PHAICON 3 Seite 144 ff. "QED" = "Wer die Vergangenheit nicht kennt, hat keine Zukunft"Zusammengefasst: "Die Verwandlung" täuscht sowohl auf fiktionaler Ebene - der erzählten Welt - als auch auf narrativer - wie wird erzählt - etwas vor, was nicht ist. Auf den ersten Blick scheint vorzuliegen, was Todorov für reine Phantastik verlangt, eine klassisch erzählte, vorderhand realitätskompatible Welt. Tatsächlich ist beides nicht gegeben. QED.
Phantastik-Begriff
#271
Geschrieben 29 Dezember 2007 - 13:48
#272
Geschrieben 29 Dezember 2007 - 14:18
Kurz nachgelesen, und ja Renners Analyse deckt sich weitgehend mit meiner. Falls ich übrigens den Anschein erweckt habe, dass meine Analyse der "Verwandlung" eine überaus originelle Eigenleistung von mir ist, so möchte ich das dringend relativieren. Was ich zu der "schwankenden" Erzählperspektive bei Kafka geschrieben habe, ist meines Wissens mehr oder weniger allgemein akzeptierter Forschungsstand, darauf verweise ich an der entsprechenden Stelle meines Buches auch. Und dass die "Verwandlung" einer Märchenlogik folgt, wurde ebenfalls schon früher erkannt; wenn ich mich recht erinnere, steht das auch so bei Wünsch. Insofern erstaunt es mich nicht, dass Renner in dem Phaicon-Artikel zu einem ganz ähnlichen Befund kommt wie ich. Vielmehr erstaunt mich, dass ich diesem Text in meiner Auseinndersetzung mit Todorov bislang nicht begegnet bin (aber das kommt eben davon, wenn man sich alle Phaicon-Bände kauft und sie dann nicht systematisch liest).PHAICON 3 Seite 144 ff. "QED" = "Wer die Vergangenheit nicht kennt, hat keine Zukunft"
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
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#273
Geschrieben 29 Dezember 2007 - 17:47
Das hab ich ja in meiner Studierstube stehe, leider aber nicht als 2. Exemplar bei den Eltern... ich weiß schreckliche Missetat *g* Nachdem ich deine Ausführungen gelesen habe, erinnere ich mich auch wieder.. *hust*.Steht alles in meinem Buch.
Ein Satz hat sich mir nämlich bei Kafka eingebrannt. (Während des Lernens für meine Prüfung) Deshalb hab ich da auch gleich so gefragt. "Kafkas Verwandlung ist KEINE Phantastik". Aber damals musste ich ja der "reinen Lehre" von Durst folge leisten *smile* (Wenn meine jetzige Lernphase vorbei ist, muss ich endlich mal Wünsch lesen.) Die Gründe die zu diesem Schluß führen sind wenn ich das richtig in Erinnerung habe, ähnlich wie oben beschrieben. Der Knackpunkt ist das Fehlen der Markierung. Hm ich muss mir da wohl mal oben genannte Rezi/Analyse besorgen... die kenne ich nicht. (Ach wenn wir schon Durst wieder erwähnen *g* Hat der inzwischen eine Rezi zu deinem Buch geschrieben Simifilm? Hatte er jedenfalls vor, als ich mal mit ihm gemailt habe.)Ok, Kurzfassung: Das Problem bei der "Verwandlung" ist, dass das phantastische Ereignis - die Verwandlung Gregors in einen Käfer - nicht als solches markiert wird. Der Käfer ist für Gregors Familie zwar ein Ärgernis, aber kein Bruch in der geregelten Welt, zumindest reagiert niemand entsprechend. Der Erzählung fehlt das, was Marianne Wünsch in ihrer nicht sehr handlichen Terminologie als "Realitätsinkompatibilitäts-Klassifikator" nennt. Hierin gleicht die Erzählung einem Traum oder einem Märchen, in denen ebenfalls wunderbare Dinge geschehen, ohne dass sich jemand gross darüber aufregt. Wirklich hinterhältig ist nun, dass dies alles in scheinbar nüchterner, "klassisch-realistischer" Weise erzählt wird. Aber auch das ist nur vorgetäuscht, denn wenn man Kafkas Erzählweise genauer analysiert, wird deutlich, dass hier die Erzählperspektive oft alles andere als klar ist. Auf den ersten Blick scheint hier eine mehr oder wenige objektive neutrale Erzählperspektive vorzuliegen. Tatsächlich aber gibt es ganz viele Hinweise auf eine mehr personale, subjektive Perspektive. Zusammengefasst: "Die Verwandlung" täuscht sowohl auf fiktionaler Ebene - der erzählten Welt - als auch auf narrativer - wie wird erzählt - etwas vor, was nicht ist. Auf den ersten Blick scheint vorzuliegen, was Todorov für reine Phantastik verlangt, eine klassisch erzählte, vorderhand realitätskompatible Welt. Tatsächlich ist beides nicht gegeben. QED.
Bearbeitet von Robin, 29 Dezember 2007 - 17:48.
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#274
Geschrieben 29 Dezember 2007 - 18:21
Dafür musst Du zur Strafe gleich zwei kaufen.Das hab ich ja in meiner Studierstube stehe, leider aber nicht als 2. Exemplar bei den Eltern... ich weiß schreckliche Missetat *g*
Ob es nun Phantastik ist oder nicht, es ist nicht erstaunlich, dass Todorov an dem Text scheitert, denn er passt eben überhaupt nicht in sein Raster. Erstaunlich ist eigentlich nur, dass er nicht merkt, warum dem so ist.Nachdem ich deine Ausführungen gelesen habe, erinnere ich mich auch wieder.. *hust*. Ein Satz hat sich mir nämlich bei Kafka eingebrannt. (Während des Lernens für meine Prüfung) Deshalb hab ich da auch gleich so gefragt. "Kafkas Verwandlung ist KEINE Phantastik". Aber damals musste ich ja der "reinen Lehre" von Durst folge leisten *smile* (Wenn meine jetzige Lernphase vorbei ist, muss ich endlich mal Wünsch lesen.) Die Gründe die zu diesem Schluß führen sind wenn ich das richtig in Erinnerung habe, ähnlich wie oben beschrieben. Der Knackpunkt ist das Fehlen der Markierung. Hm ich muss mir da wohl mal oben genannte Rezi/Analyse besorgen... die kenne ich nicht.
Wäre mir nicht bekannt. Würde mich aber interessieren, was er dazu meint. Allerdings ist ja nur ein Unterkapitel wirklich relevant für seinen Bereich. Ich weiss nicht, wie sehr in SF interessiert resp. ob er dazu was zu sagen hat. So oder so dürfte ihm mein Ansatz nur begrenzt behagen ...(Ach wenn wir schon Durst wieder erwähnen *g* Hat der inzwischen eine Rezi zu deinem Buch geschrieben Simifilm? Hatte er jedenfalls vor, als ich mal mit ihm gemailt habe.)
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#275
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 12:56
undSimifilm:
"Die Verwandlung" täuscht sowohl auf fiktionaler Ebene - der erzählten Welt - als auch auf narrativer - wie wird erzählt - etwas vor, was nicht ist. Auf den ersten Blick scheint vorzuliegen, was Todorov für reine Phantastik verlangt, eine klassisch erzählte, vorderhand realitätskompatible Welt.
Vielleicht verstehe ich dich ja falsch, aber ich glaube, du irrst. Nicht in der Einordnung von "Die Verwandlung" ins Wunderbare, sondern darin, dass Todorov es anders gesehen hätte.Simifilm:
Ob es nun Phantastik ist oder nicht, es ist nicht erstaunlich, dass Todorov an dem Text scheitert, denn er passt eben überhaupt nicht in sein Raster. Erstaunlich ist eigentlich nur, dass er nicht merkt, warum dem so ist.
Er selbst beginnt seine Analyse nach längeren Zitaten da mit:
"Wenn wir an diese Erzählung ["Die Verwandlung"] mit den Kategorien herangehen, die wir zuvor erarbeitet
haben, stellen wir fest, daß sie sich von den traditionellen fantastischen Geschichten stark unterscheidet." (S. 152)
Vielleicht ist es noch eine nicht traditionelle aber dennoch fantastische Geschichte?
Todorov weiter:
"In Die Verwandlung handelt es sich hingegen sehr wohl um ein schockierendes, unmögliches Ereignis, was paradoxerweise jedoch am Ende möglich wird. In diesem Sinne beruhen Kafkas Erzählungen gleichzeitig auf dem Wunderbaren und dem Unheimlichen, sie sind die Koinzidenz der beiden offensichtlich unvereinbaren Gattungen. Das Übernatürliche ist nicht von der Hand zu weisen und hört doch nicht auf, uns unannehmbar zu erscheinen." (S. 153)
Damit scheint es zwar ähnlich wie eine fantastische Geschichte, ist es aber nicht: Das Übernatürliche ist nicht von der Hand zu weisen. Folglich ist es nach Todorovs Schema zum Wunderbaren gehörig.
Und so ordnet Todorov sie auch explizit in der Inhaltsangabe am Kapitelanfang ein:
" - Die wunderbare Erzählung im 20. Jahrhundert: Die Verwandlung - " (S. 140)
Ob sein Raster nun zu grob ist oder nicht steht auf einem anderen Blatt - einordnen kann er die Geschichte relativ unproblematisch, zumal wenn man die narrativen Ebene, die mir in erster Linie für die Verwirrung verantwortlich zu sein scheint, richtig angeht.
Theophagos
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
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#276
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 13:10
Diese Passage markiert für mich ein klares Scheitern: Wenn Todorov sagt, dass "die Verwandlung" gleichzeitig dem Wunderbaren und dem Unheimlichen angehört, dann zerstört er damit sein eigenes Modell. Er pocht im Laufe seiner Abhandlung immer wieder darauf, dass Gattungen fixe Grenzen haben, dass ein Text entweder wunderbar, unheimlich, phantastisch, phantastisch-wunderbar oder phantastisch-unheimlich ist. Vermischungen werden explizit ausgeschlossen. Wenn er diese Prämisse nun für "die Verwandlung" begraben muss, dann ist das in meinen Augen ein Scheitern.und
Vielleicht verstehe ich dich ja falsch, aber ich glaube, du irrst. Nicht in der Einordnung von "Die Verwandlung" ins Wunderbare, sondern darin, dass Todorov es anders gesehen hätte.
Er selbst beginnt seine Analyse nach längeren Zitaten da mit:
"Wenn wir an diese Erzählung ["Die Verwandlung"] mit den Kategorien herangehen, die wir zuvor erarbeitet
haben, stellen wir fest, daß sie sich von den traditionellen fantastischen Geschichten stark unterscheidet." (S. 152)
Vielleicht ist es noch eine nicht traditionelle aber dennoch fantastische Geschichte?
Todorov weiter:
"In Die Verwandlung handelt es sich hingegen sehr wohl um ein schockierendes, unmögliches Ereignis, was paradoxerweise jedoch am Ende möglich wird. In diesem Sinne beruhen Kafkas Erzählungen gleichzeitig auf dem Wunderbaren und dem Unheimlichen, sie sind die Koinzidenz der beiden offensichtlich unvereinbaren Gattungen. Das Übernatürliche ist nicht von der Hand zu weisen und hört doch nicht auf, uns unannehmbar zu erscheinen." (S. 153)
Todorov sieht , dass "die Verwandlung" zum Wunderbaren gehört, das stimmt. Aber das ist auch ziemlich offensichtlich. Er merkt auch, dass seine bisherigen Kategorien an dem Text versagen, aber der Schluss, den er daraus zieht - Wunderbares und Unheimliches zugleich -Â ist in meinen Augen auf jeden Fall falsch.Damit scheint es zwar ähnlich wie eine fantastische Geschichte, ist es aber nicht: Das Übernatürliche ist nicht von der Hand zu weisen. Folglich ist es nach Todorovs Schema zum Wunderbaren gehörig.
Und so ordnet Todorov sie auch explizit in der Inhaltsangabe am Kapitelanfang ein:
" - Die wunderbare Erzählung im 20. Jahrhundert: Die Verwandlung - " (S. 140)
Ob sein Raster nun zu grob ist oder nicht steht auf einem anderen Blatt - einordnen kann er die Geschichte relativ unproblematisch, zumal wenn man die narrativen Ebene, die mir in erster Linie für die Verwirrung verantwortlich zu sein scheint, richtig angeht.
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#277
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 16:11
Dass er auf fixe Grenzen pocht, kann ich aus dem Text nicht herauslesen; in der ganzen Einleitung, in der er sich ja mit Gattungen befasst, kann ich kein Beispiel für dafür finden, dass er explizit sagt: Jedes Werk muss genau einer Gattung angehören. Tatsächlich fand ich folgenden Satz: "Ein Werk kann z. B. mehrere Kategorien, mehrere Gattungen manifestieren." (S. 23) Zweifellos ist Todorov nicht glücklich darüber, aber er streitet Gattungsdoppelungen nicht ab. Doch es scheint sich bei solchen Werken um Ausnahmeerscheinungen zu handeln, wie eben "Die Verwandlung" oder "Burning Court": "Man muß sich jedoch vor Augen halten, daß es sich letztlich nicht so sehr um eine Ähnlichkeit zwischen zwei Gattungen als vielmehr um ihre Synthese handelt." (S. 49) Ich will sein Schema nicht über Gebühr verteidigen; z. B. seine Ausführungen zum Wunderbaren halte ich nur für begrenzt hilfreich. TheohpagosSimifilm: Er pocht im Laufe seiner Abhandlung immer wieder darauf, dass Gattungen fixe Grenzen haben, dass ein Text entweder wunderbar, unheimlich, phantastisch, phantastisch-wunderbar oder phantastisch-unheimlich ist. Vermischungen werden explizit ausgeschlossen.
Bearbeitet von Theophagos, 30 Dezember 2007 - 16:16.
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#278
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 17:27
In Bezug auf Phantastik und angrenzende Gattungen ist Todorov sehr klar (das zeigt auch seine Grafik auf S. 43): Ein Text ist unvermischt unheimlich, phantastisch-unheimlich, reine Phantastik, phantastisch-wunderbar oder unvermischt wunderbar - da gibt es keine Zwischenstufen. Das Problem bei Todorov ist ja, dass sich ihm nur folgende Frage stellt: Wir haben ein potenziell phantastisches oder wunderbares Ereignis - wie wird das nun am Ende aufgelöst? In diesem Raster sind Vermischungen nicht möglich. Wenn es nicht aufgelöst wird, dann ist es phantastisch, wenn es aufgelöst wird, ist es - je nach Auflösung - phantastisch-unheimlich oder phantastisch-wunderbar.Dass er auf fixe Grenzen pocht, kann ich aus dem Text nicht herauslesen; in der ganzen Einleitung, in der er sich ja mit Gattungen befasst, kann ich kein Beispiel für dafür finden, dass er explizit sagt: Jedes Werk muss genau einer Gattung angehören.
Tatsächlich fand ich folgenden Satz:
"Ein Werk kann z. B. mehrere Kategorien, mehrere Gattungen manifestieren." (S. 23)
Zweifellos ist Todorov nicht glücklich darüber, aber er streitet Gattungsdoppelungen nicht ab. Doch es scheint sich bei solchen Werken um Ausnahmeerscheinungen zu handeln, wie eben "Die Verwandlung" oder "Burning Court":
"Man muß sich jedoch vor Augen halten, daß es sich letztlich nicht so sehr um eine Ähnlichkeit zwischen zwei Gattungen als vielmehr um ihre Synthese handelt." (S. 49)
Ich will sein Schema nicht über Gebühr verteidigen; z. B. seine Ausführungen zum Wunderbaren halte ich nur für begrenzt hilfreich.
In diesem Sinne gibt es eben keine Mischformen, da für die Gattung ja nur der Endzustand entscheidend ist: aufgelöst oder nicht - und wenn ja, in welche Richtung? Durst wendet hier zurecht ein, dass ja durchaus komplexere Varianten möglich sind, dass mehrfache Wechsel in der Auflösung möglich sind (deshalb entwirft ja auch ein ganzes "Notationssystem", mittels dessen sich solche Abläufe darstellen lassen). In diesem Sinne kann Wunderbares und Unheimliches bei Todorov auch nicht zusammenfallen, denn entweder ist die Auflösung wunderbar oder nicht.
Todorov sagt ja auch selbst in dem von Dir aufgeführten Zitat, dass Unheimliches und Wunderbares eigentlich unvereinbar sind. Natürlich verstehe ich schon, warum er bei der Verwandlung sagt, dass die beiden Dinge hier zusammenfallen, weil sich hier das Wunderbare quasi "realistisch anfühlt", aber damit macht er ja nur die Probleme seines Ansatzes deutlicher:
- Er unterscheidet nicht wirklich zwischen formalen und fiktionalen/inhaltlichen Kriterien. Dass also - wie bei der Verwandlung - eine an sich wunderbare Welt gewissermassen "pseudo-realistisch" erzählt werden kann, ist nicht vorgesehen.
- Er macht keinen Bezug zur ausserliterarischen Welt. Wenn er schreibt "In Die Verwandlung handelt es sich hingegen sehr wohl um ein schockierendes, unmögliches Ereignis", dann stimmt das nur in Bezug auf den Leser. Von den Figuren der Erzählung reagiert keine schockiert. Zwar sind weder Gregor noch seine Familie sonderlich glücklich über die Verwandlung, aber schockiert reagieren sie nicht. Ich plädiere hier keineswegs für einen plumpen Realismus, aber die unterschiedliche Reaktionen von Leser und Figuren lassen sich nur damit erklären, dass in der Erzählung ein anderes Weltbild vorherrscht als in der Welt des Lesers; was für Letzteren ein Bruch in der Weltordnung ist, ist für die Figuren nur eine Unannehmlichkeit.
- Dass Du bzw. Todorov sagst, dass es hier nur um Ausnahmefälle geht, macht wiederum die Probleme seines Gattungsbegriffs deutlich, der eben - auch wenn er vorderhand systematische und historische Gattung unterscheidet - ein rein systematischer ist. Ich habe diesbezüglich keine empirische Studie durchgeführt, aber das Problem ist, dass die "reinen" Beispiele, die seiner Definition wirklich entsprechen, dünn gesät sind. Ich bin nicht mal sicher, ob die Verwandlung ein solcher Ausnahmefall ist. Nach meinem Dafürhalten ist die reine Phantastik viel eher ein Ausnahmefall.
Nicht ganz zufällig erwähnt Todorov SF nur in einer Fussnote, denn hier haben wir in seinem Verständnis eine dauernde Durchmischung von Wunderbarem und Unheimlichem, denn die wunderbaren Elemente der SF werden ja - und darin gibt es durchaus Parallelen zur Verwandlung - nicht als Bruch der Weltordnung dargestellt. Ich will damit keinesfalls sagen, dass die Verwandlung SF ist, aber in der Art und Weise wie das Wunderbare bei Kafka und der SF eingeführt wird, gibt es durchaus Parallelen. Es ist einfach da und niemand regt sich gross darüber auf.
simifilm
Bearbeitet von simifilm, 30 Dezember 2007 - 17:33.
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#279
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 18:11
Das halte ich für einen ernsthaften Mangel von Todorovs Schema. So, Essen wird kalt, vielleicht später mehr. TheophagosSimifilm: - Er unterscheidet nicht wirklich zwischen formalen und fiktionalen/inhaltlichen Kriterien. Dass also - wie bei der Verwandlung - eine an sich wunderbare Welt gewissermassen "pseudo-realistisch" erzählt werden kann, ist nicht vorgesehen.
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
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#280
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 19:30
Ist immer noch nicht klargeworden, daß Tododrov ein Dummschnacker ist ? Dieses absolutistische Schubladendenken war doch schon vor 30 Jahren überholt. Ihr befasst euch hier mit Kunst, mit Literatur - nicht mit Wissenschaften. Weder ist in diesem Bereich eine absolut gültige Definition möglich, noch ist die Zuordnung eines Werks in eine irgendwie geartete Schublade zeitlich stabil. Von daher ist der hier diskutierte Phantastik-Begriff irrelevant.Das halte ich für einen ernsthaften Mangel von Todorovs Schema.
#281
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 20:48
Wenn Du Dir diesen Thread ansiehst, wirst Du sehen, dass ich zwischendurch ziemlich viel Zeit mit der Verteidigung von Todorovs Modell verbracht habe. Ich glaube, wir sehen die Sache grundsätzlich ähnlich: Wir sehen beide grosse Mängel in seinem Modell, allerdings lohnt sich eine genauere Analyse, was und warum bei ihm alles nicht aufgeht, dadurch wurde zumindest mir einiges klarer. Obwohl ich am Ende nur noch wenig von Todorov übernommen habe, ist ein grosser Teil der theoretischen Basis meines Buches in der Auseinandersetzung mit seinem Modell entstanden. Dursts Ansatz halte ich nicht zuletzt wegen seinem fast schon religiösen Beharren auf strukturalistischen Prämissen für problematisch. Ich glaube nicht, dass Dinge wie Phantastik oder SF ganz ohne Rückgriff auf die aussertextliche Wirklichkeit behandelt werden können.Also zunächst einmal - um Missverständnissen vorzubeugen - es geht mir nicht um eine Rehabilitierung/Apologie/was auch immer von Todorovs Schema, sondern um dessen Verständnis. Ich bin der Ansicht, dass Dursts Ansatz die Probleme wesentlich besser angeht als Todorovs und auch bei Durst geht nicht alles auf (zumindest in den älteren Auflagen; die überarbeitete, 2007 erschienene habe ich noch nicht ansehen können).
Ok, man kann das auch Mischformen nennen. Um was es mir ging, ist, dass Todorov letztlich eben von starren Gattungen ausgeht. Du kannst das Phantastisch-Wunderbare von mir aus als Mischform betrachten, aber auch hier gilt wieder: Entweder ein Text gehört dazu oder nicht. Der Text enthält im Verständnis Todorovs nicht Elemente verschiedener Textsorten, sondern es gibt ein klares Kriterium, das das Phantastisch-Wunderbare definiert. Ob die wunderbare Aufklärung nach drei oder 300 Seiten erfolgt, ist egal. Ob den ganzen Text hindurch von Feen und Elfen die Rede ist oder nur ganz am Ende - das alles spielt keine Rolle; ein Text wird dadurch nicht mehr oder weniger wunderbar. Es gibt das Phantastische, das phantastisch-Wunderbare und das Wunderbare und dazwischen keine Schattierungen. Das meine ich mit den starren Gattungen. Es gibt nur das Eine oder das Andere, und zumindest die Vermischung von Wunderbarem und Unheimlichem ist so nicht vorgesehen (Plakatives Beispiel: Wenn am Lord of the Rings am Ende noch den Satz hätte "Und dann wachte Frodo aus seinem Schlaf auf und schaltete den Fernsehapparat an", dann würde aus Wunderbarem plötzlich Phantastisch-Unheimliches, obwohl für jeden Leser klar der Eindruck des Wunderbaren dominiert).Zur Vermischung: Nach meinem Verständnis sind die Untergattungen, die den Übergang zwischen dem Unheimlichen bzw. dem Wunderbaren und dem Fantastischem darstellen, schon Mischformen. Nun bieten sich diese Mischformen an, sie treten sogar häufiger auf als das unvermischt Fantastische. Die Vermischung von Unheimlichen und Wunderbarem bietet sich nicht so sehr an; sie ist daher seltener. Vermutlich ist sie immer noch häufiger als das unvermischt Fantastische, vor allem wenn man die Werke des "magischen Realismus" so deutet. Aber das ist kein Argument, was ein Schema scheitern lässt, sondern spricht nur gegen dessen häufiger Anwendbarkeit.
Ich habe mir vorhin auf dem Weg ins Kino gerade noch durch den Kopf gehen lassen, was ich zur Verwandlung und SF geschrieben habe. Mach einmal folgenden Versuch: Ersetze in der Erzählung "Käfer/Insekt" durch "schleimiges Alien von Betegeuze II". Auf einmal ist die Erzählung einiges weniger rätselhaft und verstörend (funktioniert auch, wenn Du stattdessen "verwunschener Elf" nimmst). Im Gegensatz zum Käfer haben diese Ersatz-Viecher jeweils eine klar wunderbare Konnotation, damit wird die ganze Erzählung eindeutig wunderbar - auch ohne weitere Erklärung. Oder vielmehr: Sie wird nicht wunderbar, denn das ist sie ja schon, sondern ihr wunderbarer Charakter tritt dann offen zur Schau. Der Käfer dagegen kann nicht spontan wunderbaren Gefilden zugeordnet werden und wird auch in seinem wunderbaren Charakter nicht weiter thematisiert; das macht die Sache so vertrackt.
Ein interessanter und wichtiger Beitrag, der die Diskussion entschieden voranbringt. Falls Dich das Thema des Threads nicht interessiert, lies ihn nicht.Ist immer noch nicht klargeworden, daß Tododrov ein Dummschnacker ist ?
Dieses absolutistische Schubladendenken war doch schon vor 30 Jahren überholt.
Es soll ja sogar Wissenschaften geben, die sich mit Kunst und Literatur befassen ...Ihr befasst euch hier mit Kunst, mit Literatur - nicht mit Wissenschaften.
Auch die Diskussion eines fehlerhaften Modells kann aufschlussreich sein; dazu muss man aber erst einmal bereit sein, sich damit auseinanderzusetzen.Weder ist in diesem Bereich eine absolut gültige Definition möglich, noch ist die Zuordnung eines Werks in eine irgendwie geartete Schublade zeitlich stabil.
Von daher ist der hier diskutierte Phantastik-Begriff irrelevant.
Bearbeitet von simifilm, 30 Dezember 2007 - 21:13.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
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#282
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 22:35
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#283
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 22:56
Da bin ich nun mal wieder nicht einig, denn 'ungeheuer' verstehe ich hier nicht im Sinne von 'wunderbar', sondern einfach als 'riesengross'. Nun ist ein riesengrosser Käfer - im Gegensatz zu einem normalgrossen - natürlich schon etwas Wunderbares, aber das ist, wenn ich Dich recht verstehe, nicht das, was Du meinst. Oder meinst Du, die Geschichte wäre weniger wunderbar markiert, wenn Gregor als normalgrosser Käfer aufwachen würde?@Simi: Entweder Du bist entspannter, oder ich hab einen guten Tag. Deine letzten Beiträge hier sind gülden! Kleiner ergänzender Vorschlag zu dem feinen Gedankenspiel des Ersetztens von »Käfer« durch »Ailen«. Schon bei Kafka ist es eben nicht ein der faktischen Wirklichkeit gemäßes ›Insekt‹ oder ›Käfer‹, sondern ein ›ungeheueres Ungeziefer‹. Da kann man ›Ungeziefer / Insekt / Käfer‹ sogar durch ›Hase‹ oder ›Katze‹ ersetzten und es trotzdem wäre gleich von Beginn wundersam. Wegen des ›ungeheuren‹ eben. ›Alien‹ oder ›Elf‹ wäre da nur noch eine mögliche Steigerung, weil beides eben noch nicht zum offiziell akzeptierten Fakten-Teil der Kulturellen Enzyklopädie gehört (also als Bezeichnung von etwas, was es tatsächlich gibt: Glaube an Elfen ist eine arge Minderheitenmeinung, und Aliens gibts zwar hypothetischer Wahrscheinlichkeit nach, aber bestätigt, also visitenkartlich vorgestellt, haben sich die Aliens noch nicht). Grüße Alex / molo
Bearbeitet von simifilm, 30 Dezember 2007 - 23:01.
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#284
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 23:07
Bearbeitet von molosovsky, 30 Dezember 2007 - 23:10.
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#285
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 23:17
Widersprich nur, gar nichts dagegen.Oh, ich wollte nicht wiedersprechen, Simi.
Seh ich ähnlich: Die Verwandlung ist an sich schon seltsam genug, ob das nun ein grosser oder kleiner Käfer ist, macht nur wenig aus. Wahrscheinlich hat der grosse Käfer einfach noch eine höhere Ekel-Faszination.Wenn A sich in B verwandelt, ist das schon mal etwas faszinierendes, egal obs da mit rechten Dingen zugeht oder nicht. Gregor verwandelt sich in ein ›ungeheures Geziefer‹ und genauer, wie wir ja im weiteren Kafka-Text erfahren, in einen ungeheulich großen Käfer. Ein ungeheuerlich großer Käfer ist nun mal etwas ›unnormaleres‹ ja wundersameres, als ein normal großer Käfer. Dann aber wieder: ein Mensch der sich in einen normalgroßen Käfer verwandelt ... auch kein Marker für ne realitische Story. Das ›ungeheuerlich‹ ist wiederum ›nur‹ ein Übertreibungs-Verstärker. Wie mans dreht und wendet: »Die Verwandlung« ist von Beginn weg phantastisch-übertrieben, weil sich Menschen nun mal nicht wirklich in andere Lebensformen verwandeln (verkleiden und so-tun-als-ob usw. ist ja was anderes ). Was eben neben der ungeheuerlichen Anfangssituation verwundert/irritiert, ist das detailierte Weitertreiben der Situation, bzw. Pointen.
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#286
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 23:21
Bearbeitet von Robin, 30 Dezember 2007 - 23:28.
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#287
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 23:31
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#288
Geschrieben 30 Dezember 2007 - 23:43
Na klar ist KRITIK an Todorov berechtigt. Genauso wie an Theorien von anderen Wissenschaftlern. In Diskussionen bezeichne ich Todorovs Ideen auch gerne mal als kalt (habe ich oben schon oder?). Da fehlt was. Mit seinen Modellen scheitert er ja auch und ist damit überholt. Aber er bildet ein gutes Fundament für weitere Arbeiten. Das sieht man an Arbeiten wie von Simifilm und Uwe Durst. Beide Werke können ebenfalls kritisiert werden, aber sie sind besser als Todorov...a3kHHs Aufreger gegen Todorov ist voll berechtigt,
Niemand will ihn verjagen, aber wenn man in einer Diskussion sagt: UNSINN Dann sollte man auch Argumente vorbringen oder? Sonst kommen sich die anderen Teilnehmer düpiert vor.(huhu a3kHH, also nicht verschrecken lassen!!!),
Das trifft es eigentlich ganz gut.aber dennoch kann man mit Todorov (oder besser: über ihn hinweg) auf Dinge draufkommen.
Ist halt blöd. Wenn man das studiert, muss man manchmal "zerpflücken". Aber man zerstört durch das Zerpflücken meiner Meinung ja nicht unbedingt etwas. Bei mir steigt mit jeder Facette die ich in einem Text finde, die Bewunderung und Begeisterung. Natürlich liest sich für mich heute ein Star Trek Roman völlig anders als mit 15 Jahren. (Das Sense of Wonder Problem). Aber ich behaupte einfach, es gibt Texte die verlieren nie völlig diesen Effekt.@Robin: Tja, wer die Gefahr nicht eingehen will, sollte das Zerpflücken lassen. Man denke an das Carl Dernham-Syndrom: Gut darin zu sein, das was man liebt zu zerstören (siehe »Kign Kong«).
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#289
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 00:50
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
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#290
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 07:48
Tada!Na klar ist KRITIK an Todorov berechtigt. Genauso wie an Theorien von anderen Wissenschaftlern. In Diskussionen bezeichne ich Todorovs Ideen auch gerne mal als kalt (habe ich oben schon oder?). Da fehlt was. Mit seinen Modellen scheitert er ja auch und ist damit überholt. Aber er bildet ein gutes Fundament für weitere Arbeiten. Das sieht man an Arbeiten wie von Simifilm und Uwe Durst. Beide Werke können ebenfalls kritisiert werden, aber sie sind besser als Todorov...
Von "zerstören" kann in meinen Augen keine Rede sein. Natürlich gibt es viele belanglose und auch dumme Analysem, und das systematische Analysieren eines Textes mag nicht jedermanns Sache sein, aber das schmälert den Genuss überhaupt nicht. Ich werde immer wieder gefragt "Kannst Du den Filme überhaupt noch geniessen?", und eigentlich weiss ich gar nicht, was ich da antworten soll. Natürlich kann ich es, wäre ja schlimm, wenn ich mich als Kritiker und Wissenschaftler betätigen würde und keine Freude an meinem Gegenstand hätte. Die Tatsache, dass bei mir beim Schauen eines Films die Analysemaschinerie quasi von selbst mitläuft, schmälert den Genuss überhaupt nicht, eher im Gegenteil.Ist halt blöd. Wenn man das studiert, muss man manchmal "zerpflücken". Aber man zerstört durch das Zerpflücken meiner Meinung ja nicht unbedingt etwas. Bei mir steigt mit jeder Facette die ich in einem Text finde, die Bewunderung und Begeisterung. Natürlich liest sich für mich heute ein Star Trek Roman völlig anders als mit 15 Jahren. (Das Sense of Wonder Problem). Aber ich behaupte einfach, es gibt Texte die verlieren nie völlig diesen Effekt.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
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#291
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 08:00
Okay, dann einigen wir uns drauf, dass es bei Todorovs Vermischungen keine Angabe des Mischverhältnisses gibt. Darauf wollte ich hinauf, es gibt jeweils eine Zwischenstufe, die aber keine Nuancierung erlaubt, dabei scheint es mir für das Funktionieren eines Textes wesentlich, wann eine allfällige Auflösung erfolgt. Es gibt ja beispielsweise viele phantastisch-wunderbare Filme im Stile von "Invasion von Body Snatcher": Zu Beginn glaubt keine Figur an Ausserirdische, aber irgendwann - ca. nach der Hälfte des Films - weiss zumindest der Protagonist die Wahrheit. Das ist in meinen Augen etwas Anderes als beispielsweise "6. Sense" oder "The Others", die diese Unsicherheit erst ganz am Ende auflösen.Okay... Nochmal zu der Vermischung. Ich glaube, es macht schon eine Unterschied. Wenn das Fantastisch-Wunderbare eine Mischung aus Fantastischem und Wunderbarem ist, dann ist es ein Stück weit Fantastisch und ein Stück weit Wunderbar. Seinem Schema fehlt dann die Ausnahmekategorie: Unheimlich-Wunderbar.
Wunderbar wird's ja auch mit dem Wurzelwicht. Grundsätzlich ist ja jede Verwandlung wunderbar; die unterschiedlichen Verwandlungen sind einfach unterschiedlich konnotiert. Wenn da ein Vampir wäre, wäre es erstmal nicht SF; aber auch das liesse sich ändern, wenn eine wissenschaftliche Erklärung für Vampirismus nachgeschoben würde (geschieht beispielsweise in "I Am Legend"). Das Hinterhältige bei Kafka ist, dass dies anscheinend eine wunderbare Welt ist, dass dies aber einzig und allein durch die Verwandlung markiert wird. Wenn die Figuren lange pseudo-wissenschaftliche Dialoge führen würden, was denn diese Verwandlung ausgelöst hat, wären wir wieder in der SF. Wenn jemand ausrufen würde "Das hat die Hexe Krummnase aus Rache gemacht", wären wir im Märchen. All das fehlt, alle übrigen Markierungen -Â der Schauplatz, die Figuren - haben realistische Konnotation. (Ich bin nicht ganz sicher, was Du in diesem Teil mit "narrativer Ebene" meinst? Den dramaturgischen Aufbau oder die Art und Weise, wie erzählt wird?).Zur Ersetzung. Ich bin mir irgendwie unsicher, worauf ich hinaus will, bin mit der Ersetzung aber nicht zufrieden. Wenn ich statt "Käfer" "Wurzelwicht" nehme, dann wird es komisch, wenn ich statt "Käfer" "Tentakelalien" nehme, dann wird es wunderbar, wenn ich statt "Käfer" "Krüppel" nehme, dann wird es noch rätselhafter, vielleicht sogar fantastisch im todorovschen Sinne. Dabei ist das Wunder immer dasselbe - am Morgen wacht ein Mann auf und stellt fest, dass er verwandelt wurde. Auf der fiktionalen Ebene ist es immer das Gleiche, aber gilt das auch für die narrative Ebene? Mir scheint das nicht so. (Das "scheint" ist mit bedacht gewählt.)
Dass ein grosser Käfer wirkungsvoller ist, denke ich auch, das habe ich mit "Ekel-Faszination" gemeint. Ich glaube aber nicht, dass der grosse Käfer so viel wunderbarer ist. Auch die Verwandlung in einen normalgrossen Käfer wäre schon rätselhaft genug, die Reaktionen der Umwelt wären einfach anders. Sie würden wahrscheinlich gar nicht mehr merken, dass sich Gregor verwandelt hat.Zur Größe des Käfers. Ich glaube, dass die Größe schon wichtig ist - von ihr hängt der "Grotesk!-Faktor" ab (meine ich). Wenn der Käfer nur käfergroß ist, dann fehlt ihm an "Kraft". Wenn er - sagen wir mal - elefantengroß wäre, dann wäre es alberner. Der Käfer muss schon deutlich größer, aber auch nicht übergroß sein; irgendwas zwischen Schreibmaschine und Mensch.
Bearbeitet von simifilm, 31 Dezember 2007 - 08:01.
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#292
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 10:03
Verschrecken ? Ich bin jetzt wach geworden !a3kHHs Aufreger gegen Todorov ist voll berechtigt, (huhu a3kHH, also nicht verschrecken lassen!!!), aber dennoch kann man mit Todorov (oder besser: über ihn hinweg) auf Dinge draufkommen.
#293
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 10:30
Aus dem gleichen Grund, warum man 1933 hätte aktiv werden müssen ? Damit nicht irgendjemand unbemerkt von den meisten anderen eine "Wahrheit" aufbaut, nach der sich dann plötzlich der Rest der Welt richten muß ? Sorry, wenn das etwas hart rüberkommt, ich will hier keinerlei Parallellen ziehen.Das erinnert mich leider immer wieder an eine Szene in einem Seminar in der sich ein Student aufregte, man könne doch nicht die Schönheit des Textes zerstören indem man ihn zerpflückt. Warum er dann in dem (freiwilligen) Seminar saß war aber nicht herauszufinden.
Regelmäßigkeiten. Von Literatur. Seeehr interessant. Wer hat Dir denn diesen Käse erzählt ? Es gibt ein paar Grundfertigkeiten, die zum Schreiber-Handwerk gehören. Etwa auf dem Niveau "Einen Nagel in die Wand zu schlagen". Diese muß man kennen (und können) um mindestens Trivialliteratur zu schreiben. Mehr Regeln gibt es nicht. Und große Autoren verstoßen mit Begeisterung dagegen. Warum Dir der eine Text gefällt und der andere nicht ? Das ist ganz allein Dein persönlicher Geschmack, geprägt durch Dein Umfeld / Deine Erziehung (im weitesten Sinne). Erklären kannst nur Du dies Dir selber gegenüber, jeder andere hat dazu eine von Dir abweichende Meinung, die ebenfalls von seiner persönlichen Warte geprägt ist. Ein Konsens bezüglich irgendeines literarischen (oder auch jedes anderen künstlerischen) Werks ist immer ein Minimalkonsens einer Gruppe. Wobei sich diese gegenseitigen Verständnisse verschiedener Gruppen deutlichst unterscheiden können. Dabei hilft Dir irgendein Möchtegern-Wissenschaftler, der subjektive Erfahrungen als objektive Werte verkauft, in keinster Weise. Im Gegenteil, er gaukelt Dir einen Werte-Kanon vor, den Du nicht teilst und der Deinem ureigenstem Lesevergnügen sozusagen Scheuklappen aufsetzt.Texten haften nunmal Regelhaftigkeiten an die man erforschen kann. Ich will doch wissen warum der Text A mir gefällt und Text B als schlecht gilt usw. Übrig bleibt daneben immer ein Bereich der ungeklärt bleibt (zum Ärger der Strukturalisten). Nennen wir es ruhig mal Sense of Wonder. Aber die Ablehnung von a3kHH ist natürlich seltsam... lassen wir es dabei.
#294
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 10:33
Wissenschaften ? Oder Meinungen / Ansichten / Wertemodelle ?Es soll ja sogar Wissenschaften geben, die sich mit Kunst und Literatur befassen ...
#295
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 10:43
Falls Du eine grundsätzliche Diskussion zum Wert von Geisteswissenschaften führen willst, möchte ich Dich höflich bitten, das an einem anderen Ort zu tun. Denn zumindest mich langweilt diese Diskussion zu Tode. Deine letzten Posts zeigen mir, dass Du gar nicht mit Todorov im Speziellen, sondern mit Literaturwissenschaft im Allgemeinen ein Problem hast (denn die Regelmässigkeiten, von denen Robin sprach, haben weder etwas mit Handwerk in Deinem Sinne, noch mit Geschmack zu tun). Wenn Du ein Problem mit Literaturwissenschaft hast, dann sei Dir das unbenommen, ich möchte Dich einfach bitten, uns damit in diesem Thread nicht zu behelligen. Danke. SimifilmWissenschaften ? Oder Meinungen / Ansichten / Wertemodelle ?
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#296
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 10:43
Nö. Jeder geschriebene Text steht im Kontext seiner Epoche. Wenn dieser Kontext durch den zeitlichen Abstand verlorengeht, wird auch das literarische Werk unwichtig und es liest sich einfach schlecht. Dies kann man sehr schön an der beginnenden Irrelevanz von Lenz, an der überholten Sprache von Goethe, an der (heutigen !) Unwichtigkeit von Schillers "Räubern" sehen. Bei Serien-Langläufern imSF-Bereich sieht man dies noch besser : Die Texte des letzten Dezenniums haben sich heute bereits überholt, obwohl sie damals ein Nonplusultra darstellten.Natürlich liest sich für mich heute ein Star Trek Roman völlig anders als mit 15 Jahren. (Das Sense of Wonder Problem). Aber ich behaupte einfach, es gibt Texte die verlieren nie völlig diesen Effekt.
#297
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 10:52
Bearbeitet von Klaus Kunze, 31 Dezember 2007 - 10:58.
#298
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 10:52
Ein Modell mit starren Schubladen ist unwichtig, da per se falsch. Sollte es allgemeiner Konsens werden, ist die Reaktion der Schriftsteller darauf bereits vorprogrammiert : Sie werden ihr bestes geben, um dieses Korsett zu durchbrechen. Und damit das Modell ad absurdum zu führen. Dies ist kein Novum, jeder, der sich mit Literatur oder Kunst beschäftigt, kennt dies aus der Vergangenheit. Die Diskussion hier zeigt auch genau dieses. Es gibt also keine fixen Etiketten, die man einem Kunstwerk aufdrücken kann. Das einzige, das machbar ist, ist die Definition von Fixpunkten. Und die Erkenntnis, das sich jedes Kunstwerk irgendwo ZWISCHEN diesen Fixpunkten bewegt. (Und das ist, meines Wissens nach, auch schon ein alter Hut.)Auch die Diskussion eines fehlerhaften Modells kann aufschlussreich sein; dazu muss man aber erst einmal bereit sein, sich damit auseinanderzusetzen.
#299
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 11:04
Das ist aber eine rein persönliche Sichtweise, die in keinster Art und Weise objektivierbar ist. Ganz davon abgesehen : Ist nicht genau das Gegenteil richtig ? Ich meine, kann man nicht nur Strukturen, die einem nicht gefallen, identifizieren ? Ich weiss zum Beispiel sehr gut, warum ich Thomas Mann ablehne, während ich nur ein diffuses Gefühl dafür habe, warum ich Heinrich Mann gut finde.Nehmen wir mal die SF: Da gibt es durchaus feststellbare "Regelhaftigkeiten", die man erkennen kann, so daß man anschließend nicht nur weiß, was gefällt, sondern auch, warum es gefällt.
Und gerade Heinlein & Dick (zwei meiner Lieblingsautoren) bestätigen das oben geschriebene. Während Dick (für mich) immer lesbar ist, unabhängig von der Periode, in der der Roman geschrieben wurde, habe ich aufgehört Heinlein zu lesen, als seine Dirty-Old-Man-Phase überhand nahm. Wo ist da die "Regel" ?
#300
Geschrieben 31 Dezember 2007 - 11:25
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