Geschrieben 04 November 2012 - 08:31
Lästern ist eine menschliche Eigenschaft; ich bin sicher, es gibt fundierte Untersuchungen über Gründe und Bedeutung des Lästerns für den Menschen an sich und seine geistige und seelische Gesundheit.
Lästern ist das zentrale Element des Kabaretts, angefangen vom hochpolitischen über das soziologische und gesellschaftspolitische Kabarett bis hin zur einfachsten Comedy. Dürften oder könnten wir nicht mehr lästern, gäbe es kein Kabarett mehr. Die Welt würde nicht nur ihren Humor verlieren, sondern auch noch ganz andere, viel wichtigere Dinge auf geistiger und seelischer Ebene.
(Wer extreme Formen dieses Lästerns - die durchaus auch deutliche Elemente des Rassismus' beinhalten - erleben möchte, der unterhalte sich mit Franzosen über Belgier; es vergehen keine zwei Sätze, bis ein Franzose den ersten Belgierwitz erzählt. - Abgemilderter ist da der Umgang mit Juden in den USA und Kanada. Wir Deutschen sind ja besonders empfindlich, was Judenwitze gleich welcher Art - es gibt nette und böse - angeht; in Nordamerika sind es die Juden selbst, die sich [gegenseitig] durch den Kakao ziehen.)
Lästern führt zu einer gesellschaftlichen Synchronisation. Da sitzen drei, vier Leute in der Kneipe und erzählen sich die Schrullen ihrer Eheweiber, und irgendwann sagt einer nur: "Weiber!" und verdreht die Augen nach oben. Klar, Alice Schwarzer & Co. werden ihnen dafür die Eier abreißen, wenn sie die Gelegenheit erhalten. Doch ändert das etwas daran, dass dieses "Weiber!" die kürzestmögliche Zusammenfassung all dessen ist, was sich die Zusammensitzenden denken?
Ich kenne eine Reihe von Leuten, die mich für ein Ar***loch halten. Das ist okay. Zum einen ist die Einschätzung korrekt; und wenn ich das nicht beurteilen kann, wer sonst? Zum anderen erfüllt es mich mit einer gewissen Form von ... Stolz ist nicht der richtige Ausdruck, Zufriedenheit auch nicht, aber irgendetwas, wo Stolz und Zufriedenheit mit schwingen. Ich kann nicht nur über mich lachen, ich kann mich auch selbst auslachen. Wenn mir irgendetwas passiert ist, das bei anderen das Gefühl von (milder oder schwerer) Schadenfreude auslöst, ist es mir immer eine Freude, die Gelegenheit zu erkennen, mich zu amüsieren. Welchen Quell der Freude gibt es denn, der zuverlässiger ist, als ich selbst? Meinen Spaß mit mir selbst kann mir niemand verderben.
Wer über mich lästert, macht mir eher eine Freude. Nicht hinter meinem Rücken, freilich; da habe ich ja nichts davon. Nein, am liebsten in meiner Gegenwart. Wirft jemand in die Runde derjenigen, die mich durch den Kakao ziehen, ein "Haitel!" und dreht die Augen nach oben, dann zeigen die Augen genau in die Richtung, in die er damit meine Fahne hochgezogen hat.
Eine der Triebfedern des Lästerns ist der Neid. Nicht der nagende, zerstörerische, nein, der kleine, einfache, milde, ungefährliche. Das Neidchen. Wenn jemand über mich lästert, dann messe ich sein Neidchen auf mich daran, wie und was, wie umfangreich und wie vermeintlich (!) unfair er über mich lästert. (Keine Bange, über mich kann man nicht "unfair lästern".) Ich muss ihm dieses Neidchen nicht zum Vorwurf machen. Ich kann, aber damit verderbe ich mir meinen eigenen Spaß.
Wenn jemand über Deutsche lästert - und ich mag es vor allem, wenn das Deutschtürken wie Serdar Somuncu und Django Asül machen -, dann hört sich das immer so an, als gäbe es gute Gründe dafür, und es gibt sie auch. Es ist aber auch das Neidchen im Spiel, denn eine Franzose lästert nicht über deutsche Tugenden wie Strebsamkeit und Pünktlichkeit, Genauigkeit und Arbeitswut, weil er das lästerlich findet; die Monate vor und nach der Wahl von Francois Hollande haben gerade ganz deutlich gezeigt, dass im verbalen Umgang der Franzosen mit den Deutschen auch ein nicht unerhebliches Mass an Bewunderung, ein Neidchen, steckt.
Wenn ich nun zum Beispiel so ein "Österreicher." in die Runde trage, dann ist dies genau so gemeint: lästerlich, kabarettistisch (oder eher komödiantisch) - und neidisch im Sinne des Neidchens. Österreicher sind ein besonderer Menschenschlag in vielerlei Beziehung (das fängt mit der Sprache an, das zeigt sich auch in den politischen Gegebenheiten des Landes [womit ich die stärkere "Rechtshängigkeit" in der österreichischen Politik meine, die dort möglich ist, ohne das ständige Nachrechnen über drohende Reparationszahlungen zu bedingen]). Sie sprechen deutsch, aber anders. Sie sind eben keine Bayern, keine Schweizer und Liechtensteiner, keine Italiener (auch nicht Südtiroler), keine Slowenen, Ungarn, Slowaken. Sie sind Österreicher. Und auch wenn ich keine konkreten Anlässe habe, auf Österreicher neidisch zu sein, so ist es doch ein kleines Neidchen, das mich wie oben bei den "Weibern!" dazu bringt, so ein "Österreicher." anzubringen und (freilich nicht im Text) mild lächelnd die Augen nach oben zu drehen.
(Und gerade der Anlass mit diesem Extremfallschirmspringer war ein guter Anlass zu einem Neidchen, denn vor allem außerhalb Österreichs - und hier vor allem im Süden unserer Republik - wurden ja gleich wieder Überlegungen angestellt, was man mit dem Geld, dass diese Aktion gekostet hat, sinnvoller hätte anstellen können, völlig außer Acht lassend, dass das Geld ohne diese Aktion auch nicht locker gemacht worden wäre. Ein guter Deutscher hätte sowas nie gemacht - und so gibt es einen guten Grund mehr, warum Deutsche über Österreicher lästern [auch wenn sie eigentlich nur über den neuen Rekordhalter lästern wollen].)
Wir erleben seit vielen Jahren nun, was völlige Humorlosigkeit, die Unfähigkeit, über sich selbst, über seine Ansichten, sein Denken und Handeln usw., lachen zu können. Neonazis zum Beispiel gehören vermutlich zu dem Humorlosesten, was man sich vorstellen kann (wobei man allerdings, wenn es richtig anstellen kann, durchaus schafft, sie über sich selbst zum lachen zu bringen; als Referenz auf kabarettistischem Sektor möchte ich Serdar Somuncu erwähnen). Und natürlich in vielen Teilen der Welt die Angehörigen der islamischen Glaubensrichtungen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Djihad nicht nur aufrufen, sondern ihn auch gleich in Gang setzen (und zwar nicht nur gegenüber Juden und Christen, sondern auch untereinander). Das sind natürlich eher die wirklich extremen Auswüchse, aber das fängt immer im Kleinen an - beim Neidchen.
Ich bin glücklich, über mich lachen, auch über mich lästern zu können. Ich tue das eben auch gerne bei anderen, und die Tatsache, dass ich das auch bei mir kann - und gerne tue -, führt letztlich dazu, dass der andere, über den ich vielleicht gerade hergezogen bin, die reelle Chance erhält, es mir zurück zu geben, ohne dass wir uns hinterher nicht mehr miteinander unterhalten wollen.
Es ist schade, wenn jemandem so etwas fehlt. Es ist vor allem auch deshalb schade, weil man so gar nicht darüber lästern und lachen kann.
My.