Das scheint mir auch ein vernünftiges Anliegen zu sein, wobei ich allerdings Simons Modus-Begriff in den Zusammenhang tatsächlich nützlicher finde. Ich glaube nicht, dass man die Erzählgesetzmäßigkeiten von SF in ähnlicher Weise formalisieren kann wie die des Märchens. Die Märchendefinition hat ja mehr mit Erzählstruktur zu tun, die SF-Definition mehr mit Inhalt.
Andererseits kenne ich mich mit Märchen auch nicht unbedingt besonders gut aus ...
Salut Jacob,
der Modus-Begriff gefällt mir auch sehr gut, ich halte ihn aber zuweilen für ähnlich problematisch wie den Genre-Begriff oder anders: der Modus-Begriff zeigt in einem andern Feld ähnliche Probleme wie der Genre-Begriff.
Ein Beispiel aus der Literatur:
Ein kleiner Junge ca 4-6 Jahre erlebt ein frühkindliches Trauma. Er versteckt sich im Arbeitszimmer seines Vaters und beobachtet ihn und einen Familien"freund" bei "seltsamen Experimenten". Der Junge wird entdeckt und der Familien"freund" will ihm seine Augen ausschneiden, weil er sie für das Experiment brauchen kann (und als Strafe für den BEobachter). Das kann verhindert werden, wobei der Vater stirbt. Viele Jahre später ist der Junge zu einem jungen Mann geworden. Er studiert Jura (meine ich), hat eine Freundin, die er bald heiraten will und ist noch immer stark geprägt von seinen frühkindlichen Erlebnissen. Nun geschieht es, dass sich in seinem Studienort ein Mann und dessen Tochter niederlassen. Diese Tochter ist so eine schöne Erscheinung, eine Dame von fast perfekter Grazie mit wundervollen Augen. Der junge Mann verliebt sich in sie. Des weiteren glaubt er, den Familien"freund" von früher wiedererkannt zu haben, was ihn aufs höchste erregt. Während seine Familie und seine Verlobte den jungen Mann als "traumatisiert" bezeichnen, intensiviert der junge Mann seine Beziehung zu der schönen Tochter.
Nun, kurzes Ende: Die Tochter erweist sich als mechanische Holzpuppe, als ein Roboter, in den sich der junge Mann verliebt hat. Dieser stürzt sich später von einem Turm und stirbt, als er den Familien"freund" erneut sieht.
Das Buch heißt "Der Sandmann" und stammt von E.T.A. Hoffmann (1817)
Der Modus der SF ist hier mit der schönen Frau, dem künstlichen Wesen, dass aus handwerklichen und wissenschaftlichen Geschick herrgestellt worden ganz klar vorliegend. Ein (nicht alle) MOtiv ist hier auch (typisch SF vielleicht??) die Liebe des biologischen Menschen zu einem künstlichen Lebewesen.
Und was ist mit dem Modus des Psychologischen (es wird ja nicht nur *einen* Modus geben)? Ein frühtraumatisiertes Kind, dass wegen seines Traumas ein gestörtes Verhältnis zu seiner Umwelt hat und sebst die "kühle Tochter" (so nehmen sie alle anderen wahr) für eine wunderschöne Frau hält und sich schließlich umbringt im Angesicht des "Trauma-Auslösers".
Und was ist mit dem Modus des Horrors oder Schauerhaften? Die Augen, die ausgeschnitten werden...
Hier ist es m.E. sehr schwierig zu bestimmen, in welchen Modus der Text geschrieben wurde. Als ahistorischer Zuordnungbesgriff ist der Modus natürlich ganz toll und der gefällt mir, aber auch er führt zu Zuordnungsproblemen, die sich von der Genre-Problematik nicht so sehr unterscheiden.
Schon klar, aber trotzdem funktioniert dieser Maßstab eben bei ganz vielen "hochliterarischen" Werken nicht, weil die Figuren evtl. gar nicht so präsent sind (siehe Kafka) oder weil sie von Anfang an so stark widersprüchlich angelegt sind, dass "Veränderung" zu einem sehr relativen Begriff wird. Ich assoziiere die sich in Reaktion auf Ereignisse "entwickelnde" Figur ehrlich gesagt doch zu sehr mit der Wohlanständigkeit des bürgerlichen Romans.
Und "Anspruch" ist schon etwas, das ich mit Hochliteratur in Verbindung bringe, in dem Wortsinne, dass sie Ansprüche an den Leser stellt und ihm nicht erlaubt, sich einfach treiben zu lassen. das ist nun aber wieder keine absolute Wertung: ein "anspruchsloses" Buch kann auf seine Art sehr viel besser sein als ein "anspruchsvolles" Buch. Immersion ist ja an sich nichts Schlechtes.
*lach* du hast ein Talent für "Problemfälle" scheint mir. Nou, auch Kafka ist nicht ganz unproblematisch, da seine Text sehr viel gleichnishafter und parabelartiger sind, als andere Texte (und dazu noch surreal), aber grob (!) kann kann das z.B. an der "Verwandlung" vielleicht so festmachen: Gregor Samsa ist ein normaler Mensch, sein Familienleben ist düster und depressiv (a) - er wird in einen Käfer verwandelt, sein Familienleben erfährt eine Veränderung, Samsa kann nicht mehr am Familienleben teilnehmen, alles wird noch schlimmer (
- er stirbt, das Familienleben wird geradzu paradiesisch ©. (Gott, Kafka war echt ne arme Sau!! Also, wer einen achzigseitigen Brief an den Vater schreibt, um darin zu erklären wie scheiße man selbst doch ist, der hat echt nicht alle auf der Latte!)
Vielleicht habe ich mit dem Begriff "Charakter" auch eine blöde Bezeichnung gewählt. Vielleicht wäre "Figur" besser, da der Charakter-Begriff auch zu dem Gedanken führen kann, dass damit immer ein "vielfältig charakterisierter Protagonist" gemeint ist. Das muss aber nicht immer der Fall sein.
lg
Ten.
"Mit meiner Frau in 'Romeo und Julia'. Das schlechteste Stück, das ich je gesehen habe, und dazu schauderhaft gespielt. Habe beschlossen, nie wieder in eine Premiere zu gehen, weil die Schauspieler dauernd ihren Text vergessen." (Samuel Pepys, 23.02.1633)