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Der letzte Mensch auf dem Mars


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25 Antworten in diesem Thema

#1 Kai Brassel

Kai Brassel

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Geschrieben 21 Februar 2024 - 12:19

Hallo zusammen, ich bin neu in diesem Forum und finde es einfach toll, hier auch ggf. Rückmeldung von professionellen Lesern zu bekommen. Das ist für mich als Quereinsteiger, der die Qualität seiner Texte naturgemäß nur schwer einschätzen kann, besonders spannend.

 

Der Text unten stammt aus meinen utopischen Roman All An!, der per Self Publishing zunächst als dreiteiliges E-Book erscheint, im Sommer dann auch komplett in gedruckter Form herauskommen soll. Der erste Teil Umschwung ist bereits bei Amazon erhältlich, der zweite Teil Drift folgt am 28. März. Ihm ist folgende Szene entnommen, deren lektorierte Fassung ich gerade final (gibt es so etwas?) überarbeitet habe.

 

Ich habe diese Szene ausgewählt, weil sie wie die von Ingo neulich zur Kritik gestellte auch auf dem Mars spielt, inhaltlich und atmosphärisch aber ganz anders angelegt ist. Sie steht am Ende des Kapitels mit dem Titel Der letzte Mensch auf dem Mars. (Anmerkungen: UM ist kein Schreibfehler, sondern steht für »United Mankind« und Raumfahrer heißen bei mir Raumschiffer, weil sie viel mit Luft- und Seeschiffern zu tun haben.)

 

— Schnipp —

 

Joseph Umutesi war zweiundvierzig Jahre alt und lebte inzwischen schon fast zehn Jahre auf dem Mars. Es würde keine ganze Dekade werden, denn noch heute würde er mit allen anderen den roten Planeten für immer verlassen. Drei Jahre zuvor hatte die UM beschlossen, das Marsprojekt nur noch bis 2153 zu unterstützen. Kaum jemand auf Erde oder Mars glaubte zu diesem Zeitpunkt daran, dass die Kolonie bis dahin vielleicht doch noch autark werden könnte.

 

Vor zweieinhalb Jahren hatten sich deshalb die meisten Kolonisten auf den Rückweg zur Erde gemacht – manche wütend, andere voller Vorfreude, manche nur stumpf vor sich hinstarrend. Die beiden Raumschiffe, die in den vergangenen Jahren regelmäßig zwischen Mars und Erde gependelt waren, konnten allerdings nicht alle Kolonisten aufnehmen. Also waren neben Joseph noch weitere dreizehn Freiwillige zurückgeblieben, um auf das nächste Transportfenster zu warten.

 

Diese letzten zweieinhalb Jahre hätte Joseph gerne aus seinem Gedächtnis gestrichen. Die Zurückgebliebenen mussten große Teile der Siedlung außer Betrieb setzen und sich gleichzeitig am Leben erhalten. Auch das Gewächshaus war dem langsamen Zerfall preisgegeben worden. Seit Monaten ernährten sie sich ausschließlich von dem, was der letzte noch laufende Nahrungserzeuger ausspuckte. Auf die Oberfläche zog es kaum mehr jemanden. Dafür verbrachten alle so viel Zeit im Klubraum, wie sie konnten. Jedes virtuelle Erleben war erträglicher als das mühsame Warten auf das Ende eines Abenteuers, das eigentlich das größte seiner Zeit, wenn nicht aller Zeiten, hätte werden sollen. 

 

Dieses Abenteuer allerdings, das war inzwischen auch Joseph klargeworden, hatte der Menschheit ihre Grenzen aufgezeigt. Die früheren Entdecker neuer Kontinente, die Bezwinger der Pole oder der höchsten Gipfel waren immer aus ihrer Heimat aufgebrochen, um mit neuen Schätzen – seien es Wissen, Gold, Sklaven oder Gewürze – ruhmvoll zurückzukehren. Die höchsten Berge wurden nie bezwungen, um dort zu bleiben. Nur wenn die Grundlagen des Lebens, allem voran Wasser, vorhanden waren, konnten den Entdeckern Kolonisten folgen. Auf dem Mars hatten sie weder neues Wissen noch ausreichend Wasser gefunden. Sie waren als Entdecker und als Kolonisten gescheitert. Bei allen bemannten Raumfahrtunternehmungen jenseits der Mondbahn wurde der Mensch komplett auf sich und die ihn umgebenden, lebenserhaltenden Systeme zurückgeworfen. Doch das hielt er nicht durch. So einfach war das.

 

Fast zehn Jahre hatte Joseph durchgehalten – länger als alle, die noch da waren. Ihm wurde deshalb die zweifelhafte Ehre zuteil, als letzter Mensch den Boden des Mars zu verlassen.

 

Die Fähre stand zweihundert Meter entfernt auf ihrem Start- und Landeplatz. Die Anderen waren schon an Bord. Joseph schloss die Luftschleuse der Station sorgfältig hinter sich. Er hätte sie genauso gut offenstehen lassen können, aber er war viel zu sehr Raumschiffer, um eine solche Abweichung vom Protokoll auch nur in Betracht zu ziehen. Es war noch Zeit bis zum Start und so ging er die Strecke zur Fähre zu Fuß. Vielleicht würde ihm auf dem Weg noch ein bedeutungsvoller Satz einfallen, der es lohnte, ihn für die Nachwelt aufzuzeichnen. Als er an der Leiter ankam, die zur Luke der Fähre hinaufführte, war sein Kopf leer. Er wollte einfach für sich sein und bat um fünf Minuten Funkstille.

 

Mit Joseph Umutesi ließ ein letztes Mal ein Mensch seinen Blick über die steinige Ebene schweifen, die die Station umgab. Hinter dem nahen Horizont setzte sich die Einöde immer weiter fort, bis sie in seinem Rücken wieder auf ihn träfe. An diesen viel zu nahen Horizont hatte sich Joseph nie gewöhnen können. Auf der Erde angekommen würde er das erste Boot besteigen, um auf See den weiten Horizont zu sehen, für den er eigentlich gemacht war. Bitter dachte er an all die Opfer, die er und die anderen gebracht hatten, um hier zu sein. Wenn er jetzt ein paar Tränen im kalten Marsstaub zurücklassen wollte, würde selbst das nicht gehen. Sein Anzug würde die Flüssigkeit sofort auffangen und irgendwo deponieren. Sein Bruder hatte damals recht gehabt: Der Mars ist nur ein toter Stein, mehr nicht. Der Planet hatte ihnen viel genommen und nichts zurückgegeben. Und nein, er würde ihm keine Träne nachweinen.

 

Joseph begann, die Leiter hinaufzusteigen. Auf der dritten Stufe hielt er inne, blickte nach unten und sah die Abdrücke seiner Sohlen im Staub. Ohne nachzudenken, stieg er wieder zur ersten Stufe hinab. Sich mit einer Hand an der Leiter festhaltend, verwischte er mit seinem rechten Fuß alle Spuren in Reichweite. Erst dann stieg er zur Luke hinauf und verschwand im Inneren der Fähre. Kurz danach saß er angegurtet auf seinem Platz.

 

Der erste Pilot meldete: »Alles bereit zum Start. Noch irgendwelche letzten Worte?«

 

Alle blickten zu Joseph.

 

Doch der murmelte nur: »Weg hier.«

 

— Schnipp —

 

Bei Interesse findet ihr mehr zum Buchprojekt samt Leseprobe des Einstiegs unter khbrassel.de/de/blog

 

Vielen Dank für eure Zeit!


Bearbeitet von Kai Brassel, 21 Februar 2024 - 12:21.

Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.

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#2 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 22 Februar 2024 - 12:54

Okay, dann poste ich mal meine Rückmeldung Stück für Stück, offenbar kommt der Server gerade nicht  mit einem dicken Batzen Text klar.
 
Ich sage als Disclaimer: Das ist meine persönliche Meinung. Worauf ich so stehe, siehst du hier (einiges sind aber Gastrezensionen). Wenn deine Zielgruppe das anders sieht, bitte ignorieren.
 
Ich bin den Text mal durchgegangen und habe nur ca. sieben Zeilen Action gefunden, der Rest ist Exposition (Beschreibungen, Gedanken, Infodump, was-wäre-wenn, was-wird-sein-wenn). Diese Zeilen sind:

 
 

Mit Joseph Umutesi ließ ein letztes Mal ein Mensch seinen Blick über die steinige Ebene schweifen, die die Station umgab. 

 
 
 
 

Joseph begann, die Leiter hinaufzusteigen. Auf der dritten Stufe hielt er inne, blickte nach unten und sah die Abdrücke seiner Sohlen im Staub. Ohne nachzudenken, stieg er wieder zur ersten Stufe hinab. Sich mit einer Hand an der Leiter festhaltend, verwischte er mit seinem rechten Fuß alle Spuren in Reichweite. Erst dann stieg er zur Luke hinauf und verschwand im Inneren der Fähre. Kurz danach saß er angegurtet auf seinem Platz.
 
Der erste Pilot meldete: »Alles bereit zum Start. Noch irgendwelche letzten Worte?«
 
Alle blickten zu Joseph.
 
Doch der murmelte nur: »Weg hier.«


Ich würde empfehlen, deutlich mehr Action (jemand tut etwas oder spricht) zu verarbeiten, weil das idR spannender ist als Exposition. 


Dann sind die Beschreibungen und Gedanken oft sehr allgemein. Welche Opfer haben sie denn genau gebracht? Ein Beispiel wäre mir lieber als eine Allgemeinheit. Für mich hat das so nichts spezifisches. 

 

 

Alles, was ich in diesem kurzen Prosastück finde, sind Allgemeinheiten und unkonkrete Szenarien, nichts, das mich fesselt. Ich wäre sofort weg. Ich wäre ehrlich gesagt beim ersten Satz schon weg.



Joseph Umutesi war zweiundvierzig Jahre alt und lebte inzwischen schon fast zehn Jahre auf dem Mars.

 

Das erinnert mich sehr an andere Bücher, die ich gelesen habe, die haben aber nicht deine Zielgruppe. Ich bin Lisa, ich bin sieben Jahre alt und wohne in Bullerbü. Ich würde so einen Einstieg (auch in ein Kapitel oder eine Szene) wirklich meiden.


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#3 Kai Brassel

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Geschrieben 22 Februar 2024 - 14:48

Ich würde empfehlen, deutlich mehr Action (jemand tut etwas oder spricht) zu verarbeiten, weil das idR spannender ist als Exposition. 


Dann sind die Beschreibungen und Gedanken oft sehr allgemein. Welche Opfer haben sie denn genau gebracht? Ein Beispiel wäre mir lieber als eine Allgemeinheit. Für mich hat das so nichts spezifisches. 

 

 

Alles, was ich in diesem kurzen Prosastück finde, sind Allgemeinheiten und unkonkrete Szenarien, nichts, das mich fesselt. Ich wäre sofort weg. Ich wäre ehrlich gesagt beim ersten Satz schon weg.

 

 

Vielen Dank für die Rückmeldung, die sich mit dem deckt, was mir meine Testleser:innen gesagt haben. Ab und zu würde ich mal etwas Aktion einbauen, insgesamt aber zu viel Reflexion/Abstraktion und zu wenig Spannung, um am Ball zu bleiben. Es heißt ja nicht umsonst: "Show, don't tell!"

 

Mein grundsätzliche Problem besteht wohl darin, das ich auf ca. 550 Seiten eine Brücke von der "near future" zur "far future" schlagen, und dabei viele Themen in Zusammenhang bringen will, die sonst immer eher einzeln abgehandelt werden: Klimawandel, politische Utopien, Weltraumfahrt, KI, VR. Ohne eine gute Portion "tell" komme ich da nicht durch, ohne dass das Ganze zerfasert. Beispielsweise versuche ich dem Kapitel, das von der obigen Szene beendet wird, auf zwanzig Seiten das Scheitern der Marskolonisierung, die Konkurrenz zwischen astronomischer Forschung und Weltraumfahrt sowie die Bedeutung Virtueller Realität in eine "dramatischen" Zusammenhang zu bringen, wobei immerhin (?) 30 Prozent des Textes Dialog ist und natürlich auch etwas passiert. Ich hatte gehofft, auch abstraktere Ideen (Entdeckertum, Horizonte) durch die persönliche, auch emotionale Reflexion eines bekannten Protagonisten (Joseph) noch einigermaßen ansprechend rüberzubringen, so dass die potenzielle Leserschaft nicht zu klein wird. Aber die Frage ist schon, ob es eine Zielgruppe für so etwas gibt, und, wenn ja, wo man sie findet.

 

Nochmals vielen Dank, Yvonne!

 

 


Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.

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#4 Uwe Post

Uwe Post

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Geschrieben 22 Februar 2024 - 16:42

Wie wäre es mit einer spannenden Geschichte, die sich auf ein Thema konzentriert und andere "am Wegesrand" mitnimmt?


Bearbeitet von Uwe Post, 22 Februar 2024 - 16:43.

Herausgeber Future Fiction Magazine (deutsche Ausgabe) ||| Aktueller Roman: ERRUNGENSCHAFT FREIGESCHALTET ||| uwepost.de ||| deutsche-science-fiction.de

#5 Jol Rosenberg

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Geschrieben 22 Februar 2024 - 20:21

Ich habe den Anfang nun auch gelesen. Er kann mein Interesse leider auch nicht wecken. Er ist nicht szenisch und aus großem Abstand geschrieben. Ich habe weder eine Idee, worum es in dem Buch gehen könnte, wo der Konflikt ist - noch interessiere ich mich für Joseph. Ich habe nicht einmal eine leichte Ahnung, was er für ein Mensch ist. Mir fällt außerdem auf, dass eine reine Männerwelt beschrieben wird, so etwas schreckt mich auch meist ab. Dann noch der Verweis auf Sklaven und Kolonisation - es ist also eine weiße männliche Perspektive, die das Recht auf Eroberung nicht infrage stellt. Das kann natürlich später anders sein, aber das ist erstmal mein erster Eindruck.

 

 

 

Die Fähre stand zweihundert Meter entfernt auf ihrem Start- und Landeplatz. Die Anderen waren schon an Bord. Joseph schloss die Luftschleuse der Station sorgfältig hinter sich. Er hätte sie genauso gut offenstehen lassen können, aber er war viel zu sehr Raumschiffer, um eine solche Abweichung vom Protokoll auch nur in Betracht zu ziehen. Es war noch Zeit bis zum Start und so ging er die Strecke zur Fähre zu Fuß. Vielleicht würde ihm auf dem Weg noch ein bedeutungsvoller Satz einfallen, der es lohnte, ihn für die Nachwelt aufzuzeichnen. Als er an der Leiter ankam, die zur Luke der Fähre hinaufführte, war sein Kopf leer. Er wollte einfach für sich sein und bat um fünf Minuten Funkstille.

 

Hier denke ich: "Endlich, eine Szene! Jetzt erfahre ich etwas über Joseph." Und dann kommt wieder nur Allgemeines. Warum bleibt er in der Stille? Was bewegt ihn? Ich erfahre es nicht.

 

Auch sprachlich hat der Text eher wenig zu bieten. Er liest sich nicht wirklich flüssig, ist mir zu wenig ausgefeilt. Um nochmal auf die zitierte Stelle zurückzukommen:

 

Wovon entfernt stand die Fähre? Ich sehe nun die Fähre an, dann schließt Joseph die Schleuse und ich denke; es ist die zwischen Station und Schiff, denn bei dem bin ich jetzt. Aber dann läuft er zu Fuß und ich denke: huch? Und dann kommt der Satz mit dem bedeutungsvollen Satz. Und der haut auf mehreren Ebenen nicht hin:

"Vielleicht würde ihm auf dem Weg noch ein bedeutungsvoller Satz einfallen, der es lohnte, für die Nachwelt aufgezeichnet zu werden."

Das wäre korrekt. So schwankt der Satz hin und her, der Bezug wechselt von Joseph zum Satz und wieder zurück. Außerdem kommt natürlich die Frage auf, womit er aufzeichnet und warum er denkt, das würde irgendwen interessieren. Was ist das für eine Nachwelt? Ich warte darauf, dass Joseph etwas Überraschendes tut, dass er doch bleibt, dass etwas explodiert, irgendwas passiert. Aber: nichts. Ich verbleibe ohne eine Idee, warum mir das erzählt wird.

 

So, nun lese ich mal, was die anderen geschrieben haben. Ich wollte erstmal unvoreingenommen zurückmelden.

 

Edit: Ohne das gesamte Projekt zu kennen: Wäre es eine Möglichkeit, die Infos in Rückblenden genau dann unterzubringen, wenn die Lesenden sie brauchen?


Bearbeitet von Jol Rosenberg, 22 Februar 2024 - 20:23.

Ernsthafte Textarbeit gefällig? https://www.federteufel.de/

 

Science-Fiction-Buchblog: https://www.jol-rose.../de/rezensionen

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#6 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 23 Februar 2024 - 09:00

Vielen Dank für die Rückmeldung, die sich mit dem deckt, was mir meine Testleser:innen gesagt haben. Ab und zu würde ich mal etwas Aktion einbauen, insgesamt aber zu viel Reflexion/Abstraktion und zu wenig Spannung, um am Ball zu bleiben. Es heißt ja nicht umsonst: "Show, don't tell!"

 

Mein grundsätzliche Problem besteht wohl darin, das ich auf ca. 550 Seiten eine Brücke von der "near future" zur "far future" schlagen, und dabei viele Themen in Zusammenhang bringen will, die sonst immer eher einzeln abgehandelt werden: Klimawandel, politische Utopien, Weltraumfahrt, KI, VR. Ohne eine gute Portion "tell" komme ich da nicht durch, ohne dass das Ganze zerfasert. Beispielsweise versuche ich dem Kapitel, das von der obigen Szene beendet wird, auf zwanzig Seiten das Scheitern der Marskolonisierung, die Konkurrenz zwischen astronomischer Forschung und Weltraumfahrt sowie die Bedeutung Virtueller Realität in eine "dramatischen" Zusammenhang zu bringen, wobei immerhin (?) 30 Prozent des Textes Dialog ist und natürlich auch etwas passiert. Ich hatte gehofft, auch abstraktere Ideen (Entdeckertum, Horizonte) durch die persönliche, auch emotionale Reflexion eines bekannten Protagonisten (Joseph) noch einigermaßen ansprechend rüberzubringen, so dass die potenzielle Leserschaft nicht zu klein wird. Aber die Frage ist schon, ob es eine Zielgruppe für so etwas gibt, und, wenn ja, wo man sie findet.

 

Nochmals vielen Dank, Yvonne!

 

 

I see. Das sind wirklich viele Themen. Natürlich spricht nicht unbedingt etwas dagegen, einen komplexen, einfallsreichen Roman zu verfassen. Ich bin hier mit meiner Meinung nah bei Uwe:

Eines der Themen sollte dir am wichtigsten sein. Das ist dann deine Hauptstory. 

Der Rest sind Nebenplots oder Weltenbau, reichert deine Romanwelt an.

 

Ich glaube, so lange man nicht einen Roman schreibt wie Olaf Stapledon, braucht man nicht allzu viel "Tell". Falls doch,  mir wurde dazu Steering the Craft von Ursula K Le Guin empfohlen, die ja auch nicht zwingend alles szenisch macht. Ich hab's persönlich nicht gelesen (weil ich kein Ebook davon gefunden hatte, oh, ich sehe, es gibt eines zumindest auf Englisch, dann habe ich jetzt wohl mal wieder ein Buch gekauft).

 

Was ich extrem nützlich und auch witzig finde ist Bei Regen in einem Teich schwimmen von George Saunders. Der nimmt alte russische Erzählungen auseinander und die haben ja nun wirklich viel drin, was nicht unbedingt szenisch ist. Aber bedeutsam und cool. Damals schrieb man ja noch nicht so, als könnte man das eins zu eins in einen Kinofilm migrieren. 

 

 

 

 

Also mal ab davon, dass ich persönlich normalerweise eher auf szenisches Erzählen stehe:

Trotzdem darf es nicht so allgemein sein. Wenn du also diesen Stil durchziehen willst, dann sollte es auch deine persönliche Prosa sein. Was hast du uns zu sagen, was neu ist? Warum sollte ich deinen Roman lesen? Was hast du mir zu sagen, was ich nicht schon längst weiß? Und nach ein paar tausend SF-Kurzgeschichten und hunderten von SF-Romanen habe ich ja schon ein paar gelesen, die sich mit diesen Themen beschäftigen und/oder auf dem Mars spielen.

Warum also dein Buch?

 

In der Leseprobe hast du mir noch nichts geboten, was ich davon überzeugt, dass ich in die Welt eintauchen will. Dazu ist es dem zu ähnlich, was ich schon kenne.

Man könnte "mehr vom Gleichen" anbieten, damit haben ja einige deutschsprachige Autor:innen viel Erfolg, siehe Brandon Q Morris. Den nehme ich mal als Beispiel, weil ich von ihm schon drei Romane kenne und demnächst den vierten lese. 

Bei Morris habe ich aber immer irgendwas, was für mich neu ist. Meist eine Idee, einen Twist, eine geniale Wendung. 

Oder einen blinden Piloten, der schnoddrig drauf ist und trotz seiner Behinderung (natürlich mit coolen futuristischen Hilfsmitteln) einer der besten seines Fachs ist. Aber eben in einer Kneipe ohne Leitsystem doof dasteht und auf Hilfe angewiesen ist, was ihn ärgert.

 

However - irgendwas brauchst du, finde ich. Einfach nur einen weiteren Mars-Roman, das braucht vermutlich niemand.

 

Was ist deine Prämisse? Was willst du aussagen? Und wie willst du das verpacken?

 

 

550 Seiten sind auch eher viel und gleich eine Trilogie - ich würde es ja gut finden, wenn ich neue Stimmen erst mal durch Kurzgeschichten oder nicht ganz so dicke Romane kennenlernen würde. Aber das gilt vielleicht nur für mich, ich habe immer zu viel zu lesen. 


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#7 Uwe Post

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Geschrieben 23 Februar 2024 - 10:21

Kurzgeschichten sind in der Tat eine großartige Möglichkeit, erste Schritte in der SF-Welt zu tun. Wie wähle ich ein Thema? Wie inszeniere ich Ereignisse? Wie stelle ich eine Figur lebendig dar? Wie wecke ich das Interesse der Leser? Wie schreibe ich sprachlich ansprechend? Das sind alles Fragen, die für Romane und Kurzgeschichten wichtig sind, und die man bei letzteren lernen kann, bevor man viele Seiten produziert, die letztlich auf nicht besonders viel Interesse stoßen. Denn Schreiben ist ein Handwerk - das man erstmal erlernen muss, wie alles andere auch. Word starten zu können und einfach loslegen mag einfach sein, ist aber nicht hinreichend für ein gutes Ergebnis.

 

Wir haben hier übrigens eine Schreibwerkstatt für Kurzgeschichten.


Bearbeitet von Uwe Post, 23 Februar 2024 - 10:23.

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#8 Fermentarius

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Geschrieben 23 Februar 2024 - 10:31

Mein grundsätzliche Problem besteht wohl darin, das ich auf ca. 550 Seiten eine Brücke von der "near future" zur "far future" schlagen, und dabei viele Themen in Zusammenhang bringen will, die sonst immer eher einzeln abgehandelt werden: Klimawandel, politische Utopien, Weltraumfahrt, KI, VR. Ohne eine gute Portion "tell" komme ich da nicht durch, ohne dass das Ganze zerfasert. Beispielsweise versuche ich dem Kapitel, das von der obigen Szene beendet wird, auf zwanzig Seiten das Scheitern der Marskolonisierung, die Konkurrenz zwischen astronomischer Forschung und Weltraumfahrt sowie die Bedeutung Virtueller Realität in eine "dramatischen" Zusammenhang zu bringen, wobei immerhin (?) 30 Prozent des Textes Dialog ist und natürlich auch etwas passiert. Ich hatte gehofft, auch abstraktere Ideen (Entdeckertum, Horizonte) durch die persönliche, auch emotionale Reflexion eines bekannten Protagonisten (Joseph) noch einigermaßen ansprechend rüberzubringen, so dass die potenzielle Leserschaft nicht zu klein wird. A

Kai, nach meinem Eindruck versuchst du, eine Art Sachbuch mit Rahmenhandlung zu schreiben. Das ist aber extrem schwierig und man muss man schon ein ausgewiesener Meister der Schreibkunst sein, um soetwas spannend zu gestalten. Neal Stephenson macht das absolut vorbildlich. Vielleicht nimmst du dir seine Bücher (z.B. Cryptonomicon oder Seven Eves) einmal vor. Wichtig ist dabei, dass sowohl die Szenen als auch Sachinformationen hervorragend recherchiert sind und detailliert beschrieben werden. In der Szene, die du hier zur Diskussion gestellt hast, stimmt weder das eine noch das andere. Ein Beispiel: Marsstaub ist wegen des hohen Gehalts an Perchloraten ausgesprochen giftig. Jede Marskolonie müsste extreme Vorkehrungen dagegen treffen. Und auf dem Mars herrscht eine Schwerkraft, die nur 38% der irdischen entspricht. Wenn man sich zehn Jahre daran gewöhnt hat, fliegt man nicht einfach zur Erde.

Und: Genauigkeit muss nicht langweilig sein. In guten Fantasyromanen findet man beispielsweise des öfteren genaue Beschreibungen, wie ein gutes Schwert geschmiedet wird. Das ist ein überraschend komplexer Vorgang, der, richtig beschrieben, den Leser faszinieren kann. Im Buch "Der Marsianer" findest du beispielsweise eine sehr gute wissenschaftlich fundierte Beschreibung der Verhältnisse auf dem Mars.

Und nochmal: Ohne genaue und aufwendige Recherche geht es nicht.



#9 Rezensionsnerdista

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    Yvonne

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Geschrieben 23 Februar 2024 - 11:27

Finde ich super, was meine Vorredner geschrieben haben. Uwe bzgl. des Handwerks und Fermentarius bzgl. der Recherche. 

 

Beschreibungen sind per se nicht unbedingt langweilig. Ich mag z. B. sehr die Beschreibung des alten Schwimmbads in Grüne Herzen, das trägt richtig dazu bei, den Weltenbau auszugestalten und auch die Persönlichkeit der Hauptfigur. Und die Autorin hat starke Verben verwendet, als würde sie etwas lebendiges beschreiben, kein Stillleben (Lesung im Podcast hier, falls Interesse, ansonsten stammt die Kurzgeschichte aus den letzten Queer*Welten, die kostet auch nicht die Welt).

 

Der Marsianer war auch klasse, falls du den also noch nicht kennst, ich schließe mich der Empfehlung an. Mein Lieblingszitat: "Die Kartoffel ist auf dem Mars ausgestorben." Ha! So geil! Das hatte ich damals noch in meinem alten Podcast mit Dirk Osygus besprochen.

 

 

Fermentarius, deine Hinweise finde ich interessant, teilweise sind sie mir bekannt (Schwerkraft), teilweise nicht (Marsstaub) (oder hatte es vergessen).

 

Richtig interessante Beschreibungen, die das Kopfkino aufblühen lassen finde ich auch toll. Würde dir das gelingen, ich wäre dabei! 

 

Es erscheint mir so, als ob eine Kurzgeschichte aus deiner Welt durchaus drin wäre, würde ich empfehlen. Man verdient selten etwas damit, aber man kann schon mal Fans kriegen. Ich bin jedenfalls ein großer Fan von vielen Kurzgeschichten. :-)


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#10 Helge

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Geschrieben 23 Februar 2024 - 11:42

Ich finde, der Anfang liest sich gar nicht schlecht; da könnte im weiteren Verlauf noch etwas draus werden, aber das lässt sich an der Stelle einfach noch nicht einschätzen.



#11 Jol Rosenberg

Jol Rosenberg

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Geschrieben 23 Februar 2024 - 11:49

Ja, eine Gegenstimme. Na das ist ja auch mal was. 


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#12 Kai Brassel

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Geschrieben 23 Februar 2024 - 12:22

Wow, das nenne ich mal eine Rückmeldung. Vielen Dank vorab für eure Zeit und eure konstruktive Kritik. Des Weiteren möchte ich mich dafür entschuldigen, das ich euch eine eher zufällig ausgewählte Szene mit zu wenig Kontext vor die Füße geworfen habe. Es handelt sich ja nicht um einen Anfang, sondern wie ich ganz oben schreibe, um eine zufällig ausgewählte Szene am Ende eines Kapitels aus der Mitte des zweiten Teils. Am Schluss des Beitrags verlinke ich zwar auf meine Webseite mit mehr Kontext und einer anderen Leseprobe (nämlich den Einstieg in den schon veröffentlichten ersten Teil), aber das war alles sehr missverständlich und wohl nicht hilfreich. Deshalb werde ich versuchen, eure Kritik hier Stück für Stück für mich einzuordnen und fruchtbar zu machen. Das kann aber etwas dauern – ich habe ja auch etwas zu verdauen.


Bearbeitet von Kai Brassel, 23 Februar 2024 - 12:23.

Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.

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#13 Fermentarius

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Geschrieben 23 Februar 2024 - 14:04


Fermentarius, deine Hinweise finde ich interessant, teilweise sind sie mir bekannt (Schwerkraft), teilweise nicht (Marsstaub) (oder hatte es vergessen).

 

Hallo Yvonne,

hier ein Link zu den Problemen für Marssiedler: https://scilogs.spek...r-auf-dem-mars/ und hier noch einer speziell zum Marsstaub: https://www.chemistr...4018448.article und ein dritter zur biologischen Wirkung von Percloraten:

https://en.wikipedia...hlorate#On_Mars

 

Interessanterweise erscheint auch in modernen SF-Romanen und -Kurzgeschichten der Marsstaub immer noch als eine Art roter Tennisplatzbelag. Das ist aber leider absolut falsch, der echte Marsstaub ist für Menschen gefährlich. In den Luftschleusen von Marshabitaten muss der Marsstaub sorgfältig von den Raumanzügen und Geräten gewaschen werden, und Marsfahrzeuge dürfen in Erdatmosphäre gewartet und repariert werden.

 

Thomas



#14 Kai Brassel

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Geschrieben 24 Februar 2024 - 12:25

Bevor ich auf eure Kritik im Einzelnen eingehe, ist etwas mehr Kontext hilfreich. (Schon mit der Überschrift dieser Diskussion habe ich auf eine falsche Spur geführt. Sorry, ich hätte sie mit "Leseprobe All An!" überschreiben sollen.) 

 

Kontext 1 – Schreiben als Hobby, als Projekt oder als Beruf(ung)?

 

Lebensphasentechnisch sehe ich mich mit über Sechzig nicht mehr in der Lage, ein professioneller Schriftsteller zu werden. Ich sehe im Schreiben auch keine späte Berufung. Es macht mir viel Spaß, aber das Talent ist eher überschaubar. Ich möchte aber auch nicht hobbymäßig allein für mich schreiben, weshalb ich meine Utopie »All An!« als ein Projekt angehe, in dem ich in einem gegebenen zeitlichen und finanziellen Rahmen ein möglichst gutes Ergebnis erreichen will.

 

Zu diesem semi-professionellen Anspruch gehört auch der Wunsch nach Veröffentlichung, weniger aus finanziellen Gründen, sondern um zu erfahren, ob der Text von Form und Inhalt gut genug ist, jemanden hinter dem Ofen hervorzulocken und letztlich, ob mich eine oder einer da draußen versteht.

 

Neben dem egoistischen Wunsch, sich kreativ neu auszuprobieren, neuen Herausforderungen zu stellen und dabei auch selbst neu zu erfahren, mache ich dieses Buchprojekt, um bestimmte Einsichten und Ideen, die sich im Laufe meines Lebens und Berufslebens herausgebildet haben, (endlich) auf den Punkt zu bringen. Darunter auch welche, so bilde ich mir ein, die bisher noch nicht erzählt wurden.

 

Könnt ihr etwas mit der These anfangen, dass es außer den Hobby-Literaten – die nebenher schreiben, teilweise aber auch als SP veröffentlichen, weil es so einfach geworden ist – und den Profis es neuerdings zunehmend (Möchtegern-)Autoren gibt, vor allem auch Boomer wie mich, die genau ein Anliegen haben, das sie mit einem Buchprojekt verfolgen wollen? Beispielsweise sind mir neben den bekannteren Kopffüsslern von Rossmann und Die Welt kippt von H. v. Tschischwitz (Chef eines Ökostrom-Anbieters) jüngst etwa die unbekannten Albert Tullio Lieberg (UN-Berater an den Krisenherden dieser Welt) mit Endbericht und F. Pietzschmann (noch ein IT-Mensch) mit Archaische Helix: Unendliche Spirale - Zweck und Aufgabe des Universums (Selbstorganisation 1) untergekommen. (Den letzten Titel hätte noch nicht einmal ich mich getraut.) Könnten solche Quereinsteiger mit ihren Erfahrungen aus anderen »Welten« die SF zumindest thematisch bereichern?

 

Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.

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#15 Kai Brassel

Kai Brassel

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Geschrieben 24 Februar 2024 - 12:33

Kontext 2 – Mein Anliegen: Inhalt, Themen und Form

 

Im ersten Teil »Umschwung« (2084-2120) erzähle ich auf etwa 210 Seiten, wie Dank des Zufalls, einer Geheimorganisation, systemtheoretischen Denkens, KI und VR die drängenden Weltprobleme gelöst werden (Ultimative Klimakatastrophe, Ungerechtigkeit, Kriege), was zu einer gesellschaftlichen Utopie führt. Diese kann im zweiten Teil Drift (2121-2167, 190 Seiten) aber nicht fortbestehen, eben weil die eine Utopie immer zu Widerspruch führt. Themen sind hier u.a. kulturelle Krisen, mehr VR, Autonomie von KIs, Fortschrittsdenken i.a. Diese Utopie-Problematik spitzt sich im letzten Teil Zukünfte (2168 - …, ca. 150 Seiten) samt Showdown im Weltraum zu und wird dann realistisch aufgelöst, wobei auch eine neue Antwort auf die Frage »Where is everybody?« gegeben wird. Ich will nicht alles verraten, aber es hat damit zu tun, Utopie wirklich als »Nicht-Ort« zu verstehen (was, nebenbei gesagt, den Mars dann miteinschließt). So in etwa.

 

Zu den einzelnen Themen ist m. E. bereits in der SF-Literatur sehr, sehr vieles schon gesagt worden, man nehme etwa Lems Also sprach GOLEM (1973!) im Bereich KI. Wenn ich etwas beisteuern kann, dann am ehesten durch die hoffentlich fantasievolle, gleichwohl nicht unmögliche Verknüpfung der Themen. Deswegen möchte ich auch eure an sich gute Idee, einen der Themenstränge in den Mittelpunkt zu rücken, nicht umsetzen, obwohl dies der Lesbarkeit natürlich guttun würde. Dazu ist mir letzte Nacht folgende Metapher eingefallen: Man stelle sich (m)eine Zukunftsvision als 5000-Teile-Puzzle vor. Einzelne Themen würden den Ecken und Rändern entsprechen. Mit meinen 1000 Puzzleteilen, die mir maximal zur Verfügung stehen, will ich nicht nur einzelne Ecken und Kanten ausfüllen, sondern auch wichtige Inseln und Brücken dazwischen, so dass man das ganze Bild erahnt, wenn man etwas zurücktritt und blinzelt.

 

Verbunden mit diesem ganzheitlich-systemischen Anspruch ist ein zweites, formal schwieriges Anliegen, nämlich den Stellenwert »des Menschen« weiter zu relativieren. Wir sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern nur wichtiger Teil einer Entwicklung, die wir nur teilweise beeinflussen können. Welchen Teil? Und wie? Was geschieht, wenn unsere Entwicklung als Spezies oder Gesellschaft zum Stillstand kommt? Was ist »gutes Leben«, wenn wir Menschen nie über den Mond hinauskommen oder merken, dass wir nicht die einzigen sind, die etwas wollen können oder dazu fähig, Semantik und Sinn zu produzieren. Menschen fallen als Handlungsträger der Geschichte dann teilweise aus. Um dennoch eine überschaubare, halbwegs spannende Geschichte hinzubekommen, versuche ich beim chronologischen Erzählen von Szenen bleiben, in das dann Vorträge und Gruppendiskussionen, Reflexionen, Protokolle oder System- bzw. Prozessbeschreibungen eingestreut werden. (Den Ansatz von K. S. Robinson in Das Ministerium für die Zukunft, einfach Faktenkapitel einzustreuen, halte ich literarisch für wenig ambitioniert.)

 

An dieser Stelle lasse ich es mal gut sein und gehe unten auf eure Kritik im einzelnen ein. Wer möchte, findet mehr Kontext auf meiner Webseite.


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#16 Helge

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Geschrieben 24 Februar 2024 - 14:03

Zu Kontext 1: Wieso ein Autor schreibt und veröffentlicht, sollte überhaupt keine Rolle spielen, denn derjenige, der auf den es ankommt, ist der Leser, nicht der Autor. Ob der Autor schreibt, weil er gerade nichts Besseres zu tun hat, weil er eine Wette verloren hat oder weil die Aliens es ihm gesagt haben - völlig egal, es zählt nur, wie das Werk den Lesern gefällt.

Ob Quereinsteiger aus anderen Bereichen die SF bereichern können, kommt darauf an; da muss man natürlich sehen, dass das Schreiben zunächst mal ein Handwerk ist, was man gelernt und geübt haben sollte. Wenn Autoren, die normalerweise andere Literatur schreiben, ausnahmsweise mal eine SF-Roman schreiben, dann kommt meist etwas sehr Gutes dabei heraus; wenn Leute, die bisher keine Literaten waren, sich zum ersten Mal am Schreiben versuchen, stehen die Chancen eher nicht so gut. Von den genannten Autoren Tschischwitz, Lieberg und Pietzschmann habe ich noch nie gehört.



#17 Kai Brassel

Kai Brassel

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Geschrieben 24 Februar 2024 - 16:06

Die Zitierfunktion im Forum klappt nicht immer. Ich versuche mal, ohne auszukommen.

 

Kritik – Mangelhafte Szenengestaltung und höchstens mittelmäßiger Stil (Yvonne, Jol)

 

Yvonne: Ich bin den Text mal durchgegangen und habe nur ca. sieben Zeilen Action gefunden […] Ich würde empfehlen, deutlich mehr Action (jemand tut etwas oder spricht) zu verarbeiten, weil das idR spannender ist als Exposition.

Dann sind die Beschreibungen und Gedanken oft sehr allgemein. Welche Opfer haben sie denn genau gebracht? Ein Beispiel wäre mir lieber als eine Allgemeinheit. Für mich hat das so nichts spezifisches.

Alles, was ich in diesem kurzen Prosastück finde, sind Allgemeinheiten und unkonkrete Szenarien, nichts, das mich fesselt. Ich wäre sofort weg. Ich wäre ehrlich gesagt beim ersten Satz schon weg.

 

Jol: Ich habe den Anfang nun auch gelesen. Er kann mein Interesse leider auch nicht wecken. Er ist nicht szenisch und aus großem Abstand geschrieben. Ich habe weder eine Idee, worum es in dem Buch gehen könnte, wo der Konflikt ist - noch interessiere ich mich für Joseph.

 

Antwort: Mein Fehler mit dem mangelnden Kontext? Joseph wurde zusammen mit seinem Zwillingsbruder Vincent bereits als Teenager eingeführt, und wir haben ihre Entwicklung vom See- zum Luft- und Raumschiffer miterlebt. Die Szene beschreibt das endgültige Scheitern der Marskolonisation und sollte die in früheren Szenen geschilderte Agonie, die Joseph durchlebt hat, noch einmal in Erinnerung rufen. Nachdem wir in der vorhergehenden Szene zuvor kurz bei Vincent gewesen sind, der sich auf der Erde auf eine andere Mission vorbereitet, sollte der erste Satz nur zurück zu Joseph auf den Mars führen, wo seit der letzten Szene dort weitere fünf Jahre vergangen sind.

In der Tat beschreibe ich Personen und Geschehnisse ziemlich distanziert, was allerdings mit Absicht geschieht (s.o. Kontext 2, dritter Absatz).

 

Jol: Auch sprachlich hat der Text eher wenig zu bieten. Er liest sich nicht wirklich flüssig, ist mir zu wenig ausgefeilt. Beispiel: »Vielleicht würde ihm auf dem Weg noch ein bedeutungsvoller Satz einfallen, der es lohnte, für die Nachwelt aufgezeichnet zu werden.« wäre richtig!

 

Antwort: Da komme ich wohl an meine literarischen/handwerklichen Grenzen. Mit dem Beispiel hast du völlig recht. Eine Passivierung, die viel ausmacht. Ich bin schon froh über so literarische Einfälle, wenn das nicht zu hoch gegriffen ist, wie Wissen und Wasser nebeneinanderzustellen, dass Tränen deponiert werden, oder Menschen für bestimmte Horizonte gemacht sind. Über Mittelmaß wird das stilistisch bei den zwei Jahren, die ich mir gegeben habe (s.o. Kontext 1) wohl nicht hinauskommen.

 

Yvonne: »Ich glaube, so lange man nicht einen Roman schreibt wie Olaf Stapledon, braucht man nicht allzu viel "Tell".«

 

Antwort: Da bin ich jetzt platt, weil sich mein Lektor sich zusammenfassend positiv über den ersten Teil äußerte als einer »…Zukunftsvision im Stile alter SF, wie ich sie schon lange nicht mehr gelesen habe. Sie schreiben zwar nüchterner als Olaf Stapledon, aber es erinnert mich schon an seine Bücher.« Jetzt muss ich doch dringend mal was von Stapledon lesen, denn das meiste vor Asimov, Clarke, Lem, Herbert usw. ist mir bisher entgangen.

 

Yvonne: In der Leseprobe hast du mir noch nichts geboten, was ich davon überzeugt, dass ich in die Welt eintauchen will. Dazu ist es dem zu ähnlich, was ich schon kenne. […] 

Bei Morris habe ich aber immer irgendwas, was für mich neu ist. Meist eine Idee, einen Twist, eine geniale Wendung. […] However - irgendwas brauchst du, finde ich. Einfach nur einen weiteren Mars-Roman, das braucht vermutlich niemand. [...]

Was ist deine Prämisse? Was willst du aussagen? Und wie willst du das verpacken?

 

Antwort: Das Missverständnis mit dem Marsroman konnte ich mit Kontext 2 oben hoffentlich ausräumen. Werden dort mein Ideen hinter dem dicken Schinken etwas deutlicher?

 

Yvonne: Beschreibungen sind per se nicht unbedingt langweilig.

 

Antwort: Ja, darauf hoffe ich auch (Danke an dieser Stelle für die Literaturhinweise). Mir machte es schon immer Spaß zu versuchen, komplizierte Dinge auf den Punkt zu bringen.

Damit das alles konkret wird, hätte  ich gerne meine »offizielle« Leseprobe als PDF anhängen. Die ist dafür aber zu groß. Deshalb hier der direkte Link zum Herunterladen der Leseprobe von meiner Webseite. Sie enthält das erste Kapitel von »All An!« und einige Seiten vom zweiten. Die "Action" startet spätestens auf S. 7. Ich versuche auch, einige komplexe Prozesse in Natur, Gesellschaft und Technik ansprechend zu schildern. Wenn ihr noch etwas Geduld mit mir habt, würde mich sehr interessieren, ob dies gelungen ist.


Bearbeitet von Kai Brassel, 24 Februar 2024 - 16:12.

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#18 Kai Brassel

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Geschrieben 24 Februar 2024 - 17:05

Kritik – Mit kleinerer Form anfangen, zu viele Themen, Handwerk lernen (Uwe, Yvonne, Helge)

 

Uwe: Wie wäre es mit einer spannenden Geschichte, die sich auf ein Thema konzentriert und andere "am Wegesrand" mitnimmt?

 

Yvonne: 550 Seiten sind auch eher viel und gleich eine Trilogie - ich würde es ja gut finden, wenn ich neue Stimmen erst mal durch Kurzgeschichten oder nicht ganz so dicke Romane kennenlernen würde.

 

Yvonne: I see. Das sind wirklich viele Themen. Natürlich spricht nicht unbedingt etwas dagegen, einen komplexen, einfallsreichen Roman zu verfassen. Ich bin hier mit meiner Meinung nah bei Uwe:

Eines der Themen sollte dir am wichtigsten sein. Das ist dann deine Hauptstory. 

Der Rest sind Nebenplots oder Weltenbau, reichert deine Romanwelt an.

 

Uwe: Denn Schreiben ist ein Handwerk - das man erstmal erlernen muss, wie alles andere auch. Word starten zu können und einfach loslegen mag einfach sein, ist aber nicht hinreichend für ein gutes Ergebnis.

 

Helge: … da muss man natürlich sehen, dass das Schreiben zunächst mal ein Handwerk ist, was man gelernt und geübt haben sollte.

 

Antwort: Mein in Kontext 2 zwei geschildertes Anliegen, speziell das Puzzle-Gleichnis, verdeutlicht hoffentlich, warum ich mich für die literarische Allzweckwaffe »Roman« entschieden habe.

Word und einfach loslegen geht schon deshalb nicht, weil schon ewig kein Word mehr benutze. Ich plotte mit Aeon Timeline und schreibe mit Scrivener. So sollte wenigstens die Auswahl meiner Software-Werkzeuge professionellen Ansprüchen genügen.

Sicher wäre es handwerklich und publizistisch auf lange Sicht besser, kleiner anzufangen und sich allmählich hineinzufinden. Nur fehlt mir ebendiese lange Sicht (siehe Kontext 1: Schreiben als Projekt), wobei ich denke, dass man in bis zu zwei Jahren schon etwas zustande bringen kann.

Aber tatsächlich habe ich mit einer Kurzgeschichte angefangen, um zu sehen, ob mir Prosa schreiben überhaupt liegt. Ich versuche laufend, mich handwerklich zu verbessern und habe auch mal eine Schreibwerkstatt besucht. Und natürlich wieder mehr lesen.

Anfangs hat mir die Rückmeldung von Testlesern aus dem privaten Umfeld genügt. Nach gut einem Jahr bin ich jetzt an dem Punkt, wo ich professionellere Rückmeldungen brauche (Lektor, E-Book-Veröffentlichung erster Teile und jetzt auch dieses wundervolle Forum hier).

Im Sommer würde ich gerne ein gedrucktes Buch mit allen drei Teilen herausbringen. Mal schauen.

Morgen gibt es die restlichen Antworten von mir.


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#19 Kai Brassel

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Geschrieben 25 Februar 2024 - 10:25

Kritik – Mögliche Männerwelt; Verweis auf Sklaven und Kolonisation (Jol)

 

Jol: Mir fällt außerdem auf, dass eine reine Männerwelt beschrieben wird, so etwas schreckt mich auch meist ab. Dann noch der Verweis auf Sklaven und Kolonisation - es ist also eine weiße männliche Perspektive, die das Recht auf Eroberung nicht infrage stellt.

 

Antwort: Durch Sozialisation und Lebensumstände bin ich m. E. für Fragen der Diversität und Gleichstellung sensibel. Vom Personal des Buchs sind 40 Prozent weiblich, darunter eher wichtige wie die erste UN-Generalsekretärin in der Geschichte und die Schlüsselfigur Celeste, die als einzige in allen drei Teilen vorkommt. Da Menschen, ihre Merkmale und Entwicklung aber gar nicht so im Zentrum stehen sollen (s.o. Kontext 2, dritter Absatz), kommt auch der Unterscheidung der Geschlechter kein großes Gewicht zu. So schildere ich Konflikte in Partnerschaft oder Familie nicht um ihrer selbst willen, sondern nur um etwas anderes zu verdeutlichen, etwa Vielfalt der Lebensstile, globalisiertes Arbeiten, Flucht in VR.

 

Die Rede von der ruhmreichen Rückkehr früherer Entdecker mit Wissen, Gold, Sklaven oder Gewürzen, gefolgt von Kolonisierung, soll frühere Zeiten lediglich beschreiben, keinesfalls positiv werten. Im Gegenteil: Eine einigermaßen provokante Hauptaussage des Romans ist, dass Forschung, Eroberung, Expansion, Wachstum etc. eben nicht die »human condition« sind, sondern eine historische Ausnahme, die wir nur deshalb für normal halten, weil sie seit fünfhundert Jahren andauert.


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#20 Kai Brassel

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Geschrieben 25 Februar 2024 - 13:09

Kritik – Unsaubere Recherche, Sachbuch mit Rahmenhandlung? (Fermentarius)

 

Fermentarius: Wichtig ist dabei, dass sowohl die Szenen als auch Sachinformationen hervorragend recherchiert sind und detailliert beschrieben werden. In der Szene, die du hier zur Diskussion gestellt hast, stimmt weder das eine noch das andere. Ein Beispiel: Marsstaub ist wegen des hohen Gehalts an Perchloraten ausgesprochen giftig. Jede Marskolonie müsste extreme Vorkehrungen dagegen treffen.

 

Antwort: Auf meiner Webseite gibt es ein Foto, auf dem ich neben Hermann Oberth stehe, einem der Begründer der Raumfahrt. Er hat als erster detailliert mehrstufige Flüssigtreibstoffraketen und Weltraumstationen beschrieben, den Ionenantrieb erfunden und über Missionen zu Mond und Mars spekuliert. Seitdem weiß ich automatisch einfach alles über den Weltraum und die Raumfahrt. ;-)

 

Im Ernst: Gute Recherche und Faktentreue ist absolut notwendig. Beispielsweise geht es im Buch im Jahr 2084 immer noch um die Rettung vor der Klimakatastrophe, was auch Leute vom Fach, mit denen ich gesprochen habe, für wenig realistisch halten, weil der Drops bis dahin gelutscht sei (sorry für diese Flapsigkeit, aber manchmal gewinnt bei diesem Thema der Sarkasmus als Schutzmechanismus die Oberhand). Allerdings geht es in meiner Geschichte in sechzig Jahren um die Abwendung der ultimativen Klimakatastrophe, also die sog. Venusierung der Erde. Dieses Szenario mag unwahrscheinlich sein, aber m. E. nicht unmöglich. Anderes Beispiel. Eine Kritik an obiger Mars-Szene war, dass es sinnlos sei, dass Joseph seine Fußabdrücke auslöscht, weil dies auf dem Mars ja Winde und Erosion übernehmen. Das stimmt, aber dieses Wissen macht den Impuls von Joseph, das trotzdem zu tun, für mich nicht weniger glaubwürdig.

 

Was das Leben auf dem Mars angeht, müssen die Kolonisten auch bei mir wegen der Strahlung (fehlendes Magnetfeld, dünne Atmosphäre) unterirdisch (untermarsisch?) hausen. Dort sind sie die Hälfte der Zeit mit Putzen beschäftigt, allerdings nicht wegen des Marsstaubs, sondern um den Pilzbefall in Grenzen zu halten, der, wenn ich richtig informiert bin, auch auf der ISS ein Problem darstellt. Mir war wohl die Feinheit des Marsstaubs, nicht aber seine Giftigkeit bekannt. Nun findet die obige Marsmission erst in hundert Jahren statt. In meiner Welt gibt es bis dahin größere Fortschritte primär in den Bereichen Produktionstechnik und Materialforschung, zum Beispiel Nanomaterialien. Im einfachsten Fall würde ich also spekulieren, dass die Anzüge das Zeug erst gar nicht an sich haften ließen. Dass kann ich bestimmt noch einbauen, um das Ganze realistischer zu gestalten.

Die geringe Schwerkraft, über deren langfristige Auswirkungen auf den Körper man bisher wenig weiß, gehe ich am Rande ein: Joseph fliegt mehrere Monate unter langsam steigender künstlicher Schwerkraft (Rotation) zurück, ist bei der Ankunft gegenüber seinem Zwillingsbruder um einige Zentimeter gewachsen, hat Schwierigkeiten beim Gehen und wird ein halbes Jahr mit »Aufbaupräparaten« brauchen, bis er wieder »ganz hergestellt« ist. Da es sich nicht um einen Marsroman handelt, sondern die Marsepisode nur eins von knapp dreißig Kapiteln umfasst, kann ich nicht zu sehr ins Detail gehen (siehe Puzzle-Metapher oben). Mein Kriterium ist: Die Geschehnisse dürfen nach heutigem Wissensstand unwahrscheinlich sein, aber nicht unmöglich.

Auch in meiner offiziellen Leseprobe (PDF) werden einige astronomische und softwaretechnische Sachverhalte detailliert beschrieben, ich hoffe fehlerfrei. (Für den rückgeschauten Venusdurchgang am 6. Juni 2012 lege ich die Hand ins Feuer, weil ich den zusammen mit meiner zehnjährigen Tochter selbst am Teleskop beobachtet habe.)

 

Fermentarius: Kai, nach meinem Eindruck versuchst du, eine Art Sachbuch mit Rahmenhandlung zu schreiben. Das ist aber extrem schwierig und man muss man schon ein ausgewiesener Meister der Schreibkunst sein, um soetwas spannend zu gestalten. Neal Stephenson macht das absolut vorbildlich. Vielleicht nimmst du dir seine Bücher (z.B. Cryptonomicon oder Seven Eves) einmal vor.

 

Antwort: Vielen Dank für die Hinweise, denen ich nachgehen werde. Für ein Sachbuch ist die Geschichte zu fantastisch/unwahrscheinlich. Aber m. E. brauchen wir unbedingt mehr Brücken zwischen Fiction und Non-Fiction. Literatur trägt sehr viel zum Bewusstseinswandel in wichtigen Fragen bei (Technikkritik, Umweltschutz, Feminismus etc.), aber wichtiger wäre heute meiner Meinung ein Denkwandel, dem dann hoffentlich ein Handlungswandel folgt. Hier muss mehr kommen, und das wird ja versucht (Ministry for the Future, Pantopia). Man könnte beispielsweise Essays über aktuelle Entwicklungen in KI, VR, Klimakrise, Gesellschaft, internationaler Politik usw. neben SF-Kurzgeschichten stellen, die diese Themen spekulativ verbinden. Aber da das außerhalb meiner Möglichkeiten liegt, versuche ich halt in Romanform, komplexe Sachverhalte und eine bestimmte Art, die Welt zu denken, anschaulich zu machen.


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#21 Jol Rosenberg

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Geschrieben 25 Februar 2024 - 13:20

Kai, du kommst hier in Verlegenheit, deinen Text zu erklären und all unsere Hinweise vom Tisch zu wissen, entweder damit, dass du halt nicht mehr Zeit investieren möchtest, oder mit anderen Gründen. Das kannst du machen, aber zumindest ich habe an dieser Art des Sparrings keine Freude. Es ist weder ein gemeinsames Nachdenken noch trägt es zur Verbesserung des Textes bei. Genaugenommen verstehe ich dein Anliegen in diesem Thread nicht und stehe hier nun einigermaßen ratlos.


Ernsthafte Textarbeit gefällig? https://www.federteufel.de/

 

Science-Fiction-Buchblog: https://www.jol-rose.../de/rezensionen

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#22 Fermentarius

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Geschrieben 25 Februar 2024 - 14:12

Kai, wenn du schon fragst:

 

Zitat: "Auch in meiner offiziellen Leseprobe (PDF) werden einige astronomische und softwaretechnische Sachverhalte detailliert beschrieben, ich hoffe fehlerfrei. (Für den rückgeschauten Venusdurchgang am 6. Juni 2012 lege ich die Hand ins Feuer, weil ich den zusammen mit meiner zehnjährigen Tochter selbst am Teleskop beobachtet habe.)"

 

Ich habe mir die Stelle in der Leseprobe angesehen. Und mir sind zwei Dinge aufgefallen, die ich eventuell ändern würde.

 

1. Bei einem 15-cm-Reflektor würde ich unter gar keinen Umständen ein vor das Okular geschraubtes Sonnenfilter verwenden. Allenfalls dann, wenn ich die Öffnung vorne auf 6 oder weniger cm verringere. Ein vor das Okular geschraubter Sonnenfilter wird viel zu heiß und kann reißen, was zu schweren Augenverletzungen führen kann. Besser wäre eine Projektion. Ich würde eventuell auch den Typ des Reflektors angeben (Newton, Cassegrain, Schmidt-Cassegrain etc.). Das Rohr und damit die Art der Beobachtung unterscheiden sich doch ziemlich. Übrigens würde zu einem gut ausgestatteten Teleskop evtl. auch ein Umkehrprisma gehören ...

 

2. Der Venusdurchgang dauerte 2012 rund sieben Stunden. Während der Gesprächsdauer von ca. 10 Sekunden hat sich sich die Venus um etwa den zweitausendsten Teil der Transitdistanz bewegt. Da ist es recht unwahrscheinlich, dass jemand das sehen kann.

 

Wie gesagt, nur weil du gefragt hast ...


 


Bearbeitet von Fermentarius, 25 Februar 2024 - 14:13.


#23 Kai Brassel

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Geschrieben 25 Februar 2024 - 15:32

Jol, eure Kritikpunkte und Vorschläge sind sehr wohl bei mir angekommen. Ich wollte sie nicht vom Tisch wischen, sondern nur mögliche Missverständnisse ausräumen und zurückmelden, welche Punkte ich aufnehme, und welche aus welchen Gründen nicht. Diese Begründungen sollten auch keine Aufforderung zum Sparring sein. Ich sehe jetzt um einiges klarer, wo ich limitiert bin, und um wieviel genauer ich noch arbeiten muss. (Nach 40 Jahren Software-Entwicklung war es für mich unheimlich erleichternd, schreiben zu können, ohne dass es auf jedes Wort ankommt. Aber dieses Bild ändert sich gerade.) Auch sehe ich jetzt deutlich, dass so ein einzelnes Schreib-Projekt nur geringe Chancen auf Erfolg hat.

 

Mein Anliegen in diesem Thread war wohl eigentlich, herauszufinden, ob mein Text gut genug ist, um ein Publikum zu finden und welches das dann wohl wäre. Dafür war die Leseprobe aber nur bedingt geeignet. Ich hätte besser konkret fragen sollen, wen von euch der Einstieg ins Buch zum weiterlesen animiert, und wenn nicht, für welche Art von Publikum das sonst geeignet sein könnte.


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#24 Kai Brassel

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Geschrieben 25 Februar 2024 - 15:41

Wieso ein Autor schreibt und veröffentlicht, sollte überhaupt keine Rolle spielen, denn derjenige, der auf den es ankommt, ist der Leser, nicht der Autor. Ob der Autor schreibt, weil er gerade nichts Besseres zu tun hat, weil er eine Wette verloren hat oder weil die Aliens es ihm gesagt haben - völlig egal, es zählt nur, wie das Werk den Lesern gefällt.

 

Ich gebe dir recht: Wenn es ums Veröffentlichen geht, haben die Leser das letzte Wort. Ich möchte aber einschränken, dass es doch eigentlich nicht darum, wie das Buch gefällt, sondern ob es gelesen wird. Zur reinen Unterhaltung lese ich natürlich nur, was mir gefällt. Aber manchmal will ich gefordert werden, und dann darf es schon einmal wehtun, oder ich muss damit klarkommen, manches nicht zu verstehen. (Wenn nur noch Gefälliges geschrieben würde, wären wir schon mitten in der kulturellen Krise, die ich im zweiten Teil des Romans beschreibe, denn es würde nichts Aufregendes mehr produziert.) Aber ich will deine Aussage nicht überinterpretieren – vielleicht schließt dein »gefallen« das Gesagte mit ein.

Und dann finde ich schon, dass es oft hilft, zu wissen, unter welche Umständen und mit welcher Intention etwas geschrieben wurde. Sonst gäbe es keine Interpretationshilfen oder einordnende Vor- und Nachworte.


1. Bei einem 15-cm-Reflektor würde ich unter gar keinen Umständen ein vor das Okular geschraubtes Sonnenfilter verwenden. Allenfalls dann, wenn ich die Öffnung vorne auf 6 oder weniger cm verringere. Ein vor das Okular geschraubter Sonnenfilter wird viel zu heiß und kann reißen, was zu schweren Augenverletzungen führen kann. Besser wäre eine Projektion. Ich würde eventuell auch den Typ des Reflektors angeben (Newton, Cassegrain, Schmidt-Cassegrain etc.). Das Rohr und damit die Art der Beobachtung unterscheiden sich doch ziemlich. Übrigens würde zu einem gut ausgestatteten Teleskop evtl. auch ein Umkehrprisma gehören ...

 

2. Der Venusdurchgang dauerte 2012 rund sieben Stunden. Während der Gesprächsdauer von ca. 10 Sekunden hat sich sich die Venus um etwa den zweitausendsten Teil der Transitdistanz bewegt. Da ist es recht unwahrscheinlich, dass jemand das sehen kann.

 

 

Fermentarius, du hast in beiden Punkten recht, danke. Das erste bekomme ich repariert, indem ich bei dem real verwendeten 6 cm Refraktor bleibe, der mir in der Szene »zu wenig« vorkam, was aber eigentlich Quatsch ist. Was »Typ des Reflektors angeben (Newton, Cassegrain, Schmidt-Cassegrain)« betrifft, waren meine Testleser bereits mit der Unterscheidung Reflektor/Refraktor überfordert, was eins der Hauptprobleme meines Schreibprojektes offenbart: Nicht zu wissen oder zu entscheiden, für welche Zielgruppe (wenn überhaupt) ich eigentlich schreibe.

 

Bei deinem zweiten Punkt trifft Fakt auf Dramaturgie – da muss ich mir etwas einfallen lassen.


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#25 Jol Rosenberg

Jol Rosenberg

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Geschrieben 25 Februar 2024 - 16:10

Jol, eure Kritikpunkte und Vorschläge sind sehr wohl bei mir angekommen. Ich wollte sie nicht vom Tisch wischen, sondern nur mögliche Missverständnisse ausräumen und zurückmelden, welche Punkte ich aufnehme, und welche aus welchen Gründen nicht. Diese Begründungen sollten auch keine Aufforderung zum Sparring sein. Ich sehe jetzt um einiges klarer, wo ich limitiert bin, und um wieviel genauer ich noch arbeiten muss. (Nach 40 Jahren Software-Entwicklung war es für mich unheimlich erleichternd, schreiben zu können, ohne dass es auf jedes Wort ankommt. Aber dieses Bild ändert sich gerade.) Auch sehe ich jetzt deutlich, dass so ein einzelnes Schreib-Projekt nur geringe Chancen auf Erfolg hat.

 

Mein Anliegen in diesem Thread war wohl eigentlich, herauszufinden, ob mein Text gut genug ist, um ein Publikum zu finden und welches das dann wohl wäre. Dafür war die Leseprobe aber nur bedingt geeignet. Ich hätte besser konkret fragen sollen, wen von euch der Einstieg ins Buch zum weiterlesen animiert, und wenn nicht, für welche Art von Publikum das sonst geeignet sein könnte.

 

Kommt halt drauf an, was du willst. Es werden täglich zahlreiche SP-Texte auf den Markt geworfen, von den meisten erfährt man nicht einmal. Ich hatte mir 2022 vorgenommen, alles anzulesen, was mir über den Weg läuft und was SF ist. Dazu habe ich mich Leuten angeschlossen, die systematisch Neuerscheinungen suchen. Was habe ich gelitten! Und viel gelernt! Ich weiß jetzt, dass ich eine Person mit hohen Ansprüchen bin, der nur wenig gefällt. Und dass unter SP zwar einige Perlen zu finden sind, das meiste aber meinen Geschmack gar nicht trifft (was auf Verlegtes ebenso zutrifft aber nicht in dem Ausmaß).

 

Dass Schreiben ein Beruf ist, der Handwerkszeug und Arbeit verlangt, wurde hier ausreichend beschrieben. Als SP-Autor hast du aber noch einen zweiten Job: Marketing. Und der braucht ebenso Handwerk und Zeit. Und oft auch Geld. Du brauchst eine Zielgruppenanalyse und dann Wege, die Zielgruppe anzusprechen. Klar kannst du dein Buch einfach bei BoD oder so auf den Markt werfen. Lesen wird es dann kaum jemand. Und etwas dazu rückmelden werden dir noch weniger Leute. Es ist frustrierend, ich sags dir aus Erfahrung.


Ernsthafte Textarbeit gefällig? https://www.federteufel.de/

 

Science-Fiction-Buchblog: https://www.jol-rose.../de/rezensionen

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#26 Kai Brassel

Kai Brassel

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Geschrieben 25 Februar 2024 - 21:15

Dass Schreiben ein Beruf ist, der Handwerkszeug und Arbeit verlangt, wurde hier ausreichend beschrieben. Als SP-Autor hast du aber noch einen zweiten Job: Marketing. Und der braucht ebenso Handwerk und Zeit. Und oft auch Geld. Du brauchst eine Zielgruppenanalyse und dann Wege, die Zielgruppe anzusprechen.

 

Das ich Marketing machen muss, ist mir seit einiger Zeit klar. Die E-Books der Buchteile bei Amazon sind auch ein Testballon, um mit Werbung etc. nicht erst anzufangen, wenn im Sommer das Buch fertig ist. Immerhin kann ich jetzt schon mal aus eigener Erfahrung sagen, dass Amazon-Ads für Neulinge nichts bringt, wenigstens bisher nicht. Zielgruppenanalyse und -ansprache hört sich spannend an, bisher habe ich davon aber immer nur abstrakt gelesen. Hättest du oder hättet ihr vielleicht einen Hinweis, wie so etwa anzustellen wäre, oder eine Empfehlung, wen ich dafür anstellen könnte?


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