Phantastik-Begriff
#331
Geschrieben 01 Januar 2008 - 16:01
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
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#332
Geschrieben 01 Januar 2008 - 16:10
Das läßt sich auch nicht einfach ändern und liegt einfach an den Bedingungen des sogenannten Marktes. Um produziert werden und am Bahnhofskiosk ausliegen zu können, muß ein Buch nun mal aus Sicht des Verlagslektors den Anschein erwecken, den Bedürfnissen des durchschnittlichen (Massen...) "Konsumenten" zu entsprechen. Wo die Masse ist, herrscht nun mal der Durchschnitt. Leider entsteht dabei für den flüchtigen Betrachter der Eindruck (Irrtum?), es gebe keine gute SF mehr, sondern nur noch flachen xten Aufguß alter Ideen, Klischees, Stereotypen, halt nichts, das sich zu kaufen lohnt. Vielleicht kenne ich einfach nicht genug neue SF, die sich vielleicht lohnen würde, weil ich der Frage nicht intensiv nachgehe. Jedenfalls nehme ich mir lieber ein altes Buch von P. Anderson oder A.E. van Vogt mit in den Zug, als irgendeine Neuerscheinung, die bei flüchtigem Betrachten jedenfalls bei mir keine Neugierde weckt.@molo: Auch wenn ich die Sache ja grundsätzlich ähnlich sehe wie Du, ich glaube nicht, dass wir in irgendeiner Weise repräsentativ ist. Wenn Du Dir anschaust, in welchen Bereichen die Masse der produzierten Literatur (und Filme), zu Hause ist, dann ist das eben Massen- und/oder Serienware. Das gilt gerade auch für die SF und andere wunderbare Genres, die ja auch historisch in der Massenecke entstanden sind.
#333
Geschrieben 02 Januar 2008 - 09:09
"Alles Grundsätzliche" ? Definitiv nicht. "Grundsätzliches" ? Wohl schon. Aber nur, soweit es das Handwerk angeht. Und das ist auch gut so, ansonsten müsste man konstatieren, daß sich der Mensch zivilisatorisch in den letzten 2000 Jahren in keinster Art und Weise weiterentwickelt hat. Daß keine prinzipiellen narrativen Unterschiede zwischen der Odyssee und den Hamiltonschen Sternkönigen besteht, habe ich ja auch nie bestritten - aber genau das ist eine rein handwerkliche Sicht, die praktisch nichts mit den Inhalten zu tun hat. Denn da unterscheiden sich moderne Nachkriegstexte schon erheblich von älteren Werken, man betrachte nur den (mehr oder minder) literarisch verarbeiteten Pazifismusgedanken seit Anfang der 80er.Nimm mit Humor, daß mir zu Deiner Sicht der alten Literatur der freche Satz auf der Zunge liegt: "Gelesen, aber nicht verstanden." - Unauslöschlich Gelächter erhoben die seligen Götter, sang Homer. Sie hatten nämlich die nötige ironische Distanz zu allem, die vielen Leuten fehlt. Hinsichtlich des Repertoires an zwischenmenschlichen Problemen und an der Beziehung von Menschen zum Göttlichen (inklusive Transzendenten, Okkulten, Magischen, Phantastischen) findet sich im Fundus der altgriechischen Literatur und des Theaters alles Grundsätzliche, demgegenüber alle späteren Literaten nur Epigonen sind, die immer wieder dieselben Grundeinsichten neu und "zeitgemäß" entdeckten. Das gilt sogar für das Genre des ins Mythische greifenden Abenteueromans. Was Jason oder Odysseus erlebten, bildet keinen prinzipiellen narrativen Unterschied zum Weltraumhelden unserer Zeit.
#334
Geschrieben 02 Januar 2008 - 09:20
Die Klage, dass es keine gute SF mehr gibt, ist beinahe so alt wie das Genre selbst. Sie ist gewissermassen eine Grundkonstante der Fandiskussion.Das läßt sich auch nicht einfach ändern und liegt einfach an den Bedingungen des sogenannten Marktes. Um produziert werden und am Bahnhofskiosk ausliegen zu können, muß ein Buch nun mal aus Sicht des Verlagslektors den Anschein erwecken, den Bedürfnissen des durchschnittlichen (Massen...) "Konsumenten" zu entsprechen. Wo die Masse ist, herrscht nun mal der Durchschnitt.
Leider entsteht dabei für den flüchtigen Betrachter der Eindruck (Irrtum?), es gebe keine gute SF mehr, sondern nur noch flachen xten Aufguß alter Ideen, Klischees, Stereotypen, halt nichts, das sich zu kaufen lohnt.
Aber um vielleicht mal zum Thema zurückzukehren:
Die Unterscheidung verschiedener Arten des Bruches ist insofern interessant, als dass logische Brüche wohl am seltensten sind und sicher auch am schwierigsten zu handhaben. Damit will ich nicht sagen, dass es die nicht gibt, überhaupt nicht, aber die Standard-Horrorgeschichte funktioniert ja nach dem Prinzip: Etwas Unerklärliches geschieht, zu Beginn weigern sich alle, eine wunderbare Erklärung anzuerkennen, irgendwann wird sie dann akzeptiert. In diesem Raster kommen logische Widersprüche kaum vor. Gerade auch in der Fantasy und der SF muss das Wunderbare ja wiederum in sich konsistent sein. Ausserdem ist das Erzählen einer ganz und gar regellosen Welt eine schwierige Sache. Die Chance, dass der Leser frustriert aufgibt ist, gross. In einer fiktionalen Welt, in der alles passieren kann, kommt sich der Leser schnell verschaukelt vor.Geschenkt. Es ging mir nur darum, darauf hinzuweisen, dass die Frage nach der Art des Bruches (mit der westlich-wissenschaftlichen Weltanschauung) ihre Berechtigung hat bzw. haben kann - an einen mimetischen Roman diese Frage heranzutragen wäre zwecklos; dennoch hat er ja Qualitäten. Warum sollten nun phantastische Roman keine Qualitäten habe? Ich halte die Art des Bruchs aber auch für eine Qualität des phantastischen Romans, den man nicht per se unter dem Tisch fallen lassen sollte.
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#335
Geschrieben 02 Januar 2008 - 09:31
Das gab doch eine relativ einfache Abgrenzung zwischen konventioneller Literatur und Phantastik. Ich versuch' das 'mal, vielleicht können mich die Literaturtheoretiker hier verbessern / ergänzen. Ein literarisches Werk gehört zur Phantastik, wenn in diesem Werk etwas geschildert wird, daß außerhalb der Realität geschieht. Innerhalb der Phantastik gibt es weitere Differenzierungen wie etwa SF (naturwissenschaftliche Extrapolationen), Fantasy (Universen mit Magie), Wunderbares (hier trau' ich mich nicht an die Definition) und andere. Dabei sind dies meiner persönlichen Meinung nach keine (mehr oder minder) starren Schubladen, sondern eher Fixpunkte in einem mehrdimensionalem Gitternetz. Kein Roman entspricht genau diesem oder jenem, sondern liegt irgendwo zwischen den einzelnen "reinen Formen" im Koordinatenkreuz. Das ist nicht von mir, das hab' ich vor Jahrenden irgendwo gelesen. Ich weiss nur überhaupt nicht mehr, wo das war. Kann mir da 'mal irgendjemand auf die Sprünge helfen ?Ansonsten stimme ich Dir natürlich zu, wenn es um die Beknacktheit von regidem, starrem, hierarchischen Schubladendenken geht. Wie Simi lege ich also nahe: weniger Schwarz/Weiß-Überspitzerei würde Deine Position immuner machen. †” Beginn doch vielleicht neu und versuch mal, Deine Auffassung des »Phantastik-Begriffs« zu schildern.
#336
Geschrieben 02 Januar 2008 - 09:42
Als Serien-Fan finde ich Deine Meinung doof, da unangenehm. Ich befürchte allerdings, daß Du hier prinzipiell recht hast. Widersprechen möchte ich Dir allerdings bezüglich der "unpolitischen Aussage". Ist das nicht zu kurz gegriffen ? Ist nicht ein konservativer Geschmack bezüglich eigentlich innovativer Literatur auch ein Stück konservative Weltsicht und damit ein gewisses konservatives Politikverständnis ? Dies meine ich nicht wertend, sondern einfach im Sinne einer Standortbestimmung.Dass gerade die Leser von Genre-Literatur (im Sinne von koventionalisierter Massenliteratur) konservativ sind, ist nichts Neues. Wer seit 40 Jahren Perry Rhodan liest, tut dies ja, weil er gewisse Dinge wiederfinden will und nicht weil er etwas lesen will, bei dem er keine Ahnung hat, was ihn erwartet. Natürlich können auch Serien mehr oder weniger konservativ sein und durchaus versuchen, mit ihren Konventionen zu spielen. Aber der empörte Aufruf gewisser Fans "Halt, das darf man nicht. Das ist nicht im Sinne der Urserie" gibt es eigentlich immer. Diesbezüglich gibt es auch interessante Untersuchen zu den Fans von TV-Serien. Für viele Fans von Genreliteratur geht es zu einem nicht geringen Teil um die Lust an der Wiederholung. Edit: "Konservativ" bezieht sich hier natürlich nur auf den Geschmack und ist nicht politisch gemeint.
#337
Geschrieben 02 Januar 2008 - 09:42
Das gab doch eine relativ einfache Abgrenzung zwischen konventioneller Literatur und Phantastik. Ich versuch' das 'mal, vielleicht können mich die Literaturtheoretiker hier verbessern / ergänzen.
Ein literarisches Werk gehört zur Phantastik, wenn in diesem Werk etwas geschildert wird, daß außerhalb der Realität geschieht. Innerhalb der Phantastik gibt es weitere Differenzierungen wie etwa SF (naturwissenschaftliche Extrapolationen), Fantasy (Universen mit Magie), Wunderbares (hier trau' ich mich nicht an die Definition) und andere.
Dabei sind dies meiner persönlichen Meinung nach keine (mehr oder minder) starren Schubladen, sondern eher Fixpunkte in einem mehrdimensionalem Gitternetz. Kein Roman entspricht genau diesem oder jenem, sondern liegt irgendwo zwischen den einzelnen "reinen Formen" im Koordinatenkreuz.
Das ist nicht von mir, das hab' ich vor Jahrenden irgendwo gelesen. Ich weiss nur überhaupt nicht mehr, wo das war. Kann mir da 'mal irgendjemand auf die Sprünge helfen ?
Das ist gewissermassen das umgangssprachliche maximimalistische Verständnis von 'Phantastik'. Ja, so kann man's auch sehen. Bestreitet ja auch niemand. Was Du hier unter 'Phantastik' verstehst, entspricht mehr oder weniger dem, was Todorov als 'wunderbar' bezeichnet.
Was Du anscheinend nicht verstanden hast: Es geht gar nicht darum, was Phantastik wirklich ist, denn Gattungsbezeichnungen werden immer von ihren Benutzern definiert. Insofern gibt es keine richtige Definition von Phantastik. Es gibt nur unterschiedliche Modelle, die zu verschiedenen Zwecken entwickelt wurden, und die mir dabei helfen können, bestimmte Aspekte besser zu analysieren. Es spielt gar keine Rolle, ob ich oder Du das, was Todorov als 'reine Phantastik' bezeichnet, tatsächlich auch als Phantastik bestimmen würden. Es ist aber zweifellos so, dass Todorov mit seiner reinen Phantastik einen interessanten Grenzfall beschreibt, denn Du mit Deiner Definition nicht so einfach erfassen kannst. Und sein Ansatz weist bei allen Problemen doch auf wichtige Aspekte hin, beispielsweise der Zusammenhang zwischen Phantastik und der Erzählweise. Aber eben: es geht gar nicht um die Frage von 'richtig' oder 'falsch', es geht darum, was mir die einzelnen Ansätze bringen können. Und ich bin der Meinung, dass gerade die letzten Seiten dieses Threads gezeigt haben, dass die Auseinandersetzung mit Todorovs Analyse der Verwandlung einiges ans Licht gebracht hat. Keiner von uns geht mit Todorovs Analyse von Kafkas Erzählung einig, dennoch war die Diskussion in meinem Augen äusserst fruchtbar. Und auch wenn Du das nicht glauben willst - das hat sehr viel mehr mit Literaturwissenschaft zu tun als, das, was Du Dir anscheinend darunter vorstellst.
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#338
Geschrieben 02 Januar 2008 - 09:45
Ich glaube nicht, dass das etwas ist, wofür man sich schämen müsste. Menschen funktionieren nun mal so, dass sie in der Regel das Bekannte und Vertraute vorziehen.Als Serien-Fan finde ich Deine Meinung doof, da unangenehm. Ich befürchte allerdings, daß Du hier prinzipiell recht hast.
Ich glaube nicht, dass man hier so kurzschliessen kann, weil letztlich jeder konservative Seiten hat. An gewisse Dinge gewöhnt man sich, die gibt man nur ungern auf. Obwohl ich mich politisch als links einstufen würde, bin ich in vielen Dingen ein Gewohnheitstier, also konservativ.Widersprechen möchte ich Dir allerdings bezüglich der "unpolitischen Aussage". Ist das nicht zu kurz gegriffen ? Ist nicht ein konservativer Geschmack bezüglich eigentlich innovativer Literatur auch ein Stück konservative Weltsicht und damit ein gewisses konservatives Politikverständnis ? Dies meine ich nicht wertend, sondern einfach im Sinne einer Standortbestimmung.
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#339
Geschrieben 02 Januar 2008 - 09:59
Wie simifilm schon so treffend sagte, ist diese Klage so alt wie das Fandom. Und sie war noch nie wirklich begründet. Noch nicht einmal die Gleichung "Masse = Durchschnitt" geht auf. So habe ich wenig pazifistischere Romane gelesen, als sich Perry Rhodan Mitte der 80er darstellte. Und was innovative Neuerscheinungen angeht : Immer wenn ich in den letzten 30 Jahren geglaubt habe, schon alles gelesen zu haben, kam irgendjemand mit etwas Neuem heraus, das bis dato ungeschrieben war. Dabei kenne ich die "lieber ein gutes Buch von Poul Anderson" - Philosophie nur zu gut, in diesen Fehler verfalle ich selbst regelmäßig. Aber es gibt genug gute moderne SF, es gibt sogar genug gute deutsche moderne SF. Aber man (ich) muß sich eben überwinden, sie zu lesen, ihr eine Chance zu geben. Denn es ist viel einfacher, sich auf die Klassiker zurückzuziehen, da weiss man eben, was man vor sich hat. Der konservative Ansatz ist eben einfacher.Das läßt sich auch nicht einfach ändern und liegt einfach an den Bedingungen des sogenannten Marktes. Um produziert werden und am Bahnhofskiosk ausliegen zu können, muß ein Buch nun mal aus Sicht des Verlagslektors den Anschein erwecken, den Bedürfnissen des durchschnittlichen (Massen...) "Konsumenten" zu entsprechen. Wo die Masse ist, herrscht nun mal der Durchschnitt. Leider entsteht dabei für den flüchtigen Betrachter der Eindruck (Irrtum?), es gebe keine gute SF mehr, sondern nur noch flachen xten Aufguß alter Ideen, Klischees, Stereotypen, halt nichts, das sich zu kaufen lohnt. Vielleicht kenne ich einfach nicht genug neue SF, die sich vielleicht lohnen würde, weil ich der Frage nicht intensiv nachgehe. Jedenfalls nehme ich mir lieber ein altes Buch von P. Anderson oder A.E. van Vogt mit in den Zug, als irgendeine Neuerscheinung, die bei flüchtigem Betrachten jedenfalls bei mir keine Neugierde weckt.
#340
Geschrieben 02 Januar 2008 - 10:14
Ich bin mir da nicht sicher. Ich meine, daß man sich einer solchen Verknöcherung nicht schämen sollte. Nimm mich als Beispiel : Seit Jahrzehnten SF-Leser, vor Jahren nichts Neues mehr entdeckt, von den Neuausgaben alter Romane abgeschreckt, habe ich mich auf "Shadowrun" und "Battletech" zurückgezogen. Und nichts Neues mehr gekauft. Hätte ich nicht den Kick bekommen, die guten alten Heftchenserien meiner Jugend zu sammeln, wäre ich in dieser Falle stecken geblieben. So kam ich aber nach dem Lesen der Terra Astra -Serie darauf, daß es neben den "bedeutenden" deutschen SF-Autoren auch gute gibt. Und fing an, mir diese zu besorgen.Ich glaube nicht, dass das etwas ist, wofür man sich schämen müsste. Menschen funktionieren nun mal so, dass sie in der Regel das Bekannte und Vertraute vorziehen.
#341
Geschrieben 02 Januar 2008 - 10:20
Solange Du Dir der Verknöcherung bewusst bist, besteht keine Gefahr.Ich bin mir da nicht sicher. Ich meine, daß man sich einer solchen Verknöcherung nicht schämen sollte. Nimm mich als Beispiel : Seit Jahrzehnten SF-Leser, vor Jahren nichts Neues mehr entdeckt, von den Neuausgaben alter Romane abgeschreckt, habe ich mich auf "Shadowrun" und "Battletech" zurückgezogen. Und nichts Neues mehr gekauft. Hätte ich nicht den Kick bekommen, die guten alten Heftchenserien meiner Jugend zu sammeln, wäre ich in dieser Falle stecken geblieben. So kam ich aber nach dem Lesen der Terra Astra -Serie darauf, daß es neben den "bedeutenden" deutschen SF-Autoren auch gute gibt. Und fing an, mir diese zu besorgen.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
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#342
Geschrieben 02 Januar 2008 - 10:38
Unterschiedliche Modelle = Unterschiedliche Fixpunkte - Ok, das kann sein. Aber diese sollten schon in den Kontext bestehender Fixpunkte integriert sein und nicht alleine vor sich hin gammeln. Das kenne ich nämlich aus den Naturwissenschaften, speziell aus der Physik. Dort geschieht nämlich genau das gleiche. Jeder theoretische Physiker baut sich sein eigenes Weltbild. Und entwickelt daraufhin eine Theorie, etwa so komplex wie das deutsche Steuerrecht. Und keinen dieser Elefenbeintürmler kümmert die Realität, Hauptsache, die eigenen Schubladen werden mit immer komplexeren mathematischen Modellen gefüllt. Als Ergebnis hat es seit Jahrzehnten keine wirklichen Innovationen mehr gegeben.Was Du anscheinend nicht verstanden hast: Es geht gar nicht darum, was Phantastik wirklich ist, denn Gattungsbezeichnungen werden immer von ihren Benutzern definiert. Insofern gibt es keine richtige Definition von Phantastik. Es gibt nur unterschiedliche Modelle, die zu verschiedenen Zwecken entwickelt wurden, und die mir dabei helfen können, bestimmte Aspekte besser zu analysieren. Es spielt gar keine Rolle, ob ich oder Du das, was Todorov als 'reine Phantastik' bezeichnet, tatsächlich auch als Phantastik bestimmen würden. Es ist aber zweifellos so, dass Todorov mit seiner reinen Phantastik einen interessanten Grenzfall beschreibt, denn Du mit Deiner Definition nicht so einfach erfassen kannst. Und sein Ansatz weist bei allen Problemen doch auf wichtige Aspekte hin, beispielsweise der Zusammenhang zwischen Phantastik und der Erzählweise. Aber eben: es geht gar nicht um die Frage von 'richtig' oder 'falsch', es geht darum, was mir die einzelnen Ansätze bringen können. Und ich bin der Meinung, dass gerade die letzten Seiten dieses Threads gezeigt haben, dass die Auseinandersetzung mit Todorovs Analyse der Verwandlung einiges ans Licht gebracht hat. Keiner von uns geht mit Todorovs Analyse von Kafkas Erzählung einig, dennoch war die Diskussion in meinem Augen äusserst fruchtbar. Und auch wenn Du das nicht glauben willst - das hat sehr viel mehr mit Literaturwissenschaft zu tun als, das, was Du Dir anscheinend darunter vorstellst.
Und ich sehe nicht, was die Diskussion der Verwandlung innerhalb des Todorov-Modells als Ergebnis produziert hat. Ein Ziel einer solchen Diskussion sollte es doch sein, Dödeln wie mir neue Erkenntnisse zu bringen. Und die sehe ich irgendwie nicht. Aber vielleicht kannst Du 'mal die Quintessenz formulieren, ich will nicht ausschließen, daß mir da etwas entgangen sein könnte.
#343
Geschrieben 02 Januar 2008 - 11:16
Ja, da gibt es nur sehr wenige Geschichten. Neben den beiden genannten ("Vellum" & "House of Leaves") fiele mir spontan nur "Alice im Wunderland" ein, obwohl ich sicherlich mehr kenne; J. L. Borges "Das Sandbuch" habe ich nicht mehr präsent genug um mir sicher zu sein, aber es geht auch in diese Richtung. Wenn über diese Bücher gesprochen wird, dann zeigt sich häufig, dass viele Leser unzufrieden sind, da sie so 'wirr' sind. Dabei sind nicht mal immer wirr: Die Alice-Geschichten folgen nur einer anderen 'Logik', die ist allerdings nicht leicht zu entdecken. Wo ich bei Alice bin - ich bin mir nicht sicher, inwiefern ich Geschichten, die einer Traumlogik folgen, ebenfalls darunter ordnen würde. Außerdem könnte man noch M. John Harrisons Viriconium-Reihe nennen; die einzelne Geschichte funktioniert zwar ohne logische Brüche, wenn man sie aber in einem Zusammenhang stellt, dann gibt es viele 'Ungereihmtheiten': Personen, die schon lange tot sein müssten, tauchen wieder auf, ein Ereignis hat einmal in der Zukunft stattgefunden [sic?], einmal in der Vergangenheit, etc. Bei den neueren Romanen "Licht" und "Nova" gibt es das ebenfalls in einem geringeren Maße; z. B. heißt in "Licht" ein Rikscha-Girl "Annie" - in "Nova" sind alle Rikschagirls "Annies" (was nachträglich die Einmaligkeit der ersten relativiert oder zumindest in Frage stellt). Viel häufiger sind solche Brüche allerdings einfach Fehler des Autoren; es ist nicht immer leicht, zu erkennen, ob der Autor gerade ein wahrhaftiges Wunder stattfinden ließ (Aus einer Gattin, die schon mehrfach ihren ehelichen Pflichten nachgekommen war (dazu war sie geheiratet worden), ist wieder eine Jungfrau geworden!) oder ob der Autor einfach bei einer Nebenfigur unachtsam war (Könnte Herrn Hohlbein ein solcher Fehler unterlaufen sein?). TheophagosSimifilm: Die Unterscheidung verschiedener Arten des Bruches ist insofern interessant, als dass logische Brüche wohl am seltensten sind und sicher auch am schwierigsten zu handhaben. Damit will ich nicht sagen, dass es die nicht gibt, überhaupt nicht, aber die Standard-Horrorgeschichte funktioniert ja nach dem Prinzip: Etwas Unerklärliches geschieht, zu Beginn weigern sich alle, eine wunderbare Erklärung anzuerkennen, irgendwann wird sie dann akzeptiert. In diesem Raster kommen logische Widersprüche kaum vor. Gerade auch in der Fantasy und der SF muss das Wunderbare ja wiederum in sich konsistent sein. Ausserdem ist das Erzählen einer ganz und gar regellosen Welt eine schwierige Sache. Die Chance, dass der Leser frustriert aufgibt ist, gross. In einer fiktionalen Welt, in der alles passieren kann, kommt sich der Leser schnell verschaukelt vor.
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
- • (Buch) gerade am lesen:Annick Payne & Jorit Wintjes: Lords of Asia Minor. An Introduction to the Lydians
- • (Buch) als nächstes geplant:Che Guevara: Der Partisanenkrieg
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• (Buch) Neuerwerbung: Florian Grosser: Theorien der Revolution
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• (Film) gerade gesehen: Ghost in the Shell (USA 2017, R: Rupert Sanders)
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• (Film) als nächstes geplant: Onibaba (J 1964, R: Kaneto Shindo)
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• (Film) Neuerwerbung: Arrival (USA 2016, R: Denis Villeneuve)
#344
Geschrieben 02 Januar 2008 - 12:30
Ich glaube der Unterschied liegt doch darin, dass bei jeder Theorie in der Literaturwissenschaft eine "Kontrolle" möglich ist. So geschehen bei Todorov. Es ist ja ziemlich schnell aufgefallen, dass Todorov einige Texte ignorierte, damit sein Modell funktionierte. Das ist der Punkt. Was einige Seiten zuvor geschehen ist war eigentlich ein Austesten der Modelle. Zwar nicht systematisch, aber es wurden an Kafkas Verwandlung einige Möglichkeiten angelegt und auf Tauglichkeit überprüft. Was könnte man somit bei Kafkas Verwandlung untersuchen? - Wo ist der Systemsprung zwischen (lit.) Realität und Wunderbarem? Bzw. gibt es überhaupt einen? - Wie wirken sich die Erzählebenen usw. aus? - Für die Maxi-Maximalisten: Welche Gefühle regen sich bei dem Text im Leser ;-) Aber so auf die Schnelle fallen mir nicht mehr Beispiele ein. Die Verwandlung ist ja auch schon unendlich durchanalysiert worden (mit jeder Schule und jedem Modell). Das ist aber gerade ein Vorteil, wenn man eben ein neues Modell anlegt und überprüfen will. Wollte man jetzt hm sagen wir das Modell von Uwe Durst anlegen, böte sich so eine Geschichte an. Tatsächlich hat Durst in seinem Buch sogar sein Modell an diesen Text angelegt und es als "wunderbaren Text" gewertet. Also keine Phantastik nach seinem Modell. Darüber lässt sich natürlich streiten - die Replik kam dann etwa von Daniel Nix in einer Abhandlung... für Nix ist es ganz klar Phantastik. (Ohne jetzt auf die Argumentation einzugehen. Ich habe die Texte nicht bei der Hand.) Zu Brüchen: Ich denke die meisten Brüche die man beachtet sind keine "Fehler" der Autoren. Man merkt schon in der Regel, was für ein Bruch da stattfindet. In der Regel sind ja die Brüche markiert ("Oh! Ein Wunder!) und bei Fehlern eben nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel *smile*. So fehlt bei Kafkas Verwandlung eben die Markierung, was ja den ganzen Streit auslöst. (herrlich *grins*)Unterschiedliche Modelle = Unterschiedliche Fixpunkte - Ok, das kann sein. Aber diese sollten schon in den Kontext bestehender Fixpunkte integriert sein und nicht alleine vor sich hin gammeln. Das kenne ich nämlich aus den Naturwissenschaften, speziell aus der Physik. Dort geschieht nämlich genau das gleiche. Jeder theoretische Physiker baut sich sein eigenes Weltbild. Und entwickelt daraufhin eine Theorie, etwa so komplex wie das deutsche Steuerrecht. Und keinen dieser Elefenbeintürmler kümmert die Realität, Hauptsache, die eigenen Schubladen werden mit immer komplexeren mathematischen Modellen gefüllt. Als Ergebnis hat es seit Jahrzehnten keine wirklichen Innovationen mehr gegeben. Und ich sehe nicht, was die Diskussion der Verwandlung innerhalb des Todorov-Modells als Ergebnis produziert hat. Ein Ziel einer solchen Diskussion sollte es doch sein, Dödeln wie mir neue Erkenntnisse zu bringen. Und die sehe ich irgendwie nicht. Aber vielleicht kannst Du 'mal die Quintessenz formulieren, ich will nicht ausschließen, daß mir da etwas entgangen sein könnte.
Bearbeitet von Robin, 02 Januar 2008 - 12:34.
Liest gerade | für die Magisterarbeit viele, viele Dinge
Lernt gerade| Geschichte
Schreibt gerade | Blogbeiträge... usw. usf.
#345
Geschrieben 02 Januar 2008 - 15:27
Wie sehr Perry Rhodan mit dem Zeitgeist verheiratet ist, habe ich 1993 mal in einem Artikelchen http://www.klauskunz...esse/jf0593.htm publiziert. Deine Bestätigung gibt mir nachträglich Recht. Was das Eine-Chance-geben anlangt, würde wohl mancher (wie ich) mehr neuer SF eine Chance geben, böte sich ihm am Bahnhofskiosk die Chance, sie zu erkennen. Alsich Jugendlicher war, war das einfach. Ich kannte meine Autoren und Buchreihen und wußte: Was in der und der Reihe erschienen war, war vermutlich nicht ganz schlecht. Was ich heute so in den Regalen stehen sehe ("Battletech" etc.) erfüllt von Titel und Aufmachung in einem solchen Maße meine schlimmsten Vorurteile, daß ich nicht anbeiße, weil es eher für militaristisch inspirierte picklige Jünglinge geschrieben zu sein scheint (Ghu erhalte mir meine Vorurteile!).Wie simifilm schon so treffend sagte, ist diese Klage so alt wie das Fandom. Und sie war noch nie wirklich begründet. Noch nicht einmal die Gleichung "Masse = Durchschnitt" geht auf. So habe ich wenig pazifistischere Romane gelesen, als sich Perry Rhodan Mitte der 80er darstellte. Und was innovative Neuerscheinungen angeht : Immer wenn ich in den letzten 30 Jahren geglaubt habe, schon alles gelesen zu haben, kam irgendjemand mit etwas Neuem heraus, das bis dato ungeschrieben war. Dabei kenne ich die "lieber ein gutes Buch von Poul Anderson" - Philosophie nur zu gut, in diesen Fehler verfalle ich selbst regelmäßig. Aber es gibt genug gute moderne SF, es gibt sogar genug gute deutsche moderne SF. Aber man (ich) muß sich eben überwinden, sie zu lesen, ihr eine Chance zu geben. Denn es ist viel einfacher, sich auf die Klassiker zurückzuziehen, da weiss man eben, was man vor sich hat. Der konservative Ansatz ist eben einfacher.
#346
Geschrieben 02 Januar 2008 - 17:11
Netter Artikel, kannte ich noch nicht. Ich glaube sogar, PR ist noch viel stärker mit dem Zeitgeist verbunden, aber eine Diskussion würde hier zu weit führen. Ich glaube, daß Du aufgrund Deines Alters zuviel Wert auf den Bahnhofskiosk legst. Heute hat das Internet die Rolle des Kiosk übernommen, den wir aus unserer Jugend kennen. Und da sieht es doch etwas besser aus. Allerdings gebe ich Dir insofern recht, als DAS Portal für den SF-Fan fehlt.Wie sehr Perry Rhodan mit dem Zeitgeist verheiratet ist, habe ich 1993 mal in einem Artikelchen http://www.klauskunz...esse/jf0593.htm publiziert. Deine Bestätigung gibt mir nachträglich Recht. Was das Eine-Chance-geben anlangt, würde wohl mancher (wie ich) mehr neuer SF eine Chance geben, böte sich ihm am Bahnhofskiosk die Chance, sie zu erkennen. Alsich Jugendlicher war, war das einfach. Ich kannte meine Autoren und Buchreihen und wußte: Was in der und der Reihe erschienen war, war vermutlich nicht ganz schlecht. Was ich heute so in den Regalen stehen sehe ("Battletech" etc.) erfüllt von Titel und Aufmachung in einem solchen Maße meine schlimmsten Vorurteile, daß ich nicht anbeiße, weil es eher für militaristisch inspirierte picklige Jünglinge geschrieben zu sein scheint (Ghu erhalte mir meine Vorurteile!).
#347
Geschrieben 02 Januar 2008 - 17:35
Der Bahnhofskiosk ist in meinem beruflichen Alltag meistens der einzige Ort, an dem ich - zack zack, gleich kommt der Zug - nach neuer SF sehen kann, also ein ganz banaler Grund. Und im Internet kaufe ich nicht - generationsbedingt eben. Das ist einer der Gründe, warum ich hier herumschnuppere: Vielleicht finde ich hier Tipps für neue, mitreißende SF.Ich glaube, daß Du aufgrund Deines Alters zuviel Wert auf den Bahnhofskiosk legst. Heute hat das Internet die Rolle des Kiosk übernommen, den wir aus unserer Jugend kennen. Und da sieht es doch etwas besser aus. Allerdings gebe ich Dir insofern recht, als DAS Portal für den SF-Fan fehlt.
#348
Geschrieben 02 Januar 2008 - 18:58
So ganz verstehe ich Dich ja nicht. Einerseits läufst Du gegen angeblich exklusive Modelle Sturm, andererseits möchtest Du ein allumfassende Megamodell. Ich glaube, wenn es etwas gibt, dass ein Geisteswissenschaftler im Rahmen seines Studiums lernen sollte, dann dass es das eine Modell oder die eine Theorie nicht gibt. Es gibt verschiedene Ansätze, die auf verschiedene Weise versuchen, verschiedene Fragen zu beantworten. Je nach Forschungsinteresse ist der eine Ansatz tauglicher als der andere, manche Ansätze sind tatsächlich auch überholt. Aber auch hier gilt: Ein überholter Ansatz ist nicht per se uninteressant, man muss sich einfach - wie bei jeder Textanalyse - bewusst sein, unter welchen Umständen er entstanden ist. Todorovs Theorie ist ein Produkt der Hochzeit des Strukturalismus und manche seiner Prämissen können heute eben nur noch die wenigsten teilen; wenn man nun aber hingeht und ihn wegen seiner Mängel einfach in Bausch und Bogen ablehnt, tut man eben genau das, was man als seriöser Geisteswissenschaftler nicht tun sollte: man fragt nicht danach, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck dieses Modell entstanden ist und welche Elemente uns heute noch etwas bringen könnten.Unterschiedliche Modelle = Unterschiedliche Fixpunkte - Ok, das kann sein. Aber diese sollten schon in den Kontext bestehender Fixpunkte integriert sein und nicht alleine vor sich hin gammeln. Das kenne ich nämlich aus den Naturwissenschaften, speziell aus der Physik. Dort geschieht nämlich genau das gleiche. Jeder theoretische Physiker baut sich sein eigenes Weltbild. Und entwickelt daraufhin eine Theorie, etwa so komplex wie das deutsche Steuerrecht. Und keinen dieser Elefenbeintürmler kümmert die Realität, Hauptsache, die eigenen Schubladen werden mit immer komplexeren mathematischen Modellen gefüllt. Als Ergebnis hat es seit Jahrzehnten keine wirklichen Innovationen mehr gegeben.
Todorov kam ja zum Schluss, dass in der Verwandlung Unheimliches und Wunderbares zusammenfallen, ein Befund, der von seinem eigenen Modell ausgeschlossen wird. Das mag ein falscher Befund sein - auch innerhalb seines Modells -, aber weist eben in die richtige Richtung - dass der Text seinen wunderbaren Charakter verbirgt. Und Todorov gibt auch einen Hinweis, wie er das tut, auch wenn er sich selbst dessen nicht bewusst zu sein scheint: Er betont, dass Phantastik und Wunderbares, wie er sie definiert, nach einer klassischen, "objektiven", nicht-metaphorischen Leseweise verlangt, und das ist bei Kafka eben nicht der Fall. Auch ein weiterer Punkt in Todorovs Modell, der schon früher angesprochen wurde, scheint mir nach wie sehr relevant: der implizite Leser. Tatsächlich glaube ich, dass man um dieses Konzept nicht herumkommt, wenn man Phantastik/Wunderbares analysieren will. Wahrscheinlich wird man Todorovs Ansatz auch hier modifizieren - oder vielmehr: präzisieren - müssen, aber ohne eine Leserfunktion innerhalb des Textes kommt man nur schlecht aus, wenn man analysieren will, wie der Text seine verunsichernde Wirkung produziert.Und ich sehe nicht, was die Diskussion der Verwandlung innerhalb des Todorov-Modells als Ergebnis produziert hat. Ein Ziel einer solchen Diskussion sollte es doch sein, Dödeln wie mir neue Erkenntnisse zu bringen. Und die sehe ich irgendwie nicht. Aber vielleicht kannst Du 'mal die Quintessenz formulieren, ich will nicht ausschließen, daß mir da etwas entgangen sein könnte.
Bearbeitet von simifilm, 02 Januar 2008 - 20:40.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
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Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
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#349
Geschrieben 03 Januar 2008 - 09:35
Wo ist der Widerspruch, das ist doch typisch für Naturwissenschaftler. Scherz beseite : Natürlich bin ich (aufgrund meines andersgearteten Zugangs) Megamodell-Anhänger. Und zwangsläufig stören mich dann rigide Submodelle, die einfach nicht existieren können. Und ebenso zwangsläufig sind überholte Modelle für mich irrelevant. Das ist vergleichbar mit der Theorie "Die Erde ist eine Scheibe", die in der Physik-Ausbildung auch nur sehr kurz angerissen wird. Ich bezweifle auch den von Dir beschriebenen geisteswissenschaftlichen Ansatz, meiner Ansicht nach ist es relativ uninteressant, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck dieses Modell entstanden ist. Die einzige Frage, die mich als Naturwissenschaftler interessiert, ist die, welche Fragmente der älteren Modelle in eine moderne Sicht der Dinge hineinpassen - und wo die Grenzen eines aktuellen Modells sind. Todorov hat sein Modell anhand der "Verwandlung" selbst widerlegt. Die naturwissenschaftliche Vorgehensweise würde jetzt darin bestehen, das Modell solange anzupassen, bis man die Realität darin wiederfindet. Das fehlt mir ganz einfach.So ganz verstehe ich Dich ja nicht. Einerseits läufst Du gegen angeblich exklusive Modelle Sturm, andererseits möchtest Du ein allumfassende Megamodell.
#350
Geschrieben 03 Januar 2008 - 10:44
Du widerspricht dir ja irgendwie selbst. Einerseits sagst du, dich interessieren überholte Modelle nicht, dann sagst du als Naturwissenschaftler reißt man doch alte Ideen an und dann forderst du die Anpassung alter Modelle an die Realität. Ich bin dagegen der Ansicht, dass man sehr wohl alte Modelle durchdenken und betrachten muss. Sonst würde man ja am Schluß gar nochmals auf eine so dumme Idee kommen (überspitzt formuliert). Und auch wenn ich dich jetzt enttäusche muß. Todorovs Modell wurde ja tatsächlich weiterentwickelt - nur findet etwa simifilm dieses Modell (wir sprechen von Uwe Dursts Poetik der ph. Literatur. Siehe Beiträge weiter hinten im Thread, da wurde das diskutiert) einfach zu starr. Ich dagegen komme aus der Ecke (weil ich halt durch Durst die ersten Schritte in der Thematik gemacht habe) und bin dem Modell näher. Molosovky dagegen ist der Maxi-Maximalist mit völlig anderen Instrumenmten an die Sache herangeht. (Nur um das mal zusammenzufassen) Und noch eine Bemerkung: Es ist durchaus interessant, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck ein Modell entstand. Denke man nur an die Strukturalisten zu deren Vertretern nunmal Todorov gehörte und eben Durst (Neo-Strukturalist). Wenn man nicht versteht aus welcher Schule die Leute kommen, weiß man gar nicht worauf sie mit ihren Modellen abzielen und versteht sie nicht. So ist der Sense of Wonder - an dem wir uns ja zu Recht verbeißen für Strukturalisten eben Mumpitz, weil Subjektiv. Es interessiert nur der Text selbst. Würde ich sowas als Student lesen ohne zu wissen, was die Strukturalisten sind (und so ging es mir zu Beginn meines Studiums eben) wäre ich sehr verwirrt!Wo ist der Widerspruch, das ist doch typisch für Naturwissenschaftler. Scherz beseite : Natürlich bin ich (aufgrund meines andersgearteten Zugangs) Megamodell-Anhänger. Und zwangsläufig stören mich dann rigide Submodelle, die einfach nicht existieren können. Und ebenso zwangsläufig sind überholte Modelle für mich irrelevant. Das ist vergleichbar mit der Theorie "Die Erde ist eine Scheibe", die in der Physik-Ausbildung auch nur sehr kurz angerissen wird. Ich bezweifle auch den von Dir beschriebenen geisteswissenschaftlichen Ansatz, meiner Ansicht nach ist es relativ uninteressant, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck dieses Modell entstanden ist. Die einzige Frage, die mich als Naturwissenschaftler interessiert, ist die, welche Fragmente der älteren Modelle in eine moderne Sicht der Dinge hineinpassen - und wo die Grenzen eines aktuellen Modells sind. Todorov hat sein Modell anhand der "Verwandlung" selbst widerlegt. Die naturwissenschaftliche Vorgehensweise würde jetzt darin bestehen, das Modell solange anzupassen, bis man die Realität darin wiederfindet. Das fehlt mir ganz einfach.
Liest gerade | für die Magisterarbeit viele, viele Dinge
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#351
Geschrieben 03 Januar 2008 - 11:43
Du meinst also, dass Newtons Mechanik dringend aus dem Physik-Unterricht entfernt und durch die Quantenmechanik ersetzt werden sollte? Ich denke, du gehst vom einem falschen Verständnis der Geisteswissenschaft aus. Dort ist das sichere Abschreiben extrem selten. Nehmen wir mal die Philosophie. Aristoteles galt lange Zeit als überholter Langweiler, doch mittlerweile werden seine Texte neu und wieder interessant interpretiert. Ein geisteswissenschaftliches Modell ist immer auch Interpretation und die hängt nun mal vom Interpreten ab. Warum sollte Todorovs Schema nicht mit denen von maximalistischen Phantasten koexistieren können? Tatsächlich glaube ich, ist es sogar sinnvoll, Todorovs Gedanken über die von ihm untersuchten Texte zu integrieren. Und wie Robin schon erwähnte: Weiterentwicklungen von Todorovs Schema gibt es einige, u. a. von Durst.a3kHH: Und zwangsläufig stören mich dann rigide Submodelle, die einfach nicht existieren können. Und ebenso zwangsläufig sind überholte Modelle für mich irrelevant.
Das bestreite ich eben; deutlich wird, dass sein Schema mit diesen Text nicht gut umgehen kann - er kennzeichnet ihn als Ausnahme. Das ist eine Schwäche des Schemas; eine Widerlegung ist es nicht (die gibt es so in den Geisteswissenschaften nicht). Allerdings sind derartige Texte für Todorov auch uninteressant - es geht ihm schließlich um das Fantastische und nicht um das Unheimliche oder Wunderbare. Wer sich nun mit den von Todorov behandelten Texten selbst befassen will, der tut gut daran zu überlegen, was genau die Stärken und Schwächen von Todorovs Schema sind. Aber vielleicht sollte man tatsächlich einmal schauen, ob Dursts Ansatz mit "Die Verwandlung" besser umgehen kann. Theophagosa3kHH: Todorov hat sein Modell anhand der "Verwandlung" selbst widerlegt.
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
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#352
Geschrieben 03 Januar 2008 - 13:30
Grundsätzliche Zustimmung, nur ein kleiner Einwand: Im Grunde ist auch mein Modell eine Weiterentwicklung Todorovs. Es ist "historisch" eine Weiterentwicklung, weil meine theoretische Auseinandersetzung mit seinem Ansatz begann und die grundlegende Terminologie übernehme ich ja auch von ihm. Sicher bleibt Durst näher an Todorov dran, im Grunde "reinigt" er ja dessen Ansatz von allem "Nicht-Strukturalistischem". Ich entwickle das Ganze dagegen eher in eine neoformalistische Richtung, wobei ich den Rezipienten stärker im Auge behalte, aber letztlich ist auch das eine Weiterentwicklung, einfach eine in eine ziemlich andere Richtung. Nicht zuletzt das zeigt mir, dass sich die Auseinandersetzung mit Todorov eben lohnt.Du widerspricht dir ja irgendwie selbst. Einerseits sagst du, dich interessieren überholte Modelle nicht, dann sagst du als Naturwissenschaftler reißt man doch alte Ideen an und dann forderst du die Anpassung alter Modelle an die Realität. Ich bin dagegen der Ansicht, dass man sehr wohl alte Modelle durchdenken und betrachten muss. Sonst würde man ja am Schluß gar nochmals auf eine so dumme Idee kommen (überspitzt formuliert). Und auch wenn ich dich jetzt enttäusche muß. Todorovs Modell wurde ja tatsächlich weiterentwickelt - nur findet etwa simifilm dieses Modell (wir sprechen von Uwe Dursts Poetik der ph. Literatur. Siehe Beiträge weiter hinten im Thread, da wurde das diskutiert) einfach zu starr. Ich dagegen komme aus der Ecke (weil ich halt durch Durst die ersten Schritte in der Thematik gemacht habe) und bin dem Modell näher. Molosovky dagegen ist der Maxi-Maximalist mit völlig anderen Instrumenmten an die Sache herangeht. (Nur um das mal zusammenzufassen)
Bearbeitet von simifilm, 03 Januar 2008 - 13:43.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
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#353
Geschrieben 03 Januar 2008 - 13:35
Es liegt in der Natur der Geisteswissenschaften, dass es nie nur ein Modell, sondern mehrere gibt, die noch nicht einmal miteinander konkurrieren müssen, weil sie eben für unterschiedliche Zwecke gedacht sind. Einen linearen Fortschritt (den es übrigens auch in den Naturwissenschaften so nicht gibt) kennen die Geisteswissenschaften nicht. Und selbst wenn ein Ansatz allgemein als überholt gilt, kann es geistesgeschichtlich dennoch interessant sein, zu untersuchen, wie man zu diesem Modell kam und was dahintersteckt.Wo ist der Widerspruch, das ist doch typisch für Naturwissenschaftler. Scherz beseite : Natürlich bin ich (aufgrund meines andersgearteten Zugangs) Megamodell-Anhänger. Und zwangsläufig stören mich dann rigide Submodelle, die einfach nicht existieren können. Und ebenso zwangsläufig sind überholte Modelle für mich irrelevant. Das ist vergleichbar mit der Theorie "Die Erde ist eine Scheibe", die in der Physik-Ausbildung auch nur sehr kurz angerissen wird. Ich bezweifle auch den von Dir beschriebenen geisteswissenschaftlichen Ansatz, meiner Ansicht nach ist es relativ uninteressant, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck dieses Modell entstanden ist. Die einzige Frage, die mich als Naturwissenschaftler interessiert, ist die, welche Fragmente der älteren Modelle in eine moderne Sicht der Dinge hineinpassen - und wo die Grenzen eines aktuellen Modells sind.
Wie von Robin bereits gesagt: das wird ja durchaus getan. Keine deutschsprachige Arbeit zur Phantastik, die in den letzten 25 Jahren erschienen ist, kommt an Todorov vorbei. Manche lehnen ihn ganz ab, andere entwickeln sein Modell weiter. So oder so findet eine Anpassung statt.Todorov hat sein Modell anhand der "Verwandlung" selbst widerlegt. Die naturwissenschaftliche Vorgehensweise würde jetzt darin bestehen, das Modell solange anzupassen, bis man die Realität darin wiederfindet. Das fehlt mir ganz einfach.
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#354
Geschrieben 03 Januar 2008 - 13:41
Ich würde schon sagen, dass es auch geisteswissenschaftliche Modelle gibt, die sich widerlegen lassen, aber das nur nebenbei. Sicher ist es richtig, dass Todorovs Modell durch die Verwandlung nicht widerlegt wird. Es zeigt aber dessen enge Grenzen auf und ich würde doch auch sagen, dass Todorovs Analyse der Erzählung schlicht falsch ist; nicht nur innerhalb seines Modells, sondern grundsätzlich. Ich würde sogar noch weitergehen und sagen, dass alles, was Todorov zum "Tod der Phantastik" schreibt, ebenfalls nachweislich falsch ist. Sowohl innerhalb seines Systems als auch literaturhistorisch/geschichtlich. Aber all das widerlegt sein Modell in der Tat nicht, denn das, was er mit "reiner Phantastik" meint, existiert, ob man das nun "Phantastik" nennen will, ist eine andere Frage.Das bestreite ich eben; deutlich wird, dass sein Schema mit diesen Text nicht gut umgehen kann - er kennzeichnet ihn als Ausnahme. Das ist eine Schwäche des Schemas; eine Widerlegung ist es nicht (die gibt es so in den Geisteswissenschaften nicht). Allerdings sind derartige Texte für Todorov auch uninteressant - es geht ihm schließlich um das Fantastische und nicht um das Unheimliche oder Wunderbare. Wer sich nun mit den von Todorov behandelten Texten selbst befassen will, der tut gut daran zu überlegen, was genau die Stärken und Schwächen von Todorovs Schema sind.
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#355
Geschrieben 03 Januar 2008 - 19:09
Irgendwie habe ich ein ganz anderes Bild als ihr vor meinem geistigem Auge. Ich sehe einen n-dimensionalen Raum mit einigen Fixpunkten (SF, Fantasy, Phantastik, Wunderbares, High Fantasy, Military SF etc.pp.) als Leuchtfeuer zur Orientierung. Ein Modell ist für mich eine Aufteilung dieses n-dimensionalen Raums in verschiedene, einander überschneidende Bereiche. Vor diesem Hintergrund ist natürlich die Geschichte eines Modells relativ unwichtig, nur die Wirkung zählt.Es liegt in der Natur der Geisteswissenschaften, dass es nie nur ein Modell, sondern mehrere gibt, die noch nicht einmal miteinander konkurrieren müssen, weil sie eben für unterschiedliche Zwecke gedacht sind. Einen linearen Fortschritt (den es übrigens auch in den Naturwissenschaften so nicht gibt) kennen die Geisteswissenschaften nicht. Und selbst wenn ein Ansatz allgemein als überholt gilt, kann es geistesgeschichtlich dennoch interessant sein, zu untersuchen, wie man zu diesem Modell kam und was dahintersteckt.
#356
Geschrieben 03 Januar 2008 - 19:21
Vielleicht solltest Du Dir ja mal die Frage stellen, wozu Dir dieses Modell dient. Und egal, wozu Dir dieses Modell dient, es wird sicher Leute geben, für die ein Modell von Phantastik (oder SF oder was auch immer) einen anderen Zwecke erfüllen muss. Aber dies muss man eben erst einmal merken, und dazu ist es mitunter nötig, die Geschichte des Modells zu kennen. Wenn man Todorov liest, ohne zu wissen, was Strukturalismus ist und welche Rolle er in der Entwicklung der Literaturwissenschaft hat, wird man einige Dinge, auf denen Todorov rumreitet, nur schlecht verstehen (zum Beispiel muss man, um das erste Kapitel zu verstehen, eine Ahnung haben, wer Nothrop Frye ist; ansonsten sagt einem dieses Kapitel wenig, oder zumindest weniger als einem Leser, der weiss, wer Frye ist). Und tatsächlich gibt es auch Leute, die Geistesgeschichte einfach so interessiert, einfach nur weil sie verstehen wollen, wie Menschen denken und gedacht haben.Irgendwie habe ich ein ganz anderes Bild als ihr vor meinem geistigem Auge. Ich sehe einen n-dimensionalen Raum mit einigen Fixpunkten (SF, Fantasy, Phantastik, Wunderbares, High Fantasy, Military SF etc.pp.) als Leuchtfeuer zur Orientierung. Ein Modell ist für mich eine Aufteilung dieses n-dimensionalen Raums in verschiedene, einander überschneidende Bereiche. Vor diesem Hintergrund ist natürlich die Geschichte eines Modells relativ unwichtig, nur die Wirkung zählt.
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#357
Geschrieben 04 Januar 2008 - 11:55
Zu einer Standortbestimmung, zu einem besserem Verständnis von Phantastik. Ich benutze ein solches Modell als Werkzeug, als Hilfsmittel.Vielleicht solltest Du Dir ja mal die Frage stellen, wozu Dir dieses Modell dient.
Das wäre dann der historische Ansatz, der sicherlich wichtig ist. Auch in den Naturwissenschaften existieren historische Komplexe, die man zumindestens im groben Überblick kennen sollte, um das Rad nicht neu zu erfinden. Stichwort etwa "Musiktheorie". Allerdings sind das "nur" Vorkenntnisse, die für die Weiterentwicklung aktueller Modelle (gruppentheoretischer Ansatz der mathematischen Musiktheorie) notwendig sind.Und tatsächlich gibt es auch Leute, die Geistesgeschichte einfach so interessiert, einfach nur weil sie verstehen wollen, wie Menschen denken und gedacht haben.
#358
Geschrieben 04 Januar 2008 - 12:11
Das ist nun ja sehr allgemein formuliert, denn "besseres Verständnis" kann alles mögliche heissen. Beispielsweise: Motive, die Art und Weise, wie erzählt wird, die Frage, wie sich eine Gattung historisch verändert hat, oder auch, wie Leser darauf reagieren. Oder etwa die ökonomische Perspektive, die die Sache noch einmal ganz anders angeht. So oder so geht jeder von bestimmten Prämissen auf, ob die einem nun selbst klar sind oder nicht. Wenn Du sagst, Dir geht es um ein besseres Verständnis von Phantastik, hast Du schon eine bestimmte Vorstellung, was dieses Ding denn ist, welche Texte und Filme darunter fallen. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Dieses gewissermassen vorwissenschaftliche Verständnis wird Dich bei Deinen Überlegungen leiten, und dasselbe gilt auch für Todorov. Nun habt ihr beide ein sehr unterschiedliches Grundverständnis von Phantastik. Deines ist maximal, seines ist sehr eng, weil er diesbezüglich in einer französischen Tradition steht, die unter 'fantastique' eine ganz bestimmte Art von Texten versteht. Damit habt ihr schon von Anfang an unterschiedliche Prämissen, ihr verfolgt bei der Bestimmung von Phantastik somit auch auf jeden Fall unterschiedliche Ziele und folglich kommen auf jeden Fall andere Modelle raus. Die Frage, ob der eine oder andere Ansatz 'richtiger' ist, ist damit unsinnig, denn ihr wollt ja gar nicht das Gleiche definieren. Um das zu erkennen, muss man sich aber sowohl seiner eigenen Prämissen bewusst sein, als auch verstehen, von was andere Positionen ausgehen.Zu einer Standortbestimmung, zu einem besserem Verständnis von Phantastik. Ich benutze ein solches Modell als Werkzeug, als Hilfsmittel.
In meinen Augen (und damit bin ich wohl nicht allein) ist die historische Perspektive eine, wenn nicht sogar die wichtigste Komponente jeder Geisteswissenschaft. Kürzlich hat Peter von Matt, emeritierter Professor für deutsche Literatur und einer der grossen "Stars" in diesem Bereich, in einem Artikel geschrieben "... ich bin Literaturwissenschaftler, also Historiker ...". Zuerst habe ich bei dieser Passage gestutzt, aber dann wurde mir klar, was er meinte, und ich gebe ihm vollkommen Recht.Das wäre dann der historische Ansatz, der sicherlich wichtig ist. Auch in den Naturwissenschaften existieren historische Komplexe, die man zumindestens im groben Überblick kennen sollte, um das Rad nicht neu zu erfinden. Stichwort etwa "Musiktheorie". Allerdings sind das "nur" Vorkenntnisse, die für die Weiterentwicklung aktueller Modelle (gruppentheoretischer Ansatz der mathematischen Musiktheorie) notwendig sind.
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#359
Geschrieben 11 Februar 2008 - 21:39
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#360
Geschrieben 11 Februar 2008 - 22:01
Davon gibt's haufenweise, typisches Beispiel ist das Modell "Invasion of the Body Snatchers": Seltsame Dinge geschehen - Kinder rennen vor ihren Eltern davon, Leute behaupten, dass ihre Ehepartner nicht mehr die gleichen sind etc. Zu Beginn ist jeweils noch nicht klar, was der Grund ist, verschiedene Erklärungen werden vorgebracht, die übernatürlichen - wunderbaren - werden erst einmal verworfen. In der Filmversion von Don Siegel erklärt ein Psychiater die Geschichte beispielsweise mit einer Massenpsychose. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem klar ist, dass da was Wunderbares vor sich geht. Im "typischen" Horrorfilm geschieht das wohl meist irgendwo zwischen dem ersten Drittel und der Hälfte. Ein Extrem ist "Rosemary's Baby", hier wird erst ganz zum Schluss eindeutig aufgelöst, dass die Protagonistin nicht psychotisch ist, sondern dass sie tatsächlich das Kind des Teufels ausgetragen hat.Ich habe ein bisschen gegrübelt, aber mir fällt kein Werk ein, dass in Todorovs Kategorie "phantastisch-wunderbar" fällt. Kennt ihr welche?
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