11. März 2166, 21:05 TT
Dagenham Repair, Trafalgar-City, Trafalgar, Victory-System.
Nach dem Ende der Besprechung hatten sich die Mädchen auf ihr Zimmer zurückgezogen. Insbesondere Basnal hatte einen abgespannten Eindruck gemacht; trotz des starken Kaffees, den sie zu sich genommen hatte. Meech, der keinen Schlaf benötigte, war in der Lenkzentrale mit den Detailvorbereitungen der großen Drohnenmission beschäftigt, die ihn vollständig einspannen würde.
Garth und Marcus beschäftigten sich dagegen intensiv mit ihrer Aufgabe, eine alternative Route nach Penham zu finden.
"Hier, was hältst Du davon? 'Lovely Mountain'! Klingt doch gut, oder?", hatte Marcus einen Kandidaten entdeckt.
"Zeig mal!" inspizierte Garth das Kartenholo. "Ein Berg ist es auf jeden Fall schon mal. Bleibt nur die Frage, was die Trafalger unter 'lovely' verstehen. Hast du schon mal was von britischem Humor gehört`"
"Wie auch immer, es ist eine wichtige Landmarke, die nicht so ohne weiteres zu verfehlen ist.", erwiderte Marcus ungehalten.
"Ich habe mich ja auch nicht prinzipiell gegen diese Route ausgesprochen", verteidigte sich Garth. "Ich warne nur davor, den Begriff allzu ernst zu nehmen."
Tim, der das Gespräch mehr oder weniger unbeteiligt verfolgt hatte, sah seine Chance gekommen, endlich etwas näheres über das mysteriöse Fahrzeug der Meredier zu erfahren. "Warum seid Ihr eigentlich so versessen auf diesen Wildtrak?", begann er. "Ich meine, Ihr seht doch, welche Unannehmlichkeiten das mit sich bringt.
Mit einem Buffalo könntet Ihr morgen einfach ganz gemütlich die Schnellstraße nach Penham nehmen."
Garth grinste.
"Das könnten wir nicht. Auch für einen Roamin´ Buffalo hätten wir nämlich keinen ID-Chip, was einfach damit zusammenhängt, dass ursprünglch für diesen Einsatz nur zwei Gleiter vorgesehen waren. Wie sich jetzt schon zeigt, eine vollkommen schwachsinnige Idee. Ohne unseren Wildtrak müsstet Ihr Euch morgen zu dritt in den Citydream quetschen. Basnal hätte die ehrenvolle Aufgabe, Eure Taxifahrerin zu spielen. Da hat mal wieder ein Bürokrat an der falschen Stelle sparen wollen. Oder eine Bürokratin." Insgeheim hatte Garth Darlene in Verdacht, die Basnals Einkaufstour nur blutenden Herzens verkraftet hatte.
"Aber selbst, wenn es anders wäre, hätten wir auf dem Einsatz des Wildtrak bestanden."
"Euch ist aber schon klar, dass der Buffalo einer der modernsten Gleiter der Galaxis ist?"
Tim schien in seiner Ehre gekränkt.
"Wir wollen jetzt nicht über die serienmäßigen Features sprechen: moderne und leistungsfähige Schreinzer-Positronik, die die intelligente Erkennung und Kommunikation mit dem Besitzer oder Fahrer ermöglicht und somit alle Schlüssel- oder Keypad-Systeme überflüssig macht."
Tatsächlich war der Diebstahl eines Gleiters in der Praxis unmöglich bzw. sinnlos geworden. Nach einem Diebstahl reagierte der Gleiter einfach nicht auf die Anweisungen des Diebes. Ein Versuch, die Positronik gegen den Willen des Besitzers auszubauen oder abzuklemmen, endete mit der Initiierung einer Selbstzerstörungssequenz.
"Alle Systeme basieren weitgehend auf Sprachsteuerung. Damit entfällt der Wust unterschiedlicher Displays, mit dem man in traditionellen Gleitern immer zu kämpfen hatte. Was übrig bleibt, ist so einfach wie ein HYNA!" Tim spielte auf das Schreinzersche Hypernavigationssystem an, das den Transitionsraumflug revolutioniert hatte.
"Aber wie gesagt, das sind nur die serienmäßigen Features."
"Über die Du nicht sprechen wolltest!", lachte Garth.
"Richtig!", erklärte Tim. "Genausowenig, wie über die modernsten Gleitermotoren der Galaxis. Oder...ach, lassen wir das."
Tim schien zu merken, dass er sich in Rage geredet hatte, und fuhr etwas ruhiger fort: "Der Punkt ist natürlich, dass es sich bei unseren Einsatzfahrzeugen eben nicht um Serienfahrzeuge handelt. Das beginnt mit der Defensivseite. Mein Buffalo - und auch Basnals Citydream - besteht natürlich nicht aus billigem Plastikmetall, sondern aus dem hochwertigsten strukturverdichteten und kristallfeldmodulierten Arkon-T-Stahl, den Terras Industrie in der Lage ist, herzustellen. Die Stärke von 0,02 mm klingt zwar zunächst nach gar nichts, entspricht aber immerhin der doppelten Stärke eines HANNIGAN 2- Robots. Im Falle ernsthafterer Bedrohungen können wir auf das "Intelligent Protection System" zurückgreifen, das auf der "Shield on Demand"-Philosophie basiert. Das Schreinzer-System erkennt über seine Vielzahl von Sensoren eine Bedrohung rechtzeitig und kann - ebenso rechtzeitig - geeignete Abwehrmaßnahmen ergreifen. Etwa den Aufbau eines Prallschirm oder aber auch eines gestaffelten Energieschutzschirms."
"Halt! Halt! Halt!", rief Garth lachend. "Glaubst Du ernsthaft, dass du uns Neuigkeiten verkündest? Aber gut, wenn wir hier schon so reden wie die Verkäufer auf der Interstellaren Gleitermesse, dann kann Dir niemand besser als Marcus die Vorzüge des Wildtrak 3000 erklären. Er ist da echt gut drin."
Marcus grinste. "Wie ich immer in solchen Momenten zu sagen pflege: nichts lieber als das."
Er holte tief Luft und bereitete sich mental auf seine Aufgabe vor.
"Der Wildtrak 3000, dessen Prototyp wir hier übrigens zum ersten Mal im Echteinsatz testen, ist das Produkt der beiden galaktopolitisch wichtigsten und technologisch fortgeschrittensten Sternenreiche unserer Milchstraße. Demzufolge wurde bei der Konzeption des Wildtrak 3000 in allen Details Wert auf höchstmögliche Optimierung gelegt. Ich gebe mal ein Beispiel: die Farbe des Wildtrak, ein erdiges Braun-Metallic, fast kupferfarben, für die in der Fachsprache ein eigener Begriff, Terceira-Braun-Metallic, geprägt wurde. Diese Farbe wurde in einer Vielzahl von Computersimulationen als diejenige Farbe identifiziert, die sich optimal in die landschaftlichen Bedingungen der meisten Target-Planeten integriert. Der Wildtrak wird bereits durch seine Farbgebung nahezu unsichtbar, jedenfalls aber - jedenfalls in der natürlichen Umgebung dieser Planeten - unauffällig. Die Farbgebung ist also keineswegs das Produkt der intuitiven Entscheidung eines Designers oder gar einer Marketing-Abteilung!"
"Was sind Target-Planeten?", warf Tim ein.
"Target-Planeten sind diejenigen Typen, für die der Wildtrak 3000 einsatztechnisch konzipiert wurde. Hierzu zählen Dschungelwelten, Ödwelten und noch einige andere. Eisplaneten zählen im Gegensatz dazu nicht zu den Target-Planeten. Da müsste man noch einige Modifikationen vornehmen."
Marcus schickte sich an, in seiner Präsentation fortzufahren.
"Einen Moment", unterbrach ihn Tim. "Du sprachst von zwei Sternenreichen. Ich nehme an, Terra ist das eine davon. Wer ist das andere? Arkon?"
"Darauf komme ich noch!", wehrte Marcus ab.
"Jedenfalls ist die USO federführend - und auch finanziell - an der Entwicklung des Wildtrak 3000 beteiligt. Aus diesem Grund waren Garth und ich von Beginn an in dieses Projekt integriert. Die ersten Testfahrten wurden im Übrigen auf Meredi IV, unserer Heimatwelt, durchgeführt; keine leichte Aufgabe, wie ich betonen muss."
Tim nickte. Er hatte von Meredi IV gehört; anders als für die umweltangepassten Meredier war der Planet für einen Durchschnittsterraner ein lebensgefährliches Pflaster.
"In der Tat ist Terra eines der genannten Sternenreiche. Von terranischer Seite aus sind zwei galaxisweit operierende Unternehmen an diesem Projekt beteiligt: die Ford Motor Company und die Schreinzer Positronik. Ford sollte in diesem Zusammenhang wenig überraschen. Schreinzer hingegen steuert mit der Schreinzer ULTRA eine Neuentwicklung zum Projekt bei: eine Kompaktpositronik, die in ihrer Leistungsfähigkeit in etwa der einer Steuerpositronik eines Superschlachtschiffes entspricht. Das Ganze natürlich in einem sehr viel kleinerem Raum konzentriert."
Marcus machte eine Kunstpause.
"Bei dem zweiten Sternenreich handelt es sich allerding keineswegs um Arkon. Ich hätte auch keine Idee, was die Arkoniden zu dem Projekt beitragen könnten, wenn ich ehrlich bin. Nein, es handelt sich selbstverständlich um den mittlerweile engsten Verbündeten Terras: die positronisch-biologischen Roboter von der Hundertsonnenwelt - die Posbis."
Marcus wartete einige Sekunden, bis Tim sich von der Überraschung erholt hatte.
"Die Posbis steuern zu diesem Projekt im Wesentlichen zwei Dinge bei: ihr Know-How im Bereich der hypertoyktischen Verzahnung und die Plasmakomponente. Mit anderen Worten: unser 'Baby' hatte früher einmal einen anderen Namen - K-1. Es war Kommandant eines Fragmentraumers!"
Marcus wartete erneut ein paar Sekunden. Es war sicherlich nicht leicht für Tim, diese Eröffnungen zu verkraften.
"Um es präziser zu formulieren: das 'Baby' besteht aus der hypertoyktischen Verzahnung der Plasmakomponente eines Fragmentraumer-Kommandanten mit der neuen Schreinzer ULTRA. Da es sich hierbei um etwas völlig Neuartiges handelt, haben wir dem Kind folgerichtig den Namen 'Baby' gegeben. Es hört auch auf diesen Namen."
Er überlegte etwas. "Natürlich kann Baby uns ebenfalls erkennen oder mit uns sprechen. Oder bei Gefahr einen Schutzschirm aufbauen. Insofern haben wir alle Features, die Du vorhin genannt hattest, natürlich ebenfalls. Das sind aber nur Peanuts. Die Posbis haben natürlich noch ein paar Kleinigkeiten mehr zu dem Projekt beigesteuert, insbesondere ihr Wissen um die Konstruktion hochspezialisierter Roboter. Wir haben On-Bord-Labore für physikalische und biologische Untersuchungen. Wir haben eine vielfältig einsetzbare Sonde, die wir auch als das "eiskalte Händchen' bezeichnen, da sie wie die abgetrennte Hand eines Menschen aussieht."
Marcus fuhr gnadenlos damit fort, Tim mit Informationen zu bombardieren.
"Terra hatte allerdings auch einiges aufzubieten. Etwa den nach den auf Fossil gefundenen Unterlagen konstruierten Laurin-Tarnschirm, massiv leistungsfähiger als die alten arkonidischen Deflektoren und zudem nicht anpeilbar. Für Völker, die keinen Zugang zur Fossil-Technologie haben, ist der Wildtrak völlig unsichtbar, wenn das 'Baby' es will! Hinzukommen defensiv dreifach gestaffelte Schutzschirme, die auf Bedarf aufgebaut werden können. Die Außenhaut besteht aus 0,5 mm strukturverdichtetem und kristallfeldmoduliertem Arkon-T-Stahl, also immerhin fünffache Stärke eines HANNIGAN 2- Robots. Oder anders ausgedrückt: rein rechnerisch einer ballistischen Dicke von 4 Metern Panzerstahl."
Marcus besorgte sich einen Orangensaft. Seine Kehle war trocken geworden. Garth grinste.
"Ein wesentlicher Schwerpunkt der Konzeption des Wildtrak besteht in seinen ausgeprägten Stealth-Fähigkeiten. Der Wildtrak ist praktisch nicht anmessbar; jedenfalls nicht von Leuten, die noch nie mit ihm zu tun hatten. Aber wir haben noch etwas mehr in petto: für den Fall, dass wir diesbezüglich komplett auf "Nummer Sicher" gehen wollen oder umgekehrt unsere hyperenergetischen Systeme durch äußere Einflüsse lahmgelegt worden sind, was ja durchaus das eine oder andere Mal vorgekommen sein soll, kann der Wildtrak komplett im Notfall ohne Hyperenergie gefahren werden. Der Wildtrak verfügt nämlich über zwei alternative Antriebe. Neben einem starken konventionellen Gleitermotor - übrigens eine Modifikation des Buffalo-Motors - steckt unter seiner Hülle auch der beste Dieselmotor, den Terra jemals gebaut hat. Basierend auf Uralt-Unterlagen, jedoch erbaut auf Basis modernster Materialien und Herstellungsverfahren, klein, kompakt, leistungsfähig und fast unhörbar. Wir nennen ihn daher auch den 'Flüsterdiesel'."
Marcus nahm noch einen Schluck.
"Der Wildtrak kann also zur Not ohne jegliche Hypertechnologie auskommen. Gut, man könnte einwenden: Die Hyperwaffen funktionieren dann aber auch nicht. Das ist natürlich richtig. Allerdings verfügt der Wildtrak über ein ganzes Arsenal von Angriffswaffen, von denen einige auch in diesem Fall sehr wohl funktionieren würden. Etwa die STOG-Säure-Werfer, mit deren Hilfe sich etwa Arkon-T-Stahl problemlos auflösen ließe. Im anderen Fall, also im Falle des Funktionierens der Hyperwaffen, haben wir am oberen Ende der Skala eine Mikro-Transformkanone. Genauer gesagt, einen MTK-Drilling."
"Transformkanonen auf Planetenoberflächen? Seid Ihr wahnsinnig?", stöhnte Tim.
"Keineswegs. Es geht nämlich nicht um das Vernichtungspotential, sondern um die Technologie. Es kann in vielen taktischen Situationen sinnvoll sein, einen Explosivkörper unterschiedlicher Funktionsweise in Nullzeit an einen Zielort zu transportieren, um ihn zur Explosion zu bringen. Einige bekannte Militärstrategen halten diese Vorgehensweise prinzipiell gegenüber einer Strahlenwaffe für überlegen. Aber das ist eine Frage der Technikphilosophie. Die Posbis haben uns jedenfalls an dieser Stelle des Projekts sehr unterstützt. Und klar: natürlich verfügen wir auch über Impulswaffen, Narkosewaffen, Desintegratoren und den ganzen Schnickschnack."
"Und morgen", dachte Marcus, "wenn alle unterwegs oder beschäftigt sind, werden wir das Waffenarsenal noch etwas plündern. Was würde Madelón denn auch mit einem überschweren Impulsstrahler anfangen wollen?"
Tim jedenfalls hatte genug gehört. "Ich verstehe jetzt, warum Ihr unbedingt den Wildtrak fahren wollt. Gut, von meiner Seite aus werdet Ihr keine Gegenargumente mehr hören."
"Und ich verstehe jetzt auch", dachte er, "warum Basnal, seit sie durch Marcus schlau gemacht wurde, so ehrfürchtig von dem 'Baby' spricht."
Bearbeitet von Arl Tratlo, 02 April 2013 - 15:08.