Okay, dann muss ich wohl doch ausführlicher werden. Ich sage vorsichtshalber schon mal an, dass ich nun drei Wochen kaum Laptopzeit habe (fast nur außer Landes) und vom Handy aus mag ich nicht so tief in Diskussionen einsteigen. Dann lese ich nur mit.
Jetzt aber doch mal ernsthaft:
Kein Autor, der einigermaßen klug ist, wird sagen: "Ich bin schon gut genug, ich muss mich nicht mehr verbessern."
So einfach kriegt man die nicht überführt.
Nehmen wir mal Fall A. Frei erfunden, kommt aber etwa einmal im Monat vor:
Anton meldet sich bei mir. Er ist Autor und hat ein Buch herausgebracht. Entweder im Selbstverlag oder bei einem Verlag, das spielt eigentlich keine Rolle, es sind nur deswegen eher Selbstverleger, weil die eben selbst die Akquise der Rezensent:innen machen müssen. Anton fragt mich, ob ich sein Buch lesen, rezensieren oder gar einen Podcast machen will.
Ich lese das Buch an. Ich sage, dass es nicht mein Ding ist.
Er fragt, warum.
Ich sage naiv: weil es mich auf den ersten zehn Seiten nicht packt.
Er fragt, warum.
Ich erkläre ihm, welche Schwächen ich sehe, beispielsweise Infodump in Dialoge, unnötige Adverbien, you name it.
Er erklärt mir, dass ich keine Ahnung habe und warum das alles so gut ist, wie es ist.
Fall B: Autor reicht Text ein und ich sitze dort, wo man über die Annahme bestimmt.
Ich lehne Text ab.
Autor fragt warum. Ich nenne die Gründe. Es passiert wieder obiges.
Fall C: Autor stellt bei Facebook eine Frage oder postet einen Textauszug. Ich kommentiere. Er dreht total durch, weil er der Beste ist und ich es gewagt habe, ihn zu kritisieren.
Fall D: Lesezirkel hier im Forum. Ich kritisiere einen Text. Autor loggt sich ein, nimmt meine Rezension auseinander.
Ich habe auch schon private Emails von mir völlig Fremden erhalten. Inklusive Androhung von Klage. Ich habe einen sehr langen Kommentar auf meinem Blog, den ich absichtlich nicht gelöscht habe, in dem mich ein Autor beschimpft, mich herabsetzt und mir den Tod wünscht, weil ihm eine Rezension nicht gefallen hat.
Ernsthaft. Wenn jemand als weibliche Person einen Rezensionsblog in einer relativ kleinen Bubble pflegt, in der es nicht sooo viele Rezensionsmöglichkeiten gibt und man irgendwann wagt, wählerisch zu sein, dann kann man echt was erleben. Inzwischen sage ich immer nein: Wirklich immer. Und ich rezensiere auch quasi nichts mehr kritisch, es sei denn, ich habe das Gefühl, ich müsse vor einem Werk warnen.
Das Problem hier bei Prosa ist: Es ist nicht so leicht messbar.
Wenn wir beim Langstreckenlauf wären, wäre es einfach. Jemand sagt "Ich bin gut, ich laufe den Halbmarathon in unter zwei Stunden" (was jetzt auch eher eine Hobby-Zeit ist). Dann kann ich mich hinstellen und das messen und danach sagen: "Du musst aber noch trainieren, du bist noch zu langsam."
Wenn ich jemandem sage: "Du musst noch üben, deine Prosa ist noch zu schlecht und ich zeige dir warum", dann ist das ein Stück weit immer noch subjektiv und lässt sich viel besser anzweifeln als beim Langstreckenlauf.
Jemand könnte mir sagen:
Nein, das Adverb ist da aber super, auch wenn's labelnd ist. Show don't tell ist total überholt.
oder
Wenn ich das szenisch mache, wird's noch länger.
oder
Wenn ich die Zeiten einhalte, wird's öde, ich will experimentieren!
Egal was. Alles schon gehört. Selbst für uneinheitliche Anführungszeichen scheint es künstlerische Gründe zu geben.
Es ist schön, dass ihr alle offenbar mit kritikfähigen Autoren zu tun habt, aber die Menschen, mit denen ich so zu tun habe, haben eher Erfahrungen gemacht, die meinen ähneln. Teilweise sogar noch deutlich heftigere.