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Definitionen und Motive in der Science-Fiction


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374 Antworten in diesem Thema

#211 Mycroft

Mycroft

    Infonaut

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Geschrieben 25 August 2009 - 10:59

Es kommt sehr darauf an, aus welcher Perspektive Du die Sache anschaust und wie ketzerisch Du sein möchtest. Man kann ohne Weiteres argumentieren, dass alles, was unter "Hochkultur", "Kunst" etc. läuft, eigentlich nur eine "Konstruktion der herrschenden Kreise" ist, ein Machtinstrument, mit dem eine Distanz zum dummen Pöbel markiert werden soll....

Wenn das geschieht, muss man sich dagegen wehren. Und mMn argumentativ. Und dazu würde ich eine Hochliteraturdefinition fordern, die transparent ist; ungefähr so eine wie ich selbst weiter oben vorschlug. Wenn z.B. dynamische Bedeutungsfelder ein Kriterium für gute Literatur (Hochliteratur) sind, stellt sich mir die Frage: Was ist das eigentlich? "Bedeutungsfeld" ist klar :unsure: , aber ist mit "dynamisch" gemeint, dass sich die Dinge, die darunter fallen, im Verlauf des Romanes ändern? Oder dass das Bedeutungsfeld eines Wortes innerhalb des Romanes auf einmal eine andere ist, als sonst? Oder "nur", dass jeder Leser ein anderes Bedeutungsfeld assoziiert? Ich will den Begriff nicht kritisieren, ich will ihn verstehen.

Bis zu einem gewissen Grad möchte ich mich aber auch Guidos subjektivem Kriterium anschliessen: Für mich steht es fest, dass es Bücher und Filme gibt, die einen in einer Art und Weise berühren und bewegen können, die "blosser Unterhaltung" nicht möglich ist. Falls Du diese Erfahrung nie gemacht hast, ist es schwierig, darüber zu reden.

Siehe mein Post von 10.41 :rolleyes: Bzw., wenn Du damit noch was anderes meinst, dann kann man überhaupt nicht darüber reden, weil das Kriterium derartig subjektiv ist, dass schon die Definition subjektiv ist. Ketzerischerweise würde ich Dir dann aber unterstellen, dass Du dann selbst einen gewissen Snobismus entwickelst. ;)
Anderswo known as Yart Fulgen

#212 Tennessee

Tennessee

    Cybernaut

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Geschrieben 25 August 2009 - 11:13

[...] Ich würde Hochliteratur eher an Eigenschaften des Werkes selbst festmachen wollen. Eine klare Formel lässt sich da natürlich nicht aufstellen, doch ich denke, dass hier die Kompliziertheit des Werkes entscheidend ist. D.h. sind die Figuren vielschichtig, stehen Figuren & Setting in einer Wechselwirkung, folgen Entwicklung der Figuren und des Plots "natürlich" auseinander, Unterstützt der Stil die Wirkung der Szene, ist das Thema reflektiert bearbeitet worden, lässt das Werk dem Leser einen Spielraum etc. [...] Theophagos

Salut Theophagos, ich finde das ist eine sehr gute Anmerkung. Vielleicht dazu ein Beispiel von mir: Die (grundsätzliche) narratologische Konzeption des "trivialen Charakters" schaut folgendermaßen aus: Es gibt einen Charakter mit einer spezifischen Grundkonstitution. Dann gibt es ein Konflikt- oder Herausforderungelement, das auf diesen Charakter einwirkt und das er bestehen muss. Das ist eine grundsätzliche (und erst mal nichttriviale) Möglichkeit wie Spannung entsteht. (Es gibt da drei grundlegende Konfliktarten: der abenteuerliche, der emotionale und der humoristische Konflikt.) Das triviale, und diesen Begriff kann man aus der Mathematik so übernehmen, keine neuen Ergebnisse bringend, an dieser Konzeption ist dann, dass nach Überwindung dieses Konflikts, der Charakter in seinen alten Status Quo zurückkehrt, der Konflikt hat keinerlei Auswirkung auf seine charakterliche Konstitution. Das ist eine Art von a-b-a Konzeption. Das bedeutet nicht, dass dieser Text dann nicht spannend wäre, dass man als Leser keine Freude daran haben darf, dass wieder "Ende gut alles gut" herrscht, es ist einfach eine Form von Konzeption, bei dem der Text keine Veränderungen mit dem Charakter/ Menschen darstellt. lg Ten.
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#213 simifilm

simifilm

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Geschrieben 25 August 2009 - 11:48

Wenn das geschieht, muss man sich dagegen wehren. Und mMn argumentativ. Und dazu würde ich eine Hochliteraturdefinition fordern, die transparent ist; ungefähr so eine wie ich selbst weiter oben vorschlug.

Vielleicht ist das nur ein sprachliches Problem, aber es ist ja nicht so, dass diese Dinge irgendwo festgelegt sind; dass man an einem bestimmten Ort was fordern kann. Das Ganze ist ein Prozess, an dem viele Faktoren beteiligt sind. Also Soziologe hat Bourdieu eben die gesellschaftliche Funktion "guten Geschmacks" untersucht, die formalen Kriterien selbst sind ihm naturgemäss weniger wichtig.

Wenn z.B. dynamische Bedeutungsfelder ein Kriterium für gute Literatur (Hochliteratur) sind, stellt sich mir die Frage: Was ist das eigentlich? "Bedeutungsfeld" ist klar :unsure: , aber ist mit "dynamisch" gemeint, dass sich die Dinge, die darunter fallen, im Verlauf des Romanes ändern? Oder dass das Bedeutungsfeld eines Wortes innerhalb des Romanes auf einmal eine andere ist, als sonst? Oder "nur", dass jeder Leser ein anderes Bedeutungsfeld assoziiert? Ich will den Begriff nicht kritisieren, ich will ihn verstehen.

Sehr vereinfacht gesagt, dass das Kunstwerk so angelegt ist, dass es keinen abgeschlossenen Interpretationsprozess gibt, sondern dass fortlaufend neue Interpretationen in alle möglichen Richtungen möglich werden. Auch hier wieder sehr schematisch: Eco stellt das mittelalterliche Kunstwerk dem modernen entgegen. Im mittelalterlichen Kunstwerk sind bewusst bestimmte Bedeutungen angelegt - dieses Bild, diesen Text hat man so und so zu interpretieren. Ein Beispiel wäre der vierfache Schriftsinn bei der Interpretation der Bibel; diese muss man gemäss mittelalterlicher Auffassung so und so interepretieren und nicht anders. Im modernen Kunstwerk ist das anders, bringt der Rezipient bei der Wahrnehmung eines Kunstwerkes seine Erinnerung an frühere Wahrnehmungen mit und kann so dem aktuellen Kunstwerk Form geben. Folglich ist die Bedeutung eines Kunstwerkes abhängig von der Vielfalt und Zahl der Erfahrungen eines Rezipienten. Eco hat in der Moderne ein bis ins Extreme gesteigerte Streben nach Offenheit erkannt. In diesen Kunstwerken, etwa bei Joyce, haben die Künstler ästhetisch einen Apparat von Bedeutungsträgern organisiert, die schon von sich aus sehr offen und mehrdeutig sind.

Ketzerischerweise würde ich Dir dann aber unterstellen, dass Du dann selbst einen gewissen Snobismus entwickelst. ;)

Definitiv. Ich will doch mich doch vom Pöbel hier im Forum absondern. :rolleyes:

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#214 simifilm

simifilm

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Geschrieben 25 August 2009 - 12:00

Ich würde Hochliteratur eher an Eigenschaften des Werkes selbst festmachen wollen. Eine klare Formel lässt sich da natürlich nicht aufstellen, doch ich denke, dass hier die Kompliziertheit des Werkes entscheidend ist. D.h. sind die Figuren vielschichtig, stehen Figuren & Setting in einer Wechselwirkung, folgen Entwicklung der Figuren und des Plots "natürlich" auseinander, Unterstützt der Stil die Wirkung der Szene, ist das Thema reflektiert bearbeitet worden, lässt das Werk dem Leser einen Spielraum etc.
Daraus folgt natürlich eine erschwerte Zugänglichkeit - was nicht Deckungsgleich mit Unverständlichkeit/Schwerverständlichkeit ist, da diese bisweilen unnötig entsteht.

Ich weiss nicht, ob Komplizierheit wirklich der richtige Begriff ist. Vielleicht eher, dass das Werk eine zusätzliche Reflexionsebene nahe legt, dass es eben über "den blossen Plot" hinausweist. Im Zauberberg wird die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der sieben Jahre in einem Lungensanatorium verbringt. Aber geht es darum? Nein, es geht um ein Stimmungsbild Europas vor dem Ersten Weltkrieg, es geht um unterschiedliche philosophische Modelle, es geht um die Frage, was Zeit ist und wie sie erzählt werden kann (und noch viel mehr). Im Falle des Zauberbergs werden viele dieser Themen im Roman offen thematisiert. Aber dies kann auch sehr viel weniger explizit geschehen. Noch einmal das Beispiel The Limits of Contro: Auf einer oberflächlichen Ebene ist dieser Film extrem simpel und gar nicht kompliziert. Erzählt wird die Geschichte eines wortkargen Mannes, der durch Spanien reist und am Ende einen Menschen umbringt. Aber um was geht es: Es geht um ein Spiel mit den Konventionen des Thrillers, und es geht nicht zuletzt um eine Reflexion über das Wesen von Kunst. Der Film ist diesbezüglich relativ extrem, da der Plot so simpel ist, dass er gar kaum mehr vorhanden ist.

Vielleicht meinst Du das ja mit Kompliziertheit, aber das kann auch mit einer ganz "unkomplizierten Oberfläche" erreicht werden.

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#215 Mycroft

Mycroft

    Infonaut

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Geschrieben 25 August 2009 - 12:04

...Also, das wäre mir als Operationsmodell zu starr. Das führt sehr stark an die Vorgehensweise einer "alten" Literaturwissenschaft heran, die quasi mit einer Tabelle die Kriterien für "Hochliteratur" abhakt und dann im entsprechenden Ordner archiviert.

Ich wäre im Zweifel für zu starr als für zu wischiwaschi. Und es gibt Leute, die bspw. Eiskunstlaufen benoten; von daher halte ich einen Begriff von Hochliteratur, bei dem meinetwegen 90% Konsens besteht, für möglich. Ich weiß, dass das keine Ingenieurwissenschaft ist.

Das hielte ich aber auch für eine blödsinnige Begründung. *lach*

Ist nicht von mir, sondern der weiter oben zitierte Wikiartikel...

Es sei denn, der Werther wäre grün gewesen. *zwinker* ...

Auf einer Metaebene war er grün - blau-gelbe Werthertracht, die man in Gedanken verbindet, ergibt grün. Ok, Schmerz beiseite. Die Farbe ist reine Geschmackssache, aber relativ konsensfähig nachvollziehbar. (Klar mag ich grüne Mambas am liebsten :rolleyes: ). Wenn jetzt die Mehrheit aller Menschen übereinstimmt, dass die Farbe eines Buches kein Qualitätsmerkmal ist, sondern u.a. die "dynamischen Bedeutungsfelder", dann ist doch die Frage gestattet, was das ist*, und wie man das als Nichtliteraturwissenschaftler erkennt. Ich bin ja auch kein Eiskunstlaufexperte, aber wenn erklärt wird, dass bei den Paaren zwei synchrone Schrauben besser sind als zwei nicht so synchrone Schrauben, verstehe ich das einerseits, und kann das andererseits auch erkennen, wie ich eine Farbe erkennen kann. (Die Richter erkennen das natürlich besser, aber das wäre ein gradueller und kein absoluter Unterschied). Alternativ wäre dann die Aussage, dass man ohne einschlägiges Studium unfähig ist, Hochliteratur zur erkennen. Hieße in der Konsequenz, dass ich Aussagen wie: "Prof. xy hat gesagt, dass der Werther Hochliteratur ist, und der hat das studiert." eben doch zu akzeptieren habe. *Ah, da ist ja auch die Antwort.
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#216 Jakob

Jakob

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Geschrieben 25 August 2009 - 12:16

Die (grundsätzliche) narratologische Konzeption des "trivialen Charakters" schaut folgendermaßen aus: Es gibt einen Charakter mit einer spezifischen Grundkonstitution. Dann gibt es ein Konflikt- oder Herausforderungelement, das auf diesen Charakter einwirkt und das er bestehen muss. Das ist eine grundsätzliche (und erst mal nichttriviale) Möglichkeit wie Spannung entsteht. (Es gibt da drei grundlegende Konfliktarten: der abenteuerliche, der emotionale und der humoristische Konflikt.) Das triviale, und diesen Begriff kann man aus der Mathematik so übernehmen, keine neuen Ergebnisse bringend, an dieser Konzeption ist dann, dass nach Überwindung dieses Konflikts, der Charakter in seinen alten Status Quo zurückkehrt, der Konflikt hat keinerlei Auswirkung auf seine charakterliche Konstitution. Das ist eine Art von a-b-a Konzeption. Das bedeutet nicht, dass dieser Text dann nicht spannend wäre, dass man als Leser keine Freude daran haben darf, dass wieder "Ende gut alles gut" herrscht, es ist einfach eine Form von Konzeption, bei dem der Text keine Veränderungen mit dem Charakter/ Menschen darstellt.

Ist zwar anschaulich als Beispiel, ich bin mir aber nicht sicher, ob es als Unterscheidungsmerkmal zwischen Trivial- und Hochliteratur taugt. Dass die Figur an ihren Problemen wächst und sich verändert, ist ja nun auch für den allergrößten Teil der Trivialliteratur gültig (im Film ist "Star Wars" wohl eines der bekanntesten Beispiele). Ich persönlich bin immer etwas misstrauisch dagegen, die Ausgefeiltheit der Figuren zum Maßstab des "Anspruchs" zu machen. Ich glaube z.B. das gerade das Prinzip: "Figur wächst oder zerbricht durch entscheidendes Ereignis" sehr stereotyp ist und dass gerade Romane, die weniger schlüssig sich entwickelnde Figuren präsentieren oft interessanter und in gewisser Weise auch näher an der Wirklichkeit sind.
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#217 Theophagos

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    Giganaut

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Geschrieben 25 August 2009 - 12:42

Simifilm: Ich weiss nicht, ob Komplizierheit wirklich der richtige Begriff ist.

Ich auch nicht. Es geht mir um vielfältige Wechselwirkungen und Reflektiertheit. Wenn "Limits of Controll" - den ich leider noch nicht gesehen habe - mit einfachen Mitteln hintergründig das Wesen der Kunst gewitzt reflektiert, dann wäre das ein Beispiel in meinem Sinne. Die von mir genannten Details sehe ich nur als häufig auftretende Elemente. Theophagos
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#218 Mycroft

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Geschrieben 25 August 2009 - 12:43

Ist zwar anschaulich als Beispiel, ich bin mir aber nicht sicher, ob es als Unterscheidungsmerkmal zwischen Trivial- und Hochliteratur taugt. ...

Da weiß ich gleich zwei Antworten :rolleyes: : 1.: Tertium doch datur: es gibt außer Hoch- und Trivialliteratur ein Übergangsfeld. 2.: SW ist Hochliteratur.
Anderswo known as Yart Fulgen

#219 Tennessee

Tennessee

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Geschrieben 25 August 2009 - 13:21

Ist zwar anschaulich als Beispiel, ich bin mir aber nicht sicher, ob es als Unterscheidungsmerkmal zwischen Trivial- und Hochliteratur taugt.

Salut Jakob, das ist im Großen und Ganzen aktueller Forschungsstand. Allerdings ...

Dass die Figur an ihren Problemen wächst und sich verändert, ist ja nun auch für den allergrößten Teil der Trivialliteratur gültig (im Film ist "Star Wars" wohl eines der bekanntesten Beispiele).

.. dachte ich mir schon, dass Star Wars oder ein ähnliches "märchenhaftes" Beispiel kommt. Auch auf die Gefahr hin in ein großes Wespennest und zeiglich einen Fettnapf zu treten: Star Wars ist letztendlich ein Märchen bzw. es funktioniert als Märchen. Ich sprach in meinem Beispiel oben von einer *grundsätzlichen* Trivialkonzeption, bei der es - wie du am SW-Beispiel sehr gut verdeutlichst - notwendig ist, sie in ihren Abweichungen noch genauer zu beschauen. Märchen gelten allgemein in der Lit.Wiss. immer als das "besondere" Genre, da sie ganz anders funktionieren als viele andere Textarten. Da ich kein MÄrchenkundler bin, kann ich aber an dieser Stelle nur mit Gemeinplätzen operieren, tut mir Leid. Aber dein Beispiel führt ja auch zu dem von mir angestrebten Wunsch, die SF-Literatur auf der Basis der allgemeinen lit.wiss. Definitionen bzgl ihrer Abweichungen und Gemeinsamkeiten zu untersuchen. Das führt nun auch wieder zu dem Ausgangspunkt zurück. Ist das Genre SF ein Genre, das z.B. ähnlich wie ein Märchen einen besonderen Umgang mit sich trägt? Sind die operativen Begriffe der allgemeinen Literaturwissenschaft (Motive, narratologische Konzeptionen, Trivialität usw.) für die SF zu modifizieren? Und wie würde das ausschauen? Ist beispielsweise etwas, dass in der allgemeinen Literaturwissenschaft ein Zeichen für eine hohe künstlerische Dichte eines Textes ist, z.B. Intertextualität, Referenzialität, zugleich etwas, was für das Genre SF geradezu elementar "tödlich" sein kann?

Ich persönlich bin immer etwas misstrauisch dagegen, die Ausgefeiltheit der Figuren zum Maßstab des "Anspruchs" zu machen. Ich glaube z.B. das gerade das Prinzip: "Figur wächst oder zerbricht durch entscheidendes Ereignis" sehr stereotyp ist und dass gerade Romane, die weniger schlüssig sich entwickelnde Figuren präsentieren oft interessanter und in gewisser Weise auch näher an der Wirklichkeit sind.

Es geht nicht darum, ob eine Figur wächst oder zerbricht. Das ist mir zu dichotom. Es geht darum, dass sich eine Figur durch ein bestimmtes Ereignis *verändert*. Und versuch bitte, trivial nicht gleich als ein "Anspruchskennzeichen" zu sehn. Es ist (erst mal) nur eine Form der Textkonzeption. lg Ten.
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#220 Guido Seifert

Guido Seifert

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Geschrieben 25 August 2009 - 13:54

[/i] :rolleyes: Was dachtest Du denn, was ich sonst mit intellektuellem Input meinen könnte? [i]

Das "Materialistische" Deiner Zergliederung hat mich den Kopf schütteln lassen. Ich glaube eben, dass die Kategorien "Angenehmes" und "Nützliches" vor dem Phänomen "Hochliteratur" versagen müssen. In diesem Thread war auch mehrmals von "Mehrwert" die Rede - ich habe Hochliteratur in der Weise erfahren, dass ich nicht auf die Idee käme, mich ihr mit Krämer-Kategorien nähern zu wollen. Aber ich gebe auch gleich zu, dass ich in dieser Hinsicht vielleicht zu empfindlich bin - und vermutlich auch ganz falsch in diesem Thread.

#221 Mycroft

Mycroft

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Geschrieben 25 August 2009 - 14:13

Das "Materialistische" Deiner Zergliederung hat mich den Kopf schütteln lassen. Ich glaube eben, dass die Kategorien "Angenehmes" und "Nützliches" vor dem Phänomen "Hochliteratur" versagen müssen. In diesem Thread war auch mehrmals von "Mehrwert" die Rede - ich habe Hochliteratur in der Weise erfahren, dass ich nicht auf die Idee käme, mich ihr mit Krämer-Kategorien nähern zu wollen. Aber ich gebe auch gleich zu, dass ich in dieser Hinsicht vielleicht zu empfindlich bin - und vermutlich auch ganz falsch in diesem Thread.

"Mehrwert" wäre wohl eine reine Metapher. Ich gebe zu, dass ich "Angenehmes" und "Nützliches" verwendet habe, um vom Kochen auf´s Schreiben zu kommen, und Essen ist nun mal etwas materialistisches. Unterhaltung und geistige Weiterentwicklung sind es beide nicht, finde ich, und wollte das damit auch nicht sagen. In nicht-materialistisch finde ich aber trotzdem, dass meine Zergliederung meine Probleme mit E- und U-Kunst plausibel macht, weil sich zeigt, dass eine derartige Zergliederung ziemlich sinnlos ist.
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#222 Morn

Morn

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Geschrieben 25 August 2009 - 16:14

Ich weiss nicht, ob Komplizierheit wirklich der richtige Begriff ist. Vielleicht eher, dass das Werk eine zusätzliche Reflexionsebene nahe legt, dass es eben über "den blossen Plot" hinausweist.

Reicht das aus, um als Hochliteratur zu gelten? Was ist dieses "über den Plot hinausweisen"? Könnte man z.B. nicht bei Dan Browns "Angels & Demons" eine Thematisierung des Konflikts Glauben - Wissenschaft hineininterpretieren oder eine Wissenshaftskritik? Und Anspielungen auf heutige Ereignisse/ Verhältnisse gibt es z.B. auch bei Perry Rhodan.

#223 simifilm

simifilm

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Geschrieben 25 August 2009 - 16:38

Reicht das aus, um als Hochliteratur zu gelten? Was ist dieses "über den Plot hinausweisen"? Könnte man z.B. nicht bei Dan Browns "Angels & Demons" eine Thematisierung des Konflikts Glauben - Wissenschaft hineininterpretieren oder eine Wissenshaftskritik?

Wenn das innerhalb des Romans über Reader's-Digest-Niveau herauskäme und das Buch nicht so schlecht geschrieben und plump gebaut wäre, wäre das was. Dann hättest Du etwas à la Der Name der Rose.

EDIT: Ich muss das Gesagte insofern zurücknehmen, als ich lediglich The da Vinci Code gelesen habe. Es ist also möglich, dass bei Angels & Demon ganz anders ist, auch wenn ich das bezweifle †¦

Bearbeitet von simifilm, 25 August 2009 - 16:58.

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#224 Jakob

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Geschrieben 25 August 2009 - 16:45

Aber dein Beispiel führt ja auch zu dem von mir angestrebten Wunsch, die SF-Literatur auf der Basis der allgemeinen lit.wiss. Definitionen bzgl ihrer Abweichungen und Gemeinsamkeiten zu untersuchen. Das führt nun auch wieder zu dem Ausgangspunkt zurück. Ist das Genre SF ein Genre, das z.B. ähnlich wie ein Märchen einen besonderen Umgang mit sich trägt? Sind die operativen Begriffe der allgemeinen Literaturwissenschaft (Motive, narratologische Konzeptionen, Trivialität usw.) für die SF zu modifizieren? Und wie würde das ausschauen? Ist beispielsweise etwas, dass in der allgemeinen Literaturwissenschaft ein Zeichen für eine hohe künstlerische Dichte eines Textes ist, z.B. Intertextualität, Referenzialität, zugleich etwas, was für das Genre SF geradezu elementar "tödlich" sein kann?

Das scheint mir auch ein vernünftiges Anliegen zu sein, wobei ich allerdings Simons Modus-Begriff in den Zusammenhang tatsächlich nützlicher finde. Ich glaube nicht, dass man die Erzählgesetzmäßigkeiten von SF in ähnlicher Weise formalisieren kann wie die des Märchens. Die Märchendefinition hat ja mehr mit Erzählstruktur zu tun, die SF-Definition mehr mit Inhalt. Andererseits kenne ich mich mit Märchen auch nicht unbedingt besonders gut aus ...

Es geht nicht darum, ob eine Figur wächst oder zerbricht. Das ist mir zu dichotom. Es geht darum, dass sich eine Figur durch ein bestimmtes Ereignis *verändert*. Und versuch bitte, trivial nicht gleich als ein "Anspruchskennzeichen" zu sehn. Es ist (erst mal) nur eine Form der Textkonzeption.

Schon klar, aber trotzdem funktioniert dieser Maßstab eben bei ganz vielen "hochliterarischen" Werken nicht, weil die Figuren evtl. gar nicht so präsent sind (siehe Kafka) oder weil sie von Anfang an so stark widersprüchlich angelegt sind, dass "Veränderung" zu einem sehr relativen Begriff wird. Ich assoziiere die sich in Reaktion auf Ereignisse "entwickelnde" Figur ehrlich gesagt doch zu sehr mit der Wohlanständigkeit des bürgerlichen Romans. Und "Anspruch" ist schon etwas, das ich mit Hochliteratur in Verbindung bringe, in dem Wortsinne, dass sie Ansprüche an den Leser stellt und ihm nicht erlaubt, sich einfach treiben zu lassen. das ist nun aber wieder keine absolute Wertung: ein "anspruchsloses" Buch kann auf seine Art sehr viel besser sein als ein "anspruchsvolles" Buch. Immersion ist ja an sich nichts Schlechtes.
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#225 †  a3kHH

†  a3kHH

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Geschrieben 25 August 2009 - 17:04

Das triviale, und diesen Begriff kann man aus der Mathematik so übernehmen, keine neuen Ergebnisse bringend, an dieser Konzeption ist dann, dass nach Überwindung dieses Konflikts, der Charakter in seinen alten Status Quo zurückkehrt, der Konflikt hat keinerlei Auswirkung auf seine charakterliche Konstitution. Das ist eine Art von a-b-a Konzeption.

Damit bist Du auf dem richtigem Weg. Ein Professor von mir hat vor Jahrzehnten einmal Musik untersucht und war auf dem Weg, die Differenzierung zwischen einfacher (U-) und komplizierter (E-) Musik gruppentheoretisch (und damit rein mathematisch und objektiv) durchführen zu können. Er ist leider gestorben, bevor er damit fertig war. :rofl1:

#226 simifilm

simifilm

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Geschrieben 25 August 2009 - 17:06

Und "Anspruch" ist schon etwas, das ich mit Hochliteratur in Verbindung bringe, in dem Wortsinne, dass sie Ansprüche an den Leser stellt und ihm nicht erlaubt, sich einfach treiben zu lassen.

Um an das Dan-Brown-Beispiel von vorhin anzuknüpfen: Was mich an einem Roman wie Da Vinci Code nervt und was ihn in meinen Augen - unter anderem - zu - schlechter - Trivialliteratur macht, ist die nervende Tendenz, alles immer zu erklären und überhaupt nichts offen zu lassen oder mal dem Leser zuzutrauen, dass er sich etwas selbst zusammenreimen kann. Das Ganze dann noch kombiniert mit einem hohen Grad an Redundanz und den wichtigen Sätzen in kursiv. Da Vinci Code wäre schon ein ganzes Stück weniger trivial, wenn man zwei Drittel des Textes ersatzlos streichen würde.

Bearbeitet von simifilm, 25 August 2009 - 17:06.

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#227 Morn

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Geschrieben 25 August 2009 - 17:38

Ich kenne "Da Vinci Code" nicht (Ein Buch von Brown hat mir gereicht.), aber ich schätze, die Bücher dürften austauschbar sein. Mmh, es ist also Trivialliteratur, weil alles erklärt wird? Aber man könnte vielleicht auch Bedeutungen jenseits des Textes hineininterpretieren, oder? Wäre es nach diesem Kriterium dann nicht doch Hochliteratur - nur eben schlecht gemachte? (Dass wir uns nicht missverstehen, für mich ist es auch Trivialliteratur.)Edit: Tippfehler

Bearbeitet von Morn, 25 August 2009 - 17:39.


#228 Crashlander

Crashlander

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Geschrieben 25 August 2009 - 17:54

"Anspruch" als Wertungsmerkmal kann aber, wenn man es mit SF zu tun hat, auch wieder zweischneidg werden.Der Anspruch müßte auch wieder definiert und eingegrenzt werden. Wenn in einem SF-Roman der Autor z.B. sehr viel Wert auf die Erklärung (und das Verständnis durch den Leser) der Allgemeinen und Speziellen Relativitätstheorie legt, dann ist ein solches Buch sicherlich anspruchsvoll, es muß aber noch lange nicht literarisch anspruchsvoll sein.Der "mathematische Weg", den Tennesse eingebracht hatte, ist sicher eine praktikable Lösung, aber auch nicht als alleinger Maßstab. Ich stelle mir da einen Roman vor, in dem der Autor auf "Belehrungsresistenz" anspielen möchte: Die Hauptfigur stößt darin immer wieder auf Konfliktsituationen, die eigentlich seinen Charakter wandeln müßten, diese Person lernt aber nicht aus den Begebenheiten und kehrt immer wieder zum Ausgangszustand zurück. Eine "triviale Schleife" also. Der Roman muß deswegen aber nicht trivial sein.Sollte man deshalb nicht für die Beurteilung die "geschlossene" Welt des Buches verlassen, und lieber darauf abstellen, was das Werk beim Leser bewirken kann oder soll?Ist eine solche Zielstellung nicht feststellbar, dann kann man von Trivialliteratur reden, ist sie vorhanden von Hochliteratur?Hierbei wäre natürlich wieder das Problem, daß man diese "Außenwirkung" nicht verallgemeinern kann (jemand, der diese Zielsetzung nicht erkennt könnte dann zwar als "dumm" bezeichnet werden, d.h. aber auch, daß "Hochliteratur" nur etwas für eine (selbsternannte) Elite ist, die vermeint, solche Ziele in einem bestimmten Buch erkannt zu haben - und ihnen nicht passende einfach ignoriert, um das Buch zur Trivialliteratur "degradieren" zu können).

#229 simifilm

simifilm

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Geschrieben 25 August 2009 - 17:59

Ich kenne "Da Vinci Code" nicht (Ein Buch von Brown hat mir gereicht.), aber ich schätze, die Bücher dürften austauschbar sein.

Mmh, es ist also Trivialliteratur, weil alles erklärt wird? Aber man könnte vielleicht auch Bedeutungen jenseits des Textes hineininterpretieren, oder? Wäre es nach diesem Kriterium dann nicht doch Hochliteratur - nur eben schlecht gemachte?

(Dass wir uns nicht missverstehen, für mich ist es auch Trivialliteratur.)

Grundsätzlich kannst Du natürlich in alles, etwas reininterpretieren. Was ich vorher zu Ecos Konzept des offenen Kunstwerks geschrieben habe, ist auch mehr ein Idealtyp. Wie er selbst schreibt, gibt es in der Realität streng genommen weder ein komplett geschlossenes, noch ein komplett offenes Kunstwerk. Aber inwiefern ein Werk so etwas anregt und auf wie intelligente und stilistisch elegante Weise - da gibt es schon grosse Unterschiede. Daniel Kehlmanns Bücher - zumindest die letzten beiden - kannst Du auch auf einer "rein unterhaltsamen Ebene" lesen. Zugleich schwingt da aber in beiden sehr viel mit; Ruhm etwa, das ganz harmlos als eine Sammlung unterhaltsamer Kurzgeschichten daherkommt, ist zugleich auch eine sehr intelligente Reflexion über das Wesen von Fiktion.

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#230 Tennessee

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Geschrieben 26 August 2009 - 08:53

Das scheint mir auch ein vernünftiges Anliegen zu sein, wobei ich allerdings Simons Modus-Begriff in den Zusammenhang tatsächlich nützlicher finde. Ich glaube nicht, dass man die Erzählgesetzmäßigkeiten von SF in ähnlicher Weise formalisieren kann wie die des Märchens. Die Märchendefinition hat ja mehr mit Erzählstruktur zu tun, die SF-Definition mehr mit Inhalt. Andererseits kenne ich mich mit Märchen auch nicht unbedingt besonders gut aus ...

Salut Jacob, der Modus-Begriff gefällt mir auch sehr gut, ich halte ihn aber zuweilen für ähnlich problematisch wie den Genre-Begriff oder anders: der Modus-Begriff zeigt in einem andern Feld ähnliche Probleme wie der Genre-Begriff. Ein Beispiel aus der Literatur: Ein kleiner Junge ca 4-6 Jahre erlebt ein frühkindliches Trauma. Er versteckt sich im Arbeitszimmer seines Vaters und beobachtet ihn und einen Familien"freund" bei "seltsamen Experimenten". Der Junge wird entdeckt und der Familien"freund" will ihm seine Augen ausschneiden, weil er sie für das Experiment brauchen kann (und als Strafe für den BEobachter). Das kann verhindert werden, wobei der Vater stirbt. Viele Jahre später ist der Junge zu einem jungen Mann geworden. Er studiert Jura (meine ich), hat eine Freundin, die er bald heiraten will und ist noch immer stark geprägt von seinen frühkindlichen Erlebnissen. Nun geschieht es, dass sich in seinem Studienort ein Mann und dessen Tochter niederlassen. Diese Tochter ist so eine schöne Erscheinung, eine Dame von fast perfekter Grazie mit wundervollen Augen. Der junge Mann verliebt sich in sie. Des weiteren glaubt er, den Familien"freund" von früher wiedererkannt zu haben, was ihn aufs höchste erregt. Während seine Familie und seine Verlobte den jungen Mann als "traumatisiert" bezeichnen, intensiviert der junge Mann seine Beziehung zu der schönen Tochter. Nun, kurzes Ende: Die Tochter erweist sich als mechanische Holzpuppe, als ein Roboter, in den sich der junge Mann verliebt hat. Dieser stürzt sich später von einem Turm und stirbt, als er den Familien"freund" erneut sieht. Das Buch heißt "Der Sandmann" und stammt von E.T.A. Hoffmann (1817) Der Modus der SF ist hier mit der schönen Frau, dem künstlichen Wesen, dass aus handwerklichen und wissenschaftlichen Geschick herrgestellt worden ganz klar vorliegend. Ein (nicht alle) MOtiv ist hier auch (typisch SF vielleicht??) die Liebe des biologischen Menschen zu einem künstlichen Lebewesen. Und was ist mit dem Modus des Psychologischen (es wird ja nicht nur *einen* Modus geben)? Ein frühtraumatisiertes Kind, dass wegen seines Traumas ein gestörtes Verhältnis zu seiner Umwelt hat und sebst die "kühle Tochter" (so nehmen sie alle anderen wahr) für eine wunderschöne Frau hält und sich schließlich umbringt im Angesicht des "Trauma-Auslösers". Und was ist mit dem Modus des Horrors oder Schauerhaften? Die Augen, die ausgeschnitten werden... Hier ist es m.E. sehr schwierig zu bestimmen, in welchen Modus der Text geschrieben wurde. Als ahistorischer Zuordnungbesgriff ist der Modus natürlich ganz toll und der gefällt mir, aber auch er führt zu Zuordnungsproblemen, die sich von der Genre-Problematik nicht so sehr unterscheiden.

Schon klar, aber trotzdem funktioniert dieser Maßstab eben bei ganz vielen "hochliterarischen" Werken nicht, weil die Figuren evtl. gar nicht so präsent sind (siehe Kafka) oder weil sie von Anfang an so stark widersprüchlich angelegt sind, dass "Veränderung" zu einem sehr relativen Begriff wird. Ich assoziiere die sich in Reaktion auf Ereignisse "entwickelnde" Figur ehrlich gesagt doch zu sehr mit der Wohlanständigkeit des bürgerlichen Romans. Und "Anspruch" ist schon etwas, das ich mit Hochliteratur in Verbindung bringe, in dem Wortsinne, dass sie Ansprüche an den Leser stellt und ihm nicht erlaubt, sich einfach treiben zu lassen. das ist nun aber wieder keine absolute Wertung: ein "anspruchsloses" Buch kann auf seine Art sehr viel besser sein als ein "anspruchsvolles" Buch. Immersion ist ja an sich nichts Schlechtes.

*lach* du hast ein Talent für "Problemfälle" scheint mir. Nou, auch Kafka ist nicht ganz unproblematisch, da seine Text sehr viel gleichnishafter und parabelartiger sind, als andere Texte (und dazu noch surreal), aber grob (!) kann kann das z.B. an der "Verwandlung" vielleicht so festmachen: Gregor Samsa ist ein normaler Mensch, sein Familienleben ist düster und depressiv (a) - er wird in einen Käfer verwandelt, sein Familienleben erfährt eine Veränderung, Samsa kann nicht mehr am Familienleben teilnehmen, alles wird noch schlimmer (:unsure: - er stirbt, das Familienleben wird geradzu paradiesisch ©. (Gott, Kafka war echt ne arme Sau!! Also, wer einen achzigseitigen Brief an den Vater schreibt, um darin zu erklären wie scheiße man selbst doch ist, der hat echt nicht alle auf der Latte!) Vielleicht habe ich mit dem Begriff "Charakter" auch eine blöde Bezeichnung gewählt. Vielleicht wäre "Figur" besser, da der Charakter-Begriff auch zu dem Gedanken führen kann, dass damit immer ein "vielfältig charakterisierter Protagonist" gemeint ist. Das muss aber nicht immer der Fall sein. lg Ten.™
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#231 Tennessee

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Geschrieben 26 August 2009 - 09:07

[...]Ich stelle mir da einen Roman vor, in dem der Autor auf "Belehrungsresistenz" anspielen möchte: Die Hauptfigur stößt darin immer wieder auf Konfliktsituationen, die eigentlich seinen Charakter wandeln müßten, diese Person lernt aber nicht aus den Begebenheiten und kehrt immer wieder zum Ausgangszustand zurück. Eine "triviale Schleife" also. Der Roman muß deswegen aber nicht trivial sein. Sollte man deshalb nicht für die Beurteilung die "geschlossene" Welt des Buches verlassen, und lieber darauf abstellen, was das Werk beim Leser bewirken kann oder soll? Ist eine solche Zielstellung nicht feststellbar, dann kann man von Trivialliteratur reden, ist sie vorhanden von Hochliteratur? Hierbei wäre natürlich wieder das Problem, daß man diese "Außenwirkung" nicht verallgemeinern kann (jemand, der diese Zielsetzung nicht erkennt könnte dann zwar als "dumm" bezeichnet werden, d.h. aber auch, daß "Hochliteratur" nur etwas für eine (selbsternannte) Elite ist, die vermeint, solche Ziele in einem bestimmten Buch erkannt zu haben - und ihnen nicht passende einfach ignoriert, um das Buch zur Trivialliteratur "degradieren" zu können).

Salut Chrashlander, hier mal wieder ein wunderbares Beispiel für die "Belehrungsresistenz": "De aanslag (Das Attentat) des niederländischen Autors Harry Mulisch. Hier erfährt der "Held" Anton Steenwijk" in den 5 Episoden permanent Ereignisse, die sein Bild über Schuld und Unschuld verändern, erweitern usw. sollen. Doch mit ihm geschieht nichts. Er nutzt die entsprechenen Informationen nicht, um sich zu verändern. Hier muss man das Buch tatsächlich verlassen, denn Mulisch präsentiert in diesem Buch einen Diskurs über das niederländische Fremd- und Eigenbild, über Schuld- und Unschuldsmodelle und kritisiert damit seine eigenen Landsleute als "Belehungsresitent". Wenn dich dazu etwas mehr interessieren sollte : Ein LInk zu einer kurzen Muslisch-Rezension lg Ten.
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#232 simifilm

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Geschrieben 26 August 2009 - 09:08

Das Buch heißt "Der Sandmann" und stammt von E.T.A. Hoffmann (1817) Der Modus der SF ist hier mit der schönen Frau, dem künstlichen Wesen, dass aus handwerklichen und wissenschaftlichen Geschick herrgestellt worden ganz klar vorliegend. Ein (nicht alle) MOtiv ist hier auch (typisch SF vielleicht??) die Liebe des biologischen Menschen zu einem künstlichen Lebewesen. Und was ist mit dem Modus des Psychologischen (es wird ja nicht nur *einen* Modus geben)? Ein frühtraumatisiertes Kind, dass wegen seines Traumas ein gestörtes Verhältnis zu seiner Umwelt hat und sebst die "kühle Tochter" (so nehmen sie alle anderen wahr) für eine wunderschöne Frau hält und sich schließlich umbringt im Angesicht des "Trauma-Auslösers". Und was ist mit dem Modus des Horrors oder Schauerhaften? Die Augen, die ausgeschnitten werden... Hier ist es m.E. sehr schwierig zu bestimmen, in welchen Modus der Text geschrieben wurde. Als ahistorischer Zuordnungbesgriff ist der Modus natürlich ganz toll und der gefällt mir, aber auch er führt zu Zuordnungsproblemen, die sich von der Genre-Problematik nicht so sehr unterscheiden.

In dem Moment, in dem Du die Einheiten - heissen sie nun Modus oder Genre - sauber voneinander trennen willst, kriegst Du immer ein Problem. Das geht schlicht nicht. Das geht auch bei kleineren, historischen Genres nicht. Reine Vertreter eines Genres sind in der Realität die Ausnahme, Mischformen dagegen die Norm. Gerade SF und Horror kannst Du nicht sauber auseinander dividieren, auch wenn es immer versucht wird. Das ist auch nicht weiter erstaunlich, denn die grundlegenden Eigenschaften von SF und Horror liegen nun einmal auf komplett unterschiedlichen Ebenen: SF beschreibt die Ontologie einer Welt, Horror die intendierte Wirkung. Horror kann sich praktisch überall manifestieren, genau so wie die Komödie - auch einen Porno kannst Du überall hin verpflanzen. Man kann sich nun darüber streiten, ob man Horror besser mit dem Modusbegriff, dem Genrebegriff (dazu würde ich wahrscheinlich tendieren) oder noch was anderem fassen will, aber so oder so habe ich kein Problem mit der Feststellung, dass sich Horror unter anderem im SF-Modus manifestieren kann resp. dass sich die beiden mischen können. Am Ende ist's ja eigentlich auch nicht so wichtig, wie man das Ding nennt, sofern man sich im Klaren ist, wie das Ganze funktioniert. Ich habe den Begriff des Modus vor allem deshalb eingeführt, weil ich den vorbelasteten Genrebegriff loswerden wollte, resp. weil ich die Möglichkeit haben wollte, klar zwischen der SF insgesamt und konkreten historischen Phänomenen wie der Gernsback-Pulp-SF oder den Scientific Romances zu unterscheiden. Natürlich kriegen wir auch hier Probleme: Sind Phänomene wie New Wave oder Cyberpunk nun historische Genres oder doch eher Strömungen oder Bewegungen? Am Ende sollen theoretische Konzepte wie der Modus ja nicht alles restlos erfassen können, sondern auch und gerade dabei helfen, Problem- und Grenzfälle als solche zu erkennen und besser zu verstehen.

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#233 simifilm

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Geschrieben 26 August 2009 - 12:35

Aber dein Beispiel führt ja auch zu dem von mir angestrebten Wunsch, die SF-Literatur auf der Basis der allgemeinen lit.wiss. Definitionen bzgl ihrer Abweichungen und Gemeinsamkeiten zu untersuchen. Das führt nun auch wieder zu dem Ausgangspunkt zurück. Ist das Genre SF ein Genre, das z.B. ähnlich wie ein Märchen einen besonderen Umgang mit sich trägt? Sind die operativen Begriffe der allgemeinen Literaturwissenschaft (Motive, narratologische Konzeptionen, Trivialität usw.) für die SF zu modifizieren? Und wie würde das ausschauen? Ist beispielsweise etwas, dass in der allgemeinen Literaturwissenschaft ein Zeichen für eine hohe künstlerische Dichte eines Textes ist, z.B. Intertextualität, Referenzialität, zugleich etwas, was für das Genre SF geradezu elementar "tödlich" sein kann?

Es ist ja nicht so, dass solche Dinge noch nicht gemacht werden. Ein wichtiges Thema wäre da beispielsweise der ganze Themenkomplex der Verfremdung. Das ist ein Konzept, das in der Literaturwissenschaft schon lange wichtig ist, dass aber hinsichtlich SF modifiziert werden muss. Grenzüberschreitung wäre ein anderes; auch hier etwas, was gemäss Lotman et al. alle erzählenden Texte auszeichnet, in der SF aber oft einen besonderen Dreh erhält. Samuel R. Delany hat verschiedenes zum besonderen Sprachgebrauch der SF geschrieben. Und so weiter †¦ Nebenbei: Die Gegenüberstellung mit dem Märchen scheint mir ein bisschen unglücklich. Ich weiss, dass das nur ein Beispiel sein soll, aber gemäss dem bisschen, was ich über Märchenforschung weiss, liegen hier die Dinge etwas anders als in anderen Gattungen. Meines Wissens beschränkt man 'Märchen' in der Märchenforschung in der Regel auf 'Volksmärchen', also auf überlieferte Erzählungen ohne identifizierbaren Autor. Alle späteren Texte, die einen identifizierbaren Autor haben, sind bereits Kunstmärchen. Mit anderen Worten: Man hat es hier mit einem relativ kleinen und im Grunde abgeschlossenen Korpus zu tun. Da ist es aus verschiedenen Gründen nicht so erstaunlich, dass das entsprechende Genre relativ gut in Grundmuster zerlegbar ist.

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#234 Nessuno

Nessuno

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Geschrieben 26 August 2009 - 12:43

Übrigens wundert es mich schon, dass noch keiner versucht hat Kaffkas "In der Strafkolonie" der SF zuzuschlagen...

Im "Lexikon der deutschen Science Fiction und Fantasy 1870-1918" ist Kafkas (!) Geschichte natürlich ebenso drin wie Max Brods "Das große Wagnis" oder Albert Ehrensteins "Ansichten eines Extraterritorialen" - warum sollte SF mit literarischer Qualität nicht vereinbar sein? Nessuno

#235 Crashlander

Crashlander

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Geschrieben 26 August 2009 - 16:42

hallo Tennessee!Danke für den Hinweis auf das Buch von Mulisch. Als ich das Beispiel postete, hatte ich im Hinterkopf, daß ich irgendwann einmal von einem solchen Roman gelesen hatte (nicht den Roman), konnte mich aber nicht mehr genau erinnern. Gut möglich, daß es sich um das von Dir genannte Buch handelte.Was E.T.A. Hoffmann und den Sandmann angeht: ich gebe zu, das Buch nicht gelesen zu haben, kann mich im folgenden also auch irren, aber wird Hoffmann nicht regelmäßig der "klassischen Phantastik" zugerechnet, die man durchaus als Vorläufer moderner SF, Fantasy und des Horro-Genres betrachten kann? Insofern sollte es wenig verwunderlich sein, wenn man bei entsprechenden Betrachtung und Analysen Ähnlichkeiten feststellen kann, da die modernen Formen gewissenmaßen auf diesen alten Traditionen aufbauen.

#236 Tennessee

Tennessee

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Geschrieben 27 August 2009 - 07:42

[...] Was E.T.A. Hoffmann und den Sandmann angeht: ich gebe zu, das Buch nicht gelesen zu haben, kann mich im folgenden also auch irren, aber wird Hoffmann nicht regelmäßig der "klassischen Phantastik" zugerechnet, die man durchaus als Vorläufer moderner SF, Fantasy und des Horro-Genres betrachten kann? Insofern sollte es wenig verwunderlich sein, wenn man bei entsprechenden Betrachtung und Analysen Ähnlichkeiten feststellen kann, da die modernen Formen gewissenmaßen auf diesen alten Traditionen aufbauen.

Salut Crashlander, naja, das ist ja auch so ein Problem: der "Gespenster-Hoffmann", wie der E.T.A. Hoffmann so genannt wird, entspricht in etwa dem Edgar Allen Poe. Hoffmann hat viele Schauergeschichten geschrieben, mit dem "Fräulein von Scuderi" einen Detektivroman in Holmes/Poirot/Rue Morgue-Manier (im Giftmischer"paradies" des alten Paris; tolles Buch) usw. Er haut voll in die (historische) Problematik hinein, die Simi ja auch anspricht: Ein Mann, der sich in einen Roboter verliebt ist doch was SF-mäßiges, aber 1813 gab es noch keine SF (als Gattungsbezeichnung) usw. Des weiteren gilt Hoffmann aber auch als der Paradevertreter der deutschen Romantik, mit ihrer "Ästhetik des Hässlichen", der Schlegel'schen Universalpoetik usw. Wieder mal so ein "Problemfall", obwohl klassische Phantastik durchaus gut greift. lg Ten. P.S. Der Sandmann ist toll! Das Reclam-Heft ist preiswert. Das Lesen ein Spaß - wenn man sich drauf einlassen kann, was "Altes" zu lesen. P.P.S. Ich bin sicher, dass es noch mehr gibt außer den Mulisch. Aber der fiel mir gerade spontan ein.
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#237 simifilm

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Geschrieben 27 August 2009 - 07:46

naja, das ist ja auch so ein Problem: der "Gespenster-Hoffmann", wie der E.T.A. Hoffmann so genannt wird, entspricht in etwa dem Edgar Allen Poe. Hoffmann hat viele Schauergeschichten geschrieben, mit dem "Fräulein von Scuderi" einen Detektivroman in Holmes/Poirot/Rue Morgue-Manier (im Giftmischer"paradies" des alten Paris; tolles Buch) usw. Er haut voll in die (historische) Problematik hinein, die Simi ja auch anspricht: Ein Mann, der sich in einen Roboter verliebt ist doch was SF-mäßiges, aber 1813 gab es noch keine SF (als Gattungsbezeichnung) usw. Des weiteren gilt Hoffmann aber auch als der Paradevertreter der deutschen Romantik, mit ihrer "Ästhetik des Hässlichen", der Schlegel'schen Universalpoetik usw.
Wieder mal so ein "Problemfall", obwohl klassische Phantastik durchaus gut greift.

Der Sandmann ist ja fast zeitgleich mit der ersten Fassung von Frankenstein erschienen. Die «Geburt der SF» als eine Form des Weltenbaus - eben als Modus - würde ich schon ungefähr da festsetzen. Aber eben: Das sind dann eigentlich bis Ende des 19. Jahrhunderts lauter Texte, die nicht im Kontext eines spezifische SF-Genres entstehen. Das gilt auch für Jules Vernes, dessen Romane als «voyages extraordinaires»Â beworben wurden.

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#238 Mycroft

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Geschrieben 27 August 2009 - 10:18

Der Sandmann ist ja fast zeitgleich mit der ersten Fassung von Frankenstein erschienen. Die «Geburt der SF» als eine Form des Weltenbaus - eben als Modus - würde ich schon ungefähr da festsetzen. Aber eben: Das sind dann eigentlich bis Ende des 19. Jahrhunderts lauter Texte, die nicht im Kontext eines spezifische SF-Genres entstehen. Das gilt auch für Jules Vernes, dessen Romane als «voyages extraordinaires» beworben wurden.

Mal eine doofe Zwischenfrage: warum wird überhaupt diskutiert, ob "Hochliteratur" (was immer das konkret ist) und SF (was immer das konkret ist) irgendwie einander ausschließen?
SF kann man mMn nach nur an Themen und Inhalten festmachen (und nur, welche Inhalte das sind oder im Zweifelsfall auch nicht, ist strittig), Hochliteratur nur an den Qualitäten des Textes.
Und da hier die Definition auf zwei unterschiedlichen Kategorien beruht, können die einander nicht ausschließen.

Um mal das Metier zu wechseln: jeder weiß, wie eine typische Kirche und eine typische Fabrikhalle aussieht. Viele Kirchen kann man nach der Bauweise in ein- oder dreischiffige Kirchen einteilen, viele Hallen aber auch. Es gibt also die Kategorien "Einschiffiges Gebäude" und "Dreischiffiges Gebäude", in denen jeweils Gebäude mit völlig unterschiedlichen Nutzungen zusammengefasst werden.
Das liegt daran, dass die Nutzung und die Bauweise einander nicht zwingend bestimmen.
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#239 simifilm

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Geschrieben 27 August 2009 - 10:32

Mal eine doofe Zwischenfrage: warum wird überhaupt diskutiert, ob "Hochliteratur" (was immer das konkret ist) und SF (was immer das konkret ist) irgendwie einander ausschließen? SF kann man mMn nach nur an Themen und Inhalten festmachen (und nur, welche Inhalte das sind oder im Zweifelsfall auch nicht, ist strittig), Hochliteratur nur an den Qualitäten des Textes. Und da hier die Definition auf zwei unterschiedlichen Kategorien beruht, können die einander nicht ausschließen.

Grundsätzlich richtig. Die beiden Dinge schliessen sich ja auch nicht aus; es gibt aber von beiden Seiten her einen Abwehrreflex. Mancher gestandene Literaturkritiker rümpft ob des Begriffs 'science fiction' die Nase (und merkt dabei nicht, dass so manches Hochliterarisches von Hoffmann über Pynchon bis Houllebecq durchaus SF ist). Und mancher SF-Fan ist beleidigt, weil sein Lieblingsgenre nicht Teil des Lehrplans ist und nicht im Feuilleton besprochen wird (und merkt dabei nicht, dass so manches Hochliterarisches von Hoffmann über Pynchon bis Houllebecq durchaus SF ist). Im Grunde haben wir es eigentlich auch hier wieder mit dem Modus/Genre-Problem zu tun. Betrachten wir SF als Modus, also die Gesamtheit von Werken, die in einer SF-Welt spielen, gibt es diverses Hochliterarisches, das auf jeden Fall dazugehört. Betrachten wir SF als Genre, also als das, was als SF verkauft wird, kommen wir schnell in einen Bereich, in dem sich eben viel Triviales tummelt. Das hängt auch mit Marktmechanismen zusammen. Ein Autor mit einem gewissen literarischen Anspruch wird in der Regel nicht wollen, dass sein Roman mit einem poppigen Cover bei Heyne erscheint, und umgekehrt wollen viele, die Bücher mit poppigem Cover kaufen, nicht unbedingt einen literarisch anspruchsvollen Roman (auch mal wieder sehr schematisch). Deshalb segelt vieles, was in den Modus SF gehört, "unter falscher Flagge".

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#240 Mycroft

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Geschrieben 27 August 2009 - 13:20

...Im Grunde haben wir es eigentlich auch hier wieder mit dem Modus/Genre-Problem zu tun. Betrachten wir SF als Modus, also die Gesamtheit von Werken, die in einer SF-Welt spielen, gibt es diverses Hochliterarisches, das auf jeden Fall dazugehört. Betrachten wir SF als Genre, also als das, was als SF verkauft wird, kommen wir schnell in einen Bereich, in dem sich eben viel Triviales tummelt. Das hängt auch mit Marktmechanismen zusammen. Ein Autor mit einem gewissen literarischen Anspruch wird in der Regel nicht wollen, dass sein Roman mit einem poppigen Cover bei Heyne erscheint, und umgekehrt wollen viele, die Bücher mit poppigem Cover kaufen, nicht unbedingt einen literarisch anspruchsvollen Roman (auch mal wieder sehr schematisch). Deshalb segelt vieles, was in den Modus SF gehört, "unter falscher Flagge".

Jetzt verstehe ich auch, was Du mit Modus und Genre meinst. :angry: Ich hielt das für den umfassenderen und spezielleren Gattungsbegriff. Wenn Modus der Gattungsbegriff und Genre eine Konvention der Verlage ist, ist mir der Unterschied auch klar. (Rebellischerweise könnte ich jetzt sagen, dass es dann ja doch auf´s Cover ankommt, aber ich bin ja schon still. <_< )
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