Wenn du Reichweite willst, mach es unkompliziert.
Geschrieben 07 August 2023 - 08:47
Wenn du Reichweite willst, mach es unkompliziert.
Geschrieben 07 August 2023 - 09:05
Podcast: Literatunnat
Geschrieben 07 August 2023 - 12:14
Es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten, wie ein Buch erfolgreich werden kann. Bei Stephen King ist die Sache einfach: Er schreibt verdammt gut und hat es handwerklich so gut drauf, dass seine Bücher selbst dann noch gut sind, wenn gar keine besonders großartige Idee dahinter steht.
Dann gibts auch noch den Weg, gleich von vornherein viel Geld in die Hand zu nehmen, und ein Buch mit einem riesigen Marketingfeldzug in den Markt zu drücken. Erinnert sich noch jemand an "Feuchtgebiete" von irgendeiner deutschen Autorin? Ich weiß nicht, was da genau im Hintergrund bewerkstelligt wurde, aber man konnte damals Monate lang nicht den Fernseher einschalten oder ins Internet schauen, ohne über den Hype zu diesem Buch zu stolpern. Vom Frühstücksfernsehen bis ins Abendprogramm war dieses Buch allgegenwärtig. Ja, und das Buch selbst? Ich habe es tatsächlich gelesen (nein, nicht selbst gekauft) - es ist handwerklich tatsächlich nicht schlecht und liest sich ganz gut weg (auch deshalb, weil es nicht viel mehr als Heftromanlänge hat), aber die Handlung ist ein völlig belangloses Geschichtlein, das nicht der Rede wert ist. Es ist auch nicht der Ekel-Skandal, als der es beworben wurde, sondern die kleinen Unappetitlichkeiten kommen alle recht brav und harmlos daher; da gab es in der Literatur schon ganz andere Kaliber in der Richtung. Es ist einfach ein Buch, das ohne den Hype niemand bemerkt hätte.
Geschrieben 07 August 2023 - 12:15
Korrekt hieße es "Das Publikum teilt nicht deinen Geschmack." Sei's drum.
Aber du hast gesagt: "Das Publikum hat versagt." Und das ist ein Vorwurf.
Das ist mir jetzt total unangenehm. So habe ich das natürlich nicht gemeint. Es sollte kein Vowurf sein - ich wollte damit lediglich meine tiefste Verachtung zum Ausdruck bringen.
Geschrieben 07 August 2023 - 12:38
Das ist mir jetzt total unangenehm. So habe ich das natürlich nicht gemeint. Es sollte kein Vowurf sein - ich wollte damit lediglich meine tiefste Verachtung zum Ausdruck bringen.
Geschrieben 07 August 2023 - 12:57
Podcast: Literatunnat
Geschrieben 07 August 2023 - 15:02
Ich denke, man sollte diesen Sachverhalt etwas präzisieren, dann kann man damit auch konstruktiver arbeiten als in resignierte Verachtung zu verfallen:Um große Reichweite zu erreichen: Der Protagonist muss jemand sein, mit dem man sich problemlos identifizieren kann. Er hat natürlich seine Schwächen, aber er ist ganz offensichtlich so, wie möglichst viele Menschen sich gern selbst sehen. Und: Der grundlegende Konflikt sollte rasch und einfach zu erfassen sein. Und er sollte klar nachvollziehbar sein, dass heißt, er sollte primal sein. Es sollte also im Prinzip immer um Leben und Tod gehen, oder um die Liebe seines Lebens (also ja auch um Leben und Tod). Wenn das die ganze Zeit durch die Geschichte durchschimmert, kann sie auch ein wenig komplexer werden, ohne das Publikum durch zuviel Intelligenz zu verscheuchen.
Natürlich kann man die "Einfachheit" tieferlegen. Deine Beispiele finde ich sehr treffend.
Unkomplizierter Satzbau und einfache(re) Sprache sind ebenfalls Möglichkeiten, die Zielgruppe weiter zu fassen.
Nicht jeder möchte Schachtelsätze à la Dürrenmatt lesen (ein Kapitel = ein Satz) - oder jedenfalls nicht immer.
Nicht jeder möchte beim Lesen parallel in einer Enzyklopädie (in einem Wörterbuch) nachschlagen müssen.
Das könnte man fortführen, es würde aber auch vom Thema fort führen.
Geschrieben 07 August 2023 - 21:03
Natürlich kann man die "Einfachheit" tieferlegen. Deine Beispiele finde ich sehr treffend.
…
Das könnte man fortführen, es würde aber auch vom Thema fort führen.
Ich hoffe, es ist nicht der Eindruck entstanden, das wäre eine unbedingte Empfehlung, dass man genau so schreiben sollte. Ein völlig lupenreiner und eindeutig guter Protagonist ist nicht mein Fall, einer solchen Schwarzweißmalerei ziehe ich dann doch Grauschattierungen vor, meinetwegen auch fünfzig davon.
Geschrieben 08 August 2023 - 18:44
Natürlich kann man die "Einfachheit" tieferlegen. Deine Beispiele finde ich sehr treffend.
Unkomplizierter Satzbau und einfache(re) Sprache sind ebenfalls Möglichkeiten, die Zielgruppe weiter zu fassen.
Nicht jeder möchte Schachtelsätze à la Dürrenmatt lesen (ein Kapitel = ein Satz) - oder jedenfalls nicht immer.
Nicht jeder möchte beim Lesen parallel in einer Enzyklopädie (in einem Wörterbuch) nachschlagen müssen.
Das könnte man fortführen, es würde aber auch vom Thema fort führen.
So war es wohl mit Konsalik. Habe ich mir sagen lassen. Nie gelesen, den Autor.
Wenn es eine Krisensituation gibt, sucht der intelligente Mensch nach einer Lösung,
der dumme Mensch nach Schuldigen.
(Verfasser unbekannt)
Geschrieben 08 August 2023 - 18:47
Naja, die Frage, ob ich, wenn ich etwas geschrieben habe, mit dem Ergebnis zufrieden bin, hängt ja nun schon von mir selbst ab. Dass ich so lange herumbastele, bis der Text passt, liegt an niemanden sonst. (Natürlich kann ich auch, vielleicht nur unbewusst, tricksen, und meine Ansprüche herunterschrauben).
Ich kann natürlich nicht kontrollieren, ob dieser Text auch anderen gefällt. Was ich wiederum kontrollieren kann, ist, wie ich auf Kritik von anderen, die zur Weiterentwicklung unabdingbar ist, reagiere.
Und wenn ich die Ergebnisse jemandem anderen verkaufen möchte, ist der Weg erst recht nicht mehr das Ziel.
Ich meinte das anders. Wir können ja ruhig Ziele haben, die schwer zu erreichen sind, hohe Ansprüche, wenn Du das so nennen willst. Ob wir die aber erreichen, hängt ja nicht nur von unserem Willen ab. Deshalb ist es hilfreich um Dauerfrustrationen zu vermeiden, am Schreiben und der Weiterentwicklung seines Schreibens Freude zu haben und nicht erst zufrieden zu sein, wenn wir das große Ziel erreicht haben.
Geschrieben 08 August 2023 - 18:59
Ich finde, dass in der Literaturszene (aber nicht nur dort) allzu schnell Produkte, die dem eigenen Geschmack nicht entsprechen, als schlecht gewertet werden. Dabei scheint es mir offensichtlich, dass auch wenn sich ein Produkt gut verkauft oder mit Preisen ausgezeichnet wurde, es immer noch ganz viele Menschen gibt, die es nicht mögen. Selbst die Valenz mancher Textmerkmale, von denen allgemein angenommen wird, sie sei objektiv gut oder schlecht, erweist sich oft als relativ. Ich mag zum Beispiel Patrick Süßkind auch deshalb, weil er ein Meister der Syntax ist, ich weiß aber, dass dieser Aspekt anderen zuweilen schlicht egal ist.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 08 August 2023 - 19:00.
Geschrieben 08 August 2023 - 19:19
Ich meinte das anders. Wir können ja ruhig Ziele haben, die schwer zu erreichen sind, hohe Ansprüche, wenn Du das so nennen willst. Ob wir die aber erreichen, hängt ja nicht nur von unserem Willen ab. Deshalb ist es hilfreich um Dauerfrustrationen zu vermeiden, am Schreiben und der Weiterentwicklung seines Schreibens Freude zu haben und nicht erst zufrieden zu sein, wenn wir das große Ziel erreicht haben.
Es gibt verschiedene Gründe, warum man sein Leben nicht nach Zielen ausrichten sollte, schon gar nicht nach schwer erreichbaren, langfristigen.
Zum einen hat man zum Zeitpunkt, an dem man sich dieses Ziel setzt, gar nicht alle Informationen, welche Vor- und Nachteile mit diesem Ziel verbunden sind. Wegen einem einmal getroffenen Ziel eine Gelegenheit, die sich unerwartet bietet, ungenutzt zu lassen, weil sie zu diesem nicht passt, ist nicht sonderlich schlau.
Zum anderen verrät ein Ziel nicht, wie es denn weitergehen soll, wenn man es denn erreicht hat.
Stattdessen ist es sinnvoller, sich regelmäßige Gewohnheiten anzutrainieren, die allerdings in eine bestimmte Richtung weisen. Vor allem sollten die etwas beinhalten, was einem Freude bereitet, und was man nicht als sinnlose Zeitvergeudung ansieht, wenn sich kein äußerer Erfolg einstellt.
(Das ist natürlich nicht auf meinem Mist gewachsen, ich habe das aus einem Youtube-Video, sollte aber in Lebenshilfe-Ratgebern sozusagen Grundlagenwissen sein.)
Bearbeitet von Michael Böhnhardt, 08 August 2023 - 19:58.
Geschrieben 08 August 2023 - 21:01
Ich finde, dass in der Literaturszene (aber nicht nur dort) allzu schnell Produkte, die dem eigenen Geschmack nicht entsprechen, als schlecht gewertet werden. Dabei scheint es mir offensichtlich, dass auch wenn sich ein Produkt gut verkauft oder mit Preisen ausgezeichnet wurde, es immer noch ganz viele Menschen gibt, die es nicht mögen. Selbst die Valenz mancher Textmerkmale, von denen allgemein angenommen wird, sie sei objektiv gut oder schlecht, erweist sich oft als relativ. Ich mag zum Beispiel Patrick Süßkind auch deshalb, weil er ein Meister der Syntax ist, ich weiß aber, dass dieser Aspekt anderen zuweilen schlicht egal ist.
Hm. Da hilft nur Lesen außerhalb der eigenen Komfortzone. Am Besten in der DSFP-Jury.
Ich spreche aus Erfahrung, ich habe da schon einige schätze entdeckt.
Wenn es eine Krisensituation gibt, sucht der intelligente Mensch nach einer Lösung,
der dumme Mensch nach Schuldigen.
(Verfasser unbekannt)
Geschrieben 09 August 2023 - 07:39
Hm. Da hilft nur Lesen außerhalb der eigenen Komfortzone. Am Besten in der DSFP-Jury.
Ich spreche aus Erfahrung, ich habe da schon einige schätze entdeckt.
Ja, ich lese immer wieder in ganz unterschiedliche Texte rein, einfach aus Neugier. Ich weiß aber nicht, ob das so viele machen. Wir neigen wohl alle dazu, in einer Blase zu bleiben, und bekanntlich kann das auch ungünstige Auswirkungen haben.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 09 August 2023 - 07:39.
Geschrieben 09 August 2023 - 07:54
Dazu passt eine Diskussion, die momentan in mehreren Gamer-Magazinen gespiegelt wird, z.B. hier:
Oder auch:
BILD 1,1 Mio Exemplare im 4. Quartal 2022
FAZ 190.000 Exemplare im 4. Quartal 2022
Wenn du Reichweite willst, mach es unkompliziert.
Der Artikel, den Du verlinkst, hat mich betroffen gemacht. Vor allem der Satz "Bei Serien zählt, je jünger das Publikum ist, desto weniger wichtig ist der Plot. [Stattdessen zählen] nur Emotionen." Es ist zwar elementar, dass eine Geschichte Emotionen weckt, aber die Aussage in dem Artikel erinnert mich unselig an das wachsende Problem mit emotionalem Schlussfolgern, Conways alternativen Fakten (Unwort 2017) und Fake News. Ich glaube, wir müssen in unseren Gesellschaften aufhören, alles der Profitmaximierung unterzuordnen, die Bedürfnisse und Beschaffenheit von Zielgruppen einfach nur festzustellen und dann zu bedienen oder sie gar auszunutzen. Ich befürchte, das führt nur zu einem gnadenlosen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und einer Zunahme von schockierenden, destruktiven Inhalten. Wenn es wirklich so sein sollte, dass die Fähigkeit der jungen Menschen sich auf neue Inhalte einzulassen, sie kritisch zu erschließen und selbstständig zu denken abnimmt, dann wäre das ein Alarmsignal, und die erneute Bestätigung, dass in unseren Schulen einiges schief läuft.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 09 August 2023 - 07:54.
Geschrieben 09 August 2023 - 08:16
Hallo zusammen,
Ein Tagebuch führen, Kurzgeschichten schreiben, Lyrik mit und ohne Reim, einen Roman, ein Sachbuch oder die eigene Lebensgeschichte - Schreiben gehört nach repräsentativen Umfragen für 37 Prozent aller Deutschen zu den Dingen, mit denen sie sich im Alltag beschäftigen. Aber wer seine Freizeit mit Buchstaben und Wörtern füllen will, muss nicht gleich zum Schriftsteller werden. Es gibt jede Menge andere Möglichkeiten. Allein zu Hause oder in einer Schreibgruppe, mit Stift und Papier oder mit Laptop oder PC. Von Flensburg bis Garmisch bietet sich eine wahre Flut von Seminaren und Workshops zum Thema Schreiben, von preisgünstigen Volkshochschulkursen bis zu hochpreisigen Studiengängen bei privaten Anbietern oder persönlichem 1:1-Coaching. Dazu eine ebensolche Flut von Schreibratgebern aller Art. Woher kommt der Schreib-Boom? Warum schreiben so viele Menschen, auch und gerade im digitalen Zeitalter? Und: Kann wirklich jeder schreiben? Oder es lernen? Wie viel ist Handwerk, wie viel Talent
ich habe mir mal eine Teilnahme an der "Autor*innenschulung" des örtlichen Literaturbüros geleistet. Hat sich gelohnt. Es gab zahlreiche erhellende Momente. Eine Teilnehmerin hat es inzwischen zu Preiswürden und Kritikerlob gebracht (Genre: Krimi).
Schreibratgeber habe ich bislang gemieden, dafür aber höre ich sehr gerne Podcasts mit und über Autor*innen und ihre Texte. Da hat es schon sehr oft Klick gemacht.
Natürlich kann jeder schreiben (bzw. es lernen), aber da Talent und auch Handwerk nicht gleichermaßen verteilt sind, ist davon nicht alles von Interesse für mich.
Aber, nee, wer schreibt, der bleibt nicht unbedingt. Auch wenn meine Plotmaschine (die im Kopf) immer mal wieder anspringt, ich habe seit Anfang des Jahres nichts mehr geschrieben. Und es fühlt sich nicht so an, dass sich das ändern könnte. Schreiben kostet Zeit und wenn dafür nix zurück kommt (sei es auch nur in Form der Befriedigung "etwas geschafft zu haben"), dann ist das Zeitverschwednung. Und da ChatGPT viel schneller "schreiben" kann, ist Zeit ja nun inzwischen ein Faktor, gegen den ich als Mensch nicht mehr anstinken möchte. Und, nein, auch wenn ich das als Argument ("deshalb schreibt man doch") schon oft gehört habe, ich muss keine Geschichten erzählen, ich habe nicht diesen Drang, etwas mitteilen zu müssen. Ich habe Schreiben stets als eine Art Sport betrachtet: Was kann ich bestmöglich erreichen (auf Grundlage meines Talents und Trainings). Ja, könnte ich für mich weiter machen, aber, eh, ich halte es für arg sinnlos, über meine Leistung als Kampfrichter zu urteilen. Da treibe ich lieber ganz altmodisch körperlichen Sport, denn da sehe ich an den Zeiten und den Körperwerten, wie gut (oder schlecht) ich bin.
Viele Grüße
Tobias
Geschrieben 09 August 2023 - 08:41
Der Artikel, den Du verlinkst, hat mich betroffen gemacht. Vor allem der Satz "Bei Serien zählt, je jünger das Publikum ist, desto weniger wichtig ist der Plot. [Stattdessen zählen] nur Emotionen." Es ist zwar elementar, dass eine Geschichte Emotionen weckt, aber die Aussage in dem Artikel erinnert mich unselig an das wachsende Problem mit emotionalem Schlussfolgern, Conways alternativen Fakten (Unwort 2017) und Fake News. Ich glaube, wir müssen in unseren Gesellschaften aufhören, alles der Profitmaximierung unterzuordnen, die Bedürfnisse und Beschaffenheit von Zielgruppen einfach nur festzustellen und dann zu bedienen oder sie gar auszunutzen. Ich befürchte, das führt nur zu einem gnadenlosen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und einer Zunahme von schockierenden, destruktiven Inhalten. Wenn es wirklich so sein sollte, dass die Fähigkeit der jungen Menschen sich auf neue Inhalte einzulassen, sie kritisch zu erschließen und selbstständig zu denken abnimmt, dann wäre das ein Alarmsignal, und die erneute Bestätigung, dass in unseren Schulen einiges schief läuft.
Ich fange mit dem Streben nach Profitmaximierung gar nicht erst an. Ich schreibe über Themen, die mir gefallen und ohne das Schielen auf Quoten und Zielgruppen. Ich habe ein paar treue Leser*innen mit ähnlichen Interessen, und jede*r weitere ist willkommen.
Die Symptome, die du beschreibst, sehe ich auch. Im Kontext dieses Fadens: Ich glaube nicht, dass wir SF-Autoren da die wesentlichen Einflußgeber (neudeutsch Influencer) sind - dafür sind Bücher oder altertümliche Foren wie dieses einfach überholte Vehikel.
Am gnadenlosen Wettbewerb um Aufmerksamkeit nicht teilzunehmen, um ebendiesen Wettbewerb auszutrocknen, ist vermutlich gnadenlos zum Scheitern verurteilt.
Geschrieben 09 August 2023 - 09:14
dafür sind Bücher oder altertümliche Foren wie dieses einfach überholte Vehikel.
Damit widersprichst du aber dem einleitenden Artikel dieses Fadens, dass das Schreiben wie verrückt boomt.
Geschrieben 09 August 2023 - 09:33
Ich zitiere aus dem Artikel, zu dem Valerie J. Long verlinkt hat:
Aber das größere Level an Nuance und Komplexität hat weniger Reichweite, es erreicht weniger Leute. […] Wir gehen von Ursache-Effekt, von linearer Erzählung weg. Diese buchartige Erzählung.
Je weniger Leute geistig gefordert werden, desto mehr bauen sie ab, denke ich.
Eine Geschichte ist für mich mehr als eine Abfolge von Ereignissen; sie hat eine Architektur, in der jedes Element seinen Platz findet.
Ich werde weiterhin schreiben, weil es mir Spaß macht. Ein bis zwei Geschichten pro Jahr, einfach strukturiert, bis ich die Komplexität steigern kann. Die Illusion, ich könnte auf diese Weise der Nachwelt etwas hinterlassen, habe ich lange ad act gelegt. Ich schreibe nicht, um zu bleiben, sondern damit einige Leser und Leserinnen vielleicht so einige angenehme Minuten verbringen.
Geschrieben 09 August 2023 - 18:19
Der verlinkte Artikel ist aber selbst ein ziemlicher Fall von starker Vereinfachung.
für Amerikaner war das wohl zu kompliziert, weil sie nur die Geschichte kennen, bei der Amerikaner die Guten, alle anderen die Bösen und nichts kompliziert sei.
Man fragt sich schon, wieso dann in Amerika Filme wie aktuell etwa "Oppenheimer" gedreht werden. Wahrscheinlich nur für das ausländische Publikum, nehme ich an.
Und was das angeht:
Wir gehen von Ursache-Effekt, von linearer Erzählung weg. Diese buchartige Erzählung.
Das ist Unsinn. Unser Gehirn ist so beschaffen, dass wir die Welt gar nicht anders als in Kausalitätsketten wahrnehmen können. Man kann m.E. durchaus sagen, dass sich Menschen die Welt immer durch Geschichten erklären, das zeichnet unsere Spezies geradezu aus. Was durch die Gewöhnung an elektronische Medien und die ständige Ablenkungskultur des Internets verloren gegangen ist, ist die Fähigkeit, sich lange auf eine Sache zu konzentrieren.
Edit: das Gehirn ist beschaffen, nicht geschaffen
Bearbeitet von Michael Böhnhardt, 18 August 2023 - 06:41.
Geschrieben 09 August 2023 - 18:50
Damit widersprichst du aber dem einleitenden Artikel dieses Fadens, dass das Schreiben wie verrückt boomt.
Nein, ich widerspreche nicht. Ich habe geschrieben, dass Bücher als Einflussgeber überholte Vehikel sind.
Die Schlussfolgerung, dass ein Boom beim Schreiben auch zu einem Boom beim Lesen führt, drängt sich vielleicht auf, ist aber nicht belegt, auch nicht in dem einleitend verlinkten Artikel.
Auf ein geschriebenes Buch muss der potenzielle Leser erst einmal aufmerksam werden. Dann muss sein Interesse geweckt werden, was vielleicht zu einem Kaufwunsch führt, und danach muss das gewünschte Buch auch für das gewünschte Medium verfügbar sein.
Wenn das Buch dann tatsächlich erworben ist, ist es noch nicht gelesen, und wenn es gelesen wird, hat es beim Leser nicht automatisch eine eventuell intendierte Wirkung erzielt.
Bearbeitet von Valerie J. Long, 09 August 2023 - 18:50.
Geschrieben 09 August 2023 - 19:20
Die Schlussfolgerung, dass ein Boom beim Schreiben auch zu einem Boom beim Lesen führt, drängt sich vielleicht auf, ist aber nicht belegt, auch nicht in dem einleitend verlinkten Artikel.
Das stimmt wohl. Auch ich gehe davon aus, dass mehr Leute heute schreiben, aber deutlich weniger als früher lesen.
Geschrieben 10 August 2023 - 08:11
Das ist Unsinn. Unser Gehirn ist so beschaffen, dass wir die Welt gar nicht anders als in Kausalitätsketten wahrnehmen können. Man kann m.E. durchaus sagen, dass sich Menschen die Welt immer durch Geschichten erklären, das zeichnet unsere Spezies geradezu aus. Was durch die Gewöhnung an elektronische Medien und die ständige Ablenkungskultur des Internets verloren gegangen ist, ist die Fähigkeit, sich lange auf eine Sache zu konzentrieren.
Ich habe über diese meine Worte noch einmal nachgedacht und möchte mich nun ebenfalls an einer stark vereinfachenden Zustandsanalyse versuchen.
Ich denke tatsächlich, dass Menschen sich die Welt normalerweise mit Hilfe von Geschichten erklären. Insbesondere durch elektronische Medien mit lauter Ablenkungen und "schnellen Schnitten" wird der Ursache-Folge-Komplex, durch den wir die Welt wahrnehmen, letztlich auf den denkbar einfachsten Fall reduziert: Das Smartphone gibt einen quäkenden Ton von sich, der Nutzer muss möglichst rasch etwas eingeben, was ihm jetzt gerade irgendwie zum Grund des Quäkens einfällt. Derart konditioniert, verlernen die Menschen tatsächlich, der Welt um sich herum durch verinnerlichte Geschichten Sinn zu geben. Das heißt natürlich, dass der Sinn jetzt von außen kommen muss. Sie reagieren immer automatenhafter auf die Reize, die von außen an sie herangetragen werden, in der Hoffnung, dass in den systemischen Strukturen, denen sie folgen, zunächst einmal überhaupt Sinn vorhanden und dieser dann auch noch ein "guter" ist.
Geschrieben 10 August 2023 - 08:44
Ich habe über diese meine Worte noch einmal nachgedacht und möchte mich nun ebenfalls an einer stark vereinfachenden Zustandsanalyse versuchen.
Ich denke tatsächlich, dass Menschen sich die Welt normalerweise mit Hilfe von Geschichten erklären. Insbesondere durch elektronische Medien mit lauter Ablenkungen und "schnellen Schnitten" wird der Ursache-Folge-Komplex, durch den wir die Welt wahrnehmen, letztlich auf den denkbar einfachsten Fall reduziert: Das Smartphone gibt einen quäkenden Ton von sich, der Nutzer muss möglichst rasch etwas eingeben, was ihm jetzt gerade irgendwie zum Grund des Quäkens einfällt. Derart konditioniert, verlernen die Menschen tatsächlich, der Welt um sich herum durch verinnerlichte Geschichten Sinn zu geben. Das heißt natürlich, dass der Sinn jetzt von außen kommen muss. Sie reagieren immer automatenhafter auf die Reize, die von außen an sie herangetragen werden, in der Hoffnung, dass in den systemischen Strukturen, denen sie folgen, zunächst einmal überhaupt Sinn vorhanden und dieser dann auch noch ein "guter" ist.
Da ist was dran. Die zunehmende Beliebtheit der KI-Assistenzen zur Erstellung von Geschichten könnte auch unter anderem auf diesen Umstand zurückgehen, denn offenbar nutzen viele sie, um aus ein paar bruchstückhaften Ideen etwas sinnvolles zu stricken, wodurch der Sinn quasi von außen angeboten, und wenn er angenommen wird, bestimmt würde. Das halte ich für potentiell problematisch, weil, wenn dies irgendwann gewohnheitsmäßig geschähe, sich die Menschen zunehmend der Fähigkeit berauben würden, selbst Sinn in die Welt zu bringen. Eine Gesellschaft, in der Maschinen den Sinn vorgeben, halte ich für zumindest hinterfragenswert.
Geschrieben 10 August 2023 - 12:38
Eine Gesellschaft, in der Maschinen den Sinn vorgeben, halte ich für zumindest hinterfragenswert.
Das könnte den Stoff für eine interessante Geschichte ergeben.
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