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GEWALT VERHERRLICHUNG


32 Antworten in diesem Thema

#1 Joe Chip

Joe Chip

    The Saint

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Geschrieben 07 Februar 2004 - 23:28

hi all!in einem thread wurde der film STRANGE DAYS als gewalt verherrlichend hingestellt (ich lasse mich korrigieren wenn ich dies jetzt falsch wiedergebe)ich finde das nichtich habe den film am wochenende wieder gesehen und festgestellt dass dieser film alles andere ist nur nicht dasgenau das gegenteil ist der fall - wenn eine frau von polizisten ohne viel fragen niedergeknüppelt wird ist das keine verherrlichung von gewaltinteressanterweise stösst sich niemand daran was arnold schwarzenegger regelmässig veranstaltetwenn christopher lambert köpfe rollen lässt ist das gut so - es kann ja nur einen geben - ist doch klarEBENSO die helden verehrungen in diversen "antikriegsfilmen" - schwachsinn - anti?!platoon - der soldat james ryan (schreibt man ryan so?) das sind keine ANTI kriegsfilme sondern typische amerikanische (hollywood) helden-filmeNAVY-PROPAGANDA !!!bin auf eure meinungen zu diesem thema gespannt lg joe ;) PS: im westen nichts neues - wege zum ruhm das sind anti kriegs filme - ersteres übrigens ein meisterwerk deutscher literatur
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#2 misc

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    Infonaut

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Geschrieben 08 Februar 2004 - 10:10

genau das gegenteil ist der fall - wenn eine frau von polizisten ohne viel fragen niedergeknüppelt wird ist das keine verherrlichung von gewalt

Es kommt darauf an, was der Film dem Zuschauer mit einer solchen Szene zeigen, welche Botschaft er vermitteln will.

EBENSO die helden verehrungen in diversen "antikriegsfilmen" - schwachsinn - anti?!

Wenn ein Film zeigt, daß Menschen am Krieg körperlich & seelisch zugrunde gehen, daß er die vielen negativen Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen und ihre Auswirkungen auf den Menschen im Fokus hat, ist's für mich durchaus ein Anti-Kriegsfilm (wobei bei den amerikanischen Filmen wohl die sehr - hm ... - 'positive' Einstellung zum Militär berücksichtigt werden sollte).

PS: im westen nichts neues - wege zum ruhm das sind anti kriegs filme - ersteres übrigens ein meisterwerk deutscher literatur

Absolut zu empfehlen: "Die Brücke" von Manfred Gregor (unter gleichem Namen von Berndhard Wicki verfilmt, aber der Roman ist m.E. noch um einiges eindringlicher als der - auch sehr bewegende - Film). Ad Astra, Marc-Ivo

#3 MartinHoyer

MartinHoyer

    Temponaut

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Geschrieben 08 Februar 2004 - 10:57

Nun ja, in Deutschland wird man seit Ende des 2. Weltkrieges so erzogen, Militär zumindest unterschwellig mit Krieg gleichzusetzen. Eigentlich Unsinn, denn es setzt auch niemand Ärzte mit Kurpfuscherei gleich.Gewalt wird dann verherrlicht, wenn sie als probates Mittel dargestellt wird, welches nicht am Ende einer Konfliktlösungskette, sondern an deren Anfang steht. Das ist eigentlich auch recht gut unterscheidbar, gerade bei Anti-/Kriegsfilmen. Gefährlicher wird es erst, wenn Autoren oder Filmemacher starke Charaktere in einer Weise agieren lassen, daß man nicht klar entscheiden kann, ob es als ironische Überhöhung oder gänzlich prosaisch zu verstehen ist.
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(Sarah Williams: The Old Astronomer To His Pupil)

#4 Mammut

Mammut

    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 06 März 2004 - 15:24

Hallo Joe Chip,ich finde den Film auch nicht gewaltverherrlichend. Aber das Problem liegt wohl an der politischen Korrektheit. Wenn diese nicht gegeben ist, wird schnell das Geschrei nach Gewaltverherrlichung laut, ohne das dies in irgendwelcher Form nachvollziehbar ist.Nimm den Film "Natural Born Killers", ein sehr provokantes Movie über ein Pärchen, das in "Bonnie und Clyde" - Manie mordend durch das Land zieht. Statt das Thema zu diskutieren, wird der Film von vornerein als "gewaltverherrlichend" eingestuft, was ihm aber zumindest an der Kinokasse nicht unbedingt an Nachteil gereicht.Allerdings dürfte das Thema an sich so explosiv sein, das eine nüchterne Betrachtung des Sachverhaltes unmöglich erscheint.Wenn also jemand meint, SF gilt als trivial und hat keine Chance bei dem Etablishment, der dürfte eine Vorstellung darüber haben, zu was eine Diskussion über Horrorliteratur und -film führen mag.Bis bald,Michael

#5 Jakob

Jakob

    Temponaut

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Geschrieben 06 März 2004 - 18:10

Ich bin nicht der Meinung, dass es bei dieser Frage vorderdings um die "Botschaft" des Films geht. Wie bei allen Texten im weitesten Sinne lässt sich such bei Filmen - da besonders - mit der frage nach der Autorenintention wenig anfangen, und der Film selbst kann keine Intention haben. Entscheidend finde ich, was ein Film bei den Zuschauern auslöst - und das kann natürlich sehr unterschiedlich sein. "Full Metal Jacket" ist für viele Nazis Kult, obwohl der Film handlungstechnisch durchaus deutlich macht, dass ein militärischer Way of Life der letzte mörderische Scheiß ist. Den Nazis ist (unterstelle ich mal) egal, die fahren einfach auf die Inszenierung militärischer Härte und Gehorsams ab. Trotzdem sage ich weiterhin: "Full metal jacket" ist ein guter Film.Nun etwas direkter zum Thema: Ich habe "Strange Days" noch nicht gesehen, aber nach dem, was ich so gehört habe, ist, denke ich, ein Problem, dass ich mit "Blade Runner" habe ein guter Vergleich. In Blade Runner tötet Deckard zwei Replikantinnen. Erst einmal sind beide als Klischees weiblicher Bedrohung (Hure und Wahnsinnige) inszeniert worden, und dann werden sie durchaus Relativ genüsslich und "exploitative" in diesen Rollen abgeschlachtet: Die eine bricht, in Folie gekleidet, in Zeitlupe durch eine Reihe Glasscheiben, während sich Schusswunden in ihrem Körper öffnen. Die andere springt Deckard wie eine Furie an, wird abgeworfen und angeschossen, woraufhin sie wie ein überdrehter Mechanismus oder eine sterbende Spinne mit allen Gliedmaßen zuckend und kreischend auf den Boden trommelt, bis ein weiterer schuss sie tötet - was bei so ziemlich allen Zuschauern etwas wie eine perverse "Erleichterung" auslösen dürfte. Es ist das Motiv des "Gnadenschusses", das hier bemüht wird.Wir haben also einen mönnlichen Helden, der in hochsexualisierten Szenen Frauen ermordet. Diesen Szenen agieren massive Gewaltphantasien aus und erlauben es dem Zuschauer zumindest, sich in die Rolle des Voyeurs zu begeben und sich an diesen Szenen "aufzugeilen" - und zwar OBWOHL der Film "Blade Runner" diese beiden Gewaltakte in seiner Handlungslogik definitiv verurteilt. Wir gelangen ja zu dem Schluss, dass Replikanten auch Persönlichkeiten haben, auch ein Recht auf Leben, und nicht nur Fick- Kampf- und Tötfleisch sind. Wir müssen uns sogar mit der Möglichkeit konfrontieren, dass die Identifikationsfigur Deckard einer ist. Die Ermordung der Replikanten wird von dem Film verurteilt und letztlich nicht als akzeptable Problemlösungsstrategie präsentiert!Trotzdem: Die beiden genannten Szenen sind und bleiben potentiell voyeuristisch, und man könnte sie als "Gewaltverherrlichend" bezeichnen. Nicht, weil sie ein positives moralisches Urteil über Gewalt fällen, sondern weil sie Gewalt in einer bestimmten Art und Weise ästhetisieren.So, und deshalb bin ich gegen den Begriff der "Gewaltverherrlichung" - zumindest, wenn wir es nicht mit ganz platten Kriegspropaganda-Streifen zu tun haben. Denn jede überzeugende Gewaltdarstellung im Film ist ästhtisiert und taugt zu vierlei Gebrauch seitens de Zuschauer. Am wichtigsten finde ich fast, dass Filme in ihrer inszenierung eine gewisse Widersprüchlichkeit der Gewalt zulassen, die sich auch in der inszenierung wiederfinden sollte. Wenn jemand sich in "Blade Runner" an sexistischen Gewaltphantasien aufgeilt, dann sollte er durch andere Szenen des Films in dieser Haltung verunsichert werden - nicht nur durch das moralische Urteil, sowas geht nicht besonders tief und wird leicht ausgeblendet. Mir fällt keine gute "Anti-Gewalt-Szene" aus dem Film ein, ich hoffe, es gibt sie ...Ein gutes gegenbeispiel wäre für mich - man lese und schüttele den Kopf über meinen Geschmack - "Resident Evil". Hier funktioniert Gewalt (oder Leichenschändung, sind ja Zombies) durchaus als konfliktlösungsstrategie, sie wird aber teilweise in ziemlich irritierenden Konstellationen ausgeübt: nämlich dann, wenn die Heldin Alice ihrem Zombiesierten Ex-Freund, der sowieso ein Arschloch war, mit der Axt den Rest gibt. Für sich genommen recht banal, aber die Szene wäre ein gutes Antidot zu den genannten "Blade-Runner"-Szenen: Hier wird die gewalt ironisch entsexualisiert und als Option für Frauen gegen männliche Sexualgewalt angedeutet. Natürlich will ich nicht sagen, Frauen, tötet Männer mit Äxten (bitte besonders nicht mich!). Aber die Szene läuft den typischen Gewaltdarstellungen so sehr zuwieder und bietet so wenig Identifikationspotential für Voyeurismus, und das macht sie wirklich sehr angenehm!
"If the ideology you read is invisible to you, it usually means that it’s your ideology, by and large."

R. Scott Bakker

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#6 Mammut

Mammut

    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 06 März 2004 - 18:50

Hallo Jakob,das erinnert mich an einen Film mit Jodi Foster ( ich glaube, der hieß Angeklagt ). Diese wird auf einem Flipper von mehrern Leuten vergewaltigt, und gerade die realistische Schliderung der Gewalt hat dies so abschreckend gemacht.Eine Lightversion hätte wohl kaum Wirkung gehabt und den Film schnell vergessend gemacht. So bleibt mir das immer in Erinnerung, irgendwie graust mir die Vorstellung immer noch.Bis bald,Michael

#7 eRDe7

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Geschrieben 06 März 2004 - 22:33

Hallo Jakob. Ich muss Dir leider widersprechen. Die beiden von Dir genannten Szenen sind aus meiner Sicht keine voyeuristischen Darstellungen. Sie sind eine Emotionalisierung der Androiden: Man bekommt Mitleid: man leidet mit der leidenden Kreatur mit. Sie verliert die Attribute der Machine und wird dadurch menschlich, während Deckard zu einer Tötungsmaschine wird. Sehr gut ist das auch in dem Hörspiel dargestellt, in dem Deckard die Empathie mit der Sängerin empfindet und ihr noch eine Postkarte kauft, die sie schön findet. Während sein "Partner" die Androidin am liebsten sofort abgeknallt hätte. Was Ästhetisierung von Gewalt angeht, so gibt es auch da verschiedene Wege. Entweder den des John Woo (ist das Feuerwerk aus Explosionen nicht schön?) oder den von NATURAL BORN KILLERS (Opernmusik, ein Messer in Zeitlupe durch die Luft fliegend...). Ersteres lässt den Zuschauer sich in einer Trance aus Fiktion verlieren, letzteres konfrontiert den Zuschauer mit Gewalt, tut dem Zuschauer selber Gewalt an. Und ähnlich (wie letzteres) sehe ich auch die Blade Runner-Szenen. Bei NATURAL BORN KILLER wusste ich beim Anfang nie (ich habe den Film 3x im Kino gesehen damals), ob ich lachen oder kotzen sollte am Anfang. Das lag daran, dass ich rational das Dargestellte einfach absurd fand, emotional gleichzeitig völlig gefangen genommen war. Oh, was Resident Evil angeht. DEN Film habe ich nun wirklich eher mit den Augen eines Voyeurs gesehen... Milla!!!!!! http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/wink.png Ach ja: Solche Gewaltdarstellungen halte ich eher für bedenklich, weil eigentlich völlig sinnlos. Obwohlich Horrorfilme mag, auch gewaltsame. Aber ich denke, dass die Gewalt in solchen Filmen als Katharsis funktionieren muss: Die Gefahr von "außen" oder "innen" wird besiegt, die Angst, der innere Druck oder was auch immer, beseitigt. Das funktioniert aber nur, wenn im Zuschauer auch genügend Emotion aufgebaut wurde. Grüße, Ralph

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#8 Starwind

Starwind

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Geschrieben 10 März 2004 - 00:31

Hi Jakob!
Ich sehe in Blade Runner weder 'hochsexualisierte Szenen' noch sehe ich in 'Huren oder Wahnsinnigen' (trifft für beide wohl nicht zu) eine Bedrohung männlicher Vorherrschaft...auch nicht als Klischee...!
Auch eine Gewalt-Verherrlichung sehe ich in diesem SF-Film nicht.
Meiner Meinung nach, will uns der Regisseur bzw. Philip K. Dick in seinem Buch, die Gefahren, die in der 'Vermenschlichung' eines Androiden stecken, bewußt machen.
Finde übrigens 'Die Brücke' (Film) als ein Beispiel 'echter' Anti-Kriegs-Film!
MfG, Stw. http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/cool.png

#9 Jürgen

Jürgen

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Geschrieben 11 März 2004 - 14:01

Wer Blade Runner oder Strange Days als gewaltverherrlichende Filme tituliert, der hat m. E. nach entweder
A: ein vollkommen verdrehtes Weltbild
B: ist Fan von der Verfilmung "Warten auf Godot"
oder
C: die Filme nicht gesehen !!!

Sowohl Ridley Scott als auch Katherine Bigelow würden demjenigen gehörig die Leviten lesen, wenn sie mit solch einem Vorwurf über ihre "Meisterwerke" konfrontiert würden.
Die Gewalt wird ganz klar und vollkommen interpretationslos als Mittel zum Nachdenken und Verstehen eingesetzt. Wer da etwas anderes hineininterpretiert sollte sein Filmkonsum auf ältere Disney-Zeichentrickfilme beschränken ( ÄLTERE bitte, da neuere wie Tarzan oder König der Löwen ZUVIEL Gewaltszenen beinhalten) ;)

Wir leben nun einmal in einer Welt, die auch Gewalt beinhaltet. Wie blind soll man denn durch diese Realität rumlaufen, damit man nicht damit konfrontiert wird ?

@Jakob

Ich bewundere ehrlich gesagt seine Interpretationsfantasie zum Film Blade Runner. Was du da alles siehst ? Unglaublich.
Ich habe den Film ca. 35 mal gesehen, aber zu einem Fazit, dass auch nur peripher an deine Einschätzung heranreicht, komme ich nicht.
Kann es sein, dass du einen Film viel zu sehr "zerlegst" ?

Sorry... deine ganze Kritik liest sich wie ein frühes Pamphlet aus der linksliberalen Frauenszene .


Übrigens... meine ECHTEN Antikriegsfilme (und auch Anti-Militär) sind immer noch Die durch die Hölle gehen und Full Metal Jacket.

Gruss
Jürgen

Bearbeitet von Jürgen, 11 März 2004 - 14:32.

Aus dem Weg! Ich bin Sys-Admin...

#10 Rusch

Rusch

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Geschrieben 11 März 2004 - 14:41

Ich kann auch Gewalt und übermäßigen Sex sehr wohl verzichten. Aber bei Blade Runner? Bei dem Film hat doch alles gepasst.

#11 MartinHoyer

MartinHoyer

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Geschrieben 13 März 2004 - 10:41

Das Geschwurbel über Sexualisierung und Violentisierung in "Blade Runner" hatte ich Genüge im Zuge der Gender Studies. So sehr es mich damals auch freute, daß die ehrwürdigen Hallen der Germanistik einmal über den Tellerrand blickten - irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß zwischen angeblich im Film vorhandenen Diskursen und der Kompetenz der Beurteilenden eine gewisse Diskrepanz besteht.

Letztendlich läuft es darauf hinaus, daß sich entweder Nicht-Psychologen (die überdies noch Biographen sein müßten) ein Urteil über die Lebensmotive der Macher hinter einem Film anmaßen oder aber - in Ermanglung einer Komplettsicht auf die Motivik der Gattung - das Einzelspiel gezielt nach etwas durchsuchen, das sie finden wollen. Und wenn es danach geht, entdecke ich auch eine Sexualisierung - sogar mit päderastischen Tendenzen, wenn gewünscht - in Disneys "Arielle die Meerjungfrau" ...

Was Literatur- und Filmkritiker vor lauter Systematik (die ansonsten zweifelsohne hilfreich ist) meines Erachtens zu oft vergessen, daß ein bestimmtes Motiv zwar unendlich viele Bedeutungsebenen haben kann, aber nicht haben muß. Manchmal ist es eben doch ganz genau so gemeint, wie es offenkundig dargestellt und von Laien auch verstanden wird. Manchmal wird auch einfach vergessen, bis wo die Bedeutungsebenen triftig sind und ab wo man anfängt - wenn auch häufig hochinteressant - zu spekulieren.

Gerade in Blade Runner werden übrigens christliche Motive verarbeitet wie nichts Gutes, was zweifelsohne damit zu tun hat, daß Dick und Scott von ihren streng katholischen Müttern öfter prophylaktisch verhauen und dann in den Schrank gesperrt wurden. Oder so. http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/wink.png

Spaß beiseite. Das Ganze wird klarer, wenn man sich die Sicht verschiedener Schulen auf die gleiche Sequenz Ausschnitt eines Buches/Films anschaut. Für die Rationalisten ist deemotionalisierte Effizienz, wenn jemand erschossen wird, für die Postfeministischen ein Beweis geringerer männlicher Sozialkompetenz und weiblicher Emanzipierung (je nachdem, wer da wen erschießt) und wieder andere sehen in der Waffe ein Phallussymbol und in der Tat unterdrückte Sexualität oder die Aufarbeitung der Kommunistenverfolgung unter McCarthy. Es gibt sogar welche, die Rückschlüsse auf die Kleinwetterlage ziehen; in diesem Fall war's womöglich der Fön.

Gerade bei Filmen wird es noch komplizierter: Womöglich ist der Writer Pazifist, der Regisseur Methodist, der Leitende Kameramann begeistertes Mitglied einer paramilitärischen Wehrübungsgruppe, der Leitende Setdesigner in Nationalen Schwulenverband organisiert und die Beleuchter hatten während der Dreharbeiten Durchfall aufgrund schlechten Essens in der Studio-Kantine und der Cutter war während seiner Arbeit in Hochstimmung, weil er seine Scheidung glücklich durchbekommen hat ... Jeder Einzelne hat aber Anteil daran, wie sich ein Film letzendlich für die einzelnen Zuschauer darstellt. Zusammen mit dessen Wahrnehmungsvielfalt gehen die Deutungsmöglichkeiten ins Unendliche und wo der Eine Gewaltverherrlichung sieht, erkennt der Nächste gesellschaftskritischen Zynismus - oder denkt sich einfach mal gar nichts dabei.
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(Sarah Williams: The Old Astronomer To His Pupil)

#12 molosovsky

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Geschrieben 13 März 2004 - 14:43

Hallo Joe Chip,

danke für die Fragestellung (wenn die auch etwas arg vage ist; ich bin nicht ganz sicher, worauf ich mit Ja oder Nein antworten soll. Ins Grobe gesagt, bin ich gegen Gewaltverherrlichung, aber auch dagegen mit dem Totschlagargument »Film/Buch {Titel} ist gewaltverherrlichend« irgendwas ins Abseits zu bugsieren.)

Zu Deiner ersten Meldung; ich finde Strange Days ebenfalls nicht gewaltverherrlichend. Die voyeuristischen Szenen (Handkamera des Mörders) empfinde zumindest ich als extrem unangenehm - natürlich gut gemacht, also der Geschichtenkonsument ist begeistert, wie gut und wie das gemacht ist - zum Aufgeilen taugt es nicht. Und die Geschichte, in die diese Gewalt sich fügt, ist nicht gerade eine Nasenohrerei oder ein Regal zum Unterbringen blöder Sprüche, sondern ein für Hollywood-Filme erfrischend selbstkritischer Garn.

Antikriegsfilm: Interessante Bezeichnung, meiner Meinung aber nur für Film- und Medienwissenschaftler relevant, die nette (und ja durchaus auch hilfreiche) Schubladen-Kartographie betreiben. Entsprechend kann ich Deiner EInschätzung von Platoon oder Saving Privat Ryan (stimmt so) nicht zustimmen, oder sagen, saß ich die Klauberei zwischen Kriegs- oder Anti-Kriegsfilm nicht ganz kapiere. Am ehesten würde ich diesen Begriff sinnvoll angewendet sehen auf Filme, die in Kriegsumständen angesiedelt sind, sich aber hauptsächlich nicht um Kriegsgeschehen drehen, also sowas wie Der Pianist oder Birdy. Platoon und Saving Privat Ryan sind beides exzellente modernere Kriegsfilme (wie auch der schon erwähnte Deer Hunter), werden für mich nur noch von Full Metal Jacket, Starship Troopers und Black Hawk Down überflügelt.

zu Jacob: Für Deine Interpretation von Blade Runner hast Du Dir ja was anhören dürfen. Dabei finde ich schade, daß Dein Kommentar zur »Milla killt Arschloch mit Axt«-Szene in Resident Evil anscheinend übersehen wurde. Ich finde beide Betrachtungen von Dir nachvollziehbar und stimme Dir weitestgehend zu, ziehe aber offensichtlich andern Gefallen aus manchen Aspeken von Blade Runner. Meine Differenz zu Deiner Meldung kann ich am besten am Begriff der potentiell voyeuristischen Qualität der angesprochenen Blade Runner-Szenen aufzeigen: Alle Kunst funktioniert zu wesentlichen Teilen aufgrund von Voyeurismus. Lesen ist ein sehr langsamer und eigentlich intimer Akt, Filmegucken ebenso, nur eben lauter, größer, entmündigender. Im Grunde ist Filmgucken ja schon eine milde Form von Traumatisierung und nicht umsonst kann man in den letzten Jahren eine Annäherung von Achterbahn und Kino erleben (z.B. von Indy 2 bis Piraten der Karibik). Sich dem auszusetzten verlangt ein gewisses Maß an Neugierde, Passivseinwollen und Machmitmirwasduwillst-Haltung. Also einem Film (egal welchem) potentiellen Voyeurismus vorzuwerfen, ist imho so, als ob man urteile, ein Gemälde sei zu optisch.

Ich denke, die ganze Frage »Was ist Verherrlichun von Gewalt?« hängt doch sehr vom Standpunkt und der erwartung des Betrachters ab. Ratz-fatz als gewaltverherrlichend gilt etwas, daß uns zwar heftig mit Gewalt konfrontiert, dabei aber paradox, emotionell different bleibt. Dabei kann ich auf MartinHoyer reagieren und ihm erstmal zustimmen wenn er schreibt:

Gewalt wird dann verherrlicht, wenn sie als probates Mittel dargestellt wird, welches nicht am Ende einer Konfliktlösungskette, sondern an deren Anfang steht.

Dabei für mich der Witz: wie bestimmt man Anfang oder Ende einer Konfliktlösugnskette? - Völlig willkürlich, bzw. immer aus dem Kontext der Kultur heraus. Das Abendland ist da z.B. von wissenschaftlicher Kausal-Gramatik geprägt (egal wie sehr man sich in der Bevölkerung nach anderem sehnen mag).

Zum Abschluß: wir diskutieren hier (wie sonst allgemein Usus) immer nur über physische, unmittelbar körperliche Gewalt, bleiben also in der Sphäre des durchschnittenen Auges bei Bunuel, Cronenbergs explodierende Köpfe oder der Polizistenfolter bei Tarantino, und so weiter. Warum nimmt man bei Diskussionen über Gewaltverherrlichung selten Bezug auf Phänomene wie Mobbing, Küngelei, Jugendlichkeitswahn Superstarsuche, überhaupt Werbung (imho: Abschaffung aller Werbung die sich vorwiegend an Minderjährige wendet, fängt mit Süßigkeiten an der Kasse an), Dresscodes, Gesundheitswahn, Fraktionszwang, Loyalität, Verteilungsgerechtigkeit usw usw usw.

»Gewalttat, die - Jede unangenehme Handlung, aus der Sicht des Opfers. Widerlegung der Immunität.« - Ambrose Bierce, Wörterbuch des Teufels.

Allen Unversehrtheit wünschend
molosovsky

Bearbeitet von molosovsky, 13 März 2004 - 14:57.

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

Mehr Gesabbel von mir gibts in der molochronik

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#13 Jakob

Jakob

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Geschrieben 13 März 2004 - 17:43

Da macht man mal eine Woche Urlaub, und schön wird man geteert und gefedert! http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/biggrin.png Aber im Ernst noch mal: Vielleicht ist nicht klar geworden, dass ich gerade den von mir heißgeliebten Film BladeRunner als Beispiel angeführt habe, um zu illustrieren, warum ich den Begriff der Gewaltverherrlichung an sich ungeeignet finde, um über Filme zu diskutieren. Wo auch molosovsky drauf hingewiesen hat: So einfach lässt sich eben gar nicht entscheiden, was jetzt "Gewalt" ist und was nicht - und noch schwerer, wann ein Film zur "Nachahmung" anreizt. Ich schlage ja auch ganz gerne mit allen Gliedmaßen um mich, wenn Leute meine Lieblingsfilme angreifen - aber ich wollte Ridley Scott oder sonst wem an BR beteiligten überhaupt keine bösen Autorenintentionen unterstellen. Das halte ich für total müßig. Ich wollte nur mal drauf hinweisen, dass man auch in einem Klasse film wie BR eine Menge fragwürdiges Zeug finden kann. Sicher ist das eine Frage der Betrachtungsweise. Meine Mitbewohnerin war ziemlich erbost über einige der von mir genannten Szenen, und die ist wirklich keine 80erjahre-Feministion und hat auch nicht unglaublich viel gegen Gewalt auf der Mattscheibe. Es ist ihr einfach nur aufgefallen, dass Frauen in BR offenbar eher dazu da sind, verführerisch und gefährlich zu sein oder aber davon überzeugt zu werden, dass sie "ja" meinen, obwohl sie "nein" sagen (Rachel). Und dass da keiner mit "Sie wollte aber doch wirklich!" kommt - genau diese Fiktion zu fiktionale Erzählungen aufrechtzuerhalten, in denen sie dann praktischerweise wahr ist, ist ja Teil des Problems. Jetzt klingt das schon wieder, als wollte ich den Film verurteilen, aber darum gehts mir gar nicht. Es geht mir nur darum, die Berechtigung und notwendigkeit einer solchen Kritik zu verteidigen. Ich meine nicht "boykottiert BR", sondern "redet über BR" - der Film gibt nämlich, im guten wie im schlechten, den Stoff her, darüber zu reden. Aber er darf dabei eben nicht über jeden Zweifel erhaben sein. In diesem Sinne ist meine obenstehende Filmkritik natürlich tatsächlich nur eine durch die Gender-Brille. Das ist aber auch legitim - ich habe meinen Blickwinkel schließlich kenntlich gemacht und eben damit geschlossen, dass es gerade aufgrund des Blickwinkels bei den meisten Filmen ziemlich witzlos ist, sie rundweg als "Gewaltverherrlichend" oder was auch immer einzustufen. Um noch mal auf meine "Phantasie" zurückzukommen: Ich habe diese Sachen erst in BladeRunner reininterpretiert, nachdem meine Mitbewohnerin mich drauf gestoßen hat und ich mich wirklich mal gefragt habe, in welcher Weise ich mich in den entsprechenden Szenen als Voyeur betätige und was den Reiz daran ausmacht. Ich will mich gar nicht selbst als böser Mann geißeln, aber ich glaube doch, dass ich gewisse Faszination für diese speziellen Szenen habe, und dass das was mit deren Sexualisierung zu tun hat (die man m.E: nun wirklich nicht abstreiten kann!). Vielleicht zeigt BR dadurch aber auch was auf, vielleicht ist der Film selbst schon Kritik? Keine Ahnung, woher soll ich wissen, was in anderer Leute Köpfe vorgeht. Ich kann nur nach gängigen Symbolen und Bildern suchen und an ihnen ruminterpretieren. Gilt auch für alle anderen. Objektiver gehts eben leider nicht. Zuguterletzt möchte ich noch mal betonen, dass ich wirklich nicht vom Standpunkt des Germanisten komme, der seine Lieblingswissenschaft mal kurz auf ein hippes Thema anwendet. Ich war SF-Fan, lange, bevor ich irgendwas studiert habe, und obwohl viele behaupten, dass viele Zerpflücken würde einem den Spaß an Texten und Filmen nehmen, kann ich nur sagen, dass ich die wenigen Sachen, die ich zerpflücke, hinterher meistens weit aus inniger schätze.
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#14 Ulrich

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Geschrieben 13 März 2004 - 19:33

zu der Blade Runner Diskussion:Jede Interpretation bedarf einer Argumentation. Und bisher habe ich nicht verstanden, warum die genannten Szenen (hoch)sexualisiert wurden. Gewiss herscht insbesondere bei der ersten Szene eine sexuelle Atmosphäre. Doch was meint sexualisiert? Wenn ich mich richtig erinnere, dann war die eine Frau keine Hure. Sondern eine Unterhaltungskünstlerin. Ich liefere mal hier eine Begründung für die weiter oben genannte weibliche Bedrohung. Die Androidin wird nämlich angekündigt wie folgt: "Ladies and Gentlemen. Taffy Lewis presents Miss Solamay and the snake. Watch her take the pleasures from the serpent that once corrupted man." Deckard gibt sich ihr gegenüber jedoch sehr schüchtern und als Vertreter einer Bürgergruppe aus. Unter Sexualisierung würde ich verstehen, wenn er mit ihr zuerst genußvoll rummache und dann einfach genüßlich töten will. Deckard sagt später "The report would be routine retirement of a replicant which didn't make me feel any better about shooting a woman in the back. There it was again. Feeling, in myself. For her, for Rachel." Deckard weiß, dass er bei einer direkten Konfrontation keine Chance gegen einen Replikanten hat. Und so bewahrt ihn Rachel vor dem Tod, als Leon den hilflosen Deckard töten will. Eine Hilfe, die Deckard vorher abgelehnt hat.Wenn man das alles mit einer gender-Brille betrachten will, wie steht es dann mit dem männlichen Bild in Blade Runner? Ist Deckard überhaupt der eine standhafte Mann oder verändert er sich nicht eher im Laufe des Films? Meine persönliche Meinung ist, dass zu oft und zu viel interpretiert wird (ebenso bei Religion-SF). Zumindest sollte eine entsprechende Begründung folgen. Krass finde ich es, wenn in vielen Textpassagen oder Szenen eine spezielle bzw. besondere Sexualität zu sehen. z.B. am Ende von Alien zieht sich Ripley bis auf die Unterwäsche aus. Mögliche Interpretation: Eine hochsexuelle Szene mit einem geifernden Monstrum, das seine Eier legen will. Meine Meinung: Beim Sehen fand ich das eher wenig sexuell, einfach nur ziemlich bedrohend für Ripley. Außerdem erinnert mich die Fortpflanzung des Alien mehr an einen Virus, das seinen Wirtskörper tötet. Man sollte nicht außer acht lassen, dass der Mensch nun bestimmte Körperformen hat, die in der Natur oft anzutreffen sind, jedoch andere Funktionen haben. Nur weil ein Raumschiff langgestreckt oder kugelförmig ist, muss das noch lange nichts sexuelles sein.

#15 Jakob

Jakob

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Geschrieben 13 März 2004 - 20:09

@UlrichDie Männerrole in BR anzusehen wäre wirklich interessant - ja, Deckard gibt nicht so richtig den megaharten Macker ab. Aber das Deckard diese Position nicht einnimt, ist kein Gegenargument:"Sexualisiert" heißt nämlich einfach, dass etwas stark mit sexuell konnotierten Bildern oder Symbolen aufgeladen wird. Die Sexualisierung der Replikantin ergibt sich aus dem Ambiente (Strip-Club), dem Thema (Weibliche Versuchung) und der Bekleidung. Dass Deckard weiß, dass er der Replikantin unterlegen ist, wirkt der Sexualisierung nicht entgegen - im Gegenteil, weil es hier ganz klar um den Stereotyp der gefährlichen Frau geht. Das Wort "Hure" habe ich in diesem Kontext als Schlagwort verwendet, das hätte ich näher erklären müssen. Es geht bei diesem Wort nicht darum, ob eine Frau ihr Geld mittels Prostitution verdient und wie man das moralisch wertet. Es geht um ein ziemlich relaitätsfernes Stereotyp der Frau, die ihren Körper bedenkenlos zu ihrem Vorteil einsetzt und dadurch Männer in Versuchung führt und/oder bedroht. Für mich ist erst mal entscheidend, dass ich die mediale Reproduktion dieses Stereotyps blöd finde - auch wenn sie in BR stattfindet. Das deckard kein böser Kerl sein muss, sei damit gar nicht abgestritten - die Frage, um die es mir geht, findet einfach auf einer anderen Ebene statt, nämlich nicht in der Filmhandlung, sondern in der Bildsprache und in bestimmten Themen- und Handlungselementen.Die von dir genannten Elemente - Deckards Schüchternehit, seine Reue - könnten ironisierend sein. Aber gerade seine Reue finde ich eigentlich recht ungeeignet, um die Behauptung der Sexualisierung zurückzuweisen: Gerade hier werden doch die Themen Gewalt gegen Frauen/Heterosexualität ganz direkt miteinander verbunden! Der Satz trägt also eher zur sexualisierung der Szene bei - egal, wie dabei moralisch gewertet wird. Ich denke, dass es oft weniger auf die moralischen Wertungen ankommt, die in einem Film direkt ausgesprochen werden, und mehr auf die Inszenierung.
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#16 MartinHoyer

MartinHoyer

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Geschrieben 14 März 2004 - 09:39

Wenn man jedoch moralische Wertungen außen vor läßt, kippt die Argumentation, daß durch das Ambiente (-> Stripclub) und das Berufsfeld der Replikantin eine Sexualisierung bewirkt wird (bzw. überhaupt bewirkt werden soll). Unter Auslassung moralischer Kriterien könnte auch die Panorama-Perspektive über die grüne Heide mit Hirtinnen als Sexualisierung verstanden werden - huch, das gab's übrigens wirklich, auch wenn schon ein paar Jahrhunderte her ist (Stichwort: Schäferstündchen).Nee, das Bild ist erst einmal nur ein Bild. Erst der Kontext, die Intention des Aus- oder Darstellenden und die Interpretation des Betrachters lassen Kategorien und Konnotationen zu. Und da wird's hakelig: Ist womöglich das bloße filmische Zeigen einer berufstätigen Frau schon eine Rollenzuweisung oder doch eher ein Spiegel der Realität? Und wenn es ein Spiegel ist, wieviel verzerrt er und wie selektiv ist der Ausschnitt, den er wiederspiegelt?Übrigens glaube ich nicht, daß hier irgend jemand mit Händen und Füßen BR verteidigt. Wozu auch? Dem Fan dürfte es für seine Liebhaberei egal sein, wer da wo sexualisiert oder Gewalt verherrlicht wird. Klar, man kann immer spekulieren - die Frage ist dann eher, wo es produktiv/konstruktiv ist. Nicht zuletzt geht es doch gerade in der SF um Fiktion, also das, was nicht "echt" (nach sehr traditioneller Sicht sogar "gelogen") ist. Für dieses Forum würde ich mir daher eher eine Diskussion wünschen, die auf den Unterschied möglicher Gewaltverherrlichung in SF im Gegensatz zur Nicht-SF eingeht, im Sinne von: Was darf - ganz subjektiv, versteht sich - wer wo in welcher Absicht mit welchen Mitteln?
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#17 Jakob

Jakob

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Geschrieben 14 März 2004 - 15:58

Ich für meinen Teil höre jetzt auch bereitwillig auf, übrer BR zu diskutieren. War ja auch eigentlich wirklich nur ein Beispiel dafür, wie weit man es mit den Interpretationen treiben kann. Ich hab mich nur noch mal so ausführlich ausgelassen, weil ich mich mit irgendwelchen Germanisten in einen Topf geworfen fühlte, die sich überheblich der SF annähern ... das hat mich dann doch ein bisschen erschreckt.

Um aber das eigentliche Thema fortzuspinnen: Ein zentraler Film dazu ist für mich ja Total Recall. da wird Gewalt ja gleichzeitig unglaublich krass und unglaublich bizarr und unglaubwürdig dargestellt. Das ganze beschäftigt mich mal wieder aufgrund des Urteils einer mitbewohnerin von mir (einer anderen), die erklärte, man müsse ja wohl "krank" sein, um sich so was auszudenken. das hat mich natürlich zutiefst erbost, allein schon, weil ich es ganz allgemein absolut fragwürdig finde, die Kategorie "krank" auf künstlerische Produktion im weitesten Sinne anzuwenden. Ich habe mich dann allerdings gefragt, was die spezielle Qualität von Gewalt in TR ist, die sie "krank" erscheinen lässt, und bin eigentlich auch als erstes auf die extreme Stilisierung von ziemlich abstoßenden Vorgängen gekommen, die eine gewisse Faszination ausübt. Insbesondere, dass blut selbst dann in Szene gesetzt wird, wenn eine Ratte erschossen wird - das ganze wirkt wie ein ständig wiederholter Verweis auf eine Körperlichkeit von Lebewesen, die irgendwie dauernd ins Tote, abstoßende umzukippen droht. Ist das ein typisches Merkmal bestimmter SF (z.B. auch Cronenberg, oder Alien 4 in seinen besseren Momenten)? Persönlich schätze ich die "bizarre" herangehensweise, weil ich ihr immer unterstelle, dass sie das Thema ironisiert und einen damit stärker anregt, über das nachzudenken, was man sieht.
Andererseits basieren solche bizarren Stilisierungen natürlich oft auch sehr stark auf Stereotypen - Symbole müssen schließlich auch "gelesen" werden können. Und gerade die inszenierung von Körpern als "Blut- und Organbehälter" kann natürlich auch ziemlich zynisch und menschenverachtend sein.

Hm, ich hab den eindruck, ich kriege die Sache noch nicht ganz in den Begriff. Hat irgendwer schlaue Einsichten zu dem Film? ich werd ihn mir noch mal aufmerksamer ansehen müssen ...
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#18 yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 13 April 2004 - 21:59

Wow, (wort-)explosiver Gesprächsstoff...

Ich versuche (:D) mich kurz zu fassen: Regisseure (und wohl auch wir, deren Konsumenten) lieben Tabuthemen in ihren Filmen, weil sie uns dadurch eher in Erinnerung bleiben. Das sind grobgesagt fast immer Varianten/Mischungen von 3 Dingen: Gewalt, Sex und Tod.

Vorab also, es gibt m.E. in fast allen Filmen Versuche eins oder mehr dieser Themen besonders anzusprechen bzw. die entspr. Tabus zu brechen bzw. noch stärker als bisher zu brechen. Das Thema "Gewaltverherrlichung" gerade im Film ist also ein sehr breites, weil jeder 3. bekanntere Film der letzten 50 Jahre offen versucht Gewalt zu thematisieren, und zwar m.E. so dass man sich an gerade den aktuellen Film möglichst erinnern soll.

Ich hasse die meisten Gewaltszenen, denn im Alltag gibt es kaum derartige Gewalt und wenn man mal als Erwachsener öfter Gewalt im Alltag erlebt hat, sehnt man sich m.E. auch kaum noch danach. Und ich hasse inzwischen auch dass bei jeder 2. Diskussion über Filme genau darüber geredet wird wie der eine oder andere Film das Gewalt-/Todestabu bricht. Ich finde wir reiben uns auch in diesem Thread etwas am Tabu, und möchte in solchen Gesprächen immer öfter abbrechen und auf eine grüne Wiese hinauslaufen und Schmetterlinge zählen (weil: das Leben besteht aus mehr als nur diesen 3 Dingen, auch wenn wir Stadtkinder das nicht so gut merken).

Weder SD noch BR und auch nicht Platoon fand ich besonders gewaltverherrlichend - was mir bei allen wichtig vorkam, ist dass Zeugen/Verursacher die Gewalt bereuen, auch wenn sie wissen dass sie noch nicht zu Ende ist. Dass sie merken wie sie die angewandte Gewalt verändert. Und dass praktisch jedeR dazu fähig ist. (Wo bleibt in dieser Diskussion eigentlich Thelma & Louise? Da war m.E. jedenfalls klarer woher die jeweilige Gewalt kam und wohin sie führte...)

Brutales Sterben möglichst genau zu zeigen (je länger je "echter") ist eh nichts Neues. Private Ryan war da nur der neueste Rekordler (in den ersten 20 Minuten). Dieser Film machte dabei aber viel stärker als z.B. Full Metal Jacket auf mich den Eindruck, dass es hier eher zentral um Heldenverherrlichung ging, was im Mix mit "politisch korrekter" Gewaltverachtung, mir gar nicht besonders schmeckt. In amerikanischen Militärfilmen kommt in den letzten Jahren dieses Heldenthema unerstaunlicherweise immer öfter hoch.

Gut, Gewalt und Tod waren jetzt schon dran - wie sieht's mit tabubrechendem Sex aus, möglichst gewaltlos und nicht tödlich? New thread, anyone? http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/huh.png

/KB

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#19 Jakob

Jakob

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Geschrieben 15 April 2004 - 16:54

Zum Thema Tabu widerspreche ich ja immer gerne - ich halte das einfach für keine geeignete Kategorie, um sich mit Medien auseinanderzusetzen. Zumindest, wenn man Gewalt, Sex und Tod als solche bezeichnet - alle drei sind ja im Gegenteil Themen, die nicht nur heutzutage, sondern seit ewigen Zeiten in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen auf die eine oder andere Art ausgiebig thematisiert werden. Wenn überhaupt, dann sind die drei Themen Tabus der Moderne, d.h. sie sind irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts zu welchen geworden. Aber tatsächlich bestandi hre Tabuisierung ja in einem unglaublichen Anstieg der Diskurse zu diesen Themen - Sexualität und Tod wurden maßlos verwissenschaftlicht. Und über Gewalt ist sicher nie so viel geredet worden wie heute.Insgesamt, war das, was man als "Prüderie" bezüglich dieser Themen bezeichnen könnte, wohl höchstens eine kurze historische Phase, und deshalb ist der "Tabubruch" dann auch so unaufregend.Ich denke, dass man sich ein Stückweit selbst den Blick verstellt, wenn man diese "großen" Begriffe aufrichtet, weil sie oft wie diskursive Sackgassen funktionieren. Sackgassen insofern, dass die Frage nach dem Tabubruch oft zur entscheidenden stilisiert wird. Das funktioniert meistens so: Ich sehe einen Film mit extremen Gewaltdarstellungen und komme zu dem Schluss, dass die Macher Tabus brechen wollten, um sich interessant zu machen. Damit ist dann oft das moralische Urteil gefällt. Dabei kann es ja durchaus sein, dass die Macher genau das im Sinn hatten, nur bringt uns diese Feststellung gar nicht weiter, wenn wir herausfinden wollen, warum bestimmte Gewaltdarstellungen bestimmte (oft sehr unterschiedliche) Wirkungen haben. Dafür muss man die entsprechenden Filme aber erstmal künstlerisch ernstnehmen - ein Verhoeven präsentiert extreme Gewalt ganz anders als Oliver Stone, und beides ist definitiv nicht das gleiche. Der Tabubegriff hingegen klingt immer so, als würde hier eine Wand eingerissen, und dahinter kommt dann die ganze indifferente, blutige Suppe zum Vorschein.Irgendwie scheint mir das Wort "Tabu" an sich auch schon stark zu einer moralischen Bewertung in die eine oder andere Richtung zu verleiten - entweder ist das Durchbrechen des Tabus eine positive Leistung, oder es ist nur Effekthascherei und geschieht aus "niederen Motiven". Die Bewertung bringt einen dann aber im Verstehen letztlich gar nicht weiter ...
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#20 yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 15 April 2004 - 17:55

Hm, ja, mein Beitrag klingt wohl sehr moralisierend. (Hab auch danach ein paar Mal überlegt ob ich ihn streiche, weil zu pompös-klingend.)

Ich wollte die 3 Bereiche nicht allgemein als Tabus abstempeln, sondern nur andeuten dass in diesen Bereichen Tabubrüche sehr oft gerade in Filmen probiert werden, sozusagen die Grenze immer weiter verschiebend. Es gibt ja noch andere Bereiche (Kindesmisshandlung, Fäkalien, ...) die mir einfallen aber weit seltener dran kommen. Eben 3 "visuell coole" Tabu-Testareale.

Aber ich bin schon der Diskussion über Sinn und Unsinn und künstlerischer Deutung von Gewaltszenen in Filmen einfach nicht mehr so gewogen. (Deshalb fasse ich mich dieses Mal wirklich kurz!)

Ob das zu anderen Epochen weniger diskutiert wurde, ist mir relativ egal; in der BRD/Europa wird es seit mindestens 40 Jahren gerne und oft diskutiert. Im fernen Süden (wo ich aufwuchs) eher weniger, dafür bekommt man mehr davon im Alltag mit.

Moralisch wollte ich eher nicht urteilen. Es geht auch nicht um von mir empfundene Tabugrenzen. Ich wollte nur für mich feststellen, warum ich weitergehen will - "auf die Wiesen". Ohne Andere zu sehr zu verdammen (Freude am Tabu-Reiben spreche ich niemandem ab :D ).

P.S.: Verhoeven ist m.E. in einigen Filmen zumindest ein Gewaltfetischist; in Starship Troopers hat er auch zumindest eine Brutalo-Abmurks-Kinoszene neu erfunden (Ok, kenne mich eher mit Mainstream-Filmen aus als allen B-Varianten). Evtl. ja in Total Recall auch, aber da habe ich nicht so genau hingesehen... Stone - wenn ein Fetischist, dagegen dann eher ein verkappter; die brutalste Szene die ich mit ihm assoziiere kommt in der Serie Wild Palms vor, und die hat er meines Wissens nur produziert.

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 15 April 2004 - 18:27.

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#21 Jakob

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Geschrieben 15 April 2004 - 18:54

@yip:
Nein ,ich meinte gar nicht, dass du moralisierend rüberkommst. Ich bin eher wieder ausgeufert und ins ganz allgemeine Thema geschliddert, das hatte wenig mit dem zu tun, was du geschrieben hast. :lookaround:
Aber Verhoeven gibt wieder mal ein gutes Beispiel ab: Kann sein, dass er ein Gewaltfetischist ist, vielleicht auch nicht ... aber das finde ich eigentlich nicht wichtig, weil ich das sowieso nicht herausfinden kann. Er hat aber einen bestimmten Stil der Gewaltdarstellung, der meines Erachtens in Total Recall sehr deutlich rauskommt, und den ich zugegebenermaßen faszinierend finde. Etwas surreal, mit sehr viel schwarzem Humor und eingestreuten Splatter-Elementen. Ich glaube, dass ein zentrales Motiv mindestens bei TR die Transformation der Körper durch Gewalt ist - sei es, indem ihre Gesichter sich aufblähen, oder einfach nur indem sie unheimlich schlagartig zu reglosen Körpern werden - ich finde, das ist wirklich eine unheimliche Inszenierung von so etwas wie Materialität von Gewalt, Materialität von Tod. Anders gesagt: der Film arbeitet sehr stark mit Menschen wie mit "Biomaterial", aber er ist sich gleichzeitig der phantasmatischen Aspekte dessen bewusst, was er bei dieser "Arbeit" zum Ausdruck bringt.
Das Macht TR nun nicht unbedingt "Gewaltkritisch". Es handelt sich einfach nur um Hinweise darauf, warum Verhoevens Filme oft so beunruhigend sind. Das kann man Gewaltfetischismus nennen, aber ich würde es wohlwollender interpretieren. Ich denke, das hier freiwillig oder unfreiwillig etwas "mehr" aufscheint: Nämlich der krasse Widerspruch zwischen der Feststellung, dass ein Leben eine physische Substanz hat, die sich der Kontrolle weitgehend entzieht (so viele "beiläufige" Tode in diesen Filmen), und die einerseits schon an sich etwas grauenhaftes, monströses hat (weil sie immer auf den Tod verweist), andererseits aber immer Objekt unserer Faszination ist (genau, weil wir sie unter kontrolle bringen wollen).

Eine Aussage über den Film habe ich damit letztlich nicht getroffen, nur mein Interesse bekundet und versucht herauszufinden, wo es her kommt. Jedenfalls ist die Faszination, die ich bei TR empfinde, eine ganz andere (und erschütterndere), als die für das Kugelballet in Matrix - obwohl beides explizite Gewaltdarstellungen mit vielen Toten sind, und obwohl in beiden Fällen keine moralische Reflektion auf diese Morde stattfindet, haben sie ganz und gar unterschiedliche Wirkungen - zumindest auf mich ...
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#22 Gast_Gerd_*

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Geschrieben 16 April 2004 - 00:42

Da muss ich mich doch auch mal wieder ganz kurz einklinken:

Ob Verhoeven ein Gewaltfetischist ist, wage ich nicht zu beurteilen, dass er aber einen ... hm ... obsessiven Umgang mit Gewalt pflegt, lässt sich m.E. in fast allen seinen Filmen erkennen. Er ist in gewisser Weise von der Gewalt besessen (eine Gewaltbesessenheit, die er - wie alles, was ich schreibe, natürlich imho http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/wink.png - z.B. mit Tarantino, John Woo (frühe Filme) oder Sam Peckinpah teilt). Aber ob er sich an dieser Gewalt "aufgeilt" oder sie für ihn eine katharsische Wirkung hat/haben soll - keine Ahnung....

Und was er oder die anderen Jungs uns damit sagen wollen - tja, das liegt dann wieder ganz stark im Auge des/der Betrachtenden.

Und noch 'ne Frage: Da bei einer solchen Diskussion immer mal wieder gerne auf die typischen Kriegsfilme à la "Private Ryan" oder "Full Metal Jacket" abgehoben wird - hat hier eigentlich niemand Terence Mallicks "The Thin Red Line" gesehen (hieß bei uns "Der schmale Grat"). Der kommt übrigens mit erstaunlich wenig exzessiver Gewaltdarstellung aus.

So, nu isses irgendwie OT geworden - sorry :D

Grüße
Gerd

#23 Trurl

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Geschrieben 16 April 2004 - 22:24

@Jakob

Eigentlich wollte ich mich in diese Diskussionen hier gar nicht einmischen, da solche Gewaltdebatten ein Fass ohne Boden sind, allerdings muss ich gestehen, dass ich es immer wieder faszinierend finde, dass selbst in Filmen, von denen ich glaubte dass ihnen jeder intellektuelle Sinngehalt erfolgreich entfernt wurde, immer noch ein interpretierbarer Rest gefunden werden kann... ;)

Ich wäre ehrlich gesagt nie auf die Idee gekommen derart tiefschürfende Reflexionen anhand der Gewaltdarstellung in Total Recall anzustellen und die gezeigte Gewalt derart abstrahiert zu sehen um dieses Reflexionsnivau zu erreichen. Respekt. Möglich, dass man das alles in dem Film sehen kann, aber es gehört doch schon viel ungezügelte Interpretationsfreude dazu, meinst Du nicht? ;)
("Transformation der Körper durch Gewalt" als zentrales Motiv? Ziemlich lustig, sooo kann man das natürlich auch ausdrücken. :devil:)

Ok, nichts für ungut, ich bin jetzt vielleicht ein wenig zu sarkastisch und Deine Ansichten seien Dir unbenommen, aber ich denke das gerade dieser Film Verhoevens diese abgehobene Betrachtungsweise einfach nicht wert ist, tut mir wirklich leid, zumal er sein eigentliches SF-Thema, das er hätte behandeln sollen, eleganterweise bald aus den Augen verloren hat um sich sinn- und zweckfreien Ballerorgien hinzugeben.


Ein kleiner Exkurs zu Total Recall:
Im Gegensatz zu Dir, kann ich Deine Faszination an der Gewalt in Total Recall nicht nachempfinden, lassen mich die Gewaltexzesse in Total Recall ziemlich kalt und wirken auf mich weniger verstörend als skurill und lächerlich überzogen, eher ärgerlich als ironisch (aufgeblasene Köpfe sehen zwar grotesk und unappetitlich aus, aber damit hat es sich auch schon). Es ist einfach so, dass mich das alles wegen seiner Sinnentleerung nervt. Die Gewalt steht in einen keinem sinnvollen Zusammenhang mit der Geschichte, ist vor allem anderen reiner visueller Selbstzweck, Nervenkitzel, oberflächliche Stimulans und nicht einmal sonderlich "schön" inszeniert, so dass man sie vielleicht ästhetisch geniessen könnte (wie in Apocalypse Now). Total Recall ist bestimmt kein Film der einen Dialog über filmische Gewalt anzetteln will, das halte ich für Überinterpretation, sondern ein rein kommerzielles Filmprodukt wie viele andere auch, dessen Gewaltdarstellungen vor allem dem Zweck der besseren Verkäuflichkeit dienen. So sehe ich es zumindest.

Beunruhigend ist an Total Recall nicht die exzessive Gewaltdarstellung als solche, die wirkt auf die Dauer nur ermüdend, sondern die Unfähigkeit von (potentiell begabten) Hollywood-Regisseuren Geschichten intelligent zu erzählen und mit Tiefe zu versehen. Das ist ein viel schlimmeres Vergehen als der ganze Gewaltquatsch, den Verhoeven in seinem Film zelebriert. Das Problem bei Total Recall ist, dass der Film von seiner Action abgesehen, die mittlerweile auch nicht mehr so berauschend ist, schlicht und einfach abstruses SF-Stroh drischt und er gewinnt durch die gezeigte Gewalt (die mit der Zeit abstumpft) auch keine zusätzlichen Qualitäten (imho natürlich). Es fällt mir deshalb schwer in den Film allzu viel Interpretationsaufwand hineinzustecken.

Es ist wirklich schlimm wie der Film sein vorhandenes Potential verschenkt. Es gab in Total Recall eine kurze Szene, in der sich das Gezeigte als virtuelles Abenteuer des Helden hätte herausstellen können (die Sache mit der Pille), wodurch der Film eine ganze andere Wendung erfahren hätte, der ganze präsentierte SF-Kitsch samt seinen Mutanten, Marskolonisten und außerirdischen Artefakten hätte als erfundene Abenteuer-Simulation Sinn ergeben. Ich hatte gehofft, dass es sich so erweisen würde, aber der Moment ging vorbei, die aufscheinende Doppelbödigkeit der Geschichte wurde begraben und nahm ihren vorprogrammierten Verlauf. Das Spiel mit simulierten Realitäten wurde einer linearen SF-Agenten-Mutanten-Alien-Geschichte geopfert, die, auch nur ansatzweise als SF ernst zu nehmen, mir völlig unmöglich ist.

Worüber man jetzt nur noch diskutieren kann ist, ob der gezeigte Unsinn irgendeinen eigenständigen Wert entwickelt, also dass in der Überzeichnung, in der Absurdität ein eigener Sinn liegt, der das Gezeigte als ein selbstironisches Spiel enttarnt. Die Filme von Tarantino und Rodriguez (Desperado, From Dusk Till Dawn) könnten als Beispiele dienen wo dies m.E. gelungen ist (wobei diese Filme natürlich auch Geschmacksache sind, mir hat zum Beispiel Pulp Fiction nie gefallen, während Desperado wunderbar schräg ist). Diese Filme sind zwar so gesättigt mit Gewalt, dass das Blut aus allen Ritzen tropft, aber alles ist derart übersteigert und selbstironisiert, dass man es wieder nicht mehr vollkommen ernst nehmen kann. Gewalt wird dort durch massive Selbstironie gebannt und konsumierbar gemacht. Es gibt in Total Recal zwar auch Ansätze die Geschichte durch Ironie zu brechen, aber das sind nur einzelne kurz aufflackernde Momente, die gleich wieder im allgemeinen Getöse untergehen. Den Film kann man nur durch Hirnabschalten ertragen, und weil er sich selbst so furchtbar ernst nimmt ist nur eine ziemlich abstruse SF-Action-Geschichte entstanden...


Um den Bogen noch einmal zurück zur Gewaltdiskussion zu schlagen. Bislang hat sich die Argumentation primär auf spezielle Formen filmischer Gewaltdarstellung beschränkt. Ist die Gewalt im Film, die ein allgemein toleriertes Maß überschreitet bereits Gewaltverherrlichung oder immer noch ein legitimes künstlerisches Stilelement.

Etwas zu kurz kommt mir aber die Tendenz, dass in bedenklich zunehmendem Maß massive Gewalt als dramaturgisches Ausdrucksmittel zum Standard wird. Nicht nur im Film, auch in TV-Serien und PC-Spielen. Abseits der bisherigen Diskussion, die sich auf Einzelfilme beschränkt hat, scheint mir der letztere Punkt fast wesentlicher zu sein.

Beunruhigend ist die inflationäre Darstellung von virtueller Gewalt auf allen Fernsehkanälen, in PC-Games, sowie die immer explizitere Darstellung derselben. Nicht das es früher in den Filmen und TV-Serien keine Gewaltdarstellungen gegeben hätte, aber das Ausmaß und der Detailreichtum hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten schon vervielfacht. Kaum eine Krimi- oder Action-Serie in der es nicht am Ende ein halbes Dutzend Leichen gibt und in jedem zweiten Satz jemandem der körperliche Tod angedroht wird. Bedenklich sind nicht die expliziten Gewaltdarstellungen einzelner Filme, die könnte man ja irgendwie ignorieren, sondern die allgegenwärtige Darstellung von körperlicher und psychischer Gewalt in den visuellen Medien, die suggerieren, dass Gewalt erstens etwas Alltägliches ist und zweitens, dass Gewalt als Problemlösungsmittel zulässig ist. Gewalt (auch kriegerische Gewalt) wird in unserer Gesellschaft wieder hoffähig, das ist glaube ich kein persönlicher Eindruck von mir, sondern faktische Realität.

Filme wie Total Recall und andere die Action und Gewalt so massiv in den Vordergrund stellen, sind für mich eher ein Gradmesser dafür, dass sich in unserer Wahrnehmung von Gewalt etwas ändert, dass sich unsere Maßstäbe was wir an Gewaltkonsum noch zu ertragen bereit sind ständig verschieben, wobei der Gewöhnungseffekt eine Abstumpfung dahingehend bewirkt, das Gesehene im Normalfall nicht mehr weiter zu hinterfragen als normal anzusehen und nur noch passiv hinzunehmen (aber was bleibt einem als Zuschauer auch anderes übrig als sich durch Abstumpfung zu schützen). Folge ist eine immer höhere Dosierung von Gewalt. Man muss sich allerdings fragen ob es künstlerisch gesehen Sinn ergibt, Gewalt im Film als ein Stilelement des Nervenkitzels in immer höheren Dosen einzusetzen. (Eine TV-Serie wie 24 die ich eigentlich schätze, wäre was ihre Gewaltdarstellung angeht noch vor zehn oder fünfzehn Jahren im Fernsehen undenkbar gewesen.)
Nur weil man diesen Gewaltoverkill nicht mehr bewusst wahrnimmt wird die Angelegenheit damit nicht harmloser, sondern zeigt nur die eigene Abstumpfung.

Beunruhigend wirkt Gewalt dagegen im Film, wo sie als dramaturgisches Element in einen emotional nachvollziehbaren Kontext gestellt wird (der im SF-Action-Film ganz selten gegeben ist), dort kann sie unerträglich sein, selbst dann wenn es sich um keine exzessive Gewaltdarstellung handelt (mir kommt hier die Bohrer-Folterszene in Der Marathon Mann in den Sinn, die in all den Jahren nichts an ihrer Intensität verloren hat, während die Baller-Orgien in Total Recall, wo dutzende Unschuldiger als "Kollateralschäden" enden, bereits nach dem zweiten oder dritten Ansehen bereits abstumpfen). Ich lehne Gewalt im Film und sonst wo nicht kategorisch ab, sie sollte allerdings nicht zu reinem Selbstzweck verkommen und man sollte sie nur gut dosiert einsetzen damit sie ihre flüchtige Wirkung nicht durch Gewöhnung einbüßt.

Trurl
»Schau dir diese Welt nur richtig an, wie durchsiebt mit riesigen, klaffenden Löchern sie ist, wie voll von Nichts, einem Nichts, das die gähnenden Abgründe zwischen den Sternen ausfüllt; wie alles um uns herum mit diesem Nichts gepolstert ist, das finster hinter jedem Stück Materie lauert.«

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#24 Jakob

Jakob

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Geschrieben 17 April 2004 - 13:02

@Trurl:

Möglich, dass man das alles in dem Film sehen kann, aber es gehört doch schon viel ungezügelte Interpretationsfreude dazu, meinst Du nicht?

Ja ;) .

Ich wollte mich jetzt auch nicht für die totale Tiefsinnigkeit von TR in die Bresche werfen - obwohl ich den film eigentlich mal ganz abgesehen von dem blutigen Zeug als recht gewitzt in Erinnerung hatte. Ich fand es gerade recht positiv, dass der Film letztlich nicht aufgeklärt hat, ob es sich um implantierte Erinnerungen handelt. Wenn man aber die Handlung nachvollzieht, passt sie genau zu dem, was dem Helden zu Beginn versprochen wird. Also gibt der film einen haufen Hinweis, dass alles nicht "real" war. und so kitischig fand ich das auch nicht - immerhin waren die Mutanten teilweise äußerlich ziemlich widerlich und haben gar nicht in das Klischee einer zu rettenden "Eingeborenenbevölkerung" gepasst. Aber ist auch lange her, dass ich den film gesehen habe, und je länger her, desto mehr Zeit hat man, was reinzuinterpretieren.

Dass der Film eine Diskussion über filmische Gewalt anzetteln wollte, glaube ich auch nicht - trotzdem denke ich, dass Verhoeven visuell einfach einen sehr erkennbaren Stil hat, der nicht der üblichen Ästhetisierung von Gewalt Entspricht. Das auch hier ästhetisiert wird, will ich gar nicht abstreiten, aber irgendwie doch anders.

Und auch noch mal zur Gewalt: Die Diskussion über "sinnlose/sinnvolle(motovierte)" Gewaltdarstellung finde ich auch sehr interessant, was die zweite Staffel von 24 betrifft. Von "sinnloser" Gewalt in Film und Fernsehen wird ja meistens geredet, wenn die Gewaltakte nicht nachvollziehbar aus der Handlung/den Figuren heraus motiviert ist. Die Kritik an solchen Gewaltdarstellungen beruht glaube ich oft auf der "Nachahmungsthese": also etwa, wenn im Fernsehen ohne Grund getötet werden darf, kommen die Zuschauer darauf, dass das auch im wirklichen leben gilt. Das glaube ich eher nicht, und deshalb störe ich mich glaube ich auch wenig an dieser Form von "Sinnlosigkeit". Wichtiger ist mir da schon, dass Gewalt in den Filmen als folgenreich reflektiert wird (OK, das passiert in TR auch nicht gerade).

Aber die Darstellung "motivierter", also vernünftig aus der Handlung den den Figuren erklärter Gewalt, halte ich oft für fragwürdiger. Dafür ist 24 ein gutes Beispiel: In der 2. Staffel wird mit der Atombombendrohung gegen LA so eine maximale Bedrohung eingeführt, dass zu ihrer Abwendung jedes, aber auch wirklich jedes mittel recht ist - und diese Haltung wird dem Zuschauer nachvollziehbar gemacht. Was machen schon ein paar Morde an Kriminellen und ein bisschen Folter aus, wenn Millionen Menschenleben zu retten sind?
Aber natürlich macht gerade dieses Szenario den Wunsch wahr, "richtige" Gewalt auch jenseits der maßstäbe emfundener Gerechtigkeit ausüben zu dürfen. Die Protagonisten stehen gewissermaßen von Anfang an mit dem Rücken zur Wand, alles, was sie tun, ist im größeren Rahmen zu ihrer Verteidigung. Gewisserweise stellt 24 also mit seiner motivierten Gewalt einen viel größeren Gewalt-Rechtfertigungs-Scheck aus als der durchschnittliche Splatterfilm. Nun schätze ich 24 auch sehr und denke auch, dass die Serie durchaus Reflektionspotential bietet. Auf jeden Fall ist sie mir lieber als die ST-Next-Generation-Variante, in der jeder Konflikt mit einer Moralpredigt gelöst werden konnte. Aber 24 inszeniert auch - noch dazu unter dem Vorzeichen höchstmöglicher Wirklichkeitsnähe - typische Rechtfertigungszusammenhänge für extreme Gewalt und trägt dabei wohl mehr zur Auflösung von individuell empfundenen Grenzen des Legitimen bei. Ein bisschen scheint mir das wie die Verhöre zu funktionieren, denen man Wehrdienstverweigerer früher unterzog (oder macht man das heite immer noch?): "Wenn nun aber jemand ihre Freundin vergewaltigen wollte, dann würden sie ihn doch im Notfall töten, oder?". 24 funktioniert analog etwa so: "Natürlich sind sie gegen Folter und Selbstjustiz. Aber wenn so viele Leben auf dem Spiel stehen ..."
Ich bin neugierig, inwieweit die Serie auch die politischen und individuellen Folgen der dargestellten extremen Sicherheitspolitik darstellen wird ...
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#25 Trurl

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Geschrieben 17 April 2004 - 18:06

Hallo Jakob,

Gut. Total Recall ist abgehandelt und begraben. ;)

Viel interessanter zum Thema Gewalt ist in der Tat die TV-Serie 24. Aber weniger unter dem Gesichtspunkt der Darstellung von teilweise außerordentlich drastischen Gewaltszenen, die bis an die Schmerzgrenze des Erträglichen gehen. Die Gewalt in 24 nimmt einen deshalb so mit nicht, weil es Folter im Fernsehen oder im Film bislang nie zu sehen gab, sondern ganz einfach, weil es keine ferne Utopie ist oder das Werk eines geisteskranken Irren, sondern weil dies in der heutigen Zeit so plausibel und vorstellbar geworden ist. Da ist 24 im Moment direkt am Puls der Zeit.

Aber die Darstellung "motivierter", also vernünftig aus der Handlung den den Figuren erklärter Gewalt, halte ich oft für fragwürdiger. Dafür ist 24 ein gutes Beispiel: In der 2. Staffel wird mit der Atombombendrohung gegen LA so eine maximale Bedrohung eingeführt, dass zu ihrer Abwendung jedes, aber auch wirklich jedes mittel recht ist - und diese Haltung wird dem Zuschauer nachvollziehbar gemacht. Was machen schon ein paar Morde an Kriminellen und ein bisschen Folter aus, wenn Millionen Menschenleben zu retten sind?

Ich glaube nicht das die Serie unter dem Vorwand einer Atombomben-Bedrohung den Mord oder die Folter an Terroristen rechtfertigt und der politischen Rechten in den USA damit Argumentationshilfe leisten will. Fragwürdig mag das erscheinen, aber ich denke dass das Szenario, obwohl fiktiv, auch absolut realistisch und nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Ich habe mich beim Zusehen mehrere Male gefragt ob sich der extreme Einsatz von (rechtswidrigen) Gefangennahmen und Verhörmethoden mit Folter und Scheinerschießung in der Realität ebenfalls so oder so ähnlich abspielen könnte. Noch vor 3 Jahren hätte ich es für ausgeschlossen gehalten. Aber heute? Nach dem 11. September, nach Afghanistan und dem Irak-Krieg, den Selbstmord-Anschlägen der Palästinenser und israelischen Vergeltungsschlägen in Nahost, nach Guantanamo und den verschärften Sicherheitsbestimmungen in den USA und Europa ist ein derartiges Szenario nicht mehr utopisch, sondern sogar wahrscheinlich.

Die angewandte Gewalt in 24, sowohl von Seiten der Terroristen als auch von Seiten des Staatsapparates (in Gestalt Jack Bauers und der Antiterrorbehörde) halte ich, sowohl was die drastischen Methoden betrifft als auch in der konsequenten Anwendung unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten, für absolut realistisch angesichts der totalen Bedrohungslage durch diese Atombombe. Auch der stete Hinweis der Beteiligten (Bauer, die Berater des Präsidenten) dass sie zwar um die Unrechtmässigkeit ihres Tuns Bescheid wissen, aber unter den gegeben Bedingungen nicht anders handeln können, unterstreicht den Realismus noch. Genau so stelle ich mir das in der Realität vor. Ich möchte den Staat sehen, der unter diesen Bedingungen nicht alles daran setzen würde seine Bevölkerung zu schützen, Rechtstaat hin- oder her.
Ich glaube auch nicht, dass die Serie hier nur einen Gewalt-Voyeurismus, unter dem Deckmantel eines konstruierten fiktiven Szenarios, betreibt (also dass man endlich einmal auch Folter im Fernsehen zeigen kann).

Ein Film der ein ähnliches Szenario beschreibt war Ausnahmezustand mit Denzel Washington und Bruce Willis der einige Jahre vor dem 11. September in die Kinos kam und zeigt wie über New York der Ausnahmezustand verhängt wurde um terroristische Anschläge zu verhindern. Damals erschien der Film unwahrscheinlich, heute ist er bereits von der Realität überholt.


Hmm...ich sehe gerade, wir sind ziemlich vom Thema Gewaltverherrlichung weggekommen. Ach ja... 24 ist nicht gewaltverherrlichend.

Trurl
»Schau dir diese Welt nur richtig an, wie durchsiebt mit riesigen, klaffenden Löchern sie ist, wie voll von Nichts, einem Nichts, das die gähnenden Abgründe zwischen den Sternen ausfüllt; wie alles um uns herum mit diesem Nichts gepolstert ist, das finster hinter jedem Stück Materie lauert.«

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#26 molosovsky

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Geschrieben 15 Januar 2005 - 21:43

»24«, supertoll, nur als Nicht-Fernsehinhaber, habe ich von der Serie nur zufällig was mitbekommen. Ist im Original sicherlich äußerst packend (und endlich mal wieder was Lohnendes zu tun für Sutherland Jr.)

Den Anteil oder die Qualität von Gewaltverherrlichung bzw. {sic!} Gewaltverharmlosung eines Filmes oder sonstigen Werkes zu bestimmen, ist in jedem einzelnen Fall ein mehr oder minder kniffliges Problem. Konrad hat in Martin Hoyers munteren Phaser-Thread die Problematik der Übertreibung des durch die Gegend Fliegens bei von Schußwaffen getroffenen Kombattanten aufgebracht.

Darauf bot ich folgenden Gedanken:
†¦ Was bedeutet also diese mittlerweise tradierte Konvention (weil verschwinden wird dieser Spleen nicht mehr so schnell)? - Nun, ich denke, der fundamentale Unterschied zwischen verfehlen und (wird deshalb überZEICHNET) treffen wird betont. Dieses durch die Gegend fliegen von Getroffenen (siehe z.B. exemplarisch die ersten Minuten von »Desperado«) als kinetische Übertreibung, Verdeutlichung, Dramatisierung, entspricht also den extrem vergößerten Wummen einer entsprechend Nonsene-, Comic-, Carricatur-2D-Illustration (siehe z.B. das DC/Dark Horse Crossover-Comic »Lobo Mask« von Arcudi, Grant, Mahnke, Williams, New York, 1997). Bestandteil der LAGER THAN LIFE-Ästhetik, {die wiederum} seit undenklichen Zeiten ein Bestandteil der phantastischen Kulturgeschichte (Hab 'nen Fisch gefangen, der war soooo gro߆¦).

Daraufhin Konrad wieder:

Das ist sicher richtig.
Die "Ãœberzeichnung" hat allerdings einen Schwellwert, der durchaus unterschiedliche Wirkungen trennt:
Unterhalb des Schwellwerts kann sie die Dramatik vergrößern und dient letztlich dem Realitätsbezug.
Darüber gerät sie zur Abstraktion und führt zusammen mit anderen ästhetisierenden Elementen (z.B. Zeitlupe) dazu, daß der Zuschauer sich zurücklehnt und das Massaker genießt, weil er innerlich den Realitätsbezug negiert.

Ich muß ehrlich gestehen, ich habe bei letzterem ein ganz schlechtes Gefühl, wenn ich an die Gewaltexzesse in unseren Schulen denke.

Einen Schwellwert haben wir sicher beide im Sinn: den Grenzwert der Darstellung des Mit- und Fortgerissen-Werdens eines Getroffenen, welcher realistische Darstellung (entsprechend der Faktenrealität) von über- &untertriebener Darstellungen (nach Stil der Fiktionsrealität) trennt. Ich denke aber, daß es darüber hinaus diskretere Zwischenstufen auf der Seite der Fiktionsrealität gibt. Und wenn ich Dich richtig verstehe, dann soll es auf der Seite der Übertreibung lediglich einen Grenzwert geben: bis hier hin HUII, jenseits davon PFUI, †¦ oder?

Nun, meine Ansicht ist, daß verschiedene Stil-Familien der Gewaltdarstellung aus einer Vielzahl fiktiver Realitäten vorliegen, womöglich hier und da in Konkurrenz/Allianz/neutral zueinander stehend.

Deine Sorgen zu den Gewaltexzessen an Schulen teile ich, und finde nicht, daß Filme das Problem sind. Da meiner Beobachtung nach der Mainstream der Zivilisation sich danach sehnt, in einem perfekten Mix aus Vergnügungspark und Arbeitslager leben zu wollen, wird sich noch so einiges Ausdifferenzieren müssen, bis wir einen reiferen Umgang mit dem virtuellen Medien-Dschungel erreicht haben.
Kleine Aufkleber mit ab 6, ab 12, ab 16 und ab 18 sind ja ein netter Orientierungs- und Ordnungs-Anfang, aber sehr weit gediehen ist die brauchbare Idee dahinter nicht. Ich habe schon einige Male Kinobetreiber genervt, sie mögen die Kiddies nach dem Ausweis fragen (ja gut, die haben auch wegen Herumgackern genervt, hähä).
Übers gut gemeinte Ziel hinausschießen halte ich für zu bevormundent: nur weil man zu faul ist ein Zusammenleben einzurichten, bei dem einigen etwas zu verboten wird, sollte man nicht manches gleich allen vorenthalten.

Zuletzt möchte ich yippie zustimmen, der ein Problem genial knapp auf den Punkt bringt:

†¦ (weil: das Leben besteht aus mehr als nur diesen 3 Dingen, auch wenn wir Stadtkinder das nicht so gut merken).

Weshalb ich bei meiner persönlichen Kunst-Konsum-Lebenswanderung nicht nur das Abwägen der Qualität von Gewalt-, Sex- und Tod-Darstellungen als Orientierung im Blick habe, sondern auch nach Darstellung der gegenteiligen anthropologischen Aspekte Ausschau halte: hier eine mögliche Bildung z.B. Gewalt/Zartheit, Sex/Sinnlichkeit und Tod/Leben.
Oder ums übertrieben Ernst zu formulieren: die Kritik der Gewaltverherrlichung bleibt Propaganda, ohne einer Kritik der Gewaltverharmlosung.

Grüße
Alex / molosovsky

Bearbeitet von molosovsky, 15 Januar 2005 - 21:46.

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

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#27 Lomax

Lomax

    Illuminaut

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Geschrieben 15 Januar 2005 - 23:04

Deine Sorgen zu den Gewaltexzessen an Schulen teile ich,

zunächst einmal vorneweg: Trotz aller "Gewalt an Schulen", trotz reißerischer Schlagzeilen, spektakulärer Verbrechen und Terrorismus und der sterilen Gewalt von "anderswo", die dann und wann über die Bildschirme in unser Leben schwappt, leben wir so ziemlich in der gewaltfreiesten Gesellschaft der Geschichte. Noch nie zuvor haben so wirksame Kontroll- und Sozialisierungsmechanismen die Gewalt so gut unterdrücken und aus dem täglichen Leben fernhalten können. Also, bevor man über Gewaltdarstellung und evtl. Gewaltzunahme spricht, sollte man erst mal kurz innehalten und sich überlegen, was für einen Level an (fehlender) Gewalt in unserem Umfeld wir inzwischen für normal halten, und wir sollten dankbar dafür sein. Ich denke, das kommt heutzutage oft zu kurz. Ich persönlich habe das Gefühl, um diesen Zustand aufrechtzuerhalten und das natürliche Maß menschlicher Gewaltbereitschaft zu unterdrücken, ist schon ein gehöriges Maß an psychischer Gewalt nötig. Und was sich in den Medien widerspiegelt, ist Ausdruck dieses unserer Gesellschaft inhärenten Konfliktes. Wenn man nun darüber diskutiert, ob bestimmte wirklichkeitsfremde und ästhetisierende Aspekte von Gewalt im Film eher gewaltverherrlichend wirken, dann würde ich sagen, dass dieser Gedanke seine Berechtigung hat und zugleich den fundamentalen Fehler in der Praxis der Medienbetrachtung deutlich macht: Denn psychologisch ist mittlerweile recht gut belegt, dass vor allem die Darstellung von Gewalt unter Ausblendung der Folgen von Gewalt den höchsten Einfluss auf reale Gewaltbereitschaft hat. Einer Entfremdung von der Realität ist sicher eine Art Ausblendung. Aber andererseits basiert das ganze Kontrollsystem für Medien ohnehin darauf, dass gerade die Darstellung von Gewaltfolgen zensiert wird - man sieht den Gewaltakt, aber nicht das Blut, die Schmerzen etc. Würde man nun anfangen, die "Verkünstlichung" von Gewalt einzuschränken, würde man der dargestellten Aggression letztendlich noch mehr Kontext rauben. Sprich: Kann es wirklich besser sein, den Gewaltakt möglichst realistisch zu zeigen, während man gleichzeitig die möglichen Folgen ohnehin schon ausblendet? Ist es nicht heilsamer, wenn man schon "saubere" Gewalt zeigt, zumindest den Kunstcharakter noch stärker hervorzuheben? Ich denke, wenn man Filme anschaut, ohne sie allzu sehr nach eingetrichterter Küchenpsychologie zu analysieren, merkt man ohnehin recht deutlich, welche Filme tatsächlich wewaltverherrlichend wirken: Es sind nicht die Filme mit ästhetischer Aufbereitung von Gewalt, und auch nicht die Filme, bei denen Blut fließt und Leichen umherliegen. Es sind vielmehr die Filme, bei denen all das oder nur ein wenig davon geschieht, ohne dass es von entsprechenden Gefühlen untermalt wird. Wichtig ist nicht wirklich, was gezeigt wird und wie es gezeigt wird - sondern wie die Menschen in diesen gewaltgeladenen Situationen auftreten; welche Empfindungen sie zeigen; warum sie so handeln und wie sie darunter leiden (oder auch nicht). Meiner Ansicht nach täte man gut daran, wenn man sich über die Gewalt in Filmen Gedanken macht, dieses Umfeld der Gewaltszenen in Augenschein zu nehmen und Filme danach zu beurteilen, WIE mit der Gewalt darin umgegangen wird - nicht, wie sie dargestellt ist.
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)

#28 Konrad

Konrad

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Geschrieben 16 Januar 2005 - 00:22

Wow, da habe ich aber in ein Wespennest gestochen.Ich kannte den Thread nicht und meine "Schwellentheorie" ist in diesem Kontext sicherlich zu simpel.Sie war auch nicht im Sinne einer binäeren Schwelle (Hui oder Pfui) bezogen auf die "Flugweite" gedacht, sondern als Grenzphänomen von getrennten Wahrnehmungsidentitäten.Die eine Wahrnehmung ist ein verwundeter Mensch und die andere die Abstraktion einer hüpfenden Bierdose, um es etwas pointiert zu formulieren.Nun könnte man sicherlich ein Kontinuum zwischen beiden Polen konstruieren (z.B. 60% Mensch & 40% Bierdose).Ich denke aber, der Wahrnehmungsprozess wird eine Entscheidung durch einen Attraktor erzwingen.Inwieweit eine wiederholte Betrachtung von Filmen mit Bierdosen-Menschen zur einer veränderten Wahrnehmung der Mitmenschen führt, ist natürlich reine Spekulation.Trotzdem bleibt das ungute Gefühl.Gruß,Konrad

#29 Jueps

Jueps

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Geschrieben 16 Januar 2005 - 01:10

Es sind vielmehr die Filme, bei denen all das oder nur ein wenig davon geschieht, ohne dass es von entsprechenden Gefühlen untermalt wird. Wichtig ist nicht wirklich, was gezeigt wird und wie es gezeigt wird - sondern wie die Menschen in diesen gewaltgeladenen Situationen auftreten; welche Empfindungen sie zeigen; warum sie so handeln und wie sie darunter leiden (oder auch nicht).

Lomax, ich kann dir nur beipflichten. "Fight Club" zum Beispiel, war meiner Ansicht nach nicht deswegen gewaltverherrlichend, weil am Ende eine Kugel in Zeitlupe einen Kopf zerschmettert, sondern weil in einer Szene gezeigt wird, wie ein Asiate um sein Leben wimmert, mit einer Pistole im Nacken, den Tränen nahe, die Gewissheit alles zu verlieren. Die Kaltblütigkeit des Übeltäters ist so drastisch dargestellt und wie der Mann dort niederkniet ist so herzzerreißend, dass sich Gewalt in einer blutleeren, alles betäubenden Form entfaltet, die einem den Magen umdreht. Zur Gewalt in Videospielen kann ich nur sagen, dass da viel hochgespielt wird ("Man muss in Counterstrike Frauen mit Kinderwagen erschießen" :lookaround:) und ich es in meinen Freundeskreis größtenteils als ideale Form der Aggressionsbewältigung ansehe... Tja, und zum Sex darf ich wohl mit 16 nix sagen. Aber wie z.B. bei "Intimacy" rumgenölt wurde...also ich weiß ja nicht....

Bearbeitet von Jueps, 16 Januar 2005 - 01:14.

»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«


#30 eRDe7

eRDe7

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Geschrieben 16 Januar 2005 - 11:34

Die Kaltblütigkeit des Übeltäters ist so drastisch dargestellt und wie der Mann dort niederkniet ist so herzzerreißend, dass sich Gewalt in einer blutleeren, alles betäubenden Form entfaltet, die einem den Magen umdreht.

Und genau DESHALB ist diese Szene eben NICHT gewaltVERHERRLICHEND, wie sich auch in der Reaktion von Jack zeigt. Tyler Durden: "Erst nachdem wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit, alles zu tun." Tylers Mittel sind fragwürdig, aber auch (zumindest bei diesem Asiaten) erfolgreich.

Tja, und zum Sex darf ich wohl mit 16 nix sagen.

Darfst Du denn mit 16 FIGHT CLUB sehen? ;) (oder gibt es da eine 16er?) lg, Ralph

R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)

R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)

 




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