Hallo zusammen,
In wieweit kann/soll man Werk und Verfasser trennen? Sollte man Lovecraft meiden weil er wohl ein Rassist war?
Man sollte Lovecraft zumindest auszugsweise gelesen haben, weil er ein wichtiger Teil der Gattungsgeschichte des Horror ist. Man liest ja auch schließlich Caesar, obwohl er dem Völkermord (Eburonen) nicht abhold war und gewiss auch Sklaven sein eigen nannte. Aber seine Bedeutung hinsichtlich der Darstellung von Geschichte aus der Ich-Perspektive des Siegers plus sein Umgang mit Sprache ist nach wie vor gegeben. Und was ist mit Churchill? Nobelpreis für Literatur für seine "meisterhafte Kunst historischer und biographischer Darstellung sowie für seine brillante Rhetorik im Zusammenhang mit der Verteidigung nobler menschlicher Werte". Okay, letzten Teil der Begründung kann man teils mit einem dicken Fragezeichen versehen, denn Churchill hat sich wiederholt übelst rassistisch geäußert. Puh, und ganz kompliziert wird es bei Ferdinand-Louis Celine und seinem Werk "Reise bis ans Ende der Nacht". Celine war Hitlerbewunderer, war Antisemit, war Kollaborateur mit den Nazis - und mit dem genannten Roman ein Modernisierer der französischen Literur. Pound ... Au weia, hat sich auf Seiten der italienischen Faschisten gestellt, auf der anderen Seite aber die Cantos verfasst.
Was ich also trenne: Die literaturwissenschaftliche Bedeutung von den vertretenen Ideen. Das heißt nicht, dass ich mir deshalb gleich das Gesamtwerk reinpfeife und anschließend abfeiere, ich möchte mich aber darüber informieren, warum und weshalb Autoren von Bedeutung sind bzw. sein sollen. Diese Frage stellt sich mir jedoch weder bei Dirk Alt noch bei Frank W. Haubold (es gibt weitere Namen, aber ich erwähne nur die beiden, weil sie in der nächsten Frage genannt werden).
Lest ihr Publikationen wie Exodus oder Nova, obwohl Haubold oder Alt dort veröffentlichen oder gar deswegen?
Mhm, wahrscheinlich bin ich ein liberales Weichei, denn ich gebe (so gut wie) jedem auch mehr als eine Chance. Aber wenn ein Magazin wiederholt Texte abdruckt, deren ideologische Zielrichtung für mich ein No-Go ist, dann rutscht so ein Magazin schnell auf die Blacklist. Denn ich habe keine Lust, mit meinem Geld, das Verbreiten mir missliebiger Ideologien zu unterstützen. Nova steht bei mir übrigens nicht wegen Dirk Alts peinlich platten Rechtsintellektualismus auf der Watchlist (und möglicherweise bald auf der Blacklist ... Aber da warte ich noch ab, ob sich der neue Wind bemerkbar macht).
Haubolds Texte finde ich - so weit ich sie kenne - recht langweilig. Die sind nichts für mich. Entsprechend würde ich mir nie ein Magazin kaufen, weil da ein Haubold drin ist, ich würde es aber auch nicht kaufen, weil ein Haubold drin ist. Wahrscheinlich würde ich die ersten zwei Absätze lesen (ich bin ja ein liberales Weichei), wenn ich dabei gähnen muss, dann husch husch ab zum nächsten Text.
Wo sind eure Grenzen, wo ihr sagt, ihr toleriert den Autor nicht mehr?
Ich habe letztens die Morgenstern-Virus Trilogie von Z.A. Rechts gelesen und war nach Band 2 schon arg versucht, auf Band 3 zu verzichten. Mir wurde das ganze zu reaktionär. Inzwischen sind alle drei Bände nicht mehr im Haus - so'n erzreaktionären Sch*** möchte ich nicht in meinem Bücherregal haben. Und hätte Z.A. Rechts vor seinem Tod noch mehr geschrieben, ich würde mir nichts davon kaufen.
Und sollte man SF und Politik/Religion nicht doch voneinander trennen bzw. letzteres distanzierter betrachten?
Wie nahezu jede Form von Literatur halte ich die SF durch ihren Gesellschaftsbezug bzw. die Darstellung zukünftiger Gesellschaftsformen für grundsätzlich politisch. Und das ist gut so und das ist wichtig. Wir brauchen auch eine Auseinandersetzung über unsere Zukunft und eben für die ist die Science-Fiction wie geschaffen. Aber Romane, in denen z.B. angejahrter brauner Brei in Geltuben gequetscht wird (damit man die Farbe nicht sieht bzw. weil gelnahrung voll hip-supi Future ist), sind für mich keine Auseinandersetzung mit zukünftigen Gesellschaftsformen. Da wird nur versucht, längst überwundenes wiederzuleben. Derlei möchte ich entsprechend in der SF nicht haben (das gilt auch für religiösen Fundamentalismus). Ein Zurück in die Vergangenheit brauche ich nicht.
Und wie liberal soll eine Gesellschaft gegenüber andersartigen Meinungen sein, egal aus welcher Richtung die stammen?
Andersartige Meinungen sind wichtig. Ob sie richtig sind, wird die Zukunft erweisen. Aber es gibt ja nicht nur andersartige Meinungen, es gibt ja eben auch den sattsamen bekannten angejahrten braunen Brei und natürlich auch die knallrote Suppe (die ihre Farbe nicht Tomaten verdankt). Und da braucht es Grenzen. Klare Grenzen. No pasaran. Und da bin ich bei einem Götz Kubitschek und seinem "Institut für Zeitgeschichte" bzw. bei seiner Sommerakademie und seinen sonstigen Aktivitäten. Da ist jemand am Werk, der die Grenzen verschieben will. Und wer auf der Sommerakademie des IfS referiert, der nimmt für mich Teil an Kubitscheks Versuch, unsere Gesellschaft durch Subversivität zu etwas zu verändern, dass nicht mein Deutschland ist.
Und was sagt das über einen selbst wenn man Werke von Menschen gut findet, deren Einstellung man verabscheut?
Ich möchte mich nicht mit Menschen gemein machen, deren Einstellungen ich für gefährlich halte. Das schließt mit ein, dass ich ab dem Überschreiten von mir subjektiv gesetzter Grenze deren Werke nicht weiter beachte. Die gewiss vorhandenen sonstigen Qualitäten dieser Werke sind mir dann auch vollkommen schnurz. Ausnahmen: siehe oben.
Mich hat übrigens nicht überrascht, dass Dirk Alt mit einem Text in Nova 31 vertreten sein wird. Man lese mal z.B. das Vorwort zu Nova 28 und MKIs "Über das Niederreißen von Denkmälern". Da haben sich zwei gefunden, die gut miteinander können. Und warum sollten sie mit dem Miteinander-Können aufhören? Sie haben - nach meinem Gefühl - ihre Agenda und der werden sie treu bleiben. Und schreiben kann Dirk alt auch (auch wenn er nicht mein Fall ist ...). Mich würde es übrigens auch nicht überraschen, wenn Dirk Alt hinter den Kulissen da und dort noch bei Nova mitwerkelt. Aber ob das so ist, werden wir wohl nie erfahren. Und das ist vielleicht gut so. Weil wir dann nämlich ganz unvoreingenommen schauen können, ob sich unangenehmes ideologisches Beiwerk in Nova findet oder nicht.
That's it.
Viele Grüße
Tobias