Geschrieben 15 Juni 2008 - 17:49
Die Einführung zu dieser hochinteressanten Themenausgabe „Die dunklen Seiten der Zukunft“ liefert gescheit, informativ und treffend Franz Rottensteiner, der wieder einmal zu intellektueller Größe aufläuft.
Die Erzählungen - wenn´s schon düster sein darf* - treiben´s manchmal auf die Spitze, das ist nicht nach jedermanns Geschmack, auch nicht immer sehr unterhaltsam, aber fast durchwegs auf stilistisch und gedanklich anspruchsvollem, wenn nicht ausgesprochen hohem Niveau. Um ein Fazit vorwegzunehmen: Wenn von einer eigenständigen deutschen SF gesprochen werden kann, die sich aus der angelsächsischen und (bisweilen) über sie erhebt, dann zu Recht von dieser Ausgabe. Bravo!
*(kleine Anmerkung am Rande: meine letzte VISIONEN-Anthologie „Der Moloch“ war schon düster genug, so dass manche Leser - laut eigener Aussage - fast in Depressionen verfielen. Da bin ich mal neugierig, was sie zu diesem Werk hier sagen - wenn es ihnen die Sprache nicht ganz verschlägt).
Radikale von Marcus Gebelein - leider mehr ein Bericht (mit enervierender wissenschaftlicher Einführung) als eine Story: geschenkt.
Noware vom Post - Aktionsreiche und bildstarke Vision einer (post)apokalyptischen Gesellschaft, die sich allerdings auf bruchstückhafte Szenen stützt und leider mit zu vielen Fäkalausdrücken (die 2. Szene ist übrigens viel zu lang und zu jargonbehaftet) und auch reichlich Splatterelementen angerührt ist: eine würzige Suppe, doch manchmal zu scharf, um bekömmlich zu sein. Trotzdem bemerkenswert.
Imperium Germanicum von Hebben - ja, dat isses: Hebben auf Alternativtour ohne Cyberpunk. Starkes Stück, mal als Science Fiction, mal als Phantastik-Variante. Zum Aussuchen.
Der Krieg der Geister von Michael Schneiberg - sehr stimmungsvoll geschrieben (wie schon sein Debüt in NOVA 9), lässt mich aber unbefriedigt zurück, weil ich nicht weiß, was der Autor mir damit sagen wollte - wenn er überhaupt eine Botschaft hatte. Eher geeignet als Kapitel eines epischen Romans, hier aus dem Zusammenhang gerissen. Schneiberg hat fraglos großes erzählerisches Talent.
Omajova von Nadine Boos - wunderbar! Sehr gefühlvoll, sehr visionär. Eine der besten Storys dieses Jahres.
Balkonstaat von Ralph Doege - großartig geschrieben. Kafkaeskes Szenario. Passt in diese irre Ausgabe.
Düsterkamps Didaktik von Eckhardt - die Story, die so reizvoll beginnt, verliert gegen Ende etwas von ihrem Schwung und ihrer Faszination, zumal ich mir eine etwas fantastischere Entwicklung erhofft hatte, wird aber durchaus konsequent zum Abschluss gebracht - auf, wie gewohnt, hohem „eckhardschen“ intellektuellem Niveau. Hübsch der kleine Einschub über die „Eurodet“ - damit man sie nicht vermisst ...
Alle Zeit der Welt von Jakob Schmidt - ging mir überhaupt nicht nahe und war für meinen Geschmack zu sehr auf Horror getrimmt, mit zu starken Ausdrücken.
Die Göttin des Überflusses von Thomas Wawerka - sehr poetisch, sehr gefühlvoll, etwas schlaglichtartig.
Wenn man stürzt von Kasper - auf eigenartige Weise faszinierend; das liegt an der Sprache und an der exotischen Vision.
Dreistern Blau von Christian Günther - damit konnte ich gar nichts anfangen. Ein Text, der, scheint mir, im leeren Raum hängt wie die „gesichtslosen Androiden“, die ihren ebenso unerklärlichen wie unnötigen Auftritt haben.
Die Gaststory Murphys Krieg von James P. Hogan - ursprünglich August 2007 im Online-Magazin „Jim Bean´s Universe“ erschienen (worauf leider nicht hingewiesen wurde), zählt im Gegensatz zu den übrigen Geschichten zu den fast in der Gegenwart angesiedelten Utopien, nicht Dystopien. Sehr solide geschrieben, hat Spaß gemacht.
Zu den Grafiken: Das Cover passt sehr schön zum Thema, die Illustrationen sind zum Teil vorzüglich - speziell von Klaus, Jaszczuk, Wittmann; gefallen konnten civs, Moritz, Steuber; missfallen haben mir Jaja und Korbmacher - ja nun, ist eine Geschmacksfrage. Sehr schön, übersichtlich und informativ wie immer die Kurzporträts der Autoren und Künstler.
Die beiden Artikel von Eckhardt und Bode habe ich - mangels Kenntnisse über die behandelten Autoren und ihre Werke - nur überflogen.
Ein kleiner Wermutstropfen, auf den ich bei einem Magazin, das von Aufmachung und Inhalt her durchaus professionellen Charakter hat, gerne verzichten würde, sind die relativ häufigen Setz- und sonstigen Fehler, die beim Korrekturlesen, spätestens aber bei der Endkontrolle (ja ja, ich weiß, no time, no time! Says the rabbit) auffallen müssten:
In Rottensteiners Artikel wird Mordecai Roshwald zu „Mordecai Level“ (namensgebend für sein „Level 7“...?) umfunktioniert. Schneibergs Debüt, in der Kurzbio fälschlicherweise Ein Garten für die Ewigkeit betitelt), hieß natürlich Jackville und der Geisterhund. In Hogans Story heißt es einmal „4 Millionen Dollar“ (S. 152), dann „4 Milliarden“ (S. 153); dazu diverse fehlende Kommas (Kommata, wer´s lieber mag), doppelte oder fehlende Wörter oder Buchstaben - nicht nur in dieser Story. Und bisweilen mal ein Einzugsfehler. Dazu kommen der halbherzige Copyright-Vermerk und bei Schneibergs Story der fehlende Illustratoren-Hinweis. - Es ist mir klar, dass sich immer gewisse Fehler einschleichen, aber sie sollten doch nicht überhand nehmen.
Wenn´s ein Trost ist: Diese „Unglücksausgabe“ mit Nummer 13 gehört sicher zu den besten bisher! Ein Muss für jeden kritischen Kurzgeschichtenleser. Und ein Hurrah! auf die deutsche SF-Kurzgeschichte!