Jeff Long
Im Abgrund
Verlag: Blanvalet
ISBN 3-442-35359-9
Zugegeben, die Idee eines weltumspannenden Tunnel- und Höhlensystems klingt zunächst ein wenig unglaubwürdig. Und das dieses ohne unser Wissen von einer unbekannten menschlichen Spezies bevölkert wird noch mehr. Grund genug, sich dieses vielempfohlene Buch zur Brust zu nehmen.Der erfahrene Himalaya-Experte Dwight David Crockett, genannt Ike, sucht mit seiner Expeditionsgruppe Schutz vor einem Unwetter in einer Höhle in Nepal. Zu ihrem Entsetzen stoßen sie dort auf die Leiche eines Mannes, die über und über mit unbekannten Schriftzeichen bedeckt ist. Wenig später sind alle Mitglieder der Gruppe tot, und lke wird für lange Monate Gefangener der »Hadals«. Jahre später ist es fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden, dass die Erde von einem tief liegenden Tunnelsystern unterminiert ist, das von den Hadals bewohnt wird. Niemand weiß wer - oder was - sie sind, aber wenn sie erscheinen, verheißt das nichts Gutes. Eines Tages wird eine wissenschaftliche Expedition zusammengestellt, mit dem Auftrag, das Tunnelsystem zu kartografieren, Ressourcen zu entdecken - und das Geheimnis des Lebens in der ewigen Dunkelheit zu ergründen. Gibt es eine natürliche Erklärung, wie die Wissenschaftler es hoffen? Oder hat das Phänomen übernatürliche Ursachen? Ist der rätselhafte Anführer der Hadals nur ein charismatischer Freak oder tatsächlich Satan, die Verkörperung des Bösen? Die junge Nonne Ali, die sich seit Jahren mit primitiven Sprachen und Kulturen beschäftigt, schließt sich dieser Reise in die steinerne Unterwelt an. Und in diesen gefährlichen Abgründen, in denen Wissenschaftler und Militärs nicht nur Opfer ihrer Angreifer werden, sondern auch ihrer eigenen Gier und Unmenschlichkeit, trifft sie den einen Mann, der einen klaren Kopf behält: lke . . .
Um die Katze gleich aus dem Sack zu lassen: ich kann mich nicht erinnern, ein Buch mit einem solchen spannenden ersten Kapitel jemals in Händen gehalten zu haben (jaja, vielleicht mit Ausnahme des RING VON CHARON). Ausnahmsweise fasst der Klappentext das Geschehen recht gut zusammen, die Heftigkeit mit der Teile von Longs Story einschlagen kann er jedoch nicht vorweg nehmen.
Zwar büßt die Handlung mit zunehmender Seitenzahl die Energie der ersten Kapitel ein, unterhält und schauert den Leser aber zuverlässig bis zur letzten Seite. Mit morbider Lässigkeit garniert Long die Eindrücke des "Subplaneten" mit grausamen Szenen und martialischer Gewalt, die in scharfem Kontrast zur zivilisierten und kultivierten Oberfläche stehen. Ab und an lassen sich Paralellen zu Tolkiens Moria mit seinen primitiven Orks nicht abstreiten, was den Eindruck verstärkt, dass es nicht geschadet hätte, wenn Long den Menschen im Homo hadalis etwas ausführlicher beleuchtet hätte.
Stellt sich die Frage, ob das Buch zurecht in einem Forum für SF besprochen wird. Ich würde sagen, JA, auf jeden Fall. Denn trotz des gewagten Gerüsts hat der Thriller durchaus wissenschaftliche Momente, auch wenn ich die hastige Klärung der Abstammung des Homo hadalis für unbefriedigend erachte. Der Autor hat nach eigenen Angaben mit vielen Experten und Sachkundigen gesprochen, ein Biologe scheint nicht darunter gewesen zu sein. Die Abstammung einer "neuen" Spezies Mensch wäre in diesen Tage wissenschaftliche Chefsache und mit gängigen Methoden anhand genotypischer Merkmale einwandfrei durchführbar.
Mit einem Handlungsfaden wird die Suche nach Satan in die Story eingeflochten. Dazu gründen zahlreiche Gelehrte und das Astronautenpendant zu Buzz Aldrin eine Gruppe, die sich diese Angelegenheit zur Aufgabe machen. Ich kann nicht behaupten, dass Long mit dieser Entwicklung den wissenschaftstreuen Leser großartig verärgert, aber ich hätte gut auf die metaphysische Komponente verzichten können.
Das letzte Rätsel des Romans bleibt die Übersetzung des Titels "The Descent (Der Abstieg)" mit "Im Abgrund". Aber da ich nichts von den Raffinessen der Verlagsbranche verstehe, wird mir dieses Rätsel erhalten bleiben. Diese Haarspaltereien können auch nicht davon ablenken, dass IM ABGRUND ein phantastischer Spannungsroman ist, als Einschlaflektüre gänzlich ungeeignet