Also.
Weder schmeiß ich mich vor Begeisterung weg, noch krümme ich mich vor lauter Mißfallen.
Ich bin jetzt ca. bei Seite 100 und habe meine literarischen Geschmacksknospen justiert - will sagen: ich ahne, was dem Herr Stross für eine Ideal-Leserschaft vorschwebt.
Fürt mich ließt sich »Singularität« wie eine Mischung aus Douglas Adams und einem ideologisch invertierten Tom Clancy. In Musik augedrückt: vielleicht eine Mischung aus Eric Idle und Apokalyptika. Das Buch ist prinzipiell ziemlich albern, was Techno-Babbel (punktabzug!) betrifft auch selbstverliebt.
Nun. Ich finde es immer spannend, wenn sich Romanschriftsteller von den neuen Medien (Film, Comic, PC/Konsolen-Spiel) anfixen lassen. »Singularität« mag zwar äußerlich wie ein Roman aussehen, ich verstehe aber Bücher wie dieses als
geschriebenes Comic.
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Bisher Huii:
†¢ Gut gefallen hat mir auf jeden Fall der erste Satz, wie der ganze Prolog bisher das Beste darstellt.
†¢ Zudem stelle ich erstaunt fest, daß ich die verächtlichen Adjektive genieße, die der Erzähler Stross für die Knallchargen der Neuen Republik übrig hat. Hier hat ein begeisterter Linker wohl seine ganze Abscheu für xeno-, neo- und plural-phobische Zivilisationen zusammengeschmissen und zeigt sowohl den bellezistischen Rechten wie den alles gleichmachenden Linken den narrativen Vogel.
†¢ Lektüretechnisch: Schnell und auch unaufmerksam leicht lesbar. Wenns derzeit stellenweise nicht Ausrutschgefahr herrscht, könnt ich den buchstäblich im Gehen lesen (ernsthaft).
Bisher Pfui:
†¢ Die Szene einer nackig vor dem Spiegel trainierenden Agentin ist für mich schlimmster Teenager-Kitsch. Noch dazu mit diesem wirklich sehr platt angebrachten ideologischen Frust. Dieser Übungskick für den Bettler, dieser Schlag für die geknechteten Bauern.
Mein lieber Strossi, ich bin ja auch ein Freund der Moderne und für eine Überwindung hierarchisch organisierter Verwöhnungsgesellschaften die wir mal Feudalismus, mal Kapitalismus, mal NeoCon-New World Order nennen - aber muß es gleich sooo platt geschrieben daherkommen? (Man male sich diese Szene als Manga oder flott geschnittene rockmusikverziehrte Filmsequenz aus, und merke: es funktioniert).
†¢ Überhaupt kann ich
Rusch zustimmen: die Hauptfiguren sind noch nicht mal Pappfiguren. Das sind Storyboards von Pappfiguren †¦ andererseits: bei den Nebenfiguren macht mir diese oberflächlich-routinenahe Charakter{über}zeichnung ja durchaus Spaß.
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Nochn paar B{r}eispiele für Übersetzugnssprachpansch:
†¢ (S. 27):
Sein ganzes Inventar von Drohnen †¦
Besser: »Bestand«, »Ausrüstung«. Kommt die Übersetzerin aus der Rollenspiel-Szene? Von dort verbreitete sich imho der Virus, »Inventar« gröblich 1 zu 1 zu übernehmen. Im Deutschen bezieht sich »Inventar« erst mal nur auf Gebäude, Räume, Unternehmen und NICHT auf Personen und deren Slots zum Transport von Gold und magischen Waffen.
†¢ (S. 33):
Nachdem der Bote das Telegramm hindurchgereicht hatte, leistete Martin hastig eine Unterschrift †¦
Wortverschwendung, denn »†¦ hatte,
unterschrieb Martin hastig« tuts auch.
†¢ (S. 34):
†¦ mit Spitzenrüschen am Kragen -, allerdings von leicht unmodernen Schnitt«
Aus »leicht unmodernen Schnitt« mach »etwas unmodern geschnitten« und es ist Deutsch und nicht Denglisch.
†¢ (S. 35): Was soll
Niederadel sein? Warum steht da nicht schlicht »Angehörigen des niederen Adels«?
†¢ (S. 39):
†¦, hohe Backenknochen und braune Augen.«
Backenknochen gibt es nicht, denn die Backe ist strenggenommen der ganze Wabbel, darunter ist der »Wangenknochen«.
†¢ (S. 43):
†¦, dass sie direkt vor unserer Haustür die Hölle losmachen.«
Den Fenriswolf macht man los. Die Hölle wird »entfacht« oder »entfesselt«. »Losmachen« ist überhaupt eine ganz arme Worttschatzoffenbarung. <-- eines der wenigen Worte, die ZOFF enthalten.
†¢ (S. 45):
Ebenso gut hätten wir Vater das Abdanken vorschlagen können.
Wie wärs mit: »Ebenso gut hätten wir Vater vorschlagen können abzudanken.« Aber vielleicht war man sich bei Heyne nicht sicher, ob es nach Neuer Rechtschreib »ab zu danken« heißen muß und dachte sich, daß schräge Substantivierungen immer cool sind.
†¢ (S. 56)
Sie hatte es schnell satt bekommen, nach den Regeln der Neuen Republik zu leben.
Man hat etwas satt, man bekommt es nicht.
Du liebe Zeit, wenn ich so weitermache, wird der Beitrag zu lang. Und zuviel Rummgenörgle ist ja auch blöd für die Gruppenstimmung.
†¢†¢†¢
So. Bin ich mal neugierig, was dem Herrn Stross noch so alles entspringt. Sympathisch ist mir ja seine Schreibe und seine ziemlich ungebändigte Fabulierlust, mal gucken, ob er auch noch eigene Ideen hat :-)
Als mit sich selbst ringender Schubladenautor, der trotzdem gerne mal einen wilden europäisch-deutschen Genre-Phantastik-Flick zusammenzimmern möchte, kann sich Stross meines aufrichtigen Neides sicher sein. Er hat sicherlich die Gabe des selbstberauschten Zusammenw*chsens, nach der ich mich sehne. Und für einen ersten Roman ist »Singularität« ausgesprochen mutig. Freilich nicht so mutig nach dem Leute wie Gibson, Stephenson und Sterling die Achtziger und Neunziger belebt haben, aber immer noch respektlos-ungestüm originell genug um HEUTE überdurchschnittlich zu sein.
Grüße
Alex / molosovsky
@Rusch: Bin ich begeistert von den Fußnoten. Ich hab keinen Führerschein.
Bearbeitet von molosovsky, 01 März 2005 - 19:15.