Darüber denke ich noch nach. Meine Erfahrung ist, dass das beim Sprechen über -ismen ganz oft so ist. Jemand benennt sie und jemand anders sagt: "sehe ich nicht". Du hast ja sogar geschrieben, dass du selbst in Fällen, wo du Sexismus siehst, meinst, den Männern sollte ihr Privileg nicht genommen werden:
Zeigst du mir bitte die Stelle, wo ich das gesagt habe? Daran erinnere ich mich nicht.
Sehr: Für dich war es so normal, dass sich Männer deiner in dieser Form bemächtigten, dass du gar nicht auf die Idee gekommen bist, etwas anderes fordern zu können. Denn es bist ja nicht du, die eine "Straftat daraus macht". Diese Formulierung ist eine ganz typische Täter-Opfer-Umkehr. Plötzlich ist nicht der pfeifende Mann der Übergriffige, sondern die Frau, die das nicht will, eine ... was denn? Jedenfalls jemand mit einer unangemessenen Position. Da noch einen Schritt weiter zu sein, heißt, unbequem zu sein. Guess why I know ...
Ich sehe, dass heute bestimmte Sachverhalte anders beurteilt werden als das früher der Fall war. Ich bin zu einer anderen Zeit groß geworden und für mich ist ein Mann, der einer Frau hinterher pfeift, kein Täter und ich fühle mich nicht als Opfer. Weiß du, ich musste letztens sogar grinsen, als mir jemand hinterher pfiff, der mein Enkel hätte sein können. Ich finde dieses Verhalten nicht besonders schön, aber ich finde es auch nicht schön, wenn Männer in der Gegen herum rotzen. Für mich hat es nicht die Wertigkeit, wie für dich. Ich will nicht abstreiten, dass die Kritik, die du daran übst, nicht dazu führen kann, dass dieses Verhalten seltener wird. Insofern kann ich es auch nicht verurteilen, aber ich werde es für mich nicht überbewerten.
Was ich mir vorstellen könnte: Ich könnte eine Liste mit Büchern und Webseiten zu den Themen Rassismus und Sexismus heraussuchen. Also Einstiegsliteratur. Da haben Leute sich hingesetzt und systematisch erklärt, worum es nicht nur mir geht. Das kann ich hier in dem Thread nicht leisten, aber ich denke, es ist enorm hilfreich, den Blick diesbezüglich zu schulen. Was mir sofort einfällt ist "Exit Racism" von Tupoka Ogette. Das habe ich sogar hier und könnte es verborgen. Es gibt sicher was Ähnliches zu intersektionalem Sexismus, ich müsste nur mal suchen.
Zu Popkultur und den Phänomenen dort (und warum es eben doch ein Problem ist, wenn nur bestimmten Geschlechterbilder und Beziehungsformen dort repräsentiert sind) gibt es einen super Youtube-Kanal, allerdings nur auf Englisch: Den PopCulture-Detective. Der arbeitet gut heraus, welche Narrative es gibt und was daran toxisch ist.
Jol, mach du dein Ding. ich mache meins. Ich werde mich nicht hinsetzen und Popsongs zersetzen, bis ich das "Toxische" sehe. Ich finde auch die Wortwahl übertrieben. Toxisch ist giftig. Ich hätte keinen Spaß mehr daran, wenn ich sie alle aufdröseln würde und für mich ist das auch nicht nötig. Ich weiß, dass es in vielen Rock- und Popsongs ein steinaltes Frauenbild gibt, aber was solls? Ich mag die Songs trotzdem.
Natürlich geht es nicht darum, alles andere zu verbieten (und ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass ich die Idee auch nach x Seiten Thread immer noch dementieren muss), aber es geht darum, sensibel zu sein. Gerade als Herausgeber*in oder Redaktionsmitglied, aber auch als Lektor*in hat man da ja doch recht viel Einfluss und kann auf problematische Repräsentationen hinweisen. Und eben andere fördern. Ich glaube, dass der Literatur das gut tut.
Sensibilisierung ist gut. Dagegen spricht meiner Meinung nach gar nichts. Wenn das geschickt gemacht wird, wenn man also freundschaftlich auf eventuelle Versäumnisse hinweist, denke ich schon, dass sich langfristig etwas verändern wird. Wenn aber angeklagt und der böse Autor verteufelt wird, wird wahrscheinlich weniger erreicht.
Ich komme aus dem Vertrieb und wir haben gelernt zu sagen: Oh, da habe ich mich wohl falsch ausgedrückt. statt Das haben Sie nicht verstanden.
Lass uns im Gespräch bleiben, tauschen wir uns weiter aus und lass uns bitte versuchen diesen Ton beizubehalten, in dem wir uns gegenseitig wertschätzen und versuchen, die Argumente des anderen nachzuvollziehen. Wir müssen ja nicht immer einer Meinung sein.
Als Lektorin kannst du Vorschläge machen, aber das letzte Wort hat immer der Autor.
Und dann können wir mit dem neuen Wissen nochmal auf die Texte schauen. Wobei ich ja in meiner Rezension nicht nur einzelne Texte, sondern auch deren Zusammenstellung kritisiert habe. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt darauf, die einzelnen Texte hier nochmal durchzugehen.
Ich auch. Wir beide haben ja gesehen, dass es nicht nur schwarz und weiß, sondern ganz viel grau gibt und jeder Texte wieder anders liest.
Bearbeitet von fancy, 24 Oktober 2022 - 17:22.