Geschrieben 23 Dezember 2007 - 19:06
Hallo zum zweiten Mal, yippeyippeeyay (und wer das sonst noch liest),so, ich bin fertig, und bevor ich zu meinen sonstigen Eindrücken komme, zuerst noch etwas Peinliches. Ich habe in meinem ersten posting über Deine Übersetzung der Kneipenszene gelästert. Mittlerweile ist mir die Möglichkeit in den Sinn gekommen, dass Du vielleicht nicht die Heyne-Ausgabe zitierst, sondern Deine persönliche Übersetzung. In diesem Fall wäre mein Geschwafel natürlich höchst unangebracht gewesen. Deshalb hier sicherheitshalber ein "Sorry!"Noch einiges zu meinem ersten Posting-Schnellschuss:Zu Punkt 1:"Bei Büchern von PKD habe ich eigentlich nie das Gefühl, realistische Literatur zu lesen - und das auch schon, bevor seine Welten auseinander fliegen." - Dazu stehe ich, allerdings braucht man dafür nicht unbedingt Kafka und Brecht zu bemühen.Mir scheint, dass in PKD-Büchern eher Typen denn ausgearbeitete Charaktere auftreten. Einzige Ausnahme ist da vielleicht der 'redliche Handwerker' - hier Jack Bohlen (eine Art Alter ego Dicks?). Daneben sehe ich halt die Typen wie:- Arnie Kott, der impulsive, barocke Macht- und Genussmensch (und Rassist), der sich aus kleinen Verhältnissen nach oben gearbeitet hat (eine Art Jimmy Hoffa?);- Doreen Anderton, die Hure mit Herz;- Silvia Bohlen, die gelangweilte Ehefrau (und Euthanasie-Befürworterin);- Leo Bohlen, der konservative Kapitalist;- Otto Zitte, der schmierige Handelsvertreter und Damenbeglücker.Zu diesen Typen kommen, scheint mir, die nur sehr spärlichen Beschreibungen einer Szenerie dazu, die - nähme man die Darkies weg - auch in Arizona oder New Mexiko in den sechziger Jahren angesiedelt sein könnte. PKD scheint die SF ja hauptsächlich als Mittel zur Verfremdung zu benutzen. Interesse an der technologischen Entwicklung hat er wohl kaum. Wenn High-Tech eine Rolle spielt, ist sie leicht unglaubwürdig: Ich kann z.B. nicht glauben, dass es so billig ist, Konservendosen in unbemannten Raketen von der Erde zum Mars zu schießen.Zu Punkt 2:Mich würde wirklich interessieren, ob es große Unterschiede zwischen den Übersetzungen gibt: Normalerweise würde ich ja immer Suhrkamp/Insel eine größere Sorgfalt auf diesem Gebiet zutrauen. Da die Heyne-Übersetzung jüngeren Datums ist, müssen die aber doch wohl einen Grund für ihr Tun gehabt haben?Zu Punkt 3:Ich rede hier von "Realitätsveränderungen", weil ich glaubte, mich daran von meiner Erstlektüre vor 20 Jahren her zu erinnern. Mir schien sich jeweils eine Szene grundlos seltsam weiterzuentwickeln.Ich zitiere hier lieber mal die entsprechenden Passagen:S. 44:"... sagte Steiner: (...) Es ist unnatürlich, wie [die Israelis] leben, in diesen Baracken, und dieser dauernde Versuch, Obstgärten mit Orangen und Zitronen anzulegen, wissen Sie. Sie sind viel besser dran als alle anderen hier, weil sie drüben in der Heimat schon genauso lebten, wie wir hier leben, umgeben von Wüste und fast ohne jegliche Hilfsquellen." [HIER ÄNDERUNG ??]"Stimmt", sagte Otto. "Man muß es ihnen beibringen; sie drängen sich richtig danach. Sie sind nicht faul."S. 51:"Mrs Esterhazy sagte: Man wird die Kinder einschläfern." Aufgebracht sagte er: "Töten, meinen Sie wohl." [HIER ÄNDERUNG ??]"Oh", sagte sie, "wie können Sie von so etwas sprechen, als wäre es ihnen egal?" S. 71:[Anne Esterhazy:]"... Und nun ist [Steiner] tot." (...) Und es war ein Unfall, er hat es nicht absichtlich getan." (...) [HIER ÄNDERUNG ??] Etwas später gingen [Esterhazy und Kott] auf dem Gehweg entlang."Weshalb nehmen sich die Menschen das Leben?" fragte Anne.Es mag natürlich sein, dass ich in diese Passagen zu viel hineininterpretiert habe. Schwierig zu sagen.So, jetzt noch meine Meinung zum Buch:Ich bin noch nicht dazu gekommen, bei Wikipedia "Schizophrenie", "Autismus" usw. nachzuschlagen, aber ganz grob will PKD sicher sagen: "Das Leben in der modernen Massen-/Industriegesellschaft entfremdet uns von uns selbst, sprich: Wir werden gespalten, schizophren. Als Folge ziehen wir uns von unseren Mitmenschen zurück, werden zu Autisten." Es gibt dazu genügend Textstellen als Beleg (die ich jetzt aus Faulheit nicht zitiere). Jack Bohlen wollte seiner eigenen Schizophrenität in der Natur (also auf dem Mars) entgehen, wird aber durch Manfred plus Arbeitsstress wieder von ihr eingeholt. Das Problem der Entfremdung durchzieht ja PKDs Werk. In einem Essay hier im SF-Netzwerk (siehe Übersicht über die PKD-Lesezirkel) argumentiert Gero Reimann, glaube ich, dass zum Beispiel die ganze UBIK-Werbung im gleichnamigen Roman auch nur illustrieren soll, wie bizarr/unnatürlich die moderne (Medien-)Gesellschaft ist.Mir hat das Buch gut gefallen, weil es komisch, leicht lesbar und doch nicht doof war. Etwa die Szene, als Otto Zitte Silvia Bohlen verführte, fand ich amüsant. Oder die Art und Weise, wie Doktor Glaub sich selbst analysiert. ("Nein, so geht es nicht. Ich bin keiner von den psychologischen Fällen, die sich rächen wollen - das täte nur ein Analfixierter oder Oralfixierter. Und er hatte sich vor langer Zeit schon klassifiziert als den spätgenitalen Typus, für den reife Geschlechtsbeziehungen typisch sind.")Im Großen und Ganzen habe ich den Roman als Sittenkomödie gelesen, in dem zwar ganz schön üble Dinge passieren, wo Tragik aber nie aufkommt. Ein bisschen nach dem Motto: "Die Lage ist aussichtslos, aber nicht ernst."Und noch kurz zum Ende, das weiter oben diskutiert wurde: Ich hätte es auch okay gefunden, wenn der Text einfach mitten in irgendeinem Satz abgebrochen wäre. Mir scheint bei PKD-Romane der Weg das Ziel zu sein. Die Frage, ob Manfred dem Altersheim entgeht, hat mich nicht interessiert. Genausowenig, was aus Jack Bohlens Liebesleben wird. PKD ist als Autor immer so weit weg von seinen Typen (ups, fast hätte ich "Charakteren" geschrieben, dass deren Schicksal mich nie sehr interessiert.Gruß und tschüß, Rainer/raps (Seit Neuestem Limonaut!)