Eine kleine Typologie der Reformhasser (gefunden in "Die Zeit")
Ja, mir persönlich ist jedenfalls aufgefallen, dass die Kritik an der NDR in erster Linie von der "zweiten Garnitur der Orthografen" bestimmt wird. Damit sich da jetzt keiner über Gebühr auf die Füße getreten fühlt (obwohl ich auch nicht übertrieben Konfliktscheu bin
), möchte ich genauer ausführen, was ich damit meine:
Die sehr harte Diskussion um die Mängel der alten Rechtschreibung wurde seinerzeit in erster Linie von Linguisten geführt, und die würde ich als die führenden Fachleute auf dem Gebiet bezeichnen - also, "zweite Garnitur" ist gemeint in Abgrenzung zu den Sprachwissenschaftlern, die sich hauptberuflich mit genau diesem Thema befassen. Die hört man heute selten, und das schlägt sich auch auf das Niveau der Berichterstattung wieder - und damit meine ich nicht etwa Geschmacksfragen wie Polemik oder einseitige Darstellung, sondern nur die Menge der sachlichen Fehler in den einschlägigen Artikeln (von den Leserbriefen mal ganz abgesehen
). Ca. ein Drittel aller Beispiele, die ich in meiner Tageszeitung (Kölner Stadt-Anzeiger) zu diesem Thema gefunden habe, waren schlichtweg falsch.
Die Diskussion zur Rechtschreibung in den Medien wird, soweit ich Berichte und Leserbriefe verfolgt habe, in erster Linie von Lehrern, Journalisten und Autoren als "Sprachprofis" getragen. Nun konnte ich aber während des Studiums sehr genau beobachten, dass gerade von Seiten der zukünftigen Lehrerschaft linguistische Seminare gemieden wurden, als wären die Räumlichkeiten radioaktiv verseucht. Da fand man noch welche in den verpflichtenden Proseminaren, aber in einem Hauptseminar Syntax suchte man vergebens danach. Auch in einem eigens zur NDR angebotenen Hauptseminar mit Schwerpunkt NDR war ich auffälligerweise der einzige Lehramtsstudent. Diese Diskrepanz zwischen fachlicher und politischer Präsenz der Lehrerschaft bei dem Thema finde ich schon bemerkenswert.
Auch im journalistischen Bereich konnte ich als Schlussredakteur feststellen, dass die meisten Angehörigen der schreibenden Zunft meist froh waren, die Feinheiten der Orthografie und auch die Anwendung der Word-Rechtschreibhilfe dem Schluss zu überlassen. Seltsam nun, wenn diese Leute sich durch die Schreibweise eines Wortes plötzlich in ihrer Ausdrucksfähigkeit beschränkt fühlen.
Auf der anderen Seite hatten die Schlussredakteure und Lektoren, mit denen ich bisher zusammengearbeitet hatte, eine bemerkenswert pragmatische Einstellung zur Rechtschreibreform. Manche kamen besser damit zurecht, andere schlechter; manche haben es befürwortet, andere abgelehnt. Und natürlich fiel jedem etwas ein, wie er es hätte besser machen können. Aber ich habe doch sehr deutlich den Unterschied erlebt zwischen fachlicher und ideologischer Auseinandersetzung mit dem Thema.
Und was den Aufwand des Umlernens betrifft: Als Informatiker musste ich in jedem Jahr Änderungen verkraften und Neues lernen, was im Umfang den Aufwand für die Rechtschreibreform zumindest ebenbürtig war, und wenn "Sprachfachleute" sich über diese "Fortbildung" aufregen, dann liegt das wohl in erster Linie daran, dass sie an so etwas nicht gewöhnt sind und dass die Fortbildung auch nicht unbedingt optimal organisiert wurde.
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)