Sarggeflüster (Jasmin Mrugowski)
Mir ist klar, dass ich auf hohem Niveau jammere. Das ist persönlicher Geschmack, aber ich ziehe frische Formulierungen vor, bitte keine Phrasen oder mainstreamige, oft gelesene Sätze wie “er hatte sie stets auf Händen getragen”.
Subtilität würde mehr Nervenkitzel erzeugen. “Nicht einen Zahn hatte sie ihm gelassen” ist sehr deutlich, “Hatte sie ihm doch wenigstens einen gelassen!” würde mich nervöser machen. Gerade war die Rede von seinen Lippen, also wovon hat sie ihm keinen gelassen? Das würde mich persönlich mehr gruseln, als eine klare Ansage. Später würde das ja dann aufgeklärt.
Recht bald starrt der Protagonistin Henry den Sargdeckel an. Ich erfahre also früh, wo er ist und in welcher Situation - und auch, wer es ihm angetan hat.
“Agathe. Seine Frau. Seine Mörderin.”
Allerdings, richtig schön finde ich, als er über den Tathergang nachdenkt, steht da “Gegen seinen Willen empfand er Bewunderung für seine Frau.”
Was für ein interessanter Aspekt seiner Persönlichkeit! Er liegt da, in einem Sarg im Wattenmeer und droht in der baldigen Flut zu ertrinken und er bewundert seine Frau für ihre Tat. Genial sogar. Das ist mein Anker. Kommt nach etwa einer Seite.
Es steigert sich, als andere Anspielungen folgen, über die Kiste, über eine gewisse Betty.
Etwas mehr im Mainstream wandert die Story, als Henry beginnt, mit jemandem zu sprechen. Dann wird es etwas vorhersagbar für mich, aber immerhin sehr genre-konform und mit eindeutig phantastischen Einschlag. Der Schlusstwist war nicht so ganz meins.
Unter die Haut (Nadine Opitz)
Rein stilistisch ist es mir positiv aufgefallen, dass der Text fast ohne Inquits auskommt - man weiß auch so, wer spricht.
Ansonsten habe ich gerade erst eine thematisch sehr ähnliche Story in der Zwielicht gelesen (aber in Zwielicht konkreter, wenn auch länger ausgebreitet), so dass ich ziemlich rasch wusste, worauf es hinausläuft. Das Problem von Viellesenden.
Der Puppenmacher (Sarah Jahed)
Zwar habe ich hier leichten Phrasenalarm (markerschütternd in Zusammenhang mit Gekreische habe ich schon zu oft gelesen, oder auch die Zornesröte, die ins Gesicht steigt,ein Herz, das in tausend Stücke zersplittert, Blut, das in Adern gefriert), aber zwei Dinge machen diese Story glaubhaft und sehr lesenswert:
Die Einbettung des Grusels in einen Alltag, den wir uns alle vorstellen können. Vater, traumatisierte Tochter, Mutter erst vor kurzem gestorben, jetzt müssen sie den Alltag mit Schule und Psychologin bewältigen.
Lebensecht so etwas wie der Gedanke des Vaters, als er mitten in der Nacht den Alptraum seiner Tochter behandeln muss: “und dachte an die Präsentation, die ich in sechs Stunden vor der Marketingabteilung halten sollte.” Genau so etwas will ich in der phantastischen Literatur lesen! Das macht den Grusel dann für mich aus. Das sind normale Menschen mit Problemen, wie auch ich sie haben und denen stößt etwas zu. Kann das also etwa auch mir passieren?
Diese Art von Verankerung wünsche ich mir.
Auch sehr glaubhaft:
“Kurz nach der Beerdigung waren unsere Mitmenschen nett und aufmerksam gewesen. Und jetzt, nur wenige Wochen später, lief alles wie gewohnt. Außer für Laura. Und für mich”.
Der zweite Grund, warum ich diese Geschichte hoch preisen will, ist der Schluss. Den habe ich nicht kommen sehen. Trotzdem habe ich ihn sofort gekauft. Und er hängt fast nur an einem Wort! (“meiner”) Gelungen.