Nach der Lektüre einiger Kritiken des Forenmitglieds „Earth Rocks“ habe ich mich entschlossen, mich zu einer seiner/ihrer Kritiken zu äußern. Diese habe ich unter den bisher vorhandenen mehr oder weniger frei ausgewählt, der Punkt, den ich - für mich persönlich - als problematisch erachte, ist nicht auf diese eine Kritik beschränkt.
Warum Earth Rocks? Es sind die ausführlichsten Kritiken, die ich bisher zu den Geschichten im Forum gelesen habe. Hier wurde offensichtlich viel Zeit und Aufwand investiert - leider krankt die Äußerung von Earth Rocks Meinung meines Erachtens nach an etwas sehr grundsätzlichem: Am Ton, in dem sie geäußert wird.
Ich habe mich im Forum angemeldet, um meine Gedanken zu diesem Thema zu äußern.
Vorweg: Daniel 12,4 (die ich als "Dem Genre Dystopie zuzuordnende, in Personalperspektive erzählte Kurzgeschichte mit offenen Ende" charakterisieren würde) ist nicht fehlerfrei.
Ich persönlich mochte sie; Gleiches gilt für viele der hier eingestellten Kurzgeschichten.
Auch wenn ich mich gut unterhalten fühle und wirklich hoffe, die eine oder andere Erzählung in den kommenden Monaten und/oder Jahren einmal in einem Magazin oder einem Sammelband wiederzusehen, würde ich keine dieser Geschichten als unlektoriert druckbar bezeichnen. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Autoren meines Erachtens nach für ihre Mühen eine konstruktive Kritik verdient haben.
Ich finde es beeindruckend, dass Earth Rocks so viel Zeit und Mühe in die Kritiken investiert - er oder sie mag an vielen Stellen einen Punkt haben. Dennoch kranken die Kritiken an einem: der Art und Weise, in der sie formuliert sind.
Ich will weder Earth Rocks persönlich attackieren, noch einen Flamewar lostreten.
Jedem seine Meinung, dies ist meine.
Eine Anmerkung noch: Vielleicht bin ich durch meine Arbeit in der Werbebranche übersensibilisiert, doch ich würde vorschlagen, die Kritiken eher in den Autorenthread zu verlagern. Meine Begründung: Eine beißend geschriebene Kritik kann durchaus meinungsbildend wirken. Die Geschichte sollte für sich stehen, ein Leser sollte sich seine eigenen Gedanken machen und nicht - vor oder nach der Lektüre - durch die Äußerungen eines anderen beeinflusst werden.
Zur Kritik an der Kritik.
In den fernen Zeiten meines Germanistikstudium sagte mein (leider viel zu früh emeritierter) Lieblings-Literaturwissenschaftsprofessor einmal zu einem Kommilitonen: „Ich wünschte mir eine Kritik - und Sie gaben mir einen Verriss. Hier handelt es sich um eine bedauerliche Verwechslung, die leider viel zu oft vorkommt. Wie wäre es also, wenn Sie ihren Verriss wieder mitnehmen und mir in der nächsten Sprechstunde eine Kritik mitbrächten.“
Als ich Earth Rocks Kritik las kam mir diese Aussage wieder in den Sinn.
Warum der Sarkasmus? Warum die beißenden Kommentare?
Sachlich kritisieren bringt den Autor weiter, doch was ich hier lese ist zu einem großen Teil alles andere als objektiv.
Da wird ein einzelner Tippfehler aufgegriffen und unkommentiert erwähnt, ohne dass auf den Sinn dieser Markierung eingegangen wird.
All das geschieht in einem Tonfall, den ich persönlich einfach nicht mit meiner Vorstellung einer konstruktiven Kritik vereinbaren kann.
Ich werde meinen Eindruck anhand einiger Beispiele erläutern.
Hmmm... hier verstehe ich das Problem nicht. Dieser Ausdruck ist mir bekannt und als vollkommen normal geläufig. Gut, dass eine Formulierung fremd erscheint, kann passieren - dass man diesen Eindruck wiedergibt, ist legitim.Ist er gelähmt? Ist ihm die Haxe eingeschlafen? Wieso „zieht“ er sie nach?
Aber - muß das in diesem Ton geschehen? Hätte nicht ein einfaches „Diese Formulierung ist missverständlich, ich würde sie ändern“ gereicht?
Vielleicht verstehen wir die Geschichte unterschiedlich, doch in meinen Augen ist sie ein religiöses Gleichnis. Rahmen wie auch Titel der Geschichte lassen dies vermuten.Wieso das denn? Es ist verboten den Rasen zu betreten, sich der Mauer zu nähern und das alles nur auf ein gesprochenes Verbot hin?
Im Übrigen beinhaltet der Satz ein richtig unmoralisches Angebot. Nur weil mein Nachbar kein Schild an seine Frau angebracht hat „Bitte nicht grapschen“, kann es doch nicht gefährlich sein, oder? Supi!
Mehr noch. Eine ähnliche Erregung dürfte auch Josh packen, denn er hat ein Hochgefühl, wenn er über den Rasen geht. Schön für ihn.
Ich würde den Vorgang so interpretieren: Eine der inneren Stimmen ist die Versuchung, die ihn mit fadenscheinigen Rechtfertigungen lockt, seinen Trieben nachzugehen.
Abermals fällt mir der Tonfall negativ auf. Kommentare wie „Schön für ihn.“ sind unkonstruktiv. Mich würde interessieren, ob die Geschichte hier bewusst in ein schlechtes Licht gerückt werden soll, oder ob es sich um eine unreflektierte Äußerung eigener Gedanken handelt.
Ich habe das Gefühl, hier wurde nicht weit genug gedacht. Natürlich ist er unentschlossen und unbeholfen dabei, entstammt er doch einer Gesellschaft, die offensichtlich stark kontrollierend auf seine Mitglieder einwirkt. Dennoch findet er genügend innere Stärke, um seinem eigenen Willen nachzugehen.Das kann man jetzt als eleganten Versuch des Autors deuten die Wandlung in der Figur Schritt für Schritt darzustellen. Man kann aber auch anmerken, das ein Protagonist, der so unentschlossen ist, über eine strenge Hausmutter und ein strenges Amt, samt dazu gehörender Religion, dankbar sein sollte.
Hier meldete sich mein ganz eigener Sarkasmus mit einem „Das nennt sich innerer Monolog in indirekter Rede.“ Vielleicht hat mich hier mein Germanistikstudium stark beeinflusst, vielleicht setze ich ohne dies wahrzunehmen ein zu hohes Interpretationsniveau an - den Kopf habe ich dennoch geschüttelt. Es mag sein, dass die Passage hätte anders formuliert werden können, doch die von Earth Rocks gestellte Frage lässt sich anhand des gewählten Stilmittels einfach beantworten.Warum diese ganzen Konjunktive, wenn er es dann ohnehin tut?
Wer sagt das? Nur weil hier nicht im Detail auf solche Dinge eingegangen wird, heißt das nicht dass sie nicht da sein könnten. Die Geschichte folgt dem Protagonisten in der personalen Perspektive, der Leser sieht die Welt durch dessen Augen - und ist damit natürlich in seiner Wahrnehmung limitiert. Josh weiß nichts von Kameras, doch die Tatsache, dass nur Minuten nach seinem Regelverstoß zwei Wachleute auftauchen, spricht doch eine deutliche Sprache.Verwirrend im Übrigen, dass ein solcher Komplex über keine Sicherheitskameras verfügt, die sich um die Einhaltung von Verboten kümmern.
Ganz ehrlich: Ich kann keinen anderen Sinn in solchen Äußerungen finden, als das bewusste Heruntermachen des Inhalts der Geschichte. So etwas hat in einer vernünftigen Kritik meines Erachtens nach nichts zu suchen. Unzufriedenheit kann man sachlich äußern und entsprechend begründen.Aha, Trueman-Show läßt grüßen.
[...]
Die Götter müssen verrückt sein!
Diesen Kritikpunkt verstehe ich ganz und gar nicht, da in der Geschichte erklärt wird, dass der Protagonist ausschließlich Flaschen aus Plast (PET Flaschen) kennt. Er hat ganz offensichtlich noch nie eine Glasflasche in der Hand gehabt. Dass diese Gegenstände kaputt gehen können ist auch für den unerfahrenen Josh recht einfach daran zu ersehen, dass das vorliegende Exemplar kaputt ist.Er kennt diese Flaschen und weiß NICHT, dass sie kaputt gehen können und man sich daran schneiden kann. Josh ist nicht nur in seinen Entscheidungen zerrissen, sondern auch etwas einfach gestrickt. Verständlich, Sekten rekrutieren selten Genies. Schon gar keine aus der Flasche.
Von Sekten ist in dieser Geschichte nicht die Rede, nur von religiösen Hausmüttern. Natürlich könnte es sein, dass diese Stadt als Ganzes das Experiment einer irgendwie gearteten religiösen Vereinigung, bzw. deren Form des Paradieses ist.
Andererseits - ist das wirklich wichtig? Die Stadt ist die Welt des Protagonisten und dieser hinterfragt sie zum ersten Mal.
Ich würde von der Nutzung eines so polarisierenden Begriffs mit negativer Konnotation wie "Sekte" ohnehin absehen.
Wieder: Der Ton macht die Musik.
Diese Aussage lässt mich die Stirn runzeln. Was ist mit Utopia, 1984, Clockwork Orange oder Brave New World? Die Geschichte baut eine totalitäre Kontrollgesellschaft mit weltlichen (Amt) und religiösen Aspekten (die Mütter) auf und kreiert damit eine klassische Utopie/Dystopie-Situation. Genannte Werke gehen alle noch sehr viel weiter.WAS? Das gilt für eine ganze STADT? Sorry, ab hier kann ich die Story nicht mehr glauben. OK, für eine abgeschottete Sekte, ein NO-GO für eine Stadt, sprich mehr als 200 Menschen.
„Glaube“ ich die klassischen Dystopien? Muß ich sie glauben, damit sie „funktionieren“? Ich würde diese Fragen mit „nein“ beantworten.
Das hat mit NO-GO (auch hier: wieso die theatralischen Großbuchstaben?) nichts zu tun.
Ich weiß, dass ich mich wiederhole, doch ein weiteres mal passt mir die Formulierung nicht.Es muss was Tolles sein. Ich will es wissen. Ich lese, lese, lese †¦ ätsch †¦
Der Gong kommt in Form von zwei Schutzbeamten, die den Rasen betreten. Armer Rasen, dem bleibt heute wirklich nichts erspart. Der will doch nur in Ruhe wachsen.
Wieder habe ich das Gefühl, dass ich die Geschichte gänzlich anders interpretiert habe. Mir stellte sich die Situation wie folgt da: Joshs totalitäre Welt bricht zusammen, als er sieht, dass die Exekutive sich nicht an ihre eigenen Regeln hält. In der begrenzten Weltsicht des Protagonisten sind in diesem Moment alle Regeln sind hinfällig.
Was ist gegen ein offenes Ende einzuwenden? Ich halte es für legitim, dass die Geschichte an diesem Punkt endet. Viele Kurzgeschichten beantworten nicht alle Fragen.Er läuft und läuft und heeeee †¦ AUS? Wieso das denn?
Was steht auf dem Zettel? Wird Josh bestraft? Wer hat die Flasche geworfen?
[...]
Und das Wichtigste, warum nützt der Autor nicht die restlichen 10.000 Zeichen, um uns das alles zu erzählen?
Joshs Ende kann man sich einfach denken. Auf die eine oder andere Art wird er seinen Untergang finden - ob nun als Exempel auf dem Versammlungsplatz, als stilles Verschwinden über die Mauer oder als hilfloses Opfer einer Neukonditionierung.
Wer hat die Flasche geworfen?
Jemand von außen. Das mag völlig banal klingen, doch die Implikationen sind weitreichend. Es ist tatsächlich nicht wichtig, was auf dem Zettel steht. Von Bedeutung ist, dass im angeblichen Nichts hinter der Mauer jemand zu finden ist, der noch eine Botschaft schreiben kann.
Ich meine, dass diese Geschichte keine weiteren 10.000 Worte braucht. Nur weil man kann, muss man ja nicht schreiben.
Was genau soll mit der Korrektur eines einzelnen Schreib/Tipp/Grammatikfehler erreicht werden?†¦ etwas Wichtiges war!
Vermutlich hat der Autor dies intendiert.Im fünften Block sind nun viele Fragen offen und werden nicht beantwortet.
„Muss sich aber eingestehen“? Über Formulierungen dieser Art habe ich mich jetzt oft genug geäußert.Ein schön geschnitzter Anfang einer längeren Geschichte. Der Autor bemüht sich redlich, muss sich aber eingestehen, dass Hintergrundwelt und Figur zu wenig ausgearbeitet sind.
Vielleicht liegt das Problem des Kritikers in einer Fehldeutung der Erzählperspektive. Die Welt wird nur fragmentarisch erwähnt, das stimmt. Dies wäre als Fehler zu bewerten, würde die Geschichte aus der auktorialen Perspektive erzählt. Dies wird sie aber nicht.
Begebenheiten, Regeln und Lebensweisen, die für den Erzähler normal sind, werden nicht weiter ausgeführt. Dies zu tun würde bedeuten, die personale Perspektive zu brechen.
Auf der Metaebene habe ich eher den Eindruck, dass nur bewußt und sehr gezielt Infos aus einem größeren Repertoire preisgegeben wurden.
Ich würde Earth Rocks raten, die große Mühe, die in diese und andere Kritiken gesteckt wurde darauf zu verwenden, den eigenen Ton der Textsorte Kritik anzupassen. Etwas mehr über die Intention des Autors sinnieren und dann konstruktiv ohne überheblichen (oder doch zumindest überheblich wirkenden) Sarkasmus kommentieren. Einfach sagen „Mit diesem Protagonisten, mit diesem Motiv, mit dieser Geschichte kann ich persönlich wenig anfangen“ anstatt einen Tonfall anzuschlagen, der mit konstruktiver Kritik wenig bis gar nichts zu tun hat.Empfehlung an den Autor: [/b]
Etwas mehr Sorgfalt bei der Planung einer Geschichte. Nicht dort aufhören, wo die Geschichte eigentlich beginnen sollte.
MfG,
N.
Bearbeitet von Nukapai, 23 Februar 2009 - 21:49.