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Vielleicht sind die heutigen Leser zu empfindlich.


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63 Antworten in diesem Thema

#1 Mammut

Mammut

    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 10:32

Krimiautorin Donna Leon sieht die Zeit der Zensur gekommen:

https://www.kreiszei...r-92287473.html

 

Ein heißes Thema. Wie seht ihr das? Ist der heutige Leser zu empfindlich? Wo liegen bei euch die Grenzen, was findet ihr tolerierbar und was nicht bei Literatur?



#2 Frank Lauenroth

Frank Lauenroth

    Quadruplenominaut

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 11:17

Eigentlich ist es simpel. Viele (fast alle) Ausschreibungen schließen gewaltverherrlichende oder pornographische Textanteile aus. Braune Scheiße (als Beispiel für politischen Extremismus) ebenso.

Das sollte status quo sein.

 

Auf der anderen Seite ist mir folgendes widerfahren.

Ich habe bei einem kleinen, aufstrebenden, österreichischen Verlag einen Roman veröffentlichen dürfen, der eine Neuauflage eines Romans aus 2005 darstellt.

Damals hab ich damit sogar einen Romanpreis gewonnen, diesmal gab es Aufschrei einer (!) Leserin (bei lovelybooks) über die Verwendung des N-Wortes.

Zur Erläuterung: Eben jenes Wort wird in der wörtlichen Rede vom offensichtlichen Antagonisten als Teil einer Beleidigung gegenüber einer offensichtlich nicht hellhäutigen Person verwendet.

 

Long story short: Der Verlag wollte nicht in einer falschen Schublade landen und hat das Buch an besagter Stelle ändern lassen.


Bearbeitet von Frank Lauenroth, 24 Mai 2023 - 11:17.

 In memoriam Michael Szameit / Christian Weis / Alfred Kruse / Rico Gehrke                                                          : Aktuelle Projekte und neue Veröffentlichungen :                                                'Gleich' ist der Tod des kleinen Mannes.


#3 fancy

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 11:23

Ich gebe Donna Leon vollkommen Recht. Für mich stellt die Überarbeitung von Klassikern eine Verletzung des Urheberrechtes dar. Ich finde, dass die Leute tatsächlich immer empfindlicher und aus meiner Sicht verrückter werden. 

Hier kam letztens Kritik an einer Tanzgruppe von älteren Damen auf, die es gewagt hatten Sombreros aufzusetzen. Das sei kulturelle Aneignung ...

Männer oder Frauen dürfen keine Transpersonen spielen, obwohl ein guter Schauspieler sich dadurch auszeichnet, dass er eben in viele Rollen schlüpfen kann ...

Gott sei Dank vergesse ich vieles von dem Bockmist sofort wieder, aber die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. 

Ich wünschte mir, es kehrte langsam mal wieder etwas Gelassenheit ein. 


Fang nicht an, Dinge zu tun, tu sie einfach!
Wer wenig denkt, irrt viel (Leonardo da Vinci)
Meinungsverschiedenheiten über ein Kunstwerk beweisen, dass das Werk neu, komplex und lebenswichtig ist. (Oscar Wilde)
Wenn Kritiker uneins sind, befindet sich der Künstler im Einklang mit sich selbst. (Oscar Wilde)

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#4 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 11:36

Ich muss verrückt sein, dass ich hier schreibe, das gibt doch nur wieder Diskussionen. :-)

 

Mit Marianne habe ich das schon zig Mal diskutiert und weiß daher, dass wir abweichende Meinungen haben.

 

Ich finde es vor allem problematisch, dass Leon das Wort "empfindlich" wählt. Ich denke nicht, dass die heutigen Lesenden empfindlicher werden. Wir wissen eben mehr heute. Unsere Zivilisation ist weiter fortgeschritten. Wir sagen also nicht mehr (Beispiel): "Bist du behindert, oder was?"

Früher haben wir das sicher auch nicht so gemeint und waren nicht behindertenfeindlich, wir haben die Dinge eben noch nicht so reflektiert. 

Ich bin sehr froh, dass wir das heute so machen.

 

Ich hoffe auch, dass die Zivilisation weiter fortschreitet und wir mehr und mehr zu einem schönen Miteinander finden. Sprache ist da ein wichtiges Werkzeug.

 

Wenn ich heute mit meinem nonbinären Kind Bücher lese und es heißt überall "Alle Jungen und Mädchen" fragt es mich immer: "Und was ist mit mir?"

Das ist schon echt traurig, vor allem, wenn es Bücher aus 2023 betrifft. 

 

 

Überarbeiten alter Klassiker:

Bei Kinderbüchern wie Jim Knopf halte ich es für einfacher, wenn das N-Wort nicht drinsteht, ich konnte meinem damals noch dreijährigen Kind das nämlich nicht gescheit erklären. Meinem heute siebenjährigen Kind kann ich das super im historischen Kontext erklären, weshalb ich beispielsweise glaube, ab Tom Sawyer muss es nicht geändert werden.

Allerdings hat mein Kind im Pippi-Langstrumpf-Hörbuch auch noch die alte Version gehört, nicht die mit dem Südseekönig. Es ist längst nicht alles geändert und überall.

 

Ansonsten bin ich für aktuelle Vorworte, die das in einen vernünftigen Kontext setzen, bei Frank wäre das Problem mit einem Vorwort oder einem ähnlichen Hinweis sicher auch lösbar gewesen.


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#5 Mammut

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 11:58

Ich gebe Donna Leon vollkommen Recht. Für mich stellt die Überarbeitung von Klassikern eine Verletzung des Urheberrechtes dar.

 

Ab wann stellt das für dich eine Verletzung des Urheberrechts dar? Ich denke, je älter die Bücher, desto mehr sind die überarbeitet, unabhängig von der Diskussion hier.



#6 Mammut

Mammut

    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 12:14

Ich finde es vor allem problematisch, dass Leon das Wort "empfindlich" wählt. Ich denke nicht, dass die heutigen Lesenden empfindlicher werden. Wir wissen eben mehr heute. Unsere Zivilisation ist weiter fortgeschritten. Wir sagen also nicht mehr (Beispiel): "Bist du behindert, oder was?"

Früher haben wir das sicher auch nicht so gemeint und waren nicht behindertenfeindlich, wir haben die Dinge eben noch nicht so reflektiert. 

Ich bin sehr froh, dass wir das heute so machen.

 

Das ist natürlich ein schönes Beispiel. Es gibt Sache, die sind einem in Fleisch und Blut übergegangen, die muss man so nicht sagen, da gebe ich dir Recht. Da sollte man auch empfindlich sein. Aber man kann nicht immer nur Harmonie wünschen und daher müssen Texte auch provozieren und spalten können.  Ich denke, da ist die Gesellschaft schon empfindlich geworden. Ich finde, das ist ein sehr passendes Wort. 

 

Dazu kommt natürlich, und das ist doch das, was oben unter Zensur gemeint ist, das man versucht, Meinugen einzuengen. Im positiven Fall verhindert man eine Wortkreation wie du sie oben genannt hast. Aber es gibt ja auch negative Fälle. Wenn Uwe P(ost)uritaner z.B. kritisiert, das bei Athos 2643 eine sexy Frau verwendet wird (wogegen m.E. nichts spricht, gerade als Provokation gegen die Mönchgesellschaft), hat das schon was von einer Zensurvorgabe, die solches als unsittlich ausschließen will, wenn man seiner ständigen Propaganda zu diesem Thema folgt.

 

Letztendlich ist es ein schmaler Grat zwischen "Verbesserung der Sprache" und "Verbotskultur". Mir geht es jetzt auch eigentlich nicht um die beiden Extreme sondern eher um die Nahtstelle des noch erlaubten, die sich naturgemäß im Laufe der Zeit in die ein oder andere Richtung verschiebt.

 

Ist es wirklich wünschenswert nur noch brave Literatur zu haben? Und wo ist die Grenze? Wäre ein Roman über die 50er in der jemand schreit  "Bist du behindert, oder was?" historische Betrachtung oder daneben?

Bei der Neuauflage von Kindred haben sich die Herausgeber entschlossen gehabt das N-Wort zu ersetzen.Den Lesezirkel gab es hier:

https://scifinet.org...red/?hl=kindred


Bearbeitet von Mammut, 24 Mai 2023 - 12:18.


#7 Rezensionsnerdista

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    Yvonne

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 12:22

ich finde, wir sollten nicht vergessen, woher wir kommen, weshalb ich (mit Ausnahme von Büchern für Kindern unter sechs Jahre) gegen eine Änderungen der Übersetzungen oder Änderungen von Büchern im Allgemeinen bin. Da wäre ich für Vorworte und ggf. für Fußnoten.

 

Ich war ja mit Uwe einer Meinung, dass ich keine Lust mehr habe, ständig Beschreibungen von Brüsten zu lesen, wenn ich keine inhaltlichen Grund sehe. In einer SF-Story, in der jemand in ein Land kommt, in dem plötzlich alle sehr große oder sehr kleine Brüste haben (oder drei?) und man sich darüber wundert, ist das natürlich was anderes. Bei Becky Chambers gab es eine Alienspezies, die gar keine Brüste hatte. Dann muss es natürlich erwähnt werden.

 

Den Lippenstift bei Athos fand ich okay. Aber ich kann mir auch aussuchen, ob ich Lippenstift trage. Das ist bei Brüsten auch anders. Die kann ich nicht nach Belieben auftragen oder auch mal weglassen, wenn ich ein paar Tage keine praktische Verwendung für sie habe. 

Plus, bei Athos hat das für mich Sinn ergeben. Aber da kommen Uwe und ich wohl nicht mehr auf einen Nenner.

 

Wir müssen auch nicht alle auf einen Nenner kommen, das klappt eh nicht.

 

Man schreit ja viel nach Verbotskultur, aber ich sehe das gar nicht so. Gerade lese ich Franzobels Einsteins Gehirn (übrigens ein sehr lahmarschiger Roman). Mit allem. Auch dem N-Wort. Und das Buch ist total neu. Offenbar ist es nicht überall plötzlich verboten.

Das N-Wort passt hier in die Zeit (Roman fängt mit Einsteins Tod an und arbeitet sich dann in der Zeit vorwärts). Etwas problematisch finde ich gerade, dass die einzige schwarze Nebenfigur offenbar ein Mörder ist. Aber so lange ich den Roman nicht nominieren muss, na gut, dann ist der eben etwas schräg. Er ist eh schräg, in mehr als einer Hinsicht.

 

Ich sehe auch nicht, dass wir nur noch brave Literatur haben müssen. Bisher habe ich mich von den angeblichen Verboten nicht eingeschränkt gefühlt, eher von neuen Perspektiven inspiriert. Vielleicht gehöre ich zu den Glücklichen, die diese neue Rücksicht (nennen wir das mal so) einfach richtig gut finden.


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#8 Frank Lauenroth

Frank Lauenroth

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 12:25

Ist es wirklich wünschenswert nur noch brave Literatur zu haben? Und wo ist die Grenze? Wäre ein Roman über die 50er in der jemand schreit  "Bist du behindert, oder was?" historische Betrachtung oder daneben?

 

 

Das ist ja auch das, was Yvonne sagt. Jede Sprache hat ihre Zeit. Und jede Zeit ihre Sprache.

Heute dürfen wir sensibler mit der Sprache umgehen, im historischen Kontext darf (und sollte) sich das anders lesen.

 

Wobei: Auch heute noch wird das (um beim Beispiel zu bleiben) N-Wort verwendet (in den USA, auch von People of Color). Insofern wäre eine Nicht-Verwendung ein künstliches Weichspülen.

In der wörtlichen Rede sollte es also auch weiterhin möglich sein, insofern (und jetzt kommt's) die Verwendung des Wortes zur Charakterzeichnung dient und nicht aus dem Kontext heraus verwendet wird.  


 In memoriam Michael Szameit / Christian Weis / Alfred Kruse / Rico Gehrke                                                          : Aktuelle Projekte und neue Veröffentlichungen :                                                'Gleich' ist der Tod des kleinen Mannes.


#9 Mammut

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 12:47

Ich sehe auch nicht, dass wir nur noch brave Literatur haben müssen. Bisher habe ich mich von den angeblichen Verboten nicht eingeschränkt gefühlt, eher von neuen Perspektiven inspiriert. Vielleicht gehöre ich zu den Glücklichen, die diese neue Rücksicht (nennen wir das mal so) einfach richtig gut finden.

 

Das ist mit Sicherheit eine Sache des persönlichen Empfindens. Du liest ja viel aktuelles. Was würdest du denn als rücksichtvolle deutschsprachige SF einordnen und welche, die sich nicht engeschränkt fühlt, die für dich aber noch akzeptabel ist? Ich kann mir da im Moment so konkret nichts unter deiner Aussage vorstellen.

 

Da fällt mir ein Beispiel ein. Im Zuge der Nova 30 Diskussion hat ja Tobias Reckermann lauthals verkündet, er würde dort nicht mehr veröffentlichen, schrieb auch, er sei froh gewesen, nie mit Frank W. Haubold in einer Ausgabe vertreten gewesen zu sein.

Da habe ich mir jetzt länger drüber Gedanken gemacht. Wenn man das ernst nimmt, hätte Reckermann ja niemals bei Nova veröffentlichen dürfen, schließlich ist Haubold dort ja oft vertreten. Und wenn man den Gedanken weiterspinnt: Wo kann ich dann veröffentlichen, wenn ich befürchten muss, da ist eine aus der eigenen Sicht problematische Person vertreten? Das kann man doch weder bei einer Anthologie noch überhaupt bei einer Verlagspublikation voraussehen, es sei denn, es war vorher klar, wie passenderweise im oben genannten Beispiel.

 

Ich gehe aber noch einen Schritt weiter: Sollte ich, wenn ich weiß, da ist ein Autor mit einer problematischen Einstellung, in dieser Publikation veröffentlichen? Beschmutze ich mich selbst durch die reine Teilnahme? Oder ist das Gegenteil der Fall, ich setzte einen Kontrapunkt, in dem ich eben einen entsprechenden "Rücksichtsvollen Text" (ich nehme die Beschreibung von oben einfach mal) dem "ungeliebten Feind" entgegensetze?



#10 Uwe Post

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 12:48

Puritaner? Ich? Dass ich nicht lache! Es gibt aber in meinen Augen ein vorsintflutliches Verständnis von "sexy" und ein modernes.

Aber da kommen wir nicht auf einen Nenner.

 

Zum Thema:

Kommt halt drauf an, WEN man kränkt oder verstört oder verletzt (und ob versehentlich oder absichtlich). Wenn ich z.B. Querdenker durch den Kakao ziehe und die sich dadurch "in ihren Empfindlichkeiten berührt" sehen, hab ich überhaupt kein Problem damit. Wenn die mir dann einen Shitstorm in den sozialen Medien bescheren, muss ich natürlich irgendwie damit umgehen. Wenn sie mir gar Morddrohungen schicken, ist das erstens natürlich eine völlig übertriebene, inakzeptable Reaktion, mit der ich aber zweitens rechnen muss, wenn ich besonders feste draufgehauen habe. Vordergründig betrachtet. In Wirklichkeit muss ich mir dann die Frage stellen, ob ich mit krassen Kränkungen überhaupt etwas positives erreiche außer Zustimmung im eigenen Lager ...

 

Das Beispiel von Frank zeigt, dass die Empfindlichkeit bisweilen zu weit geht. Wenn in meinem Roman ein totales Arschloch zu Wort kommt, darf da auch ein "böses Wort" in der wörtlichen Rede stehen. Natürlich kann ich mich als Autor fragen, ob ich das nicht lieber anders schreibe und das gleiche erreiche und damit möglichen Konflikten aus dem Weg gehe. Dasselbe gilt für Situationen, in denen sexuelles Interesse in irgendeiner Form eine Rolle spielt. Da kann ich mich als Autor fragen: Wie explizit muss das sein, damit meine Figuren und meine Geschichte funktionieren? Will ich Aufmerksamkeit erregen oder nur eine Figur charakterisieren? Genügt eine subtile Darstellung von sexuellem Interesse vielleicht auch, um den Lesern zu vermitteln, welche Beziehung Figuren haben? Das ist aber keine Selbstzensur, das ist Fingerspitzengefühl. Und wenn sich dann auch noch so schnell wie in den letzten Jahren die Befindlichkeiten ändern, kommt es halt vor, dass man mal im Ton daneben liegt ...


Bearbeitet von Uwe Post, 24 Mai 2023 - 12:51.

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#11 Mammut

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 12:52

Das ist ja auch das, was Yvonne sagt. Jede Sprache hat ihre Zeit. Und jede Zeit ihre Sprache.

Heute dürfen wir sensibler mit der Sprache umgehen, im historischen Kontext darf (und sollte) sich das anders lesen.

 

Wobei: Auch heute noch wird das (um beim Beispiel zu bleiben) N-Wort verwendet (in den USA, auch von People of Color). Insofern wäre eine Nicht-Verwendung ein künstliches Weichspülen.

In der wörtlichen Rede sollte es also auch weiterhin möglich sein, insofern (und jetzt kommt's) die Verwendung des Wortes zur Charakterzeichnung dient und nicht aus dem Kontext heraus verwendet wird.  

 

Ich lese aktuell viele alte Krimis aus den 50er bis 70ern. Dort wird das N-Wort prinzipiell in drei Kategorien verwendet:

Eindeutig rassistisch!

Ungewollt rassistisch!

Neutral beschreibend!

 

Für mich ist die Intention des Schreibers in dem Fall wichtig. Ist es neutral, finde ich, was spricht dagegen? Ist es eindeutig rassitisch, mag man das auch im historischen Kontext nicht lesen. Im Fall ungewollt rassistisch ist doch genau der Fall eingetreten, den eine neue Rücksicht verhindern will. Und das finde ich persönlich gut. 



#12 Naut

Naut

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 13:04

Es könnte auch sein, dass Frau Leon einfach alt ist und daher die aktuellen Konventionen der Gesellschaft nicht mehr versteht. Konventionen, die festlegen, was in einem Roman geschrieben werden kann und "darf" gab es schon immer. Mit Zensur hat das überhaupt nichts zu tun, denn Zensur ist zentral gesteuert über eine staatliche (oder vergleichbare) Instanz.

Konventionen werden im Diskurs der Gesellschaft festgelegt und z.B. über Marktmechanismen sanktioniert. Und sie ändern sich im Laufe der Zeit, eine Tatsache, die ältere Leute (also auch mich) immer wieder überrascht. :)
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#13 Uwe Post

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 13:10

Guter Hinweis, Naut, aber da bin ich schon abgestumpft: "Zensur!" wird dauernd gerufen, aber damit ist gar nicht Zensur (durch staatliche Organe) gemeint. Was übrigens auch schon eine Überempfindlichkeit ist  :happy:

 

 

Ich lese aktuell viele alte Krimis aus den 50er bis 70ern. Dort wird das N-Wort prinzipiell in drei Kategorien verwendet:

Eindeutig rassistisch!

Wenn der Erzähler das so benutzt, dann lege ich spätestens in dem Moment das Buch halt weg.

 

Denn das wird oft vergessen: Letztlich entscheiden ja wir Leser, ob wir ein Buch (zuende) lesen möchten. Damit bestimmen wir dessen den Erfolg. Folglich ist ein Buch, das den aktuellen Konventionen nicht gehorcht, irgendwann nicht mehr erfolgreich. Sogar der Erfolg der Bibel lässt aus solchen Gründen langsam nach. Und statt sich zu beschweren, dass in alten Büchern böse Wörter stehen oder sie zu ändern - könnte man ja einfach ein aktuelles, modernes Buch lesen!  :aliensmile:


Bearbeitet von Uwe Post, 24 Mai 2023 - 13:25.

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#14 Frank Lauenroth

Frank Lauenroth

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 13:17

 Im Fall ungewollt rassistisch ist doch genau der Fall eingetreten, den eine neue Rücksicht verhindern will. Und das finde ich persönlich gut. 

 

Wir haben Konsens! 


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#15 fancy

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 13:21

Ab wann stellt das für dich eine Verletzung des Urheberrechts dar? Ich denke, je älter die Bücher, desto mehr sind die überarbeitet, unabhängig von der Diskussion hier.

Ich habe nichts dagegen, dass die neue deutsche Rechtschreibung angewendet wird. Würde heute noch in Althochdeutsch veröffentlicht, könnte es kaum noch jemand verstehen. 

Aber Bücher umzuschreiben, weil man gewisse Worte heute nicht mehr sagt, geht meiner Meinung nach zu weit. Leuten, die diese Worte dennoch verwenden, sofort zu unterstellen, sie seien Rassisten geht noch einen Schritt weiter in die falsche Richtung. 

Menschen, die die israelische Politik öffentlich kritisieren zu unterstellen, sie seien antisemitisch ist genau dasselbe. 

Beim Frauenbild wird die Sache auch nicht einfacher. Ich mag es auch nicht, wenn alte Herren ihre alten Protagonisten auf die jungen Frauen loslassen und die durch die Bank weg alle laut Hurra! schreien, weil sie sich auf der ganzen Welt nichts besseres vorstellen können, als sich von denen "beglücken" zu lassen. Aber ich habe kein Problem damit, wenn ein junger Held seine Traumfrau findet und die ihn auch optisch anspricht. Wir müssen schon ein wenig bei der Wirklichkeit bleiben und wer glaubt, dass das Aussehen keine Rolle mehr spielt, der täuscht sich. 

Ich glaube, das das Wort Zensur überspitzt ist und verwendet wird, um zu zeigen, dass die Schriftstellerin sich eingeengt fühlt. Wenn sie das als Problem sieht, darf sie überzeichnen, um zu verdeutlichen. Meine Meinung. 


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#16 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 13:24

Ich glaube auch, wenn du das N-Wort nutzt oder ständig Brüste beschreibst, verlierst du eben gewisse Lesende. Und ja, kommt immer auf den Kontext an, das wurde hier ja schon mehrfach betont. 

 

Man kann Lesende aber auf vielerlei Arten verlieren. Durch nicht-szenisches Erzählen. Durch eine nicht-chronologische Struktur. Da schreit aber niemand "Zensur", obwohl es sicher viele gibt, die chronologisches oder szenisches (oder x, bitte einsetzen) bevorzugen. Wir lesen dann das, was wir mögen.

 

 

Michael, du hast mich glaube ich konkret gefragt, welches zeitgenössische Buch ich als rücksichtsvolle SF einordne? 

Oder auch, was ich (obwohl zeitgenössisch) vielleicht als veraltet oder nicht so rücksichtsvoll empfinde?

In der neuen Exodus finde ich beispielsweise beides. Komm doch zum Lesezirkel, sobald dein Exemplar auch da ist.

 

Bei Romanen denke ich mal länger darüber nach. Wasteland und Laylayland war z. B. explizit rücksichtsvoll, aber trotzdem spannend, leicht dystopisch gemischt mit Hope Punk. Sprachlich war es eben sehr rücksichtsvoll, inhaltlich ging es trotzdem zur Sache.

Christian Vogt hatte auch einen Roman, in dem es viel Sex gab, der aber zwischen den Figuren immer sehr respektvoll und einvernehmlich war, wenn auch oft außergewöhnlich (z. B. mehrere Personen involviert) in der Novelle von Ace in Space. (Trident hieß das, glaube ich.)


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#17 Liza

Liza

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 13:38

Ist ja schon die Frage, wer empfindlicher wird. Es geht ja meistens um Stimmen und Empfindlichkeiten von marginalisierten Gruppen, deren Stimme vorher nicht hörbar war. Ja, wenn nicht niemand widerspricht kann man natürlich sagen was man will!

Dass sich das jetzt plötzlich ändert ist vielleicht manchen unangenehm, aber bestimmt nicht denen, die betroffen sind, sondern denen, die bisher fröhlich sagen konnten was sie wollten, ohne sich darum zu kümmern, wen sie beleidigen.

 

Und das "Jetzt darf man ja gar nichts mehr" Argument finde ich total zum Kotzen, und ich kenne es nur gut genug von Sexismis-Debatten, wenn Männer sich beschweren, dass sie jetzt ja nicht mal mehr den Hintern oder die Brüste einer Frau kommentieren dürfen, oder ihr nicht mal mehr die Tür aufhalten dürfen. Man kann ja vielleicht mal selber nachdenken, was man will, dass z.B. die eigene Tochter oder Schwester zu hören bekommt. Dann merkt man sehr schnell, dass Kommentare zu Brüsten oder Hintern unpassend sind, und Tür aufhalten nicht. Gesunder Menschenverstand. (Und ja, ich fand das Frauenbild in Athos auch ätzend und veraltet.)

 

Man kann einfach mal ein bisschen lernen, sich in andere hineinzuversetzen. Und ja, die Gruppen und Perspektiven, in die man sich hineinversetzen soll, werden immer mehr. Da kann man rumnörgeln, dass sich die Welt ändert und das so schrecklich anstrengend ist. Aber das wird auch nichts ändern. Die Welt hat sich geändert und ändert sich weiter, und wer lieber wieder mehr Homogenität will, kann ja zu Hause auf dem Sofa vom 19. Jhdt träumen.

 

All das ändert natürlich nichts dran, dass es immer Leute gibt, die legitime Argumente für illegitime Zwecke benutzen. In anderen Worten: Idioten gibt's immer, und ja, es gibt auch Leute, die nichts anderes zu tun haben, als die Welt maßzuregeln. Das heißt aber nicht, dass das Thema inklusive Sprache allgemein ein Problem ist.



#18 My.

My.

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 14:07

Erstens:

--- Ich finde es angenehm, zu 99,8 % mit Marianne übereinzustimmen.

 

Zweitens:

--- Die Verwendung des Begriffs "empfindlich" ist völlig korrekt. Der uns zukünftig als Verlagsmitarbeiter und Textverderber blühende "sensitivity reader" ist wortwörtlich ein "Empfindlichkeitsleser".

 

Drittens:

--- Das "vielleicht" im Threadtitel würde ich streichen.

 

Viertens:

--- Das Problem ist, dass die, die sich als "empfindlich" benehmen, meist diejenigen sind, die sich nur wichtig machen wollen, selbst aber gar nicht betroffen sind.

 

My.


Bearbeitet von My., 24 Mai 2023 - 14:08.


#19 Mammut

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 14:44

Michael, du hast mich glaube ich konkret gefragt, welches zeitgenössische Buch ich als rücksichtsvolle SF einordne? 

Oder auch, was ich (obwohl zeitgenössisch) vielleicht als veraltet oder nicht so rücksichtsvoll empfinde?

In der neuen Exodus finde ich beispielsweise beides. Komm doch zum Lesezirkel, sobald dein Exemplar auch da ist.

 

Das mache ich. Dann können wir auch im Details besser diskutieren.



#20 Naut

Naut

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 14:54


 

Viertens:

--- Das Problem ist, dass die, die sich als "empfindlich" benehmen, meist diejenigen sind, die sich nur wichtig machen wollen, selbst aber gar nicht betroffen sind.

 

My.

Ganz genau. Frau Leon jammert herum, obwohl sicherlich keines ihrer Bücher von "Zensur" betroffen ist.
 

Wenn Frank sich hier aber beschweren würde (was er nicht tut, da steht er drüber :) ), dann könnte ich das absolut nachvollziehen - was er erzählt hat, ist völlig absurdes Verhalten vonseiten des Verlags.

 

Es ist so wie immer: Ein Thema rückt in den Mittelpunkt, ein paar Leute machen sich vorsichtig Gedanken und wenig später kann man das Schlachtfeld vor lauter Nebelkerzen, die von den äußeren Rändern des Geschehens aus Gründen, die mit dem ursprünglichen Thema gar nichts zu tun haben, geworfen werden nicht mehr erkennen.


Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#21 Denisovan

Denisovan

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 18:41

Wird hier über Kunstfreiheit (und ihre etwaige Grenzen) diskutiert oder darüber, ob ein Künstler, in der Ausgangsfrage also speziell ein Schriftsteller, vor allem einen von außen aufgesetzten Zeitgeist zu beachten habe, mit den jeweiligen historischen oder aktuellen Kontexten aus stillschweigendem Konsens, Prämissen, Parametern und Vorgaben?

 

Bedeutet die vorauseilende Beachtung eines jeweiligen Zeitgeists dann nicht bereits implizit die innere Einschränkung des Künstlers?

Das ist für mich das Ende von Kunst.

 

Ich postuliere also hiermit das Ende von Kunst innerhalb des SF-Forums, wenn die Ausgangsfrage des Threads – die sich ausdrücklich auf „tolerierbare Literatur“ bezieht – zu einem Konsens über Abgrenzungskriterien von „tolerierbarer“ und „nicht tolerierbarer“ Form von Kunst führte.

 

Ergänzende Problematik:

Wie legitimiert sich überhaupt die Verwendung eines Begriffs von „tolerierbar“ im Bereich der Kunst? Wer hat die Hoheit über die Definition? Der Staat? Der Zeitgeist? Die Mehrheit? Da bin doch lieber bei Habermas („herrschaftsfreier Diskurs“).

 

Für mich ist Kunst, speziell Literatur, immer noch der persönliche, intime Platz von größtmöglicher innerer und äußerer Freiheit – historisch erkämpft gegen die Inquisition von Hierarchien im Mittelalter und in der Neuzeit; erstritten im Prozeß von Aufklärung und Säkularisation; meist sogar auch aktuell eben gegen Formen von subtiler und offener Herrschaftsausübung.

 

Ich bin explizit gegen jede Form der politischen, religiösen, ideologischen oder sonst begründeten Beeinflussung / Einschränkung von Kunst durch Begriffe wie „tolerierbar“ und ähnliches.

 

Unabhängig davon, ob der Versuch einer Beeinflussung / Einschränkung mit hehren Zielen begründet wird.

 

Bereits eine Begrifflichkeit von „tolerierbar“ ist eine Herabwürdigung im Sinne der Ausgrenzung aus einem willkürlichen Konsens.

 

Vorsorglich:

Wer rassistisch, volksverhetzend, diskriminierend u.a. schreibt (sich zu eigen macht), erfüllt doch ohnehin Straftatbestände nach bereits geltendem Gesetz – das ist für mich die einzig objektivierbare Grenzziehung. Das Bundesverfassungsgericht hat über Jahrzehnte mehrfach geurteilt, dass auch die Kunstfreiheit nicht schrankenlos sei; die Schranke müsse durch Gesetz erfolgen und liege in der Verletzung gleichrangiger Verfassungsgüter und in der Beachtung der Verhältnismäßigkeit. Das ist immer einzelfallbezogen, auf das jeweilige Werk. Macht sich z.B. der Urheber die Strafbarkeit nicht zu eigen, sondern greift er sie lediglich literarisch auf, verletzt er eben kein Gesetz. Die Satire hat übrigens ein ähnliches Problem – die Schranken sind ähnlich weit gesteckt, jedenfalls in Deutschland.

 

Eine andere Ebene ist die der persönlichen Verletzbarkeit, als Gegenstück zur im Grunde doch erwünschten Stärkung persönlicher Resilienz. Ein weites Feld. Ein Mangel an Fähigkeit, gegen nicht rechtswidrige Provokationen in der Kunst resilient zu sein, sollte nicht zu einer Einschränkung der Kunstfreiheit führen. Kunst ist m.E. nur dann interessant, wenn sie provoziert; alles andere langweilt.


"Kritiker sind blutrünstige Leute, die es nicht bis zum Henker gebracht haben." (George Bernard Shaw)

 

Anmerkung zur heutigen Epoche des Internets:

"Die Depeschen, die die Stafetten ihm zutrugen, ließen seinen Schnupfen zum Schüttelfrost werden" (Victor, Schriften 3, 146)

 

 

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#22 Elena

Elena

    Cat-o-Nautin

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Geschrieben 24 Mai 2023 - 23:05

Oh oh, wenn ich mir das richtig überlege, dann ist Rassismus natürlich immer auch eine Frage der Hautfarbe, aber nicht nur. Sie ist auch eine Frage von Macht und Majorität.

 

Mehrzahl gewinnt - Einzahl stinkt.

 

Ein furchtbarer Satz, aber trotzdem wahr.

 

Das N-Wort oder das Z-Wort nicht mehr benutzen, okay. Ist gut gemeint. Und wird bei dem ein oder anderen vielleicht tatsächlich etws Gutes bewirken. Schön wär es jedenfalls.

 

Aber: Und jetzt folgt etwas Heftiges.

 

Wenn jemand Rassist ist, dann sieht er sich selbst als Herrenmensch und den Nicht-Weißen - sorry - als Untermenschen. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass er das N-Wort oder Z-Wort nicht mehr benutzt. Sein Denken ist trotzdem das eines Rassisten. Er ist nur klug genug, das zu verschleiern, um keinen Ärger zu kriegen. Aber derjenige, auf den herabgeblickt wird, der spürt das. Dafür benötigt er nicht das Wort. Er spürt es. Denn er spürt es jeden Tag.

 

Das mit Deinem Kind tut mir wirklich leid, Rezensionsnerdista. Ich musste das Wort wieder googeln. Ich vergesse es immer wieder. Ich kann akzeptieren, dass sich Menschen so fühlen, aber nachvollziehen, das kann ich nicht. Dafür muss man wohl selbst betroffen sein. Aber wer es ist, der fragt sich natürlich: Und wo bleibe ich?

Das große Problem ist, was man nicht verstehen kann, davor haben viele Menschen Angst. Und Angst ist immer ein schlechter Berater.

 

Dein Beispiel mit kleinen Kindern zeigt es doch sehr treffend. Man muss es verstehen können, sonst kann man es nicht nachvollziehen und möglicherweise auch nicht akzeptieren.


Lasse das Verhalten anderer nicht deinen inneren Frieden stören.

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#23 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 25 Mai 2023 - 04:40

Ich glaube, irgendwann merkt man am Text auch, ob jemand ein Rassist ist, auch wenn die Person die "Buzzwords" meidet.
Wir hatten das Problem ja auch schon? Also Texte, bei denen das rüber kam, eher so unterschwellig. Die gefallen uns dann beiden nicht.

So etwas kann man auch Mal übersehen, das ist gruselig, aber passieren kann es uns.

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#24 Dyrnberg

Dyrnberg

    Giganaut

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Geschrieben 25 Mai 2023 - 07:20

 


Wenn jemand Rassist ist, dann sieht er sich selbst als Herrenmensch und den Nicht-Weißen - sorry - als Untermenschen. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass er das N-Wort oder Z-Wort nicht mehr benutzt. Sein Denken ist trotzdem das eines Rassisten. Er ist nur klug genug, das zu verschleiern, um keinen Ärger zu kriegen.

Ein Rassist, der diese Ideologie aus voller Überzeugung lebt und ein entsprechendes gesellschaftspolitisches Programm fährt, wird sich wohl durch eine Debatte rund um sprachliche Konventionen nicht in seinem Gedankengut ändern, dem stimme ich zu, aber ich verstehe diese kritische (Selbst)Reflexion von Sprache auch eher so, dass wir die Zielgruppe sind - nicht das KuKluxKlan-Mitglied. Ich, der kein Rassist sein will, bin dazu aufgefordert, meine Sprache auf etwaige implizite rassistische Muster zu reflektieren. Ich, der kein Sexist sein will, bin dazu aufgefordert, meine Sprache auf etwaige implizite sexistische Muster zu reflektieren. Etc. Welche Vorurteile und Ausschlussmechanismen schwingen in meiner Sprache mit?

 

So zumindest hätte ich die Debatte verstanden.

 

Zum Donna Leon-Interview ist meinerseits wenig zu sagen, da es meines Erachtens in der Kritik zu abstrakt bleibt. Worum geht es ihr genau? Was stört sie konkret? Mal abgesehen davon, dass "Zensur" etwas anderes bedeutet. In dieser Debatte wird zurzeit ja ganz vieles in einen Topf geworfen und dann heftig umgerührt.

 

Beispielssatz: "Kunst und Literatur sind nicht dazu da, dass sich alle wohl fühlen und sich niemand irgendwie beleidigt fühlt." Dieser Satz ist nun von mir und entspricht weitgehend meiner Überzeugung. Was ist aber darunter zu verstehen? Das KuKluxKlan-Mitglied mag aus diesem Satz eine Verteidigung von "Mein Kampf" ablesen. Jemand anders denkt vielleicht an die Debatte, ob man im Kunstunterricht an der Uni noch Gemälde nackter, dicker Menschen zeigen darf, oder ob sich dadurch jemand im Hörsaal unwohl fühlt. Zwei völlig unterschiedliche Kontexte und Themen. Wie gesagt: Da wird grad vieles in einen Topf geworfen, das wohl differenziert werden müsste.



#25 My.

My.

    Temponaut

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Geschrieben 25 Mai 2023 - 07:27

Wenn jemand Rassist ist, dann sieht er sich selbst als Herrenmensch und den Nicht-Weißen - sorry - als Untermenschen. 

 

Die Unterstellung, nur Weiße könnten Rassisten sein, ist ebenfalls rassistisch.

 

My.



#26 J. A. Hagen

J. A. Hagen

    Cybernaut

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Geschrieben 25 Mai 2023 - 08:39

Wenn ich heute mit meinem nonbinären Kind Bücher lese und es heißt überall "Alle Jungen und Mädchen" fragt es mich immer: "Und was ist mit mir?"

 

Guter Hinweis. Für mich macht es allerdings bei der Thematik, die in diesem Thread angesprochen ist, einen Unterschied, ob jemand eine Sichtweise aufzeigt oder seine/ihre Empörung ins Internet kotzt, worauf andere auf den fahrenden Zug aufspringen.

 

Leider bilden Medien nur die sichtbare Gruppe ab, wodurch ein Zerrbild entstehen kann. Sofern sich zweihundert Leute im Internet aufregen, aber zweitausend nicht und sich nicht dazu äußern, dann sind nur die zweihundert sichtbar. Insofern glaube ich, dass die Situation besser ist als sie aussehen mag.

 

Es gibt Menschen, die ein Bewusstsein schaffen wollen, und mit denen kommt man in der Regel weiter. Und es gibt solche, die meinen, wie weiland Paulus das Licht gesehen zu haben und wollen, dass die Welt sich nach ihrem Gusto dreht.


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#27 Uwe Post

Uwe Post

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Geschrieben 25 Mai 2023 - 09:34

 

 

Leider bilden Medien nur die sichtbare Gruppe ab

 

Zumindest bilden sie meistens die sichtbarsten Gruppen ab (also die zahlenmäßig stärksten), was in gewisser Weise ja auch repräsentativ und somit natürlich ist. (Wenn z.B. jetzt die Hauptfiguren in zehn von zehn SF-Geschichten nonbinär wären, wäre das rein aus statischen Gründen unrealistisch.) Man kann ja auch fragen, ob es überhaupt realistisch schaffbar ist, immer und überall jede, jeden und jedeX einzubeziehen oder anzusprechen, und wie schlimm es eigentlich ist, wenn das mal ausnahmsweise versäumt wird. Natürlich kann im erwähnten Fall AutorX einfach statt "alle Jungen und Mädchen" "alle Kinder" schreiben. Andersrum wollte der Autor mutmaßlich niemanden absichtlich ausschließen, folglich kann man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass sich einfach jeder angesprochen fühlen kann, auch ohne explizit erwähnt zu sein. Ich denke, dass wir als Gesellschaft heute schon einen ganz ordentlichen Status erreicht haben, was Toleranz, Integration, Teilhabe usw. angeht, und wir machen immer mehr Fortschritte (negative Ausfälle möchte ich damit freilich nicht kleinreden! Man muss aber als sozialer Mensch auch verzeihen können!). Überempfindlichkeit, und darum geht es ja auch in diesem Thread, sorgt doch letztlich eher für Gräben. Also sollten wir von allen Seiten einander die Hände reichen, das finde ich am zielführendsten.


Bearbeitet von Uwe Post, 25 Mai 2023 - 09:35.

Herausgeber Future Fiction Magazine (deutsche Ausgabe) ||| Aktueller Roman: ERRUNGENSCHAFT FREIGESCHALTET ||| uwepost.de ||| deutsche-science-fiction.de

#28 J. A. Hagen

J. A. Hagen

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Geschrieben 25 Mai 2023 - 09:37

Also sollten wir von allen Seiten einander die Hände reichen, das finde ich am zielführendsten.

 

:thumb: 


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#29 Naut

Naut

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Geschrieben 25 Mai 2023 - 13:32

Zumindest bilden sie meistens die sichtbarsten Gruppen ab (also die zahlenmäßig stärksten), was in gewisser Weise ja auch repräsentativ und somit natürlich ist. (Wenn z.B. jetzt die Hauptfiguren in zehn von zehn SF-Geschichten nonbinär wären, wäre das rein aus statischen Gründen unrealistisch.) Man kann ja auch fragen, ob es überhaupt realistisch schaffbar ist, immer und überall jede, jeden und jedeX einzubeziehen oder anzusprechen, und wie schlimm es eigentlich ist, wenn das mal ausnahmsweise versäumt wird. Natürlich kann im erwähnten Fall AutorX einfach statt "alle Jungen und Mädchen" "alle Kinder" schreiben. Andersrum wollte der Autor mutmaßlich niemanden absichtlich ausschließen, folglich kann man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass sich einfach jeder angesprochen fühlen kann, auch ohne explizit erwähnt zu sein.

Wertvoller Hinweis! Insbesondere, wenn ich eine Endzeitgeschichte schreibe, in der nur zwei Personen vorkommen, dürfte es schwer werden, durch diese einen repräsentativen Bevölkerungsschnitt darzustellen. Wenn ich aber den Eindruck erwecke, dass es auch vor der Apokalypse nur weiße Männer gegeben hat, dann hat die Geschichte definitiv ein Problem (wobei: Wenn das der Fall war, dann hätte es ja einen Grund für das Aussterben gegeben - ich schweife ab ;) ). Die Kunst liegt dann darin, eine breite Identifikationsfläche zu schaffen, ohne wirklich jede einzelne Gruppe einzeln auftreten zu lassen.


Bearbeitet von Naut, 25 Mai 2023 - 13:32.

Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#30 ChristophGrimm

ChristophGrimm

    Giganaut

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Geschrieben 25 Mai 2023 - 15:28

Ich glaube, bevor ich mich zu dem Thema ausführlicher äußere, offenbare ich mal, was ich hauptberuflich mache: Ich bin Teamleiter in der südwestdeutschen Logistik-Niederlassung einer recht bekannten Lebensmittelkette (mein ehemaliger Chef bezeichnete die Beton-Scheußlichkeit von Lager gerne als „den größten Kühlschrank Süddeutschlands“). Ich führe aus pragmatischen Gründen eine Excel-Tabelle, die aufführt, welche Sprachen meine rund 200 Mitarbeiter beherrschen – um für jene Kollegen zu übersetzen, deren Deutschkenntnisse etwa auf dem Niveau A1 oder A2 (oder darunter) liegen: Ich kam auf 18! Ich denke, das dürfte euch die ethnische und kulturelle Vielfältigkeit meiner direkten Arbeitsumgebung verdeutlichen.

Würde ich kontextlos posten, wie meine kernigen Mitarbeiter bisweilen mit mir und ich mit ihnen rede, hätte ich größere Fäkalienstürme als Elon Musk, Bernd Höcke und J. K. Rowling zusammengenommen.

So als konkret schönes Beispiel: „Jo, my Nigga“ (An mich Weißbrot gerichtete Begrüßung eines dunkelhäutigen Mitarbeiters). Ich hätte ihm jetzt natürlich die Statements von einigen Twitter-Accounts zeigen können, damit er sich für seine rassistische Äußerung und der Steigerung des N-Worts in Grund und Boden schämt … stattdessen habe ich den dargebotenen Faustgruß erwidert.



Nein, ich will hier weder das N-Wort noch andere Begrifflichkeiten hier legitimieren oder verharmlosen. Es ist zeigt für mich aber eines: Es geht nicht nur um Begrifflichkeiten, sondern auch um „Verwendung“, „Kontext“ und „Beziehung zueinander“. (Letzteres ist für den literarischen Sektor natürlich nicht umsetzbar). Ich gebe Kritiker:innen aber zumindest in dem Punkt Recht, dass die Diskussion bisweilen zu elitär-akademisch geführt wird und deshalb einen übergriffig-bestimmenden Eindruck erweckt.
Allein in diesem Thread, so behaupte ich mal, diskutieren gerade nur Vertreter:innen der gesellschaftlichen Mittel- bis Oberschicht.

Als Autor muss ich mir nicht nur die Frage stellen, was ich selbst für gut und richtig halte, sondern auch das Publikum mitgeht. Das N-Wort? Wird überwiegend abgelehnt, zumal es konkret auf das offensichtlichste Merkmal einer menschlichen Gruppierung abzielt. Es beschreibend zu verwenden, wäre dumm …
… womit wir bei etwas sehr Abstraktem sind: Ableismus. Außerhalb Twitters und der Buchblase habe ich noch nie von irgendjemandem Verständnis dafür bemerkt, dass „dumm“ und andere Wörter abwertend gegenüber Behinderungen belegt ist. Auch nicht von beeinträchtigten Menschen. Es fehlt - im Gegensatz zum N-Wort - wohl tatsächlich gesamtgesellschaftlich die Assoziation dumm/geistig beeinträchtigt.
Da stellt sich mir durchaus die Frage, ob es valid ist, Worte, die ein minimaler Personenkreis kritisch betrachtet, tatsächlich als kritisch zu empfinden.

Ich bin bei Elena, dass Ignoranten Ignoranten und Rassisten Rassisten bleiben, auch wenn sie gewisse Begriffe und Formulierungen meiden – Höcke, Weidel, Maaßen und viele andere der schwarz-braun-blauen Suppe rund um Werteunion, AfD und Co. sind rhetorisch sehr geschickt.

Was ich für gut und richtig halte:

Reflektieren und – wie es Uwe weiter oben gesagt – auf Fingerspitzengefühl achten. Um auf das Beispiel von weiter oben zu kommen: Ich käme nicht auf die Idee, meinen Mitarbeiter mit „Jo, my Nigga“ zu begrüßen, unabhängig davon, dass er es verstehen würde. Gleichfalls sehe ich keinen Anlass, das N- und das Z-Wort ebenso wie einige ableistische Begriffe in meiner Prosa zu verwenden, da ich bessere Begriffe dafür habe. (Und den „Male Gaze“, den ich als junger Mann ziemlich cool fand, habe ich mir auch abgewöhnt - Chandler und Jason Dark waren vielleicht nicht meine besten Lehrer ;))

Bei älterer Literatur für Kinder halte ich es für angebracht, die Wirkung von „Begriffen“, „Verwendung“ und „Kontext“ zu prüfen und gegebenenfalls bessere Begriffe zu finden. Für noch wichtiger erachte ich jedoch die Thematisierung im echten und schulischen Leben.

Was ich für bedenklich und falsch halte:

Klassische Literatur außerhalb nicht mehr gebräuchlicher Grammatik- und Rechtschreibung inhaltlich oder begrifflich zu verändern. Sie sind Spiegel ihrer Zeit und sollten als solche betrachtet werden. Zudem zeigen sie auch gut auf, welche Fortschritte im Gegensatz zum Heute bereits erreicht wurden. Wir würden der Literatur keinen Gefallen tun, sie ihres zeitgenössischen Kolorits zu berauben. Ich bin auch zwiegespalten, ob erläuternde Vorworte in dieser Hinsicht einen Mehrwert bieten. Hätte es konkret einen Mehrwert, würde ich bspw. in „Tom Sawyer“ über das N-Wort aufzuklären?
- Onlinepause -

„Alien Contagium: Erstkontakt-Geschichten“: https://eridanusverlag.de | "En passant - Die Reisen des Sherlock Holmes": https://burgenweltverlag.de<p>Kostenloses SF/Fantasy-Literatur-Webzine: https://weltenportalmagazin.de
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