Diese "Beidnennung" (deine Wortwahl) ist in meinen Augen deshalb problematisch, weil sie auf einem Irrtum beruht. "DER" Bürger ist nicht männlich. Das Substantiv ist männlich, ja. Aber "DER" Bürger ist _JEDER_ (!) Bürger, gleich, welchen Geschlechts.
Das Mitglied ist ein Neutrum, und kein Mann hat sich jemals darüber mokiert, dass man ihm als Vereinsmitglied den Schwanz abspricht. Es ist allerdings tatsächlich so, dass die weibliche Seite der Gender-Vertreter die Feminisierung auch der neutralen Worte (wie Mitglied) verlangt.
Der Irrtum ist leider auf deiner Seite. Ich gebe dir natürlich absolut recht, dass in der deutschen Sprache das einem Substantiv zugehörige Genus erstmal überhaupt nicht auf ein wie auch immer geartetes Geschlecht in der Welt referiert. "Der Baum" ist nicht männlich und "die Blume" ist nicht weiblich, außer natürlich jemand haucht ihnen etwa in einem literarischen Text Leben ein und weist ihnen genau dieses Geschlecht zu. Aber auch dann bleibt das natürlich auf diesen Text beschränkt.
Das alles ist eine linguistische Erstsemester-Binsenweisheit.
Aber bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Trennung von Genus und Sexus bei Personenbezeichnungen nicht in gleicher Weise zutrifft. Wenn wir bei unserer morgendlichen Brötchensuche von einer schnarchigen Frau bedient worden sind und von ihr erzählen wollen, ist sie "die Verkäuferin" und nicht "der Verkäufer". Sowohl Artikel als auch Suffix orientieren sich dabei eindeutig an dem von uns sinnlich wahrgenommenen Geschlecht (Und hier natürlich nur: männlich oder weiblich). Das ist korrektes Deutsch, denn von dem Verkäufer zu sprechen, wäre an dieser Stelle falsch, und, glaub mir, das ist keine neue Entwicklung im im Sprachsystem und in der Pragmatik unserer Sprache.
Jetzt kann man sich natürlich auf das generische Maskulinum berufen. Das geht aber auch nicht problemlos, weil nie klar ist, wer eigentlich mitgemeint ist. Wenn ich in einem Text ausschließlich von "Bäckern" schreibe und es auch nicht an anderer Stelle deutlich mache, ist nicht klar, ob "Bäckerinnen" mitgemeint sind oder nicht. Denn obwohl es (in der Regel aufgrund von gut nachvollziehbare historische Bedingungen) weit verbreitet ist, bleibt die dargestellte Regel bestehen: Bei Personenbezeichnungen wählen wir Artikel und Suffixe in Abhängigkeit von dem Sexus des oder der Bezeichneten. Die Folge ist: Wenn ich es nicht ergänzend eindeutig mache, ist der unmarkierte Fall bei Personenbezeichnungen als generisches Maskulinum ist unklarer Sprachgebrauch und war es auch schon immer. Umgekehrt trifft das natürlich auch auf das generische Femininum zu, das es selten gibt, aber als der markierte Fall (-innen) sowieso noch weniger eindeutig ist.
Bei "Bürgern" kommt noch eine Dimension dazu, denn Bürger sind historisch ausschließlich männliche Bürger. Das Konzept "Bürger" schließt Frauen sogar dezidiert aus, auch hier ist die klare Trennung von Genus und Sexus bei einer Personenbezeichnung nicht gegeben. Es ist also ganz im Sinne eines guten Sprachgefühls und überlegten Sprachgebrauchs ratsam, darauf hinzuweisen, dass Frauen mitgemeint sind, wenn ich von "Bürgern" spreche und sie mitmeinen will.
"Mitglieder" bzw. "das Mitglied" ist ein Sonderfall. Ich erwähnte es hier, weil ich tatsächlich schon auf die Formulierung "Liebe Mitgliederinnen und Mitglieder" gestoßen bin. Das ist natürlich unsinn. Aber nur weil es Ausnahmen gibt, sollte man von ihnen nicht die Regelhaftigkeit ableiten.
Möglicherweise war das jetzt alles viel zu kurz, aber ich hoffe nachvollziehbar. Kurzum:
1. Michael, du hast recht: In der deutschen Sprache lässt sich vom Genus eines Wortes nicht systematisch auf das Sexus des bezeichneten schließen.
2. Einen Sonderfall bilden Personenbezeichnungen. Die Verwendung des generische Maskulinums führt aus den genannten Gründen zu einer uneindeutigen Kommunikation. Die Beidbenennung wäre eine sinnvolle Lösung, um eindeutige (und damit auch diskriminierungsfreiere) Kommunikation zu ermöglichen.
3. "Mitglied" ist ein Beispiel für einen erneuten Sonderfall im Sonderfall.
Puh! (Ich hoffe, das war verständlich und nachvollziehbar.)
Bearbeitet von Felix, 16 Juni 2018 - 13:02.