Geschrieben 14 Juni 2014 - 01:50
10.000 Anschläge pro Stunde? Hm. Wieso nicht. Als rein mechanisches Eintippen von Text ist das ok. Etwas langsam vielleicht, wenn es von einem Tonband abgetippt wird. Hatte mal eine Sekretärin, die hat (zumindest gefühlt) mehr als das Doppelte geschafft. Aber für fertigen Text aus dem Gedächtnis heraus schreiben passt das schon.
Wenn jemand dagegen 10.000 Zeichen pro Stunde aus der Vorstellung einer in „Echtzeit“ ausgedachten Geschichte heraus in die Tastatur klopft, dann ist das eine Irrsinnsleistung, kaum zu schaffen, fast unvorstellbar. Könnte ich nicht. Nicht einmal grob ansatzweise. Wirklich eine Megasuperleistung!
Ich vermut aber mal, dass die Anzahl der Anschläge pro Stunde bei Autoren ähnlich zu interpretieren ist, wie die Anzahl der Zeilen pro Jahr bei Softwareentwicklern. Dazu gibt`s Statistiken und eigene Beobachtungen. Bei Profis bewegt sich die Anzahl der Zeilen pro Jahr zwischen 18.000 und 140.000. Zum Vergleich: Während meiner ganz ausgeflippten Zeit hab ich`s einmal auf 108.000 Zeilen in einem Jahr gebracht, in den letzten Jahren bin ich kaum auf mehr als 30.000 gekommen.
Und was sagen diese Angaben jetzt aus? Eigentlich nicht viel. Wenn ich irgend welches Pippifax Zeug schreibe, komme ich schon mal auf 5000 Zeilen am Tag, oder sogar auf noch mehr. Bei wirklich kniffligen Aufgaben sind es aber auch mal nur 2 Zeilen in zwei Wochen. Die haben es dann natürlich in sich. Oder sind völlig unbrauchbarer Murx.
Trotzdem scheint die Menge an Text oder Programmcode bei manchen Leuten Eindruck zu schinden, sogar eine Art Qualitätsmerkmal zu sein. Motto: Viel ist gut, mehr ist besser...
Ich erinnere mich da an einige Diskussionen mit (ehemaligen) Kollegen: Einer hat sich mal bei mir beschwert, weil ich (seiner Meinung nach) zu langsam tippe. Es ist richtig, ich tippe wirklich nicht schnell, eher gemütlich. Meistens mit 2, maximal mit 4 Fingern, und ich habs jetzt gerade gestoppt: mit etwa 7,4 Anschlägen pro Sekunde.
Und mit langen Pausen zwischen einzelnen funktionalen Abschnitten.
Ein anderer hat sich mal beschwert, dass ich oft stundenlang im Labor sitze, und auf irgend welchen Zetteln herumkritzle, während er ununterbrochen in seine Tastatur hämmert.
Nun, das Tippen ist nur der mechanische Teil, die eigentliche Arbeit geschieht ohne der Tastatur unter den Fingern. Wie das bei Softwareentwicklung aussieht, möchte ich jetzt nicht beschreiben, sonst sitz ich morgen Vormittag immer noch im Labor, und eigentlich will ich heute Nacht noch ein paar Stunden pennen. Nur soviel: Das rein mechanische Reinhämmern in die Maschine dürfte keine 5% der gesamten Arbeitszeit ausmachen (Schätz ich mal)...
(Ein Kollege von mir hat übrigens damals nachgeschaut, was der Dauertipper eigentlich geschrieben hat (weil wir nie irgend welche (brauchbaren) Ergebnisse von ihm gesehen haben): Mit der History Funktion des sedt war das kein Problem. Als er am Abend weg war, haben wir im Editor seine History vom vergangenen Tag laufen lassen: Zeile mit „qwertyuiopasdfghjklzxcvbnm“ vollgeschrieben. Nächsten 20 Zeilen auch. Hochgescrollt. Eine Zeile buchstabenweise gelöscht. Runtergescrollt, wieder eine Zeile buchstabenweise gelöscht... Und so weiter und so fort. Den ganzen Tag lag. Und den Tag davor, und den davor, und.... (Zum Glück hat der nur ein Praktikum gemacht, und wir waren ihn bald wieder los. Ächts!))
Bei Geschichten ist es – zumindest bei mir – nicht ganz so extrem. Da benötige ich für das Konzept und die Recherche und Gegenlesen vielleicht 80% der Zeit, die restlichen 20% sind dann Text reinhäcken und Fehler korrigieren. Weiß nicht, wie es bei anderen Leuten aussieht, vielleicht können die ihre Geschichten schneller im Kopf aufbauen als ich, aber ich denk, der Trugschluss bei den 10.000 Zeichen pro Stunde liegt einfach darin, dass das nur der mechanische Teil der Arbeit ist, das Nachdenken, Entwerfen, Verwerfen und Korrigieren dauert bestimmt doppelt so lange.
Nehmen wir ruhig mal das Beispiel mit den 10.000 Zeichen pro Stunde vom Michelle Stern. Was haben wir an Daten? Ein PR Heft hat (aktuell) etwa 200.000 Zeichen. Das sind dann 20 Stunden Schreibarbeit. Also 2 bis 2,5 Arbeitstage. Irgendwie passt das mit den 2 Wochen für ein Heft nicht zusammen. Bei einer 5-Tage-Woche würde das heißen, 10.000 Zeichen pro Stunde und dazu 4 Stunden für Planung und so weiter. Also alles zusammen alle 5 Stunden 10.000 Zeichen. So läuft das Känguru.
Schalom,
Schlomo