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Krematorium


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19 Antworten in diesem Thema

#1 scal

scal

    Giganaut

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Geschrieben 15 Februar 2009 - 23:32

Hier gehts zur Story Krematorium Viel Spaß beim Lesen und bewerten und viel Erfolg für die Geschichte.
The Moment of Terror was the Beginning of Life!
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#2 heschu

heschu

    Temponaut

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Geschrieben 19 Februar 2009 - 07:58

Ich will die Storys nicht aufdröseln, das können andere besser. :o Aber meine ganz persönliche Meinung schreibe ich wenigstens dazu. Krematorium ist eine beklemmende, sehr düstere Geschichte. Für mich ist es allerdings unlogisch, dass der Torso arbeitet, die Sinnesorgane jedoch entfernt wurden. Warum wird eine Sensorspinne verwendet, wenn man doch die eigenen Augen nutzen könnte? Oder habe ich etwas überlesen?Der Text erinnert mich übrigens etwas an den Roman „Tristopolis“.

Carpe diem!

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#3 Jürgen

Jürgen

    CyberPunk

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Geschrieben 21 Februar 2009 - 16:09

Wow! Einfach nur WOW! Diese Kurzform meiner ersten Reaktion auf diese Geschichte hat nichts mit der gleichnamigen Abkürzung eines bekannten Netzgames zu tun.Es ist vielmehr der Ausdruck meines Erstaunens, wie gut ein Autor schreiben kann. Der Text ist stilistisch absolute Spitzenklasse, mit einem Gefühl erzählt, das kaum intensiver sein kann und die Story selbst ist so abgefahren, dass ich mich zutiefst vor der Vorstellungskraft des Autors verbeuge.Technokratische Prosa im Endstadium ist eine gute Zusammenfassung, um diese Story qualitätsmässig einzuordnen.Für diese schriftstellerische Leistung brauche ich kein Fazit, sondern erkenne an, dass der Schreiber absolut alle Regeln der schriftstellerischen Handwerkskunst aus dem FF beherrscht. Tempo, Erzählweise, Atmosphäre, Umsetzung und Ausdrucksvermögen vereinigen sich zu einem Festmal für den Leser - einfach unglaublich.Trotzdem wird es einen Punktabzug geben - einfach deshalb, weil meiner Meinung nach das Thema ein wenig verfehlt wurde. Die ganze Geschichte ist weder zeitnah, noch reflektiert sie die thematische Vorgabe urban Life.Es ist eher SF - aber von jemandem geschrieben, der über irgendwas schreiben könnte - es wäre im Ergebnis gut.Ich bedanke mich für diesen Beitrag und würde mich nicht wundern, wenn ich den Autor bereits kennen würde. Kenne ich ihn nicht, wäre es höchste Zeit für einen intensiven Mailwechsel.GrußJürgen
Aus dem Weg! Ich bin Sys-Admin...

#4 †  a3kHH

†  a3kHH

    Applicant for Minion status in the Evil League of Evil

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Geschrieben 21 Februar 2009 - 16:40

In der Zukunft werden Menschen auf das Notwendigste zur Erledigung ihrer Aufgaben zurechtgestutzt : Arbeiter sind menschliche Körper, ihrer natürlichen Sinnesorgane beraubt, Intellektuelle sind Gehirne im Plasmabad, ihres Körpers beraubt.Nette Story, der der letzte Kick fehlt. Alles bleibt auf der reinen Darstellungsebene, ein echter Plot wird nicht erzählt. Gerade im Vergleich mit der vor kurzem erschienenen Geschichte "Gelee Royale" von Frank Hebben (oder dem bereits früher erschienenem "Der Wühler"), die das gleiche Thema behandelt, fällt der Mangel eines Plots markant auf.

#5 Earth Rocks

Earth Rocks

    Infonaut

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Geschrieben 24 Februar 2009 - 18:35

Diese Story lebt von der immensen Phantasie des Autors.Auch wenn der Protagonist eher eine Funktion der Geschichte ist, als umgekehrt.Der Schluß ist vielleicht etwas zu moralisierend. Einige Fragen würden sich noch stellen, doch ich behalte sie besser für mich, bevor ich wieder dem Vorwurf der überheblichen Besserwisserei anheim falle.Mein dritter Favorit im Rennen!lg, Flo

#6 heschu

heschu

    Temponaut

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Geschrieben 28 Februar 2009 - 17:50

Nur meine Meinung. :thumb: Spannend. Eine sehr beunruhigende Welt, die hier vorstellt wird. Ich habe mich zwar über die fehlenden Sinnesorgane gewundert, aber jetzt denke ich, das kann man unter dichterischer Freiheit verbuchen. 9 Punkte

Carpe diem!

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#7 Christian Günther

Christian Günther

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Geschrieben 04 März 2009 - 12:27

Zunächst einmal fiel mir sofort die stilistische und inhaltliche Nähe zu Frank Hebbens Storykosmos auf, ob nun beabsichtigt oder nicht kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls fühlte ich mich stark an Gelee Royale erinnert.Nichtsdestotrotz finde ich sie handwerklich durchaus gelungen, die erzeugte Atmosphäre ist dicht und bedrückend. Der Umgang mit Worten und Stimmungen liegt dem Autor. Ich bin dem Verlauf mit Spannung gefolgt, das Ende empfand ich dann als etwas enttäuschend, aber durchaus folgerichtig. Über eine Logik, welche Körperteile aus welchem Grund nun entfernt wurden, braucht man meiner Meinung nach gar nicht groß zu argumentieren, da die geschilderte „Gesellschaft“ an sich reichlich absurd agiert und nur noch Fragmenten menschlicher Beweggründe folgt. Das gefällt mir.Insgesamt einer meiner Favoriten.Punkte: 8

Bearbeitet von Christian Günther, 09 März 2009 - 20:38.


#8 Naut

Naut

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Geschrieben 05 März 2009 - 21:37

Sehr gut, allerdings mit Schwächen:
Der Protagonist reflektiert seine Situation viel zu sehr aus der Warte von jemandem, dem unsere Lebenswelt vertraut ist. Daher hatte ich erwartet, dass er ein ehemals freier Mensch ist, der gefangen wurde. Aber [SPOILER!] das ist er nicht: Als Arbeiter wurde er in einer Brutkammer gezüchtet, bald nach seiner Geburt adaptiert. Begriffe wie Farbe müssten ihm fremd sein, ebenso wie die normale Funktion von Armen, Augen und Beinen. Desweiteren dürfte er keine Auffassung von menschlicher Norm oder Ästetik haben, sich daher über sein Aussehen nicht aufregen dürfen.

Die Geschichte ist also sehr deutlich auf Ekel/Grauen gebürstet. Fear over Function. Der Versuch, body horror mit SF zu paaren schlägt für mich aber fehl, weil mir das eben durch die erwähnten Mängel zu offensichtlich daherkommt.
Daher ein Abzug in der B-Note für die ansonsten stilistisch untadelige Geschichte.

Und ja, wenn er es nicht ist, ist es ein recht guter Imitator. Ich sag nur: Zähl die Semikolons.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#9 MrSeaman

MrSeaman

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Geschrieben 06 März 2009 - 23:33

Eine düstere biotechnologische Zukunftsvision, bei der ich das Ende des Hauptcharakteres im Krematorium schon vor dem Anklicken der Geschichte vorausvermutet habe. (Ich denke fast, dass das Absicht war - dann wäre der Titel sehr geschickt gewählt, weil in die Irre führend.)Was ich allerdings nicht vorausgesehen habe, ist die Selbsterkenntnis des Prot und sein schlussendliches Aufgehen im Elektrogewitter - und die damit zusammenhängende Andeutung einer "selbstverstärkenden Elektrorevolution", einer kleiner, körperlosen Rebellengruppe, die sich durch Technikmanipulation so lange vergrößert, bis sie irgendwann zur Mehrheit wird. Mir liegen Vergleiche mit Greg Egan auf der Zunge, mögen diese nun zutreffen oder nicht.Das ist Cyberpunk pur, ich kann jetzt schon sagen, dass dieser Text die Höchstpunktzahl verdient hat. :unsure:10 Punkte.

Bearbeitet von MrSeaman, 06 März 2009 - 23:34.


#10 Konrad

Konrad

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Geschrieben 08 März 2009 - 14:17

Mein Eindruck ohne Anspruch auf Objektivität:Diese Erzählung hat mich überrascht. Beim ersten Überfliegen dachte ich, reiner Monolog, das wird hart, ganz hart. Doch es kam anders, ohne Anstrengung hat sie mich zunehmend fasziniert, mich für sich eingenommen. Die Atmosphäre ist düster und phantastisch. Der Autor beherrscht die Feinheiten des Ausdrucks. Die Sprache hat Rhythmus, einen Fluß, der besonders die Fahrten der Gondel sehr intensiv wiederspiegelt. Dabei ist sie rund, ohne Ecken und Brüche, im dramatischen Teil vielleicht etwas zu glatt und beherrscht.Die einzige Schwachstelle, Naut hat sie schon erwähnt, liegt in der Logik der Konstruktion. Ein von Geburt an verstümmelter indoktrinierter Torso kann eine Verstümmelung nicht als solche erkennen, kennt auch keinen "Kadaver im Schlachthaus".Fazit: Eine atmosphärisch und sprachlich sehr gelungene Erzählung, der man den kleinen Logikbruch nachsieht.

#11 Vincent Voss

Vincent Voss

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Geschrieben 08 März 2009 - 15:51

Mit dem in meinen Augen leicht pathetischen Schreibstil kann ich mich anfreunden, ich glaube aber nicht jeder. Pathetisch deshalb, weil es keine kurzen Sätze sind, die der Autor verwendet, sondern seine Beschreibungen sind salvenförmig. Als Beispiel: Seine Beschreibungen sind salvenförmig,reihen sich aneinander,klammern;flüstern mit dünnen Stimmen;dünn wie...Die Grundidee ist nicht neu aber durch den Autoren gut inszeniert worden.Als starken Logikfehler empfand ich die Tatsache, dass der Haupttorso, der so beschrieben wird, dass er kein Wissen über eine andere Existenzform hat, schockiert bei seinem eigenen Anblick ist und an Verstümmelung denkt. Wie kann er das, wenn er nichts anderes kennt, da das System alles gleichgestellt hat?Die Verwandlung mit dieser plötzlichen Erkenntnis ist zu stark und damit plump.Die, ich denke, bewusste historische Anlehnung an das NS-Regime habe ich nicht verstanden. Sollte das die Berechtigung für den Titel sein? Ich weiß es nicht.6,5 Punkte von mir.

#12 Muside

Muside

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Geschrieben 10 März 2009 - 17:32

Diese Story ist erzählerisch die reifste dieses Jahr: Jeder Absatz treibt entweder die Handlung voran oder vertieft das Verständnis für den Protagonisten - häufig beides gleichzeitig -, ist kurz & bündig und prägnant. Der Autor erzeugt die Atmosphäre der Beklemmung, die dieser Geschichte eigen ist, hauptsächlich mittels einer sehr durchdachten und konsequent durchgezogenen Erzählhaltung, nämlich eines in seiner Wahrnehmung und Mobilität eingeschränkten Ich-Erzählers. Die Abhängigkeit des Protagonisten von der Welt, in der er lebt, kombiniert mit den oberflächlichen Beobachtungen, die er über sie anstellt, vermittelt dem Leser subtil die Erfahrung von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein; versetzt ihn direkt in den Körper eines Krüppels, der an einem Fleischerhaken aufgehängt durch eine Geisterbahn geschleift wird.

Der Stil ist exzellent. Wortwahl, Satzbau, Tropen und andere rhetorische Figuren bringen die Gedanken des Protagonisten unmissverständlich herüber, ohne gezwungen zu wirken.

Die Struktur ist klar und zweckmäßig; es ist eine Kreisstruktur, die nötig ist, um die für die Aussage der Story zentrale Ironie zu vermitteln: Die dargestellte Gesellschaft, deren Zentrum, Endpunkt - und, angedeuteterweise, letztendlicher Untergang - das Krematorium ist, existiert nur noch dazu, eine "dreimal so große" Kopie ihrer selbst herzustellen; ihre Entwicklung hat in eine high level equilibrium trap gemündet - gesellschaftlicher Stillstand durch Vergeudung aller Ressourcen für eine Wiederholung des Immergleichen.

Auch ich habe während des Lesens zweifelnd die Passagen angestrichen, in denen der Protagonist schockiert auf den Anblick seiner Entstellungen reagiert. Genaugenommen war ich bereits ab der Passage auf Seite 7, in der er den Sinn hinter seiner Gestaltung hinterfragt, skeptisch:

So viele Fragen, die mich quälen, so viele Dinge, die mir rätselhaft erscheinen: der Knochenfund heute, das nachgeschwärzte Foto; der Elektrosturm. Hängen diese Dinge zusammen? Gibt es eine kausale Kette, Ursachen, Effekte?
Meine Abhängigkeit von der Maschinenstadt...
Weshalb wurde ich ohne Arme und Beine gemacht; wieso habe ich keine Augen, keine Ohren, keinen Mund?

Es ist der Übergang von der Hinterfragung der Gesellschaft zur Hinterfragung der eigenen Rolle in dieser Gesellschaft, der dem Autor nicht gelungen ist. Dass der Schock des Protagonisten auf ein Selbstverständnis hindeutet, das ein in dieser Gesellschaft erschaffenes Wesen gar nicht haben dürfte, ist eine legitime Beobachtung, aber nicht der eigentliche Auslöser dieser erzählerischen Unstimmigkeit. Denn wäre diese Passage nur ein wenig ausführlicher, hätte auch das glaubwürdig vermittelt werden können - der Autor hat es versucht, ist aber zu subtil geblieben:

Ãœberreste der Vorkultur, sehe ich sofort - eine Karosserie, verbeult, mit verkratzter Windschutzscheibe, und darin eingeschlossen wie ein Insekt in Industrieharz: ein menschliches Skelett. Arme, Finger, Beine; Knochenreste.

Die Verbindung zwischen diesem Absatz und dem vorher zitierten wird nicht klar genug gemacht. Mit einer vertieften Darstellung des Denkprozesses, der Unzufriedenheit des Protagonisten durch die (wörtliche wie bildliche) Einschränkung seines Handlungs- und Bewegungsspielraums in seiner jetzigen Gesellschaft, einer näheren Erläuterung, weswegen er sich jetzt eher mit der vergangenen Gesellschaft identifiziert, wäre sein Selbstverständnis viel klarer geworden, und der Leser hätte die Passagen von S. 7 ff nicht als Bruch wahrgenommen.

Persönlich hätte auch ich den Protagonisten seiner Verkrüppelung gegenüber indifferent gemacht und das Sehnen nach der Vergangenheit nicht ins Spiel gebracht. Es wäre interessanter und innovativer gewesen, zu sehen, auf welche Weise sich ein Mitglied einer solchen Gesellschaft ihrer Sinnlosigkeit ohne die Folie der Vergangenheit bewusst wird. Der jetzige Aufbau hingegen ist altbekannt, geradezu klassisch: Der Autor projiziert unsere heutigen Moralvorstellungen und Weltbilder auf den Text. Die Gegenwart als Maßstab anzulegen und im Rahmen des Textes zum nostalgischen Ideal zu machen, bestätigt und zementiert das Selbstverständnis des Lesers, anstelle es zu erschüttern - was der mutigere Weg gewesen wäre. Aber das ist ein typischer "hätte ich anders gemacht, hat der Autor aber nicht"-Einwand, der nichts mit der Qualität der Story an sich zu tun hat und deshalb auch keinen Eingang in die Wertung findet.

Ein weiterer Aspekt des erzählerischen Bruchs, der auf S. 7 stattfindet, ist ja, dass er scheinbar ein zu weit gehendes Wissen von der vergangenen Gesellschaft hat. Hier möchte ich kurz darauf hinweisen, dass wir zwar niemals erfahren, woher er dieses Wissen und Verständnis haben könnte, dass aber auch niemals explizit gemacht wird, er könne es sich nicht angeeignet haben. Wir erfahren sehr wenig über die "Freizeitgestaltung" der Leute in dieser Gesellschaft, und obwohl Fotos und Akten zensiert werden, scheint Wissen über die Vergangenheit an sich nicht rundheraus verboten zu sein - das beginnt schon damit, dass dem Protagonisten "Vergangenheit", "Vorkultur", "Relikte", das Aussehen eines vollständigen (!) menschlichen Skelettes etc. bereits ein Begriff sind. Wir neigen zwar dazu, diese Gesellschaft ob ihrer Kälte für einen totalitären Terrorstaat zu erklären, aber daraus spricht nur wieder unsere eigene kulturelle Eichung. Wenn man nur die vom Autor gelieferten Fakten berücksichtigt, scheint es sich eher um eine "Brave New World", als um "1984" zu handeln: Die Vergangenheit ist nicht verboten - es interessiert sich nur keiner dafür. Erst, als der Protagonist zu tief bohrt, von seiner Position in der Gesellschaft zu stark abweicht, wird er aus dem Verkehr gezogen und verurteilt. (Auch hier hätte ich als Autor ein wenig anders gehandelt und den Protagonisten für die Vernachlässigung seiner Arbeit verurteilt, nicht dafür, dass er dem Endziel seiner Gesellschaft nachgeht, wie der Text es anzudeuten scheint - aber auch das ist nur meine persönliche Meinung.) Mit anderen Worten: Ich halte es zumindest für nachvollziehbar, dass ein gebildeter und engagierter Torso in dieser Welt eine recht gute Vorstellung davon haben kann, wie das Leben in der Vergangenheit aussah. Ich stimme aber meinen Vorrednern zu, dass dieser Punkt unklar bleibt und ebenfalls einige Vertiefung vertragen hätte. (Am Rande: Dass der Protagonist ein regelrechter Altertumsforscher sein muss, ist mir am deutlichsten an der Metapher des "Ballets aus Kränen" aufgegangen - ein Torso ohne Gliedmaßen, der sich mit Tanz auskennt, ist doch schon beachtlich! ;) )

Das Thema "Urban Life" ist getroffen und sogar auf besonders kreative, unerwartete Weise umgesetzt. Von "Near Future" würde ich zwar nicht sprechen, aber die Story bräuchte wenigstens nicht auf einem anderen Planeten zu spielen, um zu funktionieren.

#13 Yoscha

Yoscha

    Cybernaut

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Geschrieben 10 März 2009 - 22:28

Ganz die Art der Geschichte, mit der ich mich gerne schwertue.

Der Schreibstil, der anfangs noch überwltigend wirkt stumpft immer mehr ab und beginnt mich irgendwann zu langweilen. Warum?
Weil Stil ohne Substanz mich langweilt. Und mir fehlt es der Geschichte letzten Endes an Substanz.
Protagonist arbeitet, Protagonist hat Freizeit, Protagonist hat Unfall und plötzlich Zweifel an Gott/Krematorium und der Welt, System entsorgt Zweifler.
Aktbekannte Handlung. Keine Überraschungen. Ein wenig 1984, ein wenig Brave New World auf Amputationsfetischismus. Mir ist es zu wenig Substanz. Es will sich keine Spannung einstellen und die Auflösung ist eigentlich zu schnell zu klar.

Abzüge in der B-Note kommen noch dazu, da für mich persönlich das Genre nicht hinreichend getroffen wurde.

6 Punkte
Willkommen am Teufelsmeer.
Eine nicht ganz ernsthafte Zukunftsvision.
Coming Soon.
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#14 Morn

Morn

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Geschrieben 13 März 2009 - 09:05

Eine sehr gute Geschichte. Was mich stoert ist das Ende. Soll es bedeuten, dass die im Krematorium Verbrannten noch als Geist existieren? Dass etwa der Elektrosturm, der zum Unfall und beim Ich-Erzaehler zur Selbsterkenntnis fuehrte, gar von ihnen ausgeloest worden war? Ich hoffe nicht.Ein kurzer Hinweis, wie es innerhalb der naechsten 50 Jahre zu so einem Szenario kommen koennte, waere im Rahmen des Wettbewerbs auch nicht schlecht gewesen. So sehe ich nicht, wie das zu Near Future passen koennte.8 Punkte

#15 Armin

Armin

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Geschrieben 14 März 2009 - 20:46

Starke Sprache, sehr dichte Atmosphäre, die einen in die Story reinzieht - da verzeihe ich gern auch kleinere Logiklöcher (die jetzt hier schon zur Genüge erwähnt wurden). Schade finde ich, dass die Handlung mit der Sprache meiner Ansicht nach nicht ganz mithalten kann. Da dürfte ruhig noch ein bisschen mehr passieren †¦ Aber letztlich ist das Jammern auf hohem Niveau. Zusammen mit „Nishka“ steht diese Story für mich klar an der Spitze des Wettbewerbs.

9 Punkte

#16 scal

scal

    Giganaut

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Geschrieben 15 März 2009 - 12:12

Handwerklich astreine Arbeit, die Story lässt sich sehr flüssig lesen und reist einen mit in den Strudel der Ereignisse. Jedoch finde cih die Thematik spätetstens nach der Lektüre von Prothesengötter von Frank Hebben als etwas ausgelutscht, das neue fehlt. Menschen verstümmelt, so dass sie lediglich noch für eine ihnen zugedachte Aufgabe tauchen. Diese für dieseGeshichte notwendigen Wandlungen in der Gesellschaft sind nicht binnen 50-100 Jahren zu schaffen, da bracht es wesentlich mehr, so dass man hier nicht von Near Future reden kann, auch ist das Thema des CAPCo.de "Urban Life" nicht getroffen, wenn überhaupt dann doch nur angeriisen, was in beiden Fällen, die Qualität des Werkes zwarnicht beeinträchtigt, aber eben auch in die Wertung einfliessen wird.
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#17 Debil

Debil

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Geschrieben 15 März 2009 - 21:05

Rank Hebben

Wer hätte das gedacht :rofl1:
SPASS BEISEITE RECORDS
Myspace // Blog

No rest from the labor at the whip's end, when portraits of toil invade.
No rest from the stinging of the needles, when we covet their highs.

We can't run from the swarm when we live in the hive,
and the game is soon lost when we pray to the skies.
We can't run from the storm under black clouded skies.
We can't run from the swarm when live in the hive.

Are we deaf to the silence, or the roar of the machines,
or the hammering of the gavels, or the thunder of the crowds,
or the voices in our heads, or are we deaf from the silence?

From Ashes Rise - Silence


#18 Frank

Frank

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Geschrieben 16 März 2009 - 08:53

Erst einmal: Danke! Ich habe echt gestaunt, wie stark ihr, die Kritiker, euch mit meiner Story auseinander gesetzt habt, und möchte nur wenig euren Gedanken und Anmerkungen hinzufügen bzw. ergänzen:1) Möglicherweise funktioniert diese Geschichte besser in der "dritten Person"-Perspektive; ich überlege gerade, das umzuändern, was aber zur Folge hätte, dass das Erlebte nicht mehr so umittelbar ist ... denn natürlich klafft da eine Erklärungslücke, weshalb der Torso weiß, dass es Arme und Beine und Augen und Ohren gibt; und eine Vorkultur, ein Ballett usw. Ich deute hier nur kurz eine "Prägung" an; außerdem halte ich eine "Propaganda" für effektiver, die bewusst mit offenen Karten spielt, soll heißen: "Wir haben keine Arme, aber das ist auch besser so! Wir haben die lästigen Teile entfernt."Eine andere Erklärung wäre, dass unser Protagonist eben nicht gezüchtet worden ist, sondern beispielsweise selbst aus der Vorkultur stammt; eingefroren war im Cryotank, um so möglicherweise einen Krieg zu überdauern; aber auch das hätte an entsprechender Stelle ausführlich erklärt werden müssen; und dafür fehlte mir schlichtweg der Platz - außerdem treten so erneut logische Löcher auf. Ihr seht: Damit die Story als Ganzes funktioniert, musste ich als Autor Kompromisse machen, um den Leser nicht zu überfrachten, schließlich ist das gesamte Szenario schon so verflucht schwierig gewesen, flüssig und klar darzustellen ... ;)Warum ich jedoch das Thema "Urban Living" verfehlt habe, ist mir völlig rätselhaft: ES GEHT DOCH UM NIX ANDERES als um die Stadt und wie die Menschen darin leben und arbeiten ... *schulterzuck* :rolleyes:Nochmals Danke!Rank Hebben @Seaman: Du hast die Elektrorebellen entdeckt! *um den hals fall*

Bearbeitet von Frank, 16 März 2009 - 08:55.

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#19 Muside

Muside

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Geschrieben 16 März 2009 - 13:25

Ich denke auch, der Vorwurf, du hättest das Thema verfehlt, ist völlig ungerechtfertigt. Ein Thema ist dazu da, in Variationen erzählt zu werden. Dieses Jahr ist das Lesepublikum vielleicht mit einer zu vorgefertigten Erwartungshaltung in den Wettbewerb gegangen - vielleicht sollte beim CapCo 2010 noch einmal deutlicher darauf hingewiesen werden, dass ein Thema sich sehr unterschiedlich und manchmal auch sehr subtil ausprägen kann. Wie hier geschehen - ich persönlich hatte dir einen Bonus für die innovative Behandlung des Themas angerechnet, keinen Abzug :thumb: Es ist auf jeden Fall gut, dass du nicht in das Anfänger-Fettnäpfchen getreten bist, den Protagonisten überzuerklären. Der erzählerische Bruch ist immer noch einer Überfrachtung mit Erklärpassagen vorzuziehen, weil der Rhythmus der Story wichtiger ist als die inhaltliche Konsequenz (letztere kann sich der Leser einfacher selbst zusammenreimen als erstere).IMO ließe sich der erzählerische Bruch relativ leicht kitten; beispielsweise könnte die von dir angedachte Propaganda den Protagonisten nur in einer Szene ganz oberflächlich streifen. Eine Passage, die en detail auf die Vorkultur und das Verhältnis der Gegenwartsgesellschaft zu ihr eingeht, ist gar nicht nötig; es reicht, bei ein paar Andeutungen zu bleiben. Im Moment ist aber einfach noch gar nichts da, und das ist zu wenig.

#20 MrSeaman

MrSeaman

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Geschrieben 18 März 2009 - 13:40

Du hast die Elektrorebellen entdeckt!

War aber knapp ... :thumb: Und das wäre schade gewesen, weil das genau der Punkt war, der die Story für mich von "ganz gut" in "hervorragend" umgewandelt hat.


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