10. März 2166, 18:23 CTT
On the Road again, G30 Terrania - Jiuquan
Well I'm so tired of cryin' but I'm out on the road again - I'm on the road again.
Well I'm so tired of cryin' but I'm out on the road again - I'm on the road again.
I ain't got no woman just to call my special friend.
Ron sang den alten Klassiker der Gruppe "Canned Heat" mit - laut und stimmlich nur wenig falsch.
"Das Ding ist jetzt fast 200 Jahre alt", dachte er, "trifft aber immer noch den Punkt."
Er hatte sich von Darlene einen der kleineren Dienstgleiter geben lassen ("Nehmen Sie doch den schwarzen Ford direkt an der Ausfahrt!"), die Zieladresse eingegeben, sich möglichst rasch der leitbandgeschützten Autobahn G30 anvertraut und genoss den Trip nach Jiuquan, ohne sich um die Steuerung Gedanken machen zu müssen.
Nach wenigen Minuten wechselte der Song.
Before when things go wrong, as they sometimes will
And the road that you travel, it stays all up hill
Let's work together
Come on, come on, let's work together
Now now people
You know together we will stand, ev'ry boy, girl, woman and a man
"Keine schlechte Hymne für die Abteilung III!", überlegte Ron, während sich das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h seinem Ziel näherte. In Höhe des Emporiums nahm Ron die Ausfahrt. Den letzten Teil der Strecke war er wieder selbst gefordert. Er fuhr die Qilian Road ein Stück in nordwestlicher Richtung entlang, parkte den Ford unweit des Musilin und betrat das Restaurant.
Das Musilin machte, wie gewohnt, einen sterilen Eindruck. Während der obere Teil der Wände in einfachem Weiß gehalten war, waren die unteren Teil mit großen braunen matten Kacheln versehen worden. An der vorderen Wand ersetzten Holos der verschiedenen angebotenen Gerichte die Speisekarte. Rote, gepolsterte Sitze und grosse Tische, deren schwere Tischplatten im gleichen rot gehalten waren, vervollständigten den wenig anheimelnden Eindruck. Zudem handelte es sich beim Musilin um ein muslimisches Restaurant, so dass Ron auf den Genuss von Alkohol würde verzichten müssen.
"Kein Laden, den ich gern täglich aufsuchen würde," dachte Ron. "Aber Katmann steht drauf!" Katmann hatte für diese ausgefallene Präferenz allerdings auch einen guten Grund. Das Musilin war eines der wenigen Restaurants, in dem noch traditionelle Gerichte der Region serviert wurden.
Ron musterte die Holos. Katmann würde sich vermutlich wieder einmal für ein Gericht aus Yak-Fleisch entscheiden. Ron hatte mehr als einmal erlebt, wie traditionelle Muslims aus der arabischen Region Yak-Fleisch als "haram" bezeichnet hatten. Aber er hatte kein Interesse, mit den Betreibern des Restaurants eine Diskussion über Fragen der muslimischen Essgewohnheiten zu beginnen.
Katmann stürzte durch die Eingangstür. "Ron! Tut mir leid, abber ich bin a bissi zu spät dran. Ich hab mir bei der Gelechenheit gleich emo auf dem Fuhua-Markt e paar Nüssche unn Gewürze besorgt. Mer kommt ja so selten in die Gechend.", erklärte Katmann in seinem breiten Hessisch, während er mit seiner Pranke Rons Hand schüttelte. "Setze mer uns doch!"
Katmann hatte sich nicht verändert, seit Ron ihn das letzte Mal getroffen hatte: ein etwas älterer, breiterer, langhaariger und vollbärtiger Mann in einem altmodischen Jeansanzug. "Was nemme mer dann? Willst Du net doch emo diese Yak-Hoden probiern? Du weißt ja, wofür die gut sein solle..."
"Ach Rolf, meine Besorgertage sind doch längst vorbei!", erwiderte Ron, einen Spruch aus einem Serienklassiker zitierend. "Seitdem ich Chef der Abteilung III geworden bin, habe ich ausgesorgt."
"Ah ja," entgegnete Katmann enttäuscht. "Ei, dann nemme mer halt Yak-Filet mit Biscuits! Unn hinnerher," deutete Katmann auf eines der Holos, "die leggere Yak-Wurst da!"
Ron warf einen Blick auf das Holo. Die Wurst bestand aus schachbrettartig angeordneten dunkleren und helleren Teilen. "So etwas haben wir früher als 'Kinderwurst' bezeichnet!", dachte er, gab aber nichtsdestoweniger Katmanns Bestellung auf, wie gewünscht. Sie nahmen beide an einem der abgelegeneren Tische Platz, was keine Schwierigkeit bedeutete: das Musilin war nur spärlich besetzt.
"Abber Ron, jetz erzähl emo!", begann Katmann. "Was haste dann da für e Riesensach am Hake?"
"Jaaa...." Ron lehnte sich zurück. "Mivelum sagt Dir etwas?"
"Ei, logisch. Verwende mer abber eher selten. Criipas iss leistungsfähicher, dadefür natürlich aach a bissi teurer."
"Im Normalfall ist das alles richtig", räumte Ron ein. "Aber was würdest du von Mivelum halten, dessen hyperenergetisches Potential um, sagen wir mal, den Faktor 10 gesteigert ist?"
"Ne ganze Menge! Unn des hast du am Wickel?" Katmann war begeistert.
Das Gespräch wurde durch die Anlieferung eines grossen Tischgrills und eines Berges roher Yak-Filets unterbrochen. Dazu gab es die bestellten Biscuits. "Ein frugales Mahl!", dachte Ron, spießte aber dennoch eines der hauchdünn geschnittenen Filetstücke auf und legte es auf den Grill. Katmann tat es ihm nach.
"Nicht ganz!", ging Ron auf Katmanns Frage ein. "Aber ich weiß, wer im Moment davon große Mengen auf den Markt wirft. Nämlich die Springer auf Sepzim."
"Des musste mir abber e bissi näher erläudere. Woher habbe die Springer uff amal des Know-How, um Mivelum uff die Art unn Weise zu beabbeide?"
"Das haben sie vermutlich nicht.", räumte Ron ein. "Sie beziehen das Zeug von einer bisher unbekannten Macht, an der wir im Moment dran sind. Wir kommen an der Stelle aber nicht weiter. An Springer kommen im Endeffekt nur andere Springer richtig ran. Und da kommst du ins Spiel. Ihr habt doch diese Tochterfirma auf Reno 25..."
"KABASWO. Iss abber ziemlich klein, ein Geschäftsführer, en Luraner namens Prokat und e paar Assistentinne."
Ron nahm sein Filetstück vom Grill, legte es auf seinen Teller und ersetzte es durch eine neue Scheibe. Katmann folgte seinem Beispiel.
"Wegen mir. Und da Reno 25 ein Springer-Freihandelsplanet ist, habt ihr mit Sicherheit auch gute Geschäftsbeziehungen mit der einen oder anderen Springersippe..."
Ron schnitt ein Stück des gut durch gegrillten Filets ab. "Mmm.. gar nicht schlecht!" Er nahm ein Stück Biscuit dazu.
"Saach ich doch..", entgegnete Katmann kauend. "Ach so, ja, natürlich habbe mir gute Kontakte zu dene Springer. Sonst wär des ja auch witzlos, uff Reno zu sitze. Der alte Botruk iss sogar en Freund von mir. Wenn man des so saache darf."
Katmann hatte, wie sich Ron erinnerte, Springer auch schon einmal als "ganz normale Menschen" bezeichnet - eine Einschätzung, die nicht von jedem geteilt wurde; insbesondere nicht von Solarmarschall Bull. Ron, der selbst über erhebliche Erfahrungen mit Springern verfügte, war allerdings dennoch geneigt, seinem Freund Katmann zuzustimmen. Immerhin spielte Profitinteresse, wie man hörte, auch bei ganz normalen Menschen eine Rolle.
"Dann ist das Puzzle fast komplett," nahm Ron den Faden wieder auf, "denn ich könnte mir das Bild jetzt folgendermaßen vorstellen. Die KABASWO beauftragt, in Deinem Auftrag natürlich, die Botruk-Sippe damit, sich auf Sepzim umzuhören und Kontakt, wenn möglich Verhandlungen, mit den Anbietern des Super-Mivelum aufzunehmen. Dazu wird Botruk logischerweise ein Schiff nach Sepzim senden müssen; an Bord befindet sich, was Botruk verstehen wird, dein Beauftragter Prokat - so hieß er doch?"
"Ja!". antworte Katmann erstaunlich knapp.
"Immerhin ist es auch in Botruks Interesse, dass er an Bord über Möglichkeiten verfügt, die Qualität des angebotenen Mivelums zu prüfen und somit sicherzustellen, dass er nicht übers Ohr gehauen wird. Prokat sollte als Luraner auch keine Schwierigkeiten auf Sepzim haben."
Ron überlegte, während er die Prozedur mit den Filetstücken wiederholte.
"Ich würde an Deiner Stelle Botruk eine saftige Provision für den Erfolgsfall anbieten. Die Details kriegst du selber hin."
"Da brauchst Du keine Angst zu habbe!", grinste Katmann.
"Prokat wird allerdings nicht der einzige Luraner an Bord sein. Ihn begleiten werden seine luranischen Freunde Manket und Lysbot."
"Du kennst den Prokat ja besser wie ich!", stieß Katmann verblüfft hervor.
"Ich kenne ihn gar nicht!", erklärte Ron kategorisch. "Manket und Lysbot sind natürlich die Decknamen für zwei unserer Agenten. Beide werden angeblich - und de facto auch tatsächlich - auf Sepzim ihren eigenen Geschäften nachgehen, allerdings von Prokat über den Stand der springerschen Aktivitäten informiert werden. Die Coverstory ist die, dass die beiden alte Freunde Prokats sind, denen Prokat noch einen Gefallen schuldet. Für Botruk ist ihre Mitnahme Teil des Deals. Er wird das schlucken, kostet ihn ja im Endeffekt nichts. Prokat kannst du ja quasi die Wahrheit erzählen - dass derjenige, der dir den Tip gegeben hat, die Mitnahme der beiden seinerseits zur Bedingung gemacht hat."
Katmann lachte. "Du bist en schlauer Fuchs, Ron. Wahrscheinlich habbe se Dich desdeweche zum Chef der Abteilung III gemacht."
"Da könnte was dran sein!", grinste Ron.
Katmann überlegte. "Klar, so könnts gehe. Wir von unserer Seite gehe kaan Risiko ein. Botruk macht des uff eichene Kappe. Wie sieht des Risiko für Prokat aus? Des iss immerhin maan eichene Mann!"
"Gering, würde ich sagen. Die Springer suchen Absatzmärkte, er tritt als potentieller Käufer auf. Was er ja auch faktisch ist." Ron zuckte mit den Schultern.
"Die Springer werden den Teufel tun, ihren eigenen Geschäftspartner in Gefahr zu bringen. Über Ohr zu hauen werden sie vielleicht versuchen, das ja!"
Katmann nickte. "Gut, so könne mers mache." Er schob sich ein Stück "Kinderwurst", die inzwischen serviert worden war, zwischen die Zähne.
"Dir iss abber schon klar, dass des, was zu machst, illegal iss? Ich maan, ich saach ja nix, aber wenn der Kalup von der Sach Wind bekommt... Uiuiui! Begünstigung, Vorteilsnahme.. Dem würd da allerlei einfalle!"
"Ich sehe es so," erklärte Ron. "Die Springer bringen das Super-Mivelum auf den Markt. Sie suchen Käufer. Mir ist es lieber, wenn Du der Käufer bist, und nicht irgendwelche windigen Halunken. Ist auch in terranischem Interesse!" Er stützte seinen Ellenbogen auf dem Tisch auf und nahm sein Kinn in die Hand.
"Kalup hätte - wie jeder andere 'Halunke' auch - die Chance, ebenfalls als Käufer aufzutreten. Wenn er die Chance nicht nutzt, ist das persönliches Pech für ihn."
Er deutete mit dem Zeigefinger auf Katmann. "Und außerdem hat Kalup eben auch keine Niederlassung auf Reno 25."
Beide lachten.
Auf der Rückfahrt betrachtete Ron das 7 cm lange und 5 cm breite schwarze zylindrische Objekt, das Katmann ihm zum Abschied überreicht hatte ("ein kaskadierbarer Strukturfeldgenerator in swoonscher Miniaturbauweise; Ausschuss; macht sich abber gut so als Gadget für den Schreibtisch"), während "Canned Heat" dröhnten:
I'm going up the country, babe don't you wanna go
I'm going up the country, babe don't you wanna go
I'm going to some place where I've never been before
Vielleicht sollte er diesen Song den beiden Agenten 'Manket' und 'Lysbot' widmen, die er morgen via Transmitter nach Reno 25 senden würde, überlegte Ron.
Ansonsten war es ein erfolgreicher Abend, auch wenn der Nachgeschmack des Yak-Fleisches ihm unangenehm im Gaumen lag. Als er Terrania erreichte, verließ Ron daher die G30 und machte Halt bei einem SKY-Drive-In. Zwei saftige SKY-Burger ließen auch diesen Aspekt des Abends in freundlicherem Licht erscheinen.
Bearbeitet von Arl Tratlo, 01 April 2013 - 21:55.