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Ian McDonald – „River of Gods „ (2004) / (dt.: „Cyberabad , 2012)

Indien KI Artefakt Near Future nonbinär

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#1 head_in_the_clouds

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    Yoginaut

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Geschrieben Gestern, 16:59

Ian McDonald (1960- ) britischer Autor, gab 1988 sein Debut mit Desolation Road (dt. Straße der Verlassenheit , 1991) und heimste dafür direkt den LOCUS Award für einen Erstlingsroman ein.

 

River of Gods (2004 beim BSFA als bester Roman ausgezeichnet) beschreibt ein aus nur noch einem losen Staatenbund bestehendem Indien , dessen Mitglieder sich bis zum Jahr 2047 (dem hundertsten Jahrestag ihrer Unabhängigkeit) abgespalten haben – die Bruchlinien und Konflikte verlaufen entlang der vorherrschenden Religionen: Hauptgegner sind die selbständige Republik Awadh (ehemals Nordindien , mehrheitlich muslimisch geprägt und vom Westen vornehmlich von den USA unterstützt ) und dem wichtigsten Staat im Bund , Bharat das in etwa Zentralindien entspricht , durchgängig hinduistisch ist und sich in der Tradition des unabhängigen , vormaligen Indiens sieht . Der große Subkontinent – ​geplagt von den unaufhaltsamen Krisen des Klimawandels geht intensiv in der Entwicklung von KI-Technologien voran , die über die von einem konservativen Amerika „zugelassenen“ Grenzen einer noch akzeptablen KI hinausgehen und das vergeblich versucht, seine alten Vorrechte zu verteidigen – u.a. mit dem Verbündeten Awadh, dessen zunehmend kriegerische Handlungen es unterstützt.

 

Die innenpolitische Probleme Bharats eines in Gewalt umschlagenden Hindunationalismus und durch die drohende Entwicklung einer „gottgleichen“ KI durch den Konzern „Ray Power“ machen es zusätzlich schwer, sich gegen die ausländische Bedrohung des Nachbarn zu erwehren.

 

Zu alledem wurde von den USA ein Milliardenjahre altes außerirdisches Artefakt in Erdnähe entdeckt, das auf eine weit überlegene Technologie einer künstlichen Intelligenz hindeutet – und deren Botschaft eine mysteriöse Verbindung zu dreien der Hauptpersonen offenlegt. McDonald verschafft uns hier zusätzlich einen echten Sense-of-Wonder in der von dichten Handlungsfäden nicht armen Erzählung.

 

Anhand von zehn sehr verschiedenen Protagonisten aus Bharat (unter anderem ein Polizist, ein Wissenschaftler, ein Krimineller, ein Ausgestoßener und ein Stand-up Comedian) taucht uns McDonald in den Wochen vor der Jahrhundertfeier in den Malstrom aus Technik und Kulturen einer möglichen zukünftigen Gesellschaft , der heute schon fremdartig wirkenden Kultur Indiens, ein. McDonald gibt der Entwicklung der Charaktere Raum und so eröffnet sich für uns ein zumindest grobes Verständnis für die Menschen und ihrer tief religiös durchsetzten Gesellschaft – die gleichzeitig Vorreiter einer KI Entwicklung ist, die in ihrer fast-Omnipotenz anmutet wie eine auf Silizium neuzuschaffende Götterwelt des alten Indiens.

Natürlich werden die anfänglich nebeneinander herlaufenden Erzähllinien der Hauptpersonen etwa ab der Mitte des Romans zusammengeführt und McDonald schafft es, die Zügel in der Hand zu behalten und uns so den Überblick der einzelnen Handlungsstränge behalten lässt.

 

Er schneidet viele aktuelle Themen an und lässt auch private Einblicke wie in Ehe und Gesellschaft zu: die Storyline um den Krishna Cop Nandh, der illegale KI’s aufspüren soll , sich in seiner Arbeit verliert was zu einer zunehmenden Frustration bei seiner Ehefrau Parvati führt, die selber ihren eigenen Kampf gegen indische Tradition und Lebenssinn ausfechtet.

 

Auch das aufbrechen von Gendergrenzen (die schon in der Götterwelt fluide Übergänge zeigen und das McDonald geschickt überträgt) und das in Frage stellen reiner binärer Identität – die dennoch gleichzeitig auf Konflikte oder Spannungen trifft, ähnlich der heutigen Situation, eben futuristisch verstärkt (die Storyline um die nonbinäre Thal).

 

McDonald schafft es ein sehr realistisches und facettenreiches Szenario zu erschaffen, das trotz der detailreichen Schilderung den roten Faden behält. Zur Referenz ist ein umfangreiches Glossar von verwendeten hinduistischen Bezeichnungen und der Alltagssprache Indiens angefügt.

 

Anzumerken ist, das McDonald 2010 einen ebenfalls beeindruckenden , allerdings - bis auf eine Story - nicht übersetzten Kurzgeschichtenband „Cyberabad Days“ (3. Platz LOCUS Award 2010) der Stories aus den Jahren davor versammelt, hinterher geschickt hat und von der zumindest die Story „The Little Goddess“ als „Die Kindgöttin“ im Shayol Verlag , publiziert wurde.

 

Das ganze Geschichtenspektrum wird in der Serie India 2047 zusammengefasst und ist uneingeschränkt zu empfehlen.

 

Referenz isfdb 

 

Ian McDonald

 

India 2047 Serie


Bearbeitet von head_in_the_clouds, Gestern, 17:04.

"Why should one be afraid of something merely because it is strange?"

  • (Buch) gerade am lesen:Weisses Licht - Rudy Rucker (1980)



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