Der Tenor ist ja schon da, und ich möchte mich auch in die Reihen der EU-Befürworter (und nicht nur EU-Nichtablehner) einreihen. Für mich ist glasklar erkenntlich (und mit entsprechenden Recherchen sicherlich auch nachvollziehbar), dass es letztlich einzelne Mitgliedsstaaten sind, die aus einer guten EU-Idee etwas Verhunztes machen, weil sie meinen, sie müssten wieder ihre eigenen Bröckchen in die Suppe verbringen. In meinen Augen leidet die EU sehr stark unter oft genug völlig überflüssigen Eigenständigkeitsbestrebungen.
Das scheint mir nicht das eigentliche Problem; und stärkere Integration ist zum aktuellen Zeitpunkt sicher nicht das geeignete Gegenmittel. Selbst wenn diese theoretisch sinnvoll sein sollte - derzeit stehen die politischen Zeichen einfach anders, und ein Druck zu stärkerer Integration würde wohl vor allem noch heftigere Gegenreaktionen erzeugen (dass jedes Land zuerst auf die eigenen Interessen schaut, ist nur normal. So funktioniert Politik in 99% der Fälle).
Das Problem der EU - wenn es überhaupt so etwas wie ein einziges, zentrales gibt - ist wohl eher, dass die aktuellen Strukturen für die aktuelle Grösse und Vielzahl von Mitgliedern nicht mehr funktionieren. Diverse Dinge können nur mit Einstimmigkeit oder qualifizierter Mehrheit entschieden werden, was Veränderungen schwierig macht und fast automatisch dazu führt, dass einzelne Länder über Gebühr Einfluss nehmen, sprich: die übrigen Länder erpressen können. Zugleich führt es zu so absurden Situation, wie 2008, als Irland in einem Referendum den Vertrag von Lissabon ablehnte. Dieses Szenario war schlicht nicht vorgesehen, also musste die Abstimmung ein Jahr später wiederholt werden. So etwas ist absurd - abgestimmt werden darf nur, wenn uns das Ergebnis passt - und führt sicher nicht zu mehr Vertrauen in die EU.
Die Lösung darf in meinen Augen aber nicht sein, dass alle zu mehr Integration gezwungen werden und alles mit einfachem Mehr entschieden werden kann (oder dass beispielsweise eine Abstimmung wie jene in Irland in Zukunft nicht mehr möglich wäre), denn das würde nur dazu führen, dass kleine Länder fortlaufend überstimmt würden, was demokratietechnisch problematisch und die Zufriedenheit ebenfalls nicht erhöhen dürfte. Die Lösung liegt - wenn überhaupt - wohl eher in einem flexibleren Gebilde, das je nach Gebiet und Thema unterschiedliche Stufen der Integration erlaubt. Wie schon in meinem ersten Post in diese Thread geschrieben: Im besten Fall führt der Brexit dazu, dass ein Reformprozess in Gang gesetzt wird, der am Ende in eine flexiblere EU mündet. Allzu optimistisch bin ich allerdings nicht.
EDIT: Obwohl ich nicht sonderlich optimistisch, halte ich Klagen oder Jubelschreie über das angebliche "Ende der EU" für ziemlich weltfremd. Selbst wenn es die EU in ihrer heutigen Form in 20 Jahren nicht mehr geben sollte, an ihre Stelle werden sicher nicht völlig autonome Nationalstaaten treten. Grosse Teile der europäischen Integration sind unbestritten und es wäre in niemandes Interesse, wenn es plötzlich wieder überall Grenzkontrollen oder verschiedene Normen für elektrische Stecker oder den Krümmungsgrad von Gurken geben würde.
Bearbeitet von simifilm, 11 Juli 2016 - 09:25.