Hallo zusammen, ich bin neu in diesem Forum und finde es einfach toll, hier auch ggf. Rückmeldung von professionellen Lesern zu bekommen. Das ist für mich als Quereinsteiger, der die Qualität seiner Texte naturgemäß nur schwer einschätzen kann, besonders spannend.
Der Text unten stammt aus meinen utopischen Roman All An!, der per Self Publishing zunächst als dreiteiliges E-Book erscheint, im Sommer dann auch komplett in gedruckter Form herauskommen soll. Der erste Teil Umschwung ist bereits bei Amazon erhältlich, der zweite Teil Drift folgt am 28. März. Ihm ist folgende Szene entnommen, deren lektorierte Fassung ich gerade final (gibt es so etwas?) überarbeitet habe.
Ich habe diese Szene ausgewählt, weil sie wie die von Ingo neulich zur Kritik gestellte auch auf dem Mars spielt, inhaltlich und atmosphärisch aber ganz anders angelegt ist. Sie steht am Ende des Kapitels mit dem Titel Der letzte Mensch auf dem Mars. (Anmerkungen: UM ist kein Schreibfehler, sondern steht für »United Mankind« und Raumfahrer heißen bei mir Raumschiffer, weil sie viel mit Luft- und Seeschiffern zu tun haben.)
— Schnipp —
Joseph Umutesi war zweiundvierzig Jahre alt und lebte inzwischen schon fast zehn Jahre auf dem Mars. Es würde keine ganze Dekade werden, denn noch heute würde er mit allen anderen den roten Planeten für immer verlassen. Drei Jahre zuvor hatte die UM beschlossen, das Marsprojekt nur noch bis 2153 zu unterstützen. Kaum jemand auf Erde oder Mars glaubte zu diesem Zeitpunkt daran, dass die Kolonie bis dahin vielleicht doch noch autark werden könnte.
Vor zweieinhalb Jahren hatten sich deshalb die meisten Kolonisten auf den Rückweg zur Erde gemacht – manche wütend, andere voller Vorfreude, manche nur stumpf vor sich hinstarrend. Die beiden Raumschiffe, die in den vergangenen Jahren regelmäßig zwischen Mars und Erde gependelt waren, konnten allerdings nicht alle Kolonisten aufnehmen. Also waren neben Joseph noch weitere dreizehn Freiwillige zurückgeblieben, um auf das nächste Transportfenster zu warten.
Diese letzten zweieinhalb Jahre hätte Joseph gerne aus seinem Gedächtnis gestrichen. Die Zurückgebliebenen mussten große Teile der Siedlung außer Betrieb setzen und sich gleichzeitig am Leben erhalten. Auch das Gewächshaus war dem langsamen Zerfall preisgegeben worden. Seit Monaten ernährten sie sich ausschließlich von dem, was der letzte noch laufende Nahrungserzeuger ausspuckte. Auf die Oberfläche zog es kaum mehr jemanden. Dafür verbrachten alle so viel Zeit im Klubraum, wie sie konnten. Jedes virtuelle Erleben war erträglicher als das mühsame Warten auf das Ende eines Abenteuers, das eigentlich das größte seiner Zeit, wenn nicht aller Zeiten, hätte werden sollen.
Dieses Abenteuer allerdings, das war inzwischen auch Joseph klargeworden, hatte der Menschheit ihre Grenzen aufgezeigt. Die früheren Entdecker neuer Kontinente, die Bezwinger der Pole oder der höchsten Gipfel waren immer aus ihrer Heimat aufgebrochen, um mit neuen Schätzen – seien es Wissen, Gold, Sklaven oder Gewürze – ruhmvoll zurückzukehren. Die höchsten Berge wurden nie bezwungen, um dort zu bleiben. Nur wenn die Grundlagen des Lebens, allem voran Wasser, vorhanden waren, konnten den Entdeckern Kolonisten folgen. Auf dem Mars hatten sie weder neues Wissen noch ausreichend Wasser gefunden. Sie waren als Entdecker und als Kolonisten gescheitert. Bei allen bemannten Raumfahrtunternehmungen jenseits der Mondbahn wurde der Mensch komplett auf sich und die ihn umgebenden, lebenserhaltenden Systeme zurückgeworfen. Doch das hielt er nicht durch. So einfach war das.
Fast zehn Jahre hatte Joseph durchgehalten – länger als alle, die noch da waren. Ihm wurde deshalb die zweifelhafte Ehre zuteil, als letzter Mensch den Boden des Mars zu verlassen.
Die Fähre stand zweihundert Meter entfernt auf ihrem Start- und Landeplatz. Die Anderen waren schon an Bord. Joseph schloss die Luftschleuse der Station sorgfältig hinter sich. Er hätte sie genauso gut offenstehen lassen können, aber er war viel zu sehr Raumschiffer, um eine solche Abweichung vom Protokoll auch nur in Betracht zu ziehen. Es war noch Zeit bis zum Start und so ging er die Strecke zur Fähre zu Fuß. Vielleicht würde ihm auf dem Weg noch ein bedeutungsvoller Satz einfallen, der es lohnte, ihn für die Nachwelt aufzuzeichnen. Als er an der Leiter ankam, die zur Luke der Fähre hinaufführte, war sein Kopf leer. Er wollte einfach für sich sein und bat um fünf Minuten Funkstille.
Mit Joseph Umutesi ließ ein letztes Mal ein Mensch seinen Blick über die steinige Ebene schweifen, die die Station umgab. Hinter dem nahen Horizont setzte sich die Einöde immer weiter fort, bis sie in seinem Rücken wieder auf ihn träfe. An diesen viel zu nahen Horizont hatte sich Joseph nie gewöhnen können. Auf der Erde angekommen würde er das erste Boot besteigen, um auf See den weiten Horizont zu sehen, für den er eigentlich gemacht war. Bitter dachte er an all die Opfer, die er und die anderen gebracht hatten, um hier zu sein. Wenn er jetzt ein paar Tränen im kalten Marsstaub zurücklassen wollte, würde selbst das nicht gehen. Sein Anzug würde die Flüssigkeit sofort auffangen und irgendwo deponieren. Sein Bruder hatte damals recht gehabt: Der Mars ist nur ein toter Stein, mehr nicht. Der Planet hatte ihnen viel genommen und nichts zurückgegeben. Und nein, er würde ihm keine Träne nachweinen.
Joseph begann, die Leiter hinaufzusteigen. Auf der dritten Stufe hielt er inne, blickte nach unten und sah die Abdrücke seiner Sohlen im Staub. Ohne nachzudenken, stieg er wieder zur ersten Stufe hinab. Sich mit einer Hand an der Leiter festhaltend, verwischte er mit seinem rechten Fuß alle Spuren in Reichweite. Erst dann stieg er zur Luke hinauf und verschwand im Inneren der Fähre. Kurz danach saß er angegurtet auf seinem Platz.
Der erste Pilot meldete: »Alles bereit zum Start. Noch irgendwelche letzten Worte?«
Alle blickten zu Joseph.
Doch der murmelte nur: »Weg hier.«
— Schnipp —
Bei Interesse findet ihr mehr zum Buchprojekt samt Leseprobe des Einstiegs unter khbrassel.de/de/blog.
Vielen Dank für eure Zeit!
Bearbeitet von Kai Brassel, 21 Februar 2024 - 12:21.