergrund gar nicht aus. Also habe ich recherchiert, was es denn in der Richtung so alles gab und gibt. So'n Tisch hätte mir die Suche gewaltig erleichtert. Oder "Hier ist Steampunk drin"-Aufkleber oder so.

Viele Grüße
Tobias
"Wir sind jetzt alle Verräter."
"Ha!", machte die alte Dame. "Nur wenn wir verlieren."

(James Corey, Calibans Krieg)

"Sentences are stumbling blocks to language."

(Jack Kerouac in einem Interview mit der New York Post, 1959)

"Na gut, dann nicht, dann bin ich eben raus
Ich unterschreib' hier nichts, was ich nicht glaub'
Na gut, dann nicht, nicht um jeden Preis
Ich gehöre nicht dazu, das ist alles was ich weiß"

(Madsen, Strophe 1 des Songs "Na gut dann nicht")
  • (Buch) gerade am lesen:Ich lese zu schnell, um das hier aktuell zu halten.
  • • (Film) gerade gesehen: Umbrella Academy (finale Staffel)


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