Ich glaube, bevor ich mich zu dem Thema ausführlicher äußere, offenbare ich mal, was ich hauptberuflich mache: Ich bin Teamleiter in der südwestdeutschen Logistik-Niederlassung einer recht bekannten Lebensmittelkette (mein ehemaliger Chef bezeichnete die Beton-Scheußlichkeit von Lager gerne als „den größten Kühlschrank Süddeutschlands“). Ich führe aus pragmatischen Gründen eine Excel-Tabelle, die aufführt, welche Sprachen meine rund 200 Mitarbeiter beherrschen – um für jene Kollegen zu übersetzen, deren Deutschkenntnisse etwa auf dem Niveau A1 oder A2 (oder darunter) liegen: Ich kam auf 18! Ich denke, das dürfte euch die ethnische und kulturelle Vielfältigkeit meiner direkten Arbeitsumgebung verdeutlichen.
Würde ich kontextlos posten, wie meine kernigen Mitarbeiter bisweilen mit mir und ich mit ihnen rede, hätte ich größere Fäkalienstürme als Elon Musk, Bernd Höcke und J. K. Rowling zusammengenommen.
So als konkret schönes Beispiel: „Jo, my Nigga“ (An mich Weißbrot gerichtete Begrüßung eines dunkelhäutigen Mitarbeiters). Ich hätte ihm jetzt natürlich die Statements von einigen Twitter-Accounts zeigen können, damit er sich für seine rassistische Äußerung und der Steigerung des N-Worts in Grund und Boden schämt … stattdessen habe ich den dargebotenen Faustgruß erwidert.
…
Nein, ich will hier weder das N-Wort noch andere Begrifflichkeiten hier legitimieren oder verharmlosen. Es ist zeigt für mich aber eines: Es geht nicht nur um Begrifflichkeiten, sondern auch um „Verwendung“, „Kontext“ und „Beziehung zueinander“. (Letzteres ist für den literarischen Sektor natürlich nicht umsetzbar). Ich gebe Kritiker:innen aber zumindest in dem Punkt Recht, dass die Diskussion bisweilen zu elitär-akademisch geführt wird und deshalb einen übergriffig-bestimmenden Eindruck erweckt.
Allein in diesem Thread, so behaupte ich mal, diskutieren gerade nur Vertreter:innen der gesellschaftlichen Mittel- bis Oberschicht.
Als Autor muss ich mir nicht nur die Frage stellen, was ich selbst für gut und richtig halte, sondern auch das Publikum mitgeht. Das N-Wort? Wird überwiegend abgelehnt, zumal es konkret auf das offensichtlichste Merkmal einer menschlichen Gruppierung abzielt. Es beschreibend zu verwenden, wäre dumm …
… womit wir bei etwas sehr Abstraktem sind: Ableismus. Außerhalb Twitters und der Buchblase habe ich noch nie von irgendjemandem Verständnis dafür bemerkt, dass „dumm“ und andere Wörter abwertend gegenüber Behinderungen belegt ist. Auch nicht von beeinträchtigten Menschen. Es fehlt - im Gegensatz zum N-Wort - wohl tatsächlich gesamtgesellschaftlich die Assoziation dumm/geistig beeinträchtigt.
Da stellt sich mir durchaus die Frage, ob es valid ist, Worte, die ein minimaler Personenkreis kritisch betrachtet, tatsächlich als kritisch zu empfinden.
Ich bin bei Elena, dass Ignoranten Ignoranten und Rassisten Rassisten bleiben, auch wenn sie gewisse Begriffe und Formulierungen meiden – Höcke, Weidel, Maaßen und viele andere der schwarz-braun-blauen Suppe rund um Werteunion, AfD und Co. sind rhetorisch sehr geschickt.
Was ich für gut und richtig halte:
Reflektieren und – wie es Uwe weiter oben gesagt – auf Fingerspitzengefühl achten. Um auf das Beispiel von weiter oben zu kommen: Ich käme nicht auf die Idee, meinen Mitarbeiter mit „Jo, my Nigga“ zu begrüßen, unabhängig davon, dass er es verstehen würde. Gleichfalls sehe ich keinen Anlass, das N- und das Z-Wort ebenso wie einige ableistische Begriffe in meiner Prosa zu verwenden, da ich bessere Begriffe dafür habe. (Und den „Male Gaze“, den ich als junger Mann ziemlich cool fand, habe ich mir auch abgewöhnt - Chandler und Jason Dark waren vielleicht nicht meine besten Lehrer
)
Bei älterer Literatur für Kinder halte ich es für angebracht, die Wirkung von „Begriffen“, „Verwendung“ und „Kontext“ zu prüfen und gegebenenfalls bessere Begriffe zu finden. Für noch wichtiger erachte ich jedoch die Thematisierung im echten und schulischen Leben.
Was ich für bedenklich und falsch halte:
Klassische Literatur außerhalb nicht mehr gebräuchlicher Grammatik- und Rechtschreibung inhaltlich oder begrifflich zu verändern. Sie sind Spiegel ihrer Zeit und sollten als solche betrachtet werden. Zudem zeigen sie auch gut auf, welche Fortschritte im Gegensatz zum Heute bereits erreicht wurden. Wir würden der Literatur keinen Gefallen tun, sie ihres zeitgenössischen Kolorits zu berauben. Ich bin auch zwiegespalten, ob erläuternde Vorworte in dieser Hinsicht einen Mehrwert bieten. Hätte es konkret einen Mehrwert, würde ich bspw. in „Tom Sawyer“ über das N-Wort aufzuklären?