Tausend Arten von Blau von Cheon Seon-ran
Original: 천 개의 파랑 Cheon Gae-ui Parang, 2020
Übersetzer: Jan Henrik Dirks
Taschenbuch, 365 Seiten
Golkonda, 2023
ISBN-13: 9783965090514
Verlagsinfo:
Das einstige Spitzenrennpferd Today, das, gnadenlos zu Höchstleistungen getrieben, wegen seiner kaputten Gelenke eingeschläfert werden soll; Koli, der zerborstene Roboter-Jockey, der durch eine Chip-Verwechslung menschliche Gefühle besitzt, die er eigentlich nicht haben dürfte, Eunhye, die an den Rollstuhl gefesselt ist, da ihre Mutter das Geld für die Transplantation künstlicher Beine nicht aufbringen kann, Yeonjae, die vor einer ungewissen Zukunft steht, und Bogyeong, die unendlich um ihren verlorenen Gefährten trauert …
Dieser zauberhafte Roman gibt seinen Figuren, die in einer sich immer rasanter drehenden kapitalistischen Welt abgehängt zu werden drohen, eine Stimme. So ist Tausend Arten von Blau eine Geschichte über Hoffnung, Trost und die wahre Bedeutung von Glück.
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Der Roman beginnt mit dem Ende. Das werden wir erst später alles einordnen können, aber wir wissen, dass der Roboter-Jockey Koli vom Pferd Today fällt und zerbirst.
Danach lernen wir peu a peu die Familie Woo kennen. Die Mutter betreibt nach dem Tod ihres Mannes ein Schnell-Restaurant, die beiden Töchter sind noch in der Schule. Während die ältere aufgrund einer Polio-Lähmung im Rollstuhl sitzt und täglich zu den Pferden im wettstadion-Reitstall fährt, interessiert sich die jüngere Schwester für Roboter.
Und so kommt also Koli, der kaputte Humanoid, wie die Roboter hier in der Übersetzung heißen, in das Leben der drei und verändert durch seine Fragen eine Menge, dabei kann er nur tausend Worte.
Ich muss zugeben, dass ich im ersten Drittel ganz schön durchhing. Es zog sich alles, bereits erwähntes wird nochmal ausführlich in Szene gesetzt. Dass die Pferde durch die leichteren Carbon-Jockeys schneller werden, wird dreimal erklärt …
Zum Glück konnte ich die Autorin vorgestern bei einer Lesung erleben und dadurch kam für mich quasi parallel zur Lektüre einiges an Hintergrundwissen hinzu.
Da wäre zum einen die schlechte Situation von Rollstuhlfahrenden in Korea, die in erster Linie als Hindernis empfunden werden. Eine Demo für bessere Bedingungen beim Rollstuhlnutzen etwa wurde in der Presse scharf kritisiert, weil der Verkehr behindert wurde.
Eunyes Erfahrungen im Buch sind also schon eine scharfe Kritik an der Zivilgesellschaft.
Hinzu kommt das Problem, dass Südkorea stark leistungsorientiert ist und sich viele Menschen tatsächlich zu Tode arbeiten. Für alles gibt es Wettbewerbe, selbst der Roman entstand in drei Wochen, wegen der Deadline eines Wettbewerbes.
Die Lösung Kolis, Glück durch Langsamkeit zu erreichen, ist für Südkoreaner·innen ein sehr relevantes Thema.
Wenn Yeonjae ihre Laufbahn verlässt und am liebsten gleich die koreanische Halbinsel verlassen hätte, ist das nicht nur ein Bild für den Charakter des Mädchens.
Auf die Frage während der Lesung, ob sie jemanden kenne, der wie Yeonjae Korea verlassen wollte, lautete die Antwort: »Wer will es nicht?«
Das erklärt dann wohl auch den enormen Impakt, den das Buch im Südkorea hat. Theaterinszenierung, Musical usw.
Überhaupt sind in der SF dort gerade Autorinnen mit gender- und queeren Themen sehr aktiv, erzählte Cheon Seon-ran.
Lustiges Detail: Tausend im Titel wählte sie, weil das Wort auf koreanisch hübscher klingt als zehn oder hundert.
Das Ende des Buches ist dann trotz allem Drama sehr versöhnlich. Für mich eine interessante Erfahrung.
Was ich nicht ganz nachvollziehen kann, ist die Einordnung als literarische SF, dazu ist zumindest die deutsche Übertragung stilistisch zu okay.
Dennoch für mich insgesamt ein empfehlenswertes Buch und es könnte ein Beispiel sein, wie man brennende gesellschaftliche Themen in eine packende SF-Story packt.