@Yvonne: Dein Phantastik-Muskel wird gut trainiert werden .
@all: Da Sven bekanntermaßen immer ausgesprochen marktschreierisch unterwegs ist ... vorab das Interview zu dem Roman (Teil der nächsten "Weltenportal"-Ausgabe)
Wo beginnt die Nacht: Interview mit Sven Haupt
Ohne zu viel zu verraten, worum geht es in deinem neuen Roman im Kern?
Im Zentrum der Geschichte steht ein Haus, das frei zwischen allen Dimensionen und Existenzebenen reisen kann. Normalerweise bewachen, schützen und verwalten seine Bewohner die Welten, auf denen Menschen leben. Zu Beginn des Romans jedoch scheinen alle Zeitlinien zu einem Ende zu kommen. Alle erreichbaren Welten werden von Kriegen zerstört, von Fanatismus korrumpiert oder von Monstern überrannt. Wohin auch immer das Haus reist, endet das Leben in einer ewigen Nacht. Dem Haus gelingt es eine kleine Gruppe seltsamer Individuen zu sammeln, deren Aufgabe es sein soll, die letzten beiden funktionierenden Zeitlinien zu einer neuen zu vereinen, damit ein neues Universum entstehen kann. Leider ist diese Gruppe unwahrscheinlicher Helden alles, nur nicht qualifiziert für diese Aufgabe.
Du bezeichnest deinen neuen Roman selbst als der Literatur-Strömung New Weird zugehörig. Was macht diese Genre-Spielart für dich aus? Und prognostizierst du dieser eine in Zukunft ebenso zunehmende Relevanz, wie dies einige Literatur-Kritiker jetzt bereits tun?
Schaut man sich einmal als Einstieg an, was Wikipedia zu New weird zu sagen hat, lernt man schnell, dass es ein Genre ist, das sich nicht einfach greifen lassen will. Eine Schulbuchdefinition werde ich also schuldig bleiben müssen, dafür sind die Ausprägungen zu heterogen. Es gibt jedoch einige Charakteristiken, an denen man erkennen kann, dass ein Roman weird ist.
Ganz allgemein wollen diese Werke gerne die romantischen Vorstellungen von Motiven und Handlungsorten unterlaufen, wie sie in der traditionellen Fantasy und Science-Fiction zu finden sind. Sie wählen dazu gerne realistische und mitunter sehr komplexe Modelle einer realen Welt und benutzen sie als Sprungbrett für die Schaffung von Schauplätzen, die sowohl Elemente der Science-Fiction als auch der Fantasy enthalten können. Das Outcome präsentiert sich dabei oft als substanziell verstörend, anstatt ein Happy End zu bieten. Mir gefällt der Versuch dieser Definition, wie sie auch auf Wikipedia zu finden ist: Die New Weird versucht die Klischees des Phantastischen zu unterlaufen, um sie eher zu beunruhigenden als zu tröstenden Zwecken einzusetzen.
Und ja, ich glaube wir brauchen das dringend. Ich sehe es auf jeder Convention auf der die unbedingte Einhaltung der Genre-Grenzen angepriesen wird, damit wir noch ein weiteres halbes Jahrhundert vor dem immer gleichen Altar traditioneller Motive beten können. Es ist nicht nur entsetzlich langweilig, sondern dient am Ende auch niemanden, schon gar nicht der Literatur oder dem Leser. Wir brauchen Ideen, die noch nie da waren. Die Ideen, welche tatsächlich zu neuen Grenzen aufbrechen. Der brillante Autor Jeff VanderMeer hat vor einiger Zeit in einem Interview gesagt, dass es Surrealismus und Fantasy bedarf, welche die neue Science-Fiction durchdringen müssen, um über diese neuen Themen nachzudenken. Dem würde ich mich voll anschließen. Deswegen versuche ich gerne meine Bücher an der Grenze zwischen Fantasy und Science-Fiction anzusiedeln.
Du hast zwei Jahre hintereinander den Deutschen Science-Fiction Preis gewonnen, einmal für Die Sprache der Blumen und für Stille zwischen den Sternen. Von dem Aspekt der öffentlichen Anerkennung einmal abgesehen: Was macht das als Autor mit dir? Und hat das Einfluss darauf, was und wie du schreibst?
Ich nehme diese für mich völlig überraschende (und überfordernde) Entwicklung als Hinweis, dass das, was ich mache, nicht vollkommen am Wunsch der Leser vorbeigehen kann. Selbst wenn ich meine Bücher vorsätzlich nicht in der klassischen Science-Fiction positioniere. Ich fühle mich ermutigt das zu tun, was ich sowieso machen will. Härter an Grenzen gehen und versuchen Geschichten zu erzählen, die sich nicht sauber in Schubladen verstauen lassen. Geschichten, welche Leser:innen herausfordern, ihnen nicht zu gefallen versuchen, sondern sie am Ende vor mehr Fragen stellen, als jeder am Anfang hatte. Ganz ehrlich, ich hätte gutes Geld gewettet, dass ich für meinen letzten Roman keinen Blumentopf gewinnen würde. Doch die deutsche Science-Fiction ist in einem fundmentalen Umbruch begriffen, der sich genau jetzt gerade vollzieht. Die Generation Leser:in welche nun gestaltend in den Vordergrund tritt bringt einen völlig neuen Wind mit sich, den wir dringend brauchen.
Könntest du dir vorstellen, auch einfach einmal ein völlig anderes Genre auszuprobieren? Thriller, Liebesroman, Historisches zum Beispiel? Und gibt es ein Thema oder Genre, was du niemals, unter keinen Umständen, jemals anpacken würdest?
Ich studiere schon seit einer Weile die Meister:innen des Liebesromans, weil ich gerne versuchen würde starke emotionale Nähe zwischen meinen Protagonistinnen überzeugender darzustellen. Meine zukünftigen Bücher werden hoffentlich immer stärker das Thema Identität aufgreifen, jedoch fühle ich mich den Herausforderungen noch nicht wirklich gewachsen. Ich habe mehrere Romane in Planung und in jedem einzelnen davon wollen komplexe Beziehungen respektvoll dargestellt werden. Aber man wächst mit seiner Aufgabe. Es gibt auch Genres, die mir nicht ins Haus kommen. Horror zum Beispiel kann ich nicht ausstehen.
Wenn du einen Roman fertiggeschrieben hast: Wem zeigst du ihn als allererstes und warum ausgerechnet dieser Person?
Natürlich geht alles, was ich schreibe als Erstes über den Tisch von Helga Sadowski. Sie ist meine Lektorin von Stunde null an, seit wir uns damals in einer Autorenschule, die nicht genannt werden will, über den Weg gelaufen sind. Über die Jahre sind wir auch beste Freundinnen geworden und ich werde ewig dankbar dafür sein, dass ich das Glück habe jemanden wie sie zu kennen.
Welcher deiner Charaktere aus deinen veröffentlichten Werken (Romane oder Kurzgeschichten) ist dir am ähnlichsten, fühlst du dich irgendeinem davon besonders verbunden? Oder versuchst du, offensichtliche Ähnlichkeiten tunlichst zu vermeiden?
Ich erkläre jungen Autor:innen immer wieder, dass ihnen bewusst sein muss, dass wir immer nur über uns selbst schreiben. Besonders, wenn wir absolut überzeugt sind, dass wir über etwas schreiben, dass auf gar keinen Fall irgendetwas mit uns zu tun hat, müssen wir extra vorsichtig sein. Es sind diese Momente, wo wir besonders verletzlich für die Wahrheiten werden, die sich aus unserem Unterbewusstsein einen Weg nach oben bahnen. Denn Geschichten wollen erzählt werden. Gibt man etwas einen Namen, gibt man ihm Leben. Jemand, der schreibt muss das unbedingt wissen, denn selbst wenn Autor:-innen es nicht merken, Leser:innen werden es sofort verstehen.
Ich erkläre das, weil ich immer versuche mir Referenzen an mich selbst bewusst zu machen und zu steuern. Im neunen Roman ist das zum Beispiel einer der Protagonisten. Niklas Turner ist Arzt und ein zerstörter Alkoholiker. In seiner Zeitlinie hat er immer versucht alles richtig zu machen, der Gesellschaft das zu geben, was sie von ihm fordert, doch das Leben hat ihn am Ende gebrochen. Autor:innen sind manchmal versucht alternative Versionen ihrer selbst in ihr Bücher einzubauen. Manchmal sind es bessere Versionen. Der Mensch, der man sein möchte. Ich habe den anderen Weg genommen. Ich wollte immer Arzt werden, habe es aber nie verwirklicht. Niklas ist meine dunkle Seite. Jemand der hätte sein können. Diese Anlehnung war gewollt und geplant. Man sollte also meinen, dass ich so etwas voll im Griff habe. Und dennoch, trotz all meiner Sorgfalt, schmuggeln sich auch an mir Geschichten einfach vorbei. Im nächsten Jahr wird hoffentlich mein Roman Niemandes Schlaf erscheinen. Ich habe dort zwei Jahre lang an der Geschichte meiner Protagonistin Lou gearbeitet, ohne auch nur zu bemerken, dass ich über mich selbst geschrieben habe. Manchmal schreibt man über das, was hätte sein können. Manchmal schreibt man sich selbst in die Wirklichkeit. Autor:in sein ist nicht ungefährlich.
Mit Blick auf deine inzwischen beachtliche Veröffentlichungs- und Preisliste drängt sich die letzte Frage förmlich auf: Woran arbeitest du gerade?
Im nächsten Jahr wird hoffentlich mein Roman Niemandes Schlaf erscheinen. Meine Verlegerin kennt ihn noch nicht, deswegen hoffentlich. Die Handlung spielt an der Grenze zum Cyberpunk und ist wieder deutlich stärker Science-Fiction als Wo beginnt die Nacht, jedoch noch weirder. Die Frage nach Identität wird zum ersten Mal vorsichtig thematisiert werden.
Das Interview führte Jana Hoffhenke.