Zumindest was SF betrifft gibt es eine weitere geläufige These, warum diese von den
*Ernst-Literaturverköstern* gemieden und (aufgrund eines Minderwertigkeitskomplexes besonderer Art) schlecht gemacht wird: unzureichende naturwissenschaftliche Kenntnisse! (Wovon man nur mangelnde Kenntnis hat, damit kann man auch schlecht jonglieren.)
Ich glaube Brian Aldiss hat schon vor längerer Zeit darüber mal einen feinen Aufsatz geschrieben (
den ich übrigens in einem Sammelband zu einem Funkkolleg des Hessischen Rundfunks über Erzählwelten gefunden habe!!! Es gibt immer auch löbliche Gegenbeispiele zur angenommenen Phantastik-Blindheit unseres kulturellen Establishments!!!!!), wie Literaturprofs zwar in der Lage sind, locker die obskursten Shakespeare- und Dante- oder T. S. Eliot-Spurenelemente bei zeitgenössischer ernster Literatur aufzuspüren und entsprechend Genuss daraus schöpfen, aber es kaum gebacken bekommen, die einfachsten spekulativen Vorstellungen, die in einem SF-Roman vorkommen nutzbringend umzusetzten. Hier sind wir dann beim alten Fremdeln und Kabbeln zwischen den beiden wissenschaftlichen Häusern (exakte und Naturwissenschaften einseits; Sozial- und Geisteswissenschaft andererseits). Ich selbst sitzte auch hier gerne zwischen den Stühlen.
Übrigens trifft man auf dieses Argwöhnen gegenüber Literatur, die andere Kenntnisse zum Genuss voraussetzt als jene, die dem klassischen Belletristik-Bildungsbürgertum geläufig sind, auch auf Gebieten außerhalb der SF, z.B. gegenüber Romanen, die mit Gusto in die ganze popkulturelle Moderne greifen, oder modernste vom Informationszeitalter geprägte Lebenswelten schildern (obwohl: nach meinem Verständnis haben solche Romane oftmals ein Flair, dass der SF oder Phantastik bereits ähnelt ... aber es bereitet mir z.B. Kummer, wie stiefmütterlich die brillanten Werke von jemandem wie Douglas Coupland hierzulande besprochen werden).
Schließlich gibt es schlichtweg eine am bürgerlichen Realismus ausgerichtete Wahrheits- (besser noch: Wahrhaftigkeits- und daran hängende Relevanz-)Tradition. Zu den Lücken dieser, habe ich letztens ein nettes Zitat gefunden in dem enormen Buch über Geschichte und Idee des sozialen Fortschirtts
»Der Implex« von Dietmar Dath und Barbara Kirchner (S. 801 f.):
{…}; sie {die ›normative Kraft des Faktischen‹} ist selbst für so subtile Dinge verantwortlich wie die Unfähigkeit der Dichterinnen und Dichter des Realimus und des Naturalismus im neunzehnten Jahrhundert, zu erkennen, daß ihre Kunstpraxis dem eigenen Anspruch auf Wiedergabe von Verhältnissen und Ereignissen der bürgerlichen Welt nicht gerecht werden konnte, solange sie nicht den Gedanken aufnahm, daß eine realistisch dargestellte menschliche Welt immer auch die Phantasien der Leute mitdarstellen muß, die diese Welt machen, wenn auch nicht aus freien Stücken, und zwar vernünftig-konstruktive wie auch abwegige Phantasien, also, um in Genres zu reden, Science-fiction ebenso wie Fantasy und Horror.
Grüße
Alex / molo
Bearbeitet von molosovsky, 08 Juli 2012 - 14:25.