So, ich habe mich abgeseilt und kann jetzt auch etwas zu "Sondersammlungen" schreiben. Vorab: Ich hatte das Buch im letzten Jahr auf Englisch schon gelesen. Ich empfand das nicht als abgeschlossene Kurzgeschichten, sondern eher als Mosaikroman, also das Ende muss nicht in sich stimmig sein, sondern nur zum Rest passen.
Ich mochte Jude. Ich mochte Jude sofort. Warum nur? Eigentlich erfahre ich ja kaum was über ihn. Sind es die Details? Wenn ja, welche? Vielleicht, weil wir alle eine Pandemie hinter uns haben und hier an seiner Realität sehen, was geschehen wäre, wenn NICHT die Welt wieder (einigermaßen) zur vorherigen Normalität zurückgekehrt wäre. Das fühlt sich schon alles sehr echt an.
Beispielsweise diese Stelle, als er mal wieder in die Uni geht
Der Lichtschalter im Flur funktionierte nicht. An dem Schwarzen Brett neben seiner Bürotür hing ein Plakat für eine Vorlesung, die vor sechs Jahren stattgefunden hatte. Er hatte hingehen wollen. War aber nicht hingegangen.
Das wäre ja alles nicht besonders ergreifend, wenn wir nicht wüssten, in welcher Welt er jetzt lebt. Keine Vorlesungen mehr (in Präsenz). Verpasste Chancen ohne Wiederkehr.
Als er dann die Bibliothekarin trifft, werden mehrere Dinge auf einmal klar: Hier geht gerade Wissen verloren und muss gerettet werden. Die Bücher müssen woandershin. Ich arbeite in einer (echt riesigen) Bibliothek. Da ist alles bis auf das letzte Grad Celsius abgestimmt im Magazin. Das Ausmaß der Katastrophe kann man sich kaum vorstellen. Da stehen Teile der Bibliothek unter Wasser.
Und ich bin für Digitale Langzeitarchivierung zuständig. Digital ist ganz im Sterben begriffen. Denn:
... die Welt, für die er geschaffen war, rings um ihn zerfiel. Und er würde mit ihr untergehen, er würde immer noch von Cafés und WLAN träumen, während sich die jungen Leute darauf einstellen, in den neuen Wäldern zu leben, die schon jetzt die verlassenen Wohnblöcke am Stadtrand überwucherten.
Ich find's großartig. Ich lebe in einer Welt voller Cafés und WLAN und kann das jetzt mal so richtig reflektieren. Normalerweise sind Romane zum Thema Apokalypse irgendwie plötzlicher. Zack, bumm, drei Tage später ist alles voller Zombies oder Leichen (so ungefähr). Hier geht's langsam. Das finde ich sehr interessant.
Ich stimme Stephan aber zu, denn mit dem kursiven Teil konnte ich auch nichts anfangen. Ich muss aber auch generell aufpassen, dass ich kursiv geschriebenes nicht überspringe a la "Das gehört ja eh nicht dazu", weil es eigentlich fast nie so spannend ist wie der normal geschriebene Text. Mein Hirn ist da schon konditioniert.
Auch schön, wie er dem alten Prof Tremblay die Karten bringt und der ihn scheltet, weil Jude die auf dem Rad transportiert hat. Der hat definitiv noch nicht bemerkt, dass die Welt sich weiterbewegt hat.
Für mich ein toller Start.